Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 2
Johann Wolfgang von Goethe

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1615

An den Freundeskreis.

Rom [Sonnabend] d. 2 Dezemb. 86.

Von dem Guten das ich genieße läßt sich durch Worte so wenig mittheilen.

Das schöne, warme, ruhige Wetter, das nur manchmal von einigen Regentagen unterbrochen wird, ist mir zu Ende Nov. ganz was neues. Wir gebrauchen die gute Zeit in freyer Luft, die böse im Zimmer, überall ist etwas sich zu freuen, zu lernen und zu thun.

d. 28. Nov. Kehrten wir zur Sirtinischen Capelle zurück, ließen die Gallerie aufschließen, wo man den Platfond näher sehen kann, man drängt sich zwar, da sie sehr eng ist, mit einiger Beschwerlichkeit, und mit anscheinender Gefahr, an den eisernen Stäben weg, deßwegen auch die schwindlichen zurückblieben; alles wird aber durch den Anblick des grösten Meisterstückes ersetzt. Und ich bin in dem Augenblicke, so für Michel Ange eingenommen, daß mir nicht einmal die Natur auf ihn schmeckt, da ich sie doch nicht mit so großen Augen wie er sehen kann. Wäre nur ein Mittel sich solche Bilder in der Seele recht zu fixiren. Wenigstens was ich von Kupfern und Zeichnungen nach ihm erobern kann bring ich mit.

Wir gingen von da auf die Logen Raphaels und kaum darf ich sagen: daß man diese nicht ansehn durfte. Das Auge war von jenen großen Formen so ausgeweitet, daß man die geistreichen Spielereyen der Arabesken nicht ansehn mochte und die Biblischen Geschichten, so schön sie sind hielten auf jene nicht Stich.

Diese Wercke nun öffter gegen einander zu sehn, mit mehr Musse und ohne Vorurteil zu vergleichen muß eine große Freude gewähren.

Von da gingen wir bey fast zu warmem Sonnenschein auf die Villa Pamfili wo sehr schöne Gartenpartien sind, und blieben bis an den Abend.

Eine große mit immergrünen Eichen und hohen Pinien, eingefaßte, viereckte, flache Wiese, war ganz mit Maslieben übersät die ihre Köpfgen alle nach der Sonne wendeten, nun gingen meine Botanischen Spekulationen an, die ich den andern Tag auf einem Spaziergang nach dem Monte Mario, der Villa Uelini und Villa Madama fortsetzte. Es ist gar interessant zu bemercken wie eine lebhafter fortgesetzte und durch starcke Kälte nicht unterbrochne Vegetation würckt. Ich habe noch nicht genau genug verschiednes bemercken können und werde sobald meine Begriffe etwas vollständiger sind das interessanteste mittheilen. Der Erdbeerbaum |: eine Andromeda :| blüht jetzt wieder, indem seine letzte Früchte reif werden, und so zeigt sich der Orangenbaum mit Blüten, halb und ganz reifen Früchten |: doch werden letztere Bäume wenn sie nicht zwischen Gebäuden stehen nun bedeckt. |: Über die Cypresse, den respecktabelsten Baum, wenn er recht alt und wohl gewachsen ist, hab ich noch nicht genug gedacht, ehstens werd ich den Botanischen Garten besuchen und hoffe da manches zu erfahren.

Überhaupt ist mit dem neuen Leben, das einem nachdenckenden Menschen die Betrachtung eines neuen Landes gewährt nichts zu vergleichen. Ob ich gleich noch immer derselbe bin; so meyn ich biß aufs innerste Knochenmarck verändert zu seyn.

Für diesmal schließ ich und werde das nächste Blat einmal ganz von Unheil, Mord, Erdbeben und Unglück anfüllen, daß doch auch Schatten in meine Gemälde komme.

Mit diesem will ich mich allen die mir besonders wohl wollen empfohlen haben.

G.

1616

[Sonnabend] d. 2 Dez. 86 Rom.

Auf einem Blatte das ich ostensible geschrieben habe, steht eine Erinnerung eines theils meiner Freuden.

Mit keinem Worte aber kann ich ausdrucken wie ich dir das alles unmittelbar mitzutheilen wünschte. Alles Reden und beschreiben hilft bey sinnlichen, ia auch bey moralischen Gegenständen nichts. Was ich nur irgend mir eigen machen kann faß ich und ergreif ich und bring ich dir mit. Auch wirst du den deinigen wenn er zurückkommt noch mehr lieben, denn wills Gott wird er einige Fehler ablegen mit denen du unzufrieden warst. Nie hab ich so lebhaft gefühlt als hier, daß der Mensch der das Gute will, eben so thätig |: fast auf die selbe Art thätig :| seyn müsse, als der Eigennützige, der Kleine, der Böse.

Nur schwer schwer ist die Erkenntniß. |: Wir haben über diesen Punckt so oft gesprochen. :|

Grüße Fritzen und sag ihm, daß wenn es mir oft leid thut ihn nicht bey mir zu haben, ich doch auch vielerley lerne was ihm viel Spas machen wird. Besonders kleine Arbeiten in Thon die man ausdruckt und brennt, das viel artiger und angenehmer ist als Gyps.

Für dich lern ich auch etwas, eine Art Wachsmahlerey, die sehr leicht und angenehm ist, besonders für Zimmer pp. Mache ja nichts in Kochberg, ich will dir alsdann helfen, wie du einmal im Sinne hattest, die Zimmer ordnen und auf eine Weise, daß sie gleich artig aussehn und daß man noch Jahre lang dran ausmahlen kann. Hier ist alles in Perfecktion. Wird man doch pfuschen lernen. Lebe wohl, wenn mich etwas freut, freut michs um deint willen, da ich nicht reich bin bring ich dir viel in der Seele mit.

G.

Grüße Herdern, in acht Tagen schreib ich besonders an ihn.

Wie verlangt mich wieder ein mal von Hause ein Wort zu hören da ich nun morgen drey Monate in der Fremde bin, ohne eine Sylbe von den meinigsten zu haben.

Grüße alle Freunde, auch die Waldner. Sobald Briefe von Euch ankommen meld ich es. Merckt nur wie lange die meinigen unterwegs sind. Gib meinem Seidel den Auftrag er soll mir von Dr. Sievers einen kleinen Auszug der Witterung in Weimar vom Sept. Octbr. Nov. pp. machen laßen und mir ihn gleich schicken.

Von der Sepia bring ich mit, sie darf nicht getrocknet, sie muß in Essig aufbewahrt werden, ist aber trefflich damit arbeiten. Von Braunschweig sind hier: Stafforst und Marenholz mit ihren Frauen, ich halte mich aber still und sehe niemand. Die Zeit ist edel und die Kunst ist lang.

Lebe wohl. Wie lieb ich dich. Ohngefähr den 14. Oktbr ist der Kasten dem meine Reisebeschreibung beygepackt war von Venedig abgegangen. Schreibe mir doch gleich wenn er ankommt.

Lebe wohl. Der Grund aller meiner Freude ist darinn daß ich dir es wieder sagen kann und werde.

G.

1617

R. [Freitag] d. 8 Dez 86.

Diese Tage her, hab ich wieder mancherley Guts genoßen. Vom Wetter hab ich etwas an Herdern gesagt, das ich nicht wiederhohlen will. Wir haben mit unter die schönsten Tage. Der Regen der von Zeit zu Zeit fällt macht Gras und Gartenkräuter grünen, die immer grünen Bäume stehen auch hin und wieder, so daß man das abgefallen Laub kaum vermißt. In den Gärten stehen Pomeranzen Bäume voller Früchte aus der Erde wachsend unbedeckt pp.

Wir waren am Meere und hatten einen schönen Tag. Abend beym hereinreiten, brach der gute Moritz, indem sein Pferd auf dem glatten römischen Pflaster ausglitschte den Arm, das zerstörte die genoßne Freude und hat auch unsre

– Soweit war ich am 9. Dez. als ich einen Brief von Seideln erhalte und ein Zettelgen drinne von deiner Hand. Das war also alles was du einem Freunde, einem Geliebten zu sagen hattest, der sich so lange nach einem guten Worte von dir sehnt. Der keinen Tag, ja keine Stunde gelebt hat, seit er dich verließ ohne an dich zu dencken.

Möge doch bald mein Packet das ich von Venedig abschickte ankommen, und dir ein Zeugniß geben wie sehr ich dich liebe.

Heut Abend kann ich nichts mehr sagen dieses Blat muß fort.

Die Kasten auf dem Archive gehören dein, liebst du mich noch ein wenig; so eröffne sie nicht eher als biß du Nachricht von meinem Todte hast, so lang ich lebe laß mir die Hoffnung sie in deiner Gegenwart zu eröffnen.

Von hier habe ich an dich geschrieben

d. 11. Nov. d. 18. d. 25. d. 2. Dec.

Möge alles glücklich angekommen seyn.

Ich sage dir nicht wie dein Blätgen mein Herz zerrißen hat. Lebe wohl, du einziges Wesen und verhärte dein Herz nicht gegen mich.

1618

(Dienstag) d. 12 Decemb. 86.

In Hoffnung daß endlich das Venetianische Packet angekommen seyn wird, schick ich auch dieses Stück fort und wünsche daß es dir zur guten Stunde kommen und mich in deine Nähe bringen möge. Seit ich in Rom bin hab ich nichts aufgeschrieben als was ich dir von Zeit zu Zeit geschickt habe. Denn da läßt sich nichts sagen, man hat nur genug erst zu sehen und zu hören. Man muß recht zum Schüler werden, wenn man einigen Vortheil von dem Aufenthalte haben will. Lebe wohl. Da ich nun Rom gesehen habe, will ich das übrige Gute in der Nähe und auf dem Weg noch danckbar mitnehmen und dann meinem liebsten Wunsche, mit dir zu seyn wieder entgegen gehn. Lebe wohl. Grüße die Deinigen.

G.

1619

[Mittwoch 13. bis Sonnabend 16. Dezember]

Rom d. 13 Dec. 86.

Könnt ich doch meine Geliebteste, jedes gute, wahre, süße Wort der Liebe und Freundschafft auf dieses Blat faßen, dir sagen und versichern daß ich dir nah, ganz nah bin und daß ich mich nur um deinetwillen des Daseyns freue.

Dein Zettelchen hat mich geschmerzt aber am meisten dadrum daß ich dir Schmerzen verursacht habe. Du willst mir schweigen? du willst die Zeugniße deiner Liebe zurücknehmen? Das kannst du nicht ohne viel zu leiden, und ich bin schuld daran. Doch vielleicht ist ein Brief von dir unterwegs der mich aufrichtet und tröstet, vielleicht ist mein Tagebuch angekommen und hat dich zur guten Stunde erfreut. Ich fahre fort dir zu schreiben dir das merckwürdigste zu melden und dich meiner Liebe zu versichern. Wenn du diesen Brief erhältst bin ich wahrscheinl. in Neapel, wenn du mir schreiben magst; so laß deine Briefe ja immer abgehen, denn ich komme bald zurück und werde mich freuen ein Wort von dir wieder zu finden.

d. 14. Dec. 86.

Was ich auf der vorigen Seite schrieb sieht so ruhig aus, ich bin es nicht und muß dir liebe Vertraute alles Vertrauen.

Seitdem ich in Rom bin hab ich unermüdet alles sehenswürdige gesehen und meinen Geist recht damit überfüllt, in der Zeit da sich manches zu setzen und aufzuklären schien, kam dein Zettelgen und brach mir alles ab. Ich sah noch einige Villen, einige Ruinen, mit den Augen blos. Da ich merckte daß ich nichts mehr sah, lies ich ab und ging nur so vor mich hin.

Moritz der an seinem Armbruch noch im Bette liegt, erzählte mir wenn ich bey ihm war Stücke aus seinem Leben und ich erstaunte über die Ähnlichkeit mit dem Meinigen. Er ist wie ein jüngerer Bruder von mir, von derselben Art, nur da vom Schicksal verwahrlost und beschädigt, wo ich begünstigt und vorgezogen bin. Das machte mir einen sonderbaren Rückblick in mich selbst. Besonders da er mir zuletzt gestand, daß er durch seine Entfernung von Berlin eine Herzensfreundinn betrübt. – Nicht genug! Ich las Tischbeinen meine Iphigenie vor die nun bald fertig ist. Die sonderbare, originale Art wie dieser das Stück ansah und mich über den Zustand in welchem ich es geschrieben aufklärte, erschröckte mich. Es sind keine Worte wie fein und tief er den Menschen unter dieser Helden Maske empfunden.

Setzest du nun dazu daß ich gezwungen bin an meine übrige Schrifften zu dencken, und zu sinnen wie ich sie enden und stellen will und daß ich dadurch genötigt werde in tausend vergangne Situationen meines Lebens zurückzukehren, und daß das alles in wenigen Tagen auf mich zudringt, in der merckwürdigsten Stadt der Welt die allein hinreicht einen Ankömmling verwirrt zu machen; so wirst du dencken können in welcher Lage ich mich befinde. Ich dencke nun auch nicht auf die nächste Stunde, ich will so hingehn, das nothwendige thun und tragen was ich muß und abwarten wie sich das alles entwickelt.

Kannst du etwas für mich thun; so thue es! unendlich wird mich jedes Wort von dir erfreuen und aufrichten. In 16 Tagen ist ein Brief von dir in Rom. Diesen erhälst du zu Anfang des Jahres wenn du gleich wieder schreibst machst du mich glücklich, nur unter Tischbeins Adresse.

Tischbein Pittore tedesco al Corso incontro al Palazzo Rondanini.

Übrigens geht es mir sehr gut, ich habe bequeme und sichre Wohnung und die beste Einleitung zu allem und in alles was ich sehn will.

Grüße Fritzen und sage daß ich einige recht schöne Kunststücke für ihn lerne. Münzen in Thon abzudrucken, mit zwey Seiten und ihnen im Brennen eine Metall Farbe zu geben. Das viel artiger und dauerhafter als alles Gypswesen ist. Auch werd ich ihm schöne Schwefel mitbringen.

Hier haben sie gar eine artige Manier Zimmer auszuzieren, wie du einmal in Kochberg machen wolltest. Fange nichts an biß ich wiederkomme, ich bringe allerley mit.

Wenn ich auch Anfang künftigen Jahres nach Neapel gehe laß ich mir alle Briefe nachschicken. Lebe wohl, ich bin mehr als jemals dein. Grüße die deinigen.

d. 16. Dez. 86.

G.


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