Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 2
Johann Wolfgang von Goethe

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1787

1623

Rom [Sonnabend] d. 6. Jan. 87.

Eben komme ich von Moritz dessen zerbrochner Arm heute aufgebunden worden. Es geht und steht recht gut. Was ich diese 40 Tage bey diesem Leidenden, als Beichtvater und Vertrauter, als Finanzminister und geh. Sekretair pp gelernt, soll auch dir, hoff ich, in der Folge zu Gute kommen.

Heute früh erhielt ich deinen bitter süßen Brief vom 18ten Dec. Unsre Correspondenz geht gut und regelmäßig, daß sie nun nicht wieder unterbrochen werde solang wir leben.

Ich kann zu den Schmerzen die ich dir verursacht nichts sagen als: vergib! Ich verstocke mein Herz nicht, und bin bereit alles dahin zu geben, um gesund zu werden für mich und die meinigen. Vor allen Dingen soll ein ganz reines Vertrauen, eine immer gleiche Offenheit mich aufs neue mit dir verbinden.

In einem vorigen Briefe, schrieb ich meine Reisevorsätze, in einem Anhang zu diesem, eröffne ich dir einige neue Ideen und Zweifel, überlege sie mit Herders, bringe sie für den Herzog und die Herzoginn und laß mich besonders auch die Gedancken der letzten wißen, denn der Herzog wird mich nur im Nothfall zurückberufen, es giebt aber soviel mittlere Fälle.

Schon habe ich viel in meinem Innren gewonnen, schon habe ich viele Ideen auf denen ich fest hielt, die mich und andre unglücklich machten hingegeben und bin um vieles freyer. Täglich werf ich eine neue Schaale ab und hoffe als ein Mensch wiederzukehren. Hilf mir aber nun auch, und komme mir mit deiner Liebe entgegen, schreibe mir wieder von deinem Schreibtische und gedencke göttlich des vergangnen nicht, wenn du dich auch dessen erinnerst. Ich habe in der Welt nichts zu suchen als das Gefundne, nur daß ichs genießen lerne, das ist alles warum ich mich hier noch mehr hämmern und bearbeiten laße.

Mit meinem Tagebuch wenn es ankommt mache was du willst, eben so mit den ostensiblen Blättern, und den Stellen meiner Briefe an dich. Gieb davon zu genießen wem und wie du willst, mein Verbot schreibt sich noch aus den stockenden Zeiten her, mögen die doch nie wieder kehren.

Meine Iphigenie ist fertig und ich kann mich noch von ihr nicht scheiden, besonders da Herder in einem Brief vom 11. Dec. noch nicht auf Manuscript dringt, noch nichts schreibt von den zwey ersten Bänden und wieweit der Druck gekommen ist.

Seit gestern hab ich einen kolossalen Junokopf in dem Zimmer oder vielmehr nur den Vordertheil, die Maske davon. Es war dieser meine erste Liebschafft in Rom und nun besitz ich diesen Wunsch. Stünd ich nur schon mit dir davor. Ich werde ihn gewiß nach Deutschland schaffen und wie wollen wir uns einer solchen Gegenwart erfreuen.

Keine Worte geben eine Ahndung davon, er ist wie ein Gesang Homers.

Des Herzogs Fall hat mich sehr erschüttert, ich fürchte er endigt noch so. Wollte Gott er könnte sich auch einmal von diesen unglücklichen Ideen rein baden und waschen, und sich und den Seinigen wiedergegeben werden.

Schreibe mir doch ja von seinem Befinden! dancke ihm für seinen Brief und grüße ihn aufs beste. Nächsten Posttag schreib ich ihm. So auch Herders.

Heute hab ich, als am 3 Königsfeste, die Messe nach grichischem Ritus lesen und agiren sehn und hören. Sage dies Herdern. Die Cärimonien sind, oder scheinen mir vielmehr, theatralischer, pedantischer, nachdencklicher und doch populärer als die lateinischen. Davon mündlich das ausführliche. Durch eine besondere Gunst kam ich ins Sancktuarium zu stehn und sah das Spiel von innen.

Auch da hab ich wieder gesehn daß ich für alles zu alt bin nur fürs Wahre nicht. Ihre Cärimonien, und Opern, Umgänge und Ballette, es fliest wie Waßer an einem Wachstuch ab. Eine Würckung der Natur, ein Werck der Kunst wie die viel verehrte Juno machen allein tiefen und bleibenden Eindruck.

Lebe wohl. Wenn ihr Lieben beschließt daß ich nach Ostern von Rom zurückkehren soll; so darf mir nach dem Schluße des Februars nicht viel mehr geschrieben werden, höchstens noch einen Posttag. Wollt ihr mich noch hier wissen; so erfreue mich ja immer fort mit Briefen. Ich gehe das Carneval nicht nach Napel. Ich bleibe hier und nutze die Zeit. Der März ist dort schon sehr anmuthig und jene herrliche Natur soll mich dann erfreuen. Grüße alles. Der deine.

G.

1624

An den Freundeskreis.

[Sonnabend 6. Januar]

Nach allem diesen muß ich noch von der Unschlüßigkeit reden die mich wegen meines Aufenthaltes in Italien anwandelt. In meinem letzten Brief schrieb ich meinen Vorsatz: gleich nach Ostern von Rom zu gehen und meiner Heimath zuzurücken. Ich werde bis dahin noch einige Schaalen aus dem grosen Ozean geschlürft haben und mein dringendstes Bedürfniß wird befriedigt seyn. Ich bin von einer ungeheuren Leidenschafft und Kranckheit geheilt, wieder zum Lebensgenuß, zum Genuß der Geschichte, der Dichtkunst der Alterthümer geneßen und habe Vorrath auf Jahrelang auszubilden und zu kompletiren.

Nun aber kommen mir die freundlichen Stimmen daß ich nicht eilen, daß ich mit vollständigerem Gewinn nach Hause kommen soll, ich erhalte einen gütigen, mitfühlenden Brief vom Herzog, der mich auf eine unbestimmte Zeit von meinen Pflichten losbindet und mich über meine Ferne beruhigt; Mein Geist wendet sich dem ungeheueren Felde zu, das ich ganz unbetreten verlaßen müßte; so hab ich ich Z. B. im Fache der Münzen, der geschnittnen Steine noch gar nichts thun können. Winckelm[anns] Gesch. der Kunst hab ich angefangen zu lesen, und habe erst Ägypten zurückgelegt und fühle wohl daß ich nun erst wieder von vorne sehen muß; auch hab ich es in Absicht auf die Ägyptischen Sachen gethan. Je weiter hinauf desto unübersehlicher wird die Kunst und wer sichre Schritte thun will muß sie langsam thun.

Das Carnaval warte ich hier ab und gehe also etwa Aschermittwochen nach Neapel, ich nehme Tischbein mit, weil ich ihm Freude mache und in seiner Gesellschafft dreyfach lebe. vor Ostern bin ich wieder hier, wegen der Feyerlichkeiten der Charwoche.

Nun aber liegt Sicilien noch daunten. Dahin wäre eine Reise nur mehr vorbereitet und im Herbste zu thun, auch nicht eine blose Durch und Umreise, die bald gemacht ist, wovon man aber nur das: ich habs gesehen! für seine Mühe und Geld mitbringt. Man müßte in Palermo nachher in Catanea sich erst festsetzen um sichre und nützliche Exkursionen zu machen und vorher D'orville Riedesel pp wohl studirt haben.

Bliebe ich also den Sommer in Rom, und studirte mich hier recht ein und bereitete ich mich auf Sicilien vor, wohin ich im September erst gehn könnte und Okt. Nov. und Dec. bleiben müßte so würde ich erst Frühjahr 88 nach Hause kommen können. Dann wäre noch ein Medius Terminus, Sicilien liegen zu laßen einen Theil des Sommers in Rom zu bleiben, sodann nach Florenz zu rucken und gegen den Herbst nach Hause zu ziehen.

Allein alle diese Aussichten werden mir durch des Herzogs Unfall verdunckelt. Seit den Briefen die mir diese Ereigniß melden hab ich keine Ruhe und ich möchte am liebsten mit den Fragmenten meiner Eroberungen beladen nach Ostern gleich aufbrechen den obern Theil Italien kurz abthun und im Juni wieder in W[eimar] seyn. Ich bin zu einsam um mich zu entscheiden, und schreibe diese ganze Lage so ausführlich daß Sie die Güte haben mögen, in einem Concilio derer die mich lieben und die Umstände zu Hause besser kennen, über mein Schicksal zu entscheiden vorausgesetzt, wie ich betheuren kann, daß ich geneigter bin zurückzukehren als zu bleiben. Das stärckste was mich in Italien hält ist Tischbein, ich werde nie und wenn auch mein Schicksal wäre das schöne Land zum zweitenmal zu besuchen, so viel in so kurzer Zeit lernen können als jetzt in Gesellschafft dieses ausgebildeten erfahrnen, feinen, richtigen, mir mit Leib und Seele anhängenden Mannes. Ich sage nicht wie es mir schuppenweise von den Augen fällt. Wer in der Nacht steckte hält die Dämmrung schon für Tag, und einen grauen Tag für helle, was ists aber wenn die Sonne aufgeht?

Dann hab ich mich bisher aller Welt enthalten, die mich so nach und nach zu faßen kriegt und die ich auch wohl gern mit flüchtigen Blicken beobachtete.

Ich habe Fritzen scherzend von meiner Aufnahme in der Arkadia geschrieben, es ist auch nur darüber zu scherzen, denn das Institut ist zu einer Armseligkeit zusammengeschwunden.

Montag über acht Tage wird das Trauerspiel des Abbate Monti aufgeführt, es ist ihm sehr bang und er hat Ursache, es ist ein unbändiges Publikum, das von Moment zu Moment amüsirt seyn will, und sein Stück hat nichts brillantes. Er hat mich gebeten mit in seine Loge zu gehn um ihm als Beichtvater in diesem kritischen Augenblicke beyzustehn. Ein andrer wird meine Iphigenie übersetzen, ein dritter Gott weiß was zu meinen Ehren thun. Sie sind sich alle unter einander so ungünstig, jeder möchte seine Parten verstärcken, meine Landsleute sind auch wie mit einer Stimme für mich, daß wenn ich sie gehen ließe und nur ein wenig einstimmte; so singen sie noch hundert Thorheiten mit mir an und krönten mich zuletzt auf dem Capitol, worauf sie schon im Ernste gesonnen haben, so toll es ist einen Fremden und Protestanten zum Protagonisten einer solchen Comödie auszusuchen. Wie das alles aber zusammenhängt und wie ich ein großer Thor wäre zu glauben daß das alles um meinetwillen geschähe, dereinst mündlich.

1625

An den Freundeskreis.

[Sonnabend 13. Januar]

Wie viel hätte ich jeden Tag zu sagen, und wie sehr hält mich Anstrengung und Zerstreuung ab ein kluges Wort aufs Papier zu bringen. Dazu kommen noch die frischen Tage, wo es überall besser ist, als in den Zimmern, die ohne Ofen und Camin uns nur zum Schlafen oder Misbehagen aufnehmen.

Einige Vorfälle der letzten Woche will ich geschwind erzählen.

Im Pallaste Giustiniani steht eine Minerva die meine ganze Verehrung hat. Winckelmann gedenckt ihrer kaum, wenigstens nicht an der rechten Stelle und ich fühle mich nicht würdig genug über sie etwas zu sagen.

Als wir die Statue besahen uns lang dabey aufhielten, erzählte uns die Frau des Custode: es sey dieses ein ehmals heiliges Bild gewesen und die Inglesi welche von dieser Religion seyen, pflegten es noch zu verehren indem sie ihm die eine Hand küßten, die auch würcklich ganz weis war, da die übrige Statue bräunlich ist. Auch setzte sie hinzu: eine Dame dieser Religion sey vor kurzem da gewesen habe sich auf die Knie niedergeworfen und die Statue angebetet. Sie |: die Frau des Custode :| habe so eine wunderliche Handlung nicht ohne Lachen ansehen können, und sey zum Saal hinausgelaufen um nicht loszuplatzen. Da ich auch von der Statue nicht wegwollte fragte sie mich: ob ich etwa eine Schöne hätte, die diesem Marmor ähnlich sähe, daß er mich so sehr anzöge. Das gute Weib kannte nur Anbetung und Liebe, aber von der reinen Bewunderung eines herrlichen Werckes, von der brüderlichen Verehrung eines Menschengeistes konnte sie keinen Begriff haben. Wir freuten uns über das englische Frauenzimmer und gingen weg mit der Begier umzukehren und ich werde gewiß bald wieder hingehen. Wollen meine Freunde ein näheres Wort hören; so lesen sie was Winckelmann vom hohen Styl der Griechen sagt. Leider führt er dort diese Minerva nicht an. Wenn ich aber nicht irre so ist sie von jenem hohen strengen Styl da er in den schönen übergeht, die Knospe indem sie sich öffnet und eben eine Minerva deren Charackter eben dieser Übergang so wohl ansteht!

Nun von einem Schauspiel andrer Art! Am drey Königs Tage, am Feste des Heils das den Heiden verkündigt worden, waren wir in der Propaganda. Dort ward in Gegenwart dreyer Cardinäle und eines großen Auditorii, erst eine Lateinische Rede gehalten an welchem Orte Maria die drey Magos empfangen, im Stalle? oder wo sonst? dann nach verlesnen einigen lateinischen Gedichten ähnliches Gegenstandes traten bey 30 Seminaristen nach und nach auf und laßen kleine Gedichte jeder in seiner Landessprache. Malabrisch, Epirotisch, Türckisch, Moldauisch, Elenisch, Persisch, Colchisch, Hebräisch, Arabisch, Syrisch, Cophtisch, Saracenisch, Armenisch, Hybernisch, Madagaskarisch, Isländisch, Boisch, Egyptisch, Griechisch, Isaurisch, Aethiopisch pp. und mehrere die ich nicht verstehen konnte. Die Gedichtgen schienen meist im Nationalsylbenmaaße verfaßt, mit der Nationaldeklamation vorgetragen zu werden, denn es kamen barbarische Rhytmen und Töne hervor. Das Griechische klang, wie ein Stern in der Nacht erscheint.

Das Auditorium lachte unbändig über die Fremden Stimmen und so ward auch diese Vorstellung zur Farce.

Die Propaganda selbst, hab ich noch nicht näher beschaut, noch den Monsigr. Porcia der an der Spitze ist besucht. Es ist da manches zu sehen. – Nun noch ein Geschichtgen.

Der verstorbne Cardinal Albani war in einer solchen Festversammlung, wie ich sie oben beschrieben. Einer der Schüler fing in einer fremden Mundart an, gegen die Cardinäle gewendet: gnaja! gnaja! so daß es ohngefähr klang wie canailla! canailla! der Cardinal wendete sich zu seinen Mitbrüdern und sagte: der kennt uns doch!

Wie viel solcher Späße und Geschichtgen hab ich aufgefangen die in der Folge Sie belustigen sollen.

d. 13. Jan 87.

1626

[Sonnabend 13. Januar]

Ich schicke dir ein Blat mit den Freunden zu theilen, heute geht auch Iphigenie ab, o mögtest du fühlen wie viel Gedancken zu dir herüber und hinüber gegangen sind biß das Stück so stand.

Heute hab ich einen entsetzlichen Posttag gemacht. Empfiel mich dem Herzog, ein angefangner Brief an ihn bleibt liegen, der nächsten Sonnabend abgehn soll.

Grüße Fritzen. Ich habe die schönsten Schwefel Abgüße in der Stube, warum ist er nicht bey mir. Lebe wohl. Diesen Brief schlag ich an Herders ein.

d. 13. Jan 87.

G.

1627

[Mittwoch 17. bis Sonnabend 20. Januar]

Rom d. 17 Jan 87.

Heute kommt mir dein Brief der mir die Ankunft des Tagebuchs meldet, wie erquickt er mein Gemüth. Seit dem Todte meiner Schwester hat mich nichts so betrübt, als die Schmerzen die ich dir durch mein Scheiden und Schweigen verursacht. Du siehst wie nah mein Herz bey dir war. Warum schickt ich dir nicht das Tagebuch von jeder Station! Ich kann nur sagen und widerholen verzeih und laß uns von neuem und freudiger zusammen leben. Mein kürzeres Tagbuch von Venedig auf Rom hast du nun auch. In Rom konnt ich nicht mehr schreiben. Es dringt zu eine grose Masse Existenz auf einen zu, man muß eine Umwandlung sein selbst geschehen laßen, man kann an seinen vorigen Ideen nicht mehr kleben bleiben, und doch nicht einzeln sagen worinn die Aufklärung besteht. Meine Briefe, die ostensiblen Blätter mögen eine Art Tagebuch vorstellen. Die Reise nach Neapel sollst du geschrieben und gezeichnet haben, denn Tischbein geht mit. Ich wiederhohle daß du mit allem was ich dir schicke schalten und walten magst nach Gefallen. Der H[erzoginn] Mutter, Franckenbergs, Pr[inz] August, oder sonst wem du mein Andencken erneuern, wen du dir und mir durch kleine Freuden verbinden willst.

Du schreibst mir der Herzog gehe nach Carlsruh, er ist in Politicis so tief, daß ich nicht dencke seine Absicht sey über die Alpen zu gehen.

Käme irgend so ein Gedancke vor; so sorge daß nichts ohne meinen Rath geschehe. Italien ist ein wunderlich Land für Fremde, besonders Vornehme Reisende. Ich kann nun schon manche Kosten, manchen Verdruß ersparen und manchen Genuß verschaffen. Rom ist sogar ein wenig kleinstädtisch in manchen Dingen, davon mündlich mehr. Ich hoffe nun auf deine Worte wegen meines Aussenbleibens und was meine Geliebte zu meinen verschiednen Reiseplanen sagt. Kranz war heute bey mir er geht das Neapol. Carnaval zu besuchen. Er ist dick und fett geworden. Der Prof. Moritz geht wieder aus, sein Arm ist glücklich kurirt. Tischbein wird mir immer werther. Nun noch ein Wort, ich komme von einem ins andre. Knebel scheint hieher kommen zu wollen, ich weiß nicht recht was ich dazu sagen soll. Wäre er gleich jetzt hier, würde er mir unendlich werth seyn, kommt er wenn ich von Neapel zurück komme; so kreutzen wir uns und helfen einander nicht. Übrigens kann ich nichts dazu sagen, weil ich nicht weiß was ihr über mein Aussenbleiben entscheiden werdet.

d. 18.

Ich dancke dir für alle Nachrichten, auch von des alten Königs Nachlaß. Wie gern ist man still wenn man so einen zur Ruhe gebracht sieht. Heute haben wir einen guten Tag gehabt, einen Teil des Capitols besehn, den ich bisher vernachläßigt, dann setzten wir über die Tiber und trancken spanischen Wein auf einem Schiffe. Ein Stück Ufer dieses Flusses hab ich dir gekritzelt ohngefähr 1000 Schritte weiter unten als der Platz wo Romulus und Remus gefunden worden.

Wir sahen bey einem Geistlichen der ohne groses angebohrnes Talent sein Leben der Kunst gewidmet hat, sehr interessante Kopien trefflicher Gemählde, die er in Miniatur nachgebildet hat. Sein vorzüglichstes ist ein Abendmal nach Leonard da Vinci in Mayland.

Kann ich dir einen Umriß mitbringen, so bin ich glücklich. Der Moment ist genommen da Kristus den Jüngern, mit denen er vergnügt und freundschafftlich zu Tische sitzt, sagt: Aber doch ist einer unter euch der mich verräth. Mit Worten ist da nichts sagen, wenns möglich ist, sollst du einen Schatten des Bildes sehn.

Der Herkules Farnese wird nach Neapel gebracht, worüber das ganze Künstler-Rom trauert, es ist ein Werck von unbegreiflicher Kunst und Schönheit.

Diese Tage ward das Trauerspiel Aristodem glücklich aufgeführt. Der Haupt Ackteur spielte sehr gut, man glaubte einen der alten Kayser auftreten zu sehn. Sie hatten das Costum in Theater Pracht recht gut übersetzt und man sah dem Schauspieler an daß er die Anticken studirt hatte.

Gewiß ist in Rom alles zu studiren, wer Sinn und Trieb hätte. Obgleich die Künste würcklich schwach getrieben werden, am schwächsten die Musick.

d. 17. war das Fest der Pferde Weihe, wo zu der Kirche des Anton Bischoff alle Pferde und Maulesel geputzt vorgeführt werden. Es ist ein lustiges Fest besonders für Kutscher und Pferde Verleiher.

Lebe wohl. Diesmal sag ich dir nicht mehr als bleibe bey mir und erhalte mir deine Liebe.

Tausendmal denck ich an dich. Grüse alles. Fritzen und Ernsten dancke für die Briefe. Schicke mir nur alles was Fritz schreibt.

d. 20 Jan.

Ich fange noch ein Blat an, denn ich finde manches zu sagen.

Frage doch die reg[ierende] Herzogin ob sie nicht vielleicht etwas von dem alten oder neuen Rom besonders zu wissen verlangt. Sie liest die römische Geschichte fleißig und da kommt vielleicht etwas vor das sie näher untersucht oder bestimmt verlangt.

Eine wunderbare Erscheinung war mir hier der Fürst von Waldeck mit dem Schätzgen aus Carlsbad. Ich habe ihn besucht, sie aber nur von weiten gesehen. Sie ist mit dem Bischoff von Prag verwandt und ihr alter Mann ist auch mit hier, also kann es wohl nicht fehlen, daß es das Silhouettchen sey.

Franckenbergs grüße 1000mal und versichre daß ich wegen Ganganellis Todt scharfe Nachfrage halten werde. Grüße den Geh. Ass[istenz] R[ath] Schmidt und Hofr. Voigten aufs beste.

Daß mein Packet auf deinen Geburtstag ankam freut mich doch, ich hab ihn im stillen gefeyert. Deine Briefe hab ich alle richtig erhalten. So wie du meine. Ich dancke dir fürs Liedchen und für jedes herzliche Andencken.

Ich habe Hoffnung Egmont, Taßo, Faust zu endigen, und neue Gedancken genug zum Wilhelm. Zugleich les ich den Livius – und ich würde dich verwirren wenn ich dir sagen wollte was sonst alles auf mich zudringt.

Abends

Dein Brief vom 1. Jan. ist mir gekommen und hat mir Freude und Schmertzen gebracht. Dazu kann ich nichts weiter sagen als: ich habe nur Eine Existenz, diese hab ich diesmal ganz gespielt und spiele sie noch. Komm ich leiblich und geistlich davon, überwältigt meine Natur, mein Geist, mein Glück, diese Krise, so ersetz ich dir tausendfältig was zu ersetzen ist. – Komm ich um, so komm ich um, ich war ohne dies zu nichts mehr nütze.

Moritz wird mir wie ein Spiegel vorgehalten. Dencke dir meine Lage als er mir mitten unter Schmerzen erzählte und bekannte daß er eine Geliebte verlaßen, Ein nicht gemeines Verhältniß des Geistes, herzlichen Anteils pp. zerrißen, ohne Abschied fortgegangen, sein bürgerlich Verhältnis aufgehoben! Er gab mir einen Brief von ihr, den ersten zu eröffnen, den er zu lesen sich in dem fieberhafften Zustande nicht getraute. Ich mußte ihr schreiben, ihr die Nachricht seines Unfalls geben. Dencke mit welchem Herzen.

Jetzt geht er wieder aus und schleicht zu mir. Was ist das Leben! was sind die Menschen! Du siehst aus meinen vorigen Briefen daß ich gern und willig wiederkehre daß mein Gemüth nur zu euch zurückhängt. Möge es mir werden.

Grüse Herdern. Hier schick ich einen Probe Druck des Kupfers zum 3ten Bande. Die Platte selbst soll mit den Vignetten den nächsten Posttag abgehn.

Auch leg ich einige Visiten Karten, zum Spase für Fritzen bey. In einem Packet das ein Reisender nach Deutschland mitnimmt liegen ihrer mehr die er an Freunde austheilen mag. Hätt ich ihn nur bey mir.

Gestern Abend verlangte Angelika daß ich ihr etwas aus der Iphigenie läse, ich sagte ihr daß ich verlegen sey wegen der Seltsamkeit des Versuchs den ich mit diesem Stücke gewagt. Dagegen erzählt ich ihr und ihrem alten italiänischen Gemahl den Plan und Gang des Stücks, sie hatten viel Freude daran. Du hättest sehn sollen wie der Alte alles so gut sentirte, von ihr versteht sichs von selbst.

Grüse Hofr. Voigt, mit dem nächsten Posttag schreib ich ihm. Das gleiche kannst du etwa Hendrichen sagen, wenn du ihn siehst.

Fritzen bringe ich Schwefel Abdrücke mit.

Weißt du etwa was Ernsten Freude machte, ingleichen den kleinen Herders. Den letzten wollt ich ein Studium der Marmorarten mitbringen.

So lang ich hier bin kannst und sollst du immer von mir hören, wie ich nach Neapel rucke wird eine kleine Pause werden.

Grüße Steinen und alle. Die Imhof und die Kleine, überhaupt wenn man einmal so zusammen säße; könnte man mir ein kollegialisch Briefgen schreiben. Jedem der mir schreibt bring' ich ein Bildgen mit.

Lebe wohl. Mein bester Wunsch für dieses Jahr ist dich wieder zu sehn.

d. 20 Abends

G.

1628

An den Freundeskreis.

Rom (Donnerstag) d. 25 Jan. 87

Nun wird es mir immer schwerer von meinem Aufenthalte in Rom Rechenschafft zu geben. Denn wie man die See immer tiefer findet ie weiter man hineingeht; so geht es auch mir in Betrachtung dieser Stadt.

Man kann das Gegenwärtige nicht ohne das Vergangne erkennen und die Vergleichung von beyden erfordert mehr Zeit und Ruhe.

Schon die Lage dieser Hauptstadt der Welt, führt uns auf ihre Erbauung zurück. Wir sehen bald, hier hat sich kein wanderndes, groses, wohlgeführtes Volck niedergelaßen und den Mittelpunckt eines Reichs weislich festgesetzt, hier hat kein mächtiger Fürst einen schicklichen Ort zum Wohnsitz einer neuen Colonie bestimmt. Nein Hirten und Gesindel haben sich hier zu erst eine Stäte bereitet, ein Paar rüstige Jünglinge haben auf dem Hügel den Grund zu Pallästen der Herrn der Welt gelegt, an dessen Fuß, sie die Willkühr des Ausrichters zwischen Morast und Schilf einst hinlegte. So sind die sieben Hügel Roms nicht Erhöhungen gegen das Land das hinter ihnen liegt, sie sind es gegen die Tiber und gegen das uralte Bette der Tiber, was Campus Martius ward; Erlaubt mir das Frühjahr weitere Exkursionen so will ich die unglückliche Lage ausführlicher schildern. Schon jetzt nehm ich den herzlichsten Anteil an dem Jammergeschrey und den Schmerzen der Weiber von Alba, die ihre Stadt zerstören sehn und den schönen von einem klugen Anführer gewählten Platz verlaßen mußten um an den Nebeln der Tiber Theil zu nehmen, den elenden Hügel Coelius zu bewohnen und von da nach ihrem verlaßnen Paradiese zurückzusehn. Ich kenne noch wenig von der Gegend aber ich bin überzeugt kein Ort der Älteren Völcker lag so schlecht als Rom und da die Römer endlich alles verschlungen hatten, mußten sie wieder mit ihren Landhäusern hinaus und an die Plätze der zerstörten Städte rücken, um zu Leben und des Lebens zu genießen.

Hundert Gedancken die sich hier zu drängen weis' ich zurück, denn ich könnte ihnen auf dem Papier weder Ausdehnung noch Vollständigkeit genug geben.

1629

Rom [Donnerstag] d. 25. Jan. 87.

Es naht der Sonnabend und ich muß meiner geliebten ein Blat bereiten. Hierbey liegt ein ostensibles woraus einigermaßen ein Bild meiner jetzigen Lage, meiner Beschäfftigungen erscheinen wird. Vom Herzog habe ich einen Brief von Maynz, so mild, wohlthätig, schonend, aufmunternd und herzlich, daß mir auch von dieser Seite meine Lage die glücklichste scheinen müßte. Und sie wird es seyn, sobald ich an mich allein dencke, wenn ich das, was ich solang für meine Pflicht gehalten, aus meinem Gemüthe verbanne und mich recht überzeuge: daß der Mensch das Gute das ihm wiederfährt, wie einen glücklichen Raub dahinnehmen und sich weder um Rechts noch Lincks, vielweniger um das Glück und Unglück eines Ganzen bekümmern soll. Wenn man zu dieser Gemüthsart geleitet werden kann; so ist es gewiß in Italien, besonders in Rom. Hier wo in einem zusammensinckenden Staate, jeder für den Augenblick leben, jeder sich bereichern, jeder aus Trümmern sich wieder ein Häusgen bauen will und muß.

Der Herzog verlangt mich vor Weynachten dieses Jahrs nicht zurück, ich erwarte was du mir schreibst, und führe meinen Plan sachte fort, um das meiste zu thun und auszulangen.

Grüße Franckenb[erg] und schreibe ihm vorläufig: Ganganellis Todt komme mir, auch hier am Orte, problematisch vor, ich wolle, wie es einem treuen Geschichtschreiber in solchen Fällen geziemt, das pro und contra sorgfältig studiren, referiren und das Urtheil alsdann meinen Lesern überlaßen. Ich bitte mir nur Zeit dazu aus.

Bey der großen Menge von Ideen wird es mir sauer zu schreiben, denn es sind keine einzelne Bemerckungen und Begriffe, sie sind zusammenhängend, haben mancherley Beziehungen unter sich und bewegen sich wenn ich so sagen darf jeden Tag weiter. Glücklich wäre ich wenn ich jemand Liebes bey mir hätte, mit dem ich wachsen, dem ich meine wachsende Kenntniße unterwegs mittheilen könnte, denn zuletzt verschlingt das Resultat die Annehmlichkeiten des Werdens, wie die Herberge Abends die Mühe und die Freude des Wegs verschlingt.

Von Tischbein kann ich lernen, er nicht von mir und was in mir sich macht, das ist in ihm schon geworden. Desto mehr freut es mich wenn ich auf Spuren komme die er für die rechten erkennt. Ich kann nicht ausdrucken was für ein trefflicher gebildeter Mensch er ist.

Über die Vorsicht Franckenbergs daß ich hier mich nicht verlieben soll mußte ich lachen; du hast nur Eine Nebenbuhlerin bisher und die bring ich dir mit das ist ein kolossal Kopf der Juno. Zwar könnt ich noch eine dazu setzen das ist die Minerva von Justiniani, diese darf aber kaum berührt und nicht geformt werden, sonst packt ich sie auch auf; übrigens mag ich fast nichts besitzen. Das Transportabelste treffliche sind die Schwefel, welche die H[erzoginn] Mutter schon alle besitzt und wovon ich nur eine Auswahl Fritzen mitbringen werde; auf Münzen kann ich mich nicht einlaßen, das übrige ist meist Kinderey, wenn ich die Sachen ausnehme die Jenckins besitzt, der einen ungeheuren Preis auf sie legt.

Die Gemmen hab ich in Schwefelabdrücken ziemlich studirt, nun muß ich mich noch auf die Münzen werfen und auch über dieses Feld will ich mir bald einen Blick machen. Wer Rom gesehn hat, dem muß alles Andre zufallen.

Wenn ich gedencke was für schöne Sachen in Deutschland, in unsrer Nähe sind, die mir nun erst alle geniesbar werden; so freu ich mich recht auf nach Hause. Wie hab ich in alle diesen Sachen herumgetappt, nun erscheint mir das liebe Licht und wie freut michs daß ich dir's bringen kann. Ich errinnere mich noch wohl wie einem alle Menschen biß zur Verzweiflung imponiren die aus Italien kommen, ich will euch keine Schmerzen, sondern Freuden, keine dunckle, sondern klare Begriffe mitbringen, euch nicht nur sagen: ich hab es gesehn, sondern es euch sehen machen.

Du kommst meiner Bitte zuvor, die ich thun wollte, meine Mutter an dem was ich schreibe und schicke Theil nehmen zu laßen.

Kranz hat sich hier nur wenige Tage aufgehalten, für einen Musikus ist hier wenig zu thun, ich kann weder sein Betragen noch seine Kunst beurtheilen ob ich ihn gleich einigemal gesehn und auch ein klein Concertgen Abends eingerichtet habe. Es sind zu wenig Data. Dies sage dem Hofmarschall mit einem Gruße.

Ich empfehle dir den Landkammerrath Riedel, hilf ihm bey seinem Eintritte in die neue Welt, die ihm wunderbar vorkommen wird. Wahrscheinlich kommen ihm Sachen vor aus denen er sich nicht gleich zu helfen weiß. Thu es um des guten Menschen und um der Herzoginn willen. Auch sage ihm: er soll mir hierher nur ganz offen schreiben, was ich ihm abwesend nützen kann thu ich gerne.

Heute geht auch ein Packet an Herdern ab, sag es ihm doch. Es wird wohl ein wenig später ankommen als dieser Brief. Laß dir aber alles zeigen was es enthält. Freut euch meines Andenckens und haltet zusammen.

Meine Existenz hat nun einen Ballast bekommen, der ihr die gehörige Schwere giebt ich fürchte mich nun für denen Gespenstern nicht mehr, die so oft mit mir gespielt haben. Sey auch gutes Muths; so wirst du mich oben halten und mich zu dir zurück bringen.

Danck für alles. Grüße Fritzen! Hier muß ich endigen.

d. 27 Jan. 87. Rom.

G.


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