Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 2
Johann Wolfgang von Goethe

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

1620

[Mittwoch 20. bis Sonnabend 23. Dezember]

Rom d. 20. Dec. 86.

Noch ist kein Brief von dir angekommen, und es wird mir immer wahrscheinlicher daß du vorsätzlich schweigst, ich will auch das tragen und will dencken: hab ich doch das Beyspiel gegeben, hab ich sie doch schweigen gelehrt, es ist das erste nicht was ich zu meinem Schaden lehre.

Heute Nacht hatt ich halb angenehme, halb ängstliche Träume. Ich war in Eurer Gegend und suchte dich. Du flohst mich und dann wieder wenn ich dir begegnen konnte, wich ich dir aus. Deine Schwester und die kleine S[chardt) fand ich beysammen. Letztere versteckte etwas vor mir, wie ein farbiges Strickzeug. Sie erzählten mir, du lesest jetzt mit vieler Freude die englischen Dichter und ich sah zugleich zum Fenster hinaus einen anmutigen grünen Berg mit Lorbeerhecken und Schneckengängen die hinauf führten. Man sagte mir es sey der englische Parnaß. Ich dachte: darüber wird sie mich leicht vergessen und schalt auf die englischen Dichter und verkleinerte sie. Dann sucht ich dich in meinem Garten und als ich dich nicht fand, ging ich auf die Belved[eresche] Chaussee, wo ich ein Stück Weg hatte machen lassen das mich sehr freute. Wie ich dabey stand kamen Oppels gefahren die mich freundlich grüßten, welches mir eine sehr frohe Empfindung war. – So bleibt der entfernte mit den zartesten Banden an die seinigen gefeßelt. – Gestern träumte ich die Herdern sey, eben als ich in ihr Haus trat, in die Wochen gekommen.

Hab ich dir denn von Rom nichts zu schreiben als Träume? Noch viel! Gar viel.

Ich fange nun an die besten Sachen zum zweytenmal zu sehen, wo denn das erste Staunen sich in ein Mitleben und näheres Gefühl des Werthes der Sachen auflöst.

Ich lasse mir nur alles entgegen kommen und zwinge mich nicht dies oder ienes in dem Gegenstande zu finden. Wie ich die Natur betrachtet, betrachte ich nun die Kunst, ich gewinne, wornach ich solang gestrebt, auch einen vollständigern Begriff von dem höchsten was Menschen gemacht haben, und meine Seele bildet sich auch von dieser Seite mehr aus und sieht in ein freyeres Feld.

Von gewissen Gegenständen kann man sich gar keinen Begriff machen ohne sie gesehen, in Marmor gesehen zu haben, der Apoll von Belvedere übersteigt alles denckbare, und der höchste Hauch des lebendigen, jünglingsfreyen, ewigjungen Wesens verschwindet gleich im besten Gypsabguß.

So ist eine Medusenmaske wo in einer hohen, schönen Gesichtsform das ängstliche Starren des Todtes unsäglich trefflich ausgedruckt ist. Ich suche einen guten Abguß um dir das mögliche mitzubringen, aber es ist der Zauber des Marmors nicht übergeblieben und das edle des halbdurchsichtigen, der gilblichen Fleischfarbe sich nähernden Steins ist verschwunden, der Gyps sieht immer dagegen Kreidenhaft und todt.

Aber was es für eine Freude ist auch nur bey so einem Gypsgießer vorbey zugehen, wo man die schönsten Sachen beysammen findet. Wir haben einen Colossalen Jupiter Kopf gekauft, er steht in meiner Stube wenn ich ihn nur in deinen Saal stellen könnte.

Und doch ist das alles mir mehr Mühe und Sorge als Genuß. Die Wiedergeburt die mich von innen heraus umarbeitet, würckt immer fort, ich dachte wohl hier was zu lernen, daß ich aber so weit in die Schule zurückgehn, daß ich so viel verlernen müßte dacht ich nicht. Desto lieber ist mir's, ich habe mich ganz hingegeben und es ist nicht allein der Kunstsinn, es ist auch der moralische der große Erneuerung leidet. Viel erleichtern würde mir diese sonderbare Hauptepoche meines Lebens, wenn ich ein freundlich Wort von dir vernähme, da ich jetzt alles allein austragen muß. Doch ich will dirs nicht abzwingen, folge deinem Herzen, und ich will meinen Weg im Stillen endigen. Tischbein und Moritz sind mir von großer Hülfe, und wißen nicht was sie mir sind, da auch hier der zum Schweigen gewöhnte, schweigt. Lebe wohl. Grüße die deinigen. Ich werde fortfahren dir zu schreiben. Diesmal kommt mir dein Geburtstag ohne daß ich mich dessen mit dir freuen kann. Wie erfreulich wird der nächste seyn, wenn du mich nicht ganz von deinem Herzen ausschließen willst.

abgeg. d. 23. Dec. 86.

d. 23. Dec. Abends.

Laß mich dir nur noch für deinen Brief dancken! Laß mich einen Augenblick vergessen was er schmerzliches enthält. Meine Liebe! Meine Liebe! Ich bitte dich nur fusfällig, flehentlich, erleichtere mir meine Rückkehr zu dir, daß ich nicht in der weiten Welt verbannt bleibe. Verzeih mir großmütig was ich gegen dich gefehlt und richte mich auf. Sage mir oft und viel wie du lebst, daß du wohl bist daß du mich liebst. In meinem nächsten Briefe will ich dir meinen Reiseplan schreiben, was ich mir vorgenommen habe und wozu der Himmel sein Gedeyhen gebe. Nur bitt ich dich: sieh mich nicht von dir Geschieden an, nichts in der Welt kann mir ersetzen was ich an dir, was ich an meinen Verhältnißen dort verlöhre. Möge ich doch Krafft alles widrige männlicher zu tragen mitbringen. Eröffne die Kasten nicht, ich bitte und sey ohne Sorgen. Grüße Stein und Ernst, Fritzen dancke für seinen Brief er soll mir oft schreiben, ich habe schon für ihn zu sammeln angefangen, er soll haben was er verlangt und mehr als er verlangt.

Daß du kranck, durch meine Schuld kranck warst, engt mir das Herz so zusammen daß ich dirs nicht ausdrucke. Verzeih mir ich kämpfte selbst mit Todt und Leben und keine Zunge spricht aus was in mir vorging, dieser Sturz hat mich zu mir selbst gebracht. Meine Liebe! meine Liebe!


Ließ doch Anton Reiser ein psychologischer Roman von Moritz, das Buch ist mir in vielem Sinne werth. Der arme Narr liegt nun schon 26 Tage auf Einem Flecke an einem Armbruche.

Fritzen schreibe ich mit nächsten Post.

Vom 4 Nov. war ein Blat an den Herzog das du sehn solltest. Meine Tagbücher müssen endlich kommen und dir mein Herz bringen, dir sagen daß du mir einzig bist und daß du mit niemand theilest.

Lebe wohl! liebe mich! daß ich mit Freuden sammle und dir neue Schätze bringe.

Im Leben und Todt der deine.

G.

Dieser Brief kommt durch der Herzoginn Einschluß ich siegle ihn mit Oblaten und dem Köpfgen. Ich habe bisher mit verschiednen Siegeln gesiegelt und wills künftig immer notiren. Tischbein grüßt Fritzen er wird für ihn sorgen helfen.

1621

[Freitag 29. und Sonnabend 30. Dezember]

d. 29 Dec. 86.

Immer muß ich wiederhohlen: ich glaubte wohl hier etwas rechts zu lernen, daß ich aber soweit in die Schule zurückgehn müßte glaubt ich nicht, und je mehr ich mich selbst verläugnen muß je mehr freut es mich. Ich bin wie ein Baumeister der einen Thurm aufführen wollte und ein schlechtes Fundament gelegt hatte; er wird es noch bey Zeiten gewahr und bricht gerne wieder ab, was er schon aus der Erde gebracht hat, um sich seines Grundes mehr zu versichern und freut sich schon im Voraus der gewissern Festigkeit seines Baues. Daß ich in der letzten Zeit die Natur so eifrig und gründlich studirte hilft mir auch jetzt in der Kunst. Gebe der Himmel daß du bei meiner Rückkehr auch die moralischen Vortheile an mir fühlest die mir das Leben in einer weitern Welt gebracht hat.

Tischbein mahlt mich jetzo. Ich laße ihn gehn, denn einem solchen Künstler muß man nicht einreden. Er mahlt mich Lebensgröße, in einen weisen Mantel gehüllt, in freyer Luft auf Ruinen sitzend und im Hintergründe die Campagna di Roma. Es giebt ein schönes Bild, nur zu groß für unsre Nordische Wohnungen.

Damit du auch gleich etwas von der Verbesserung meines Zustandes fühlest, will ich dir vertrauen wie ich meine Reise einzurichten dencke.

Zwischen hier und Ostern seh ich was ich noch in Rom zu sehn habe, und Neapel. Nach Sicilien geh ich nicht; ich bin nicht vorbereitet genug, habe weder Geld noch Zeit genug. Den April und May bring ich auf meiner Rückreise bis an die Alpen zu. Den Juni und Juli durch die Schweitz, den Rhein hin, bis Franckfurt und im August seh ich dich wieder. Gieb mir deinen Segen zu diesem Vorhaben und verschließe dich nicht vor mir.

Fritz muß mir bis Franckfurt entgegen kommen. Daß du mit deiner Schwester kämest kann ich kaum hoffen. – Beladen mit Phasanen denck ich nur an die Rückkehr und Euch das Beste zu bringen und zu widmen.

Da ich keine vollständige Idee von Italien mitnehmen kann, will ich wenigstens das was ich sehe mit eignen Augen und nach eigner Art sehen. Es wird mir mit diesem Lande wie mit meinen Lieblingswissenschafften gehn. Auf den ersten sichern Blick kommt alles an, das übrige gibt sich, und durch Schrifft und tradition hat man keinen sichern Blick. Nun aber werd ich gern lesen und hören und was sich hierauf bezieht sammlen, denn ich kann nun etwas dabey dencken ich kann es beurtheilen.

Daß Fritz nicht mehr in meinem Hause ist, betrübt mich. Ich glaubte es recht gut gemacht zu haben. Ich hatte ihn in meine Stube installirt und Seideln bey ihm zu schlafen bestellt. – Es sey das letzte mal, wills Gott, daß ich stumm ein solch Unternehmen ausführe, möge mir doch ein guter Genius immer die Lippe offen halten.

d. 30. Dec. 86.

Dein Brief vom 11. Dec. der eben anlangt, Briefe von Herder, Knebel, machen mir auf einmal große Freude. Du sollst auch immerfort von mir hören. Schreibet mir auch immerfort nur den letzten Montag im Febr. gebt die letzten Briefe für Rom auf die Post, wenn inzwischen nichts sich verändert. Ich freue mich unsäglich jeder Zeile von dir und schließe mich täglich mehr an Euch fest. Von meinem Rückreise Plan sagst du nur dem Herzog und den nächsten. Empfiel mich dem H[erzog] ich habe noch keinen Brief von ihm.

Wegen des Kastens siehe beyliegenden Brief an Seidel. Ich begreife nicht daß er ihn nicht aufgemacht hat. Der Caffee ist für dich und für die Freunde die du damit regaliren willst. Sollte das tagbuch glücklich angekommen seyn; so schreibe mir es gleich daß ich beruhigt werde.

Leb wohl. Grüße Fritzen. Die Waldnern und Steinen. Dancke der Waldner für die Nachricht des brennbaren Wassers ich bringe ihr ein Fläschgen mit. Ganz der deine. Empfiel mich der Herzoginn sie wird einen Brief von mir haben. Leb wohl und wohl.

1622

[Sonnabend 30. Dezember?]

Ich schicke dir hier ein gar artig geschnitten Steinchen einen magischen Löwen vorstellend. Wenn du dir es zur beweglichen Nadel das Halstuch damit zuzustecken faßen ließest würde mir es Freude machen. Ich hätte es hier schon faßen laßen sie machen aber keine gute Arbeit.


 << zurück weiter >>