Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 2
Johann Wolfgang von Goethe

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1789

1650

[Weimar, Freitag 20. Februar]

Gestern Abend war ich einige Augenblicke recht in Sorgen als mir die Kammerjungfer deiner Schwester, wie ich wohl merckte ein Geheimniß machte, ich wußte nicht aus was und warum. Es hat mir sehr leid gethan daß dich das geschmackloße, elende Stück durch Erinnerung an eine traurige Würcklichkeit so geschmerzt hat.

Ich will dich diesen Abend erwarten. Laß uns freundlich Leid und Freude verbinden damit die wenigen Lebenstage genoßen werden.

Mirabeaus Buch will ich schicken wenn mirs möglich ist. Die Herzoginn hat es wiederhohlen laßen und es soll fort. Du verlierst nichts an dieser Lecktüre.

Lebe recht wohl und liebe mich.

d. 20. Febr. 89.

G.

1651

[Februar?]

Wenn du es hören magst; so mag ich dir gerne sagen, daß deine Vorwürfe, wenn sie mir auch im Augenblicke empfindlich sind, keinen Verdruß und Groll im Herzen zurücklaßen. Auch sie weiß ich zurecht zu legen und wenn du manches an mir dulden mußt; so ist es billig daß ich auch wieder von dir leide. Es ist auch so viel besser daß man freundlich abrechnet, als daß man sich immer einander anähnlichen will und wenn das nicht reuissiert, einander aus dem Wege geht.

Mit dir kann ich am wenigsten rechten, weil ich bey jeder Rechnung dein Schuldner bleibe. Wenn wir übrigens bedencken wie viel man an allen Menschen zu tragen hat, so werden wir ja noch liebe einander nachsehn. Lebe wohl und liebe mich. Gelegentlich sollst du wieder etwas von den schönen Geheimnißen hören.

G.

1652

[Belvedere, Montag 1. Juni]

Ich dancke dir für den Brief, den du mir zurückließest, wenn er mich gleich auf mehr als eine Weise betrübt hat. Ich zauderte darauf zu antworten, weil es in einem solchen Falle schwer ist aufrichtig zu seyn und nicht zu verletzen.

Wie sehr ich dich liebe, wie sehr ich meine Pflicht gegen dich und Fritzen kenne, hab ich durch meine Rückkunft aus Italien bewiesen. Nach des Herzogs Willen wäre ich noch dort, Herder ging hin und da ich nicht voraussah dem Erbprinzen etwas seyn zu können, hatte ich kaum etwas anders im Sinne als dich und Fritzen.

Was ich in Italien verlaßen habe, mag ich nicht wiederhohlen, du hast mein Vertrauen darüber unfreundlich genug aufgenommen.

Leider warst du, als ich ankam, in einer sonderbaren Stimmung und ich gestehe aufrichtig: daß die Art wie du mich empfingst, wie mich andre nahmen, für mich äusserst empfindlich war. Ich sah Herdern, die Herzoginn verreisen, einen mir dringend angebotnen Platz im Wagen leer, ich blieb um der Freunde willen, wie ich um ihrentwillen gekommen war und mußte mir in demselben Augenblick hartnäckig wiederhohlen laßen, ich hätte nur wegbleiben können, ich nehme doch keinen Theil an den Menschen. u. s. w. Und das alles eh von einem Verhältniß die Rede seyn konnte das dich so sehr zu kräncken scheint.

Und welch ein Verhältniß ist es? Wer wird dadurch verkürzt? wer macht Anspruch an die Empfindungen die ich dem armen Geschöpf gönne? Wer an die Stunden die ich mit ihr zubringe?

Frage Fritzen, die Herdern, jeden der mir näher ist, ob ich untheilnehmender, weniger mittheilend, unthätiger für meine Freunde bin als vorher? Ob ich nicht vielmehr ihnen und der Gesellschafft erst recht angehöre.

Und es müßte durch ein Wunder geschehen, wenn ich allein zu dir, das beste, innigste Verhältniß verlohren haben sollte.

Wie lebhaft habe ich empfunden, daß es noch da ist, wenn ich dich einmal gestimmt fand mit mir über interessante Gegenstände zu sprechen.

Aber das gestehe ich gern, die Art wie du mich bißher behandelt hast, kann ich nicht erdulden. Wenn ich gesprächig war hast du mir die Lippen verschloßen, wenn ich mittheilend war hast du mich der Gleichgültigkeit, wenn ich für Freunde thätig war, der Kälte und Nachläßigkeit beschuldigt. Jede meiner Minen hast du kontrollirt, meine Bewegungen, meine Art zu seyn getadelt und mich immer mal a mon aise gesetzt. Wo sollte da Vertrauen und Offenheit gedeihen, wenn du mich mit vorsätzlicher Laune von dir stießest.

Ich möchte gern noch manches hinzufügen, wenn ich nicht befürchtete, daß es dich bey deiner Gemüthsverfaßung eher beleidigen als versöhnen könnte.

Unglücklicher Weise hast du schon lange meinen Rath in Absicht des Caffees verachtet und eine Diät eingeführt, die deiner Gesundheit höchst schädlich ist. Es ist nicht genug daß es schon schwer hält manche Eindrücke moralisch zu überwinden, du verstärckst die Hypochondrische quälende Kraft der traurigen Vorstellungen durch ein physisches Mittel, dessen Schädlichkeit du eine Zeitlang wohl eingesehn und das du, aus Liebe zu mir, auf eine Weile vermieden und dich wohl befunden hattest. Möge dir die Cur, die Reise recht wohl bekommen. Ich gebe die Hoffnung nicht ganz auf daß du mich wieder erkennen werdest. Lebe wohl. Fritz ist vergnügt und besucht mich fleisig. Der Prinz befindet sich frisch und munter.

Belveder d. 1. Jun. 1789.

G.

1653

[Weimar, Montag 8. Juni]

Es ist mir nicht leicht ein Blat saurer zu schreiben geworden, als der letzte Brief an dich und wahrscheinlich war er dir so unangenehm zu lesen, als mir zu schreiben. Indeß ist doch wenigstens die Lippe eröfnet und ich wünsche daß wir sie nie gegeneinander wieder schließen mögen. Ich habe kein größeres Glück gekannt als das Vertrauen gegen dich, das von jeher unbegränzt war, sobald ich es nicht mehr ausüben kann, bin ich ein andrer Mensch und muß in der Folge mich noch mehr verändern.

Ich klage nicht über meine hiesige Lage, ich habe mich gut hinein gefunden und hoffe darin auszuhalten obgleich das Clima schon wieder mich angreift und mich früher oder später zu manchem Guten untüchtig machen wird.

Wenn man die kalte, feuchte Sommerzeit, die strengen Winter bedenckt, wenn durch des Herzogs äusseres Verhältniß und durch andre Combinationen alles bey uns inkonsistent und folgenloß ist und wird, wenn man fast keinen Menschen nennen kann, der in seinem Zustande behaglich wäre; so gehört schon Kraft dazu sich aufrecht, in einer gewißen Munterkeit und Thätigkeit zu erhalten, und nicht einen Plan zu machen, der einen nach und nach loslösen könnte; wenn nun aber gar ein übles Verhältniß zu den Nächsten entsteht: so weiß man nicht mehr wohin man soll. Ich sage das so gut in deinem als meinem Sinne und versichre dich: daß es mich unendlich schmerzt, dich unter diesen Umständen noch so tief zu betrüben.

Zu meiner Entschuldigung will ich nichts sagen. Nur mag ich dich gern bitten: Hilf mir selbst, daß das Verhältniß das dir zuwider ist, nicht ausarte, sondern stehen bleibe wie es steht.

Schencke mir dein Vertrauen wieder, sieh die Sache aus einem natürlichen Gesichtspunckte an, erlaube mir dir ein gelaßnes wahres Wort darüber zu sagen und ich kann hoffen es soll sich alles zwischen uns rein und gut herstellen.

Du hast meine Mutter gesehen und ihr viel Freude gemacht, auch der la Roche. Laß auch mir deine Wiederkunft freundlich seyn.

Der Baumeister Arends ist jetzt hier und ich erfreue mich wieder der Nähe eines Künstlers. Fritz wird in diesen wenigen Tagen viel lernen, er hat Verstand genug das Rechte geschwind zu mercken.

Herder zeigt leider in seinen Briefen eine große und fast entschiedne Neigung sich zu verändern, es wird schwer halten ihn für W[eimar] zu bestimmen und wenn er bestimmt ist ihm gute Tage zu verschaffen.

Ich war eine Woche mit dem Prinzen in Belvedere. Das Kind macht mir viel Freude.

Lebe wohl! Gedencke mein in Liebe. Tasso ist beynahe fertig. Biß ich ihn gedruckt sehe glaub ich nicht daß er fertig wird.

Sonst habe ich wenig gethan. Lebe wohl. Fritz grüßt.

W. d. 8. Jun. 89.

G.


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