Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 2
Johann Wolfgang von Goethe

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

1609

An den Freundeskreis in Weimar.

Rom [Mittwoch] d. 1. Nov. 1786

Endlich bin ich in dieser Hauptstadt der alten Welt angelangt! Wenn ich sie in guter Begleitung, angeführt von einem recht verständigen Manne, vor fünfzehn Jahren gesehn hätte, wollte ich mich glücklich preisen. Sollte ich sie aber allein, mit eignen Augen sehen und besuchen; so ist es gut daß mir diese Freude so spät zu Theil ward.

Über das Tyroler Gebirg bin ich gleichsam weggeflogen, Verona, Vicenz, Padua, Venedig habe ich gut, Ferrara, Cento, Bologna flüchtig und Florenz kaum gesehn. Die Begierde nach Rom zu kommen war so groß, wuchs so sehr mit jedem Augenblicke, daß kein Bleibens mehr war, und ich mich nur drey Stunden in Florenz aufhielt.

Nun bin ich hier und ruhig und wie es scheint auf mein ganzes Leben beruhigt.

Denn es geht, man darf wohl sagen, ein neues Leben an, wenn man das Ganze mit Augen sieht, das man Theilweise in und auswendig kennt. Alle Träume meiner Jugend seh ich nun lebendig, die ersten Kupferbilder, deren ich mich erinnre |: mein Vater hatte die Prospeckte von Rom auf einem Vorsaale aufgehängt :| sehe ich nun in Wahrheit, und alles was ich in Gemählden und Zeichnungen, Kupfern und Holzschnitten in Gyps und Korck schon lange gekannt steht nun beysammen vor mir, wohin ich gehe find ich eine Bekanntschaft in einer neuen Welt, es ist alles wie ich mir's dachte und alles neu.

Eben so kann ich von meinen Beobachtungen von meinen Ideen sagen. Ich habe keinen ganz neuen Gedancken gehabt, nichts ganz fremd gefunden, aber die alten sind so bestimmt, so lebendig, so zusammenhängend geworden, daß sie für neu gelten können.

Da Pygmalions Elise, die er sich ganz nach seinen Wünschen geformt, und ihr soviel Wahrheit und Daseyn gegeben hatte, als der Künstler vermag, endlich auf ihn zukam und sagte: ich bins! wie anders war die Lebendige, als der gebildete Stein.

Wie moralisch heilsam ist mir es dann auch, unter einem ganz sinnlichen Volcke zu leben, über das so viel Redens und Schreibens ist, das jeder Fremde nach dem Maasstabe beurtheilt den er mitbringt. Ich verzeihe jedem der sie tadelt und schilt, sie stehen zu weit von uns ab und als Fremder mit ihnen zu verkehren ist beschwerlich und kostspielig.

Für mich ist es ein Glück daß Tischbein ein schönes Quartier hat, wo er mit noch einigen Mahlern lebt. Ich wohne bey ihm und bin in ihre eingerichtete Haushaltung mit eingetreten, wodurch ich Ruh und häuslichen Frieden in einem fremden Lande genieße. Die Hausleute sind ein redliches altes Paar, die alles selbst machen und für uns wie für Kinder sorgen. Sie waren gestern untröstlich als ich von der Zwiebel Suppe nicht aß, wollten gleich eine andre machen u. s. w. Wie wohl mir dies aufs Italiänische Wirthshausleben thut, fühlt nur der der es versucht hat. Das Haus liegt im Corso, keine 300 Schritte von der Porta del Populo.

Die merckwürdigsten Ruinen des alten Roms, St. Peter, die Plätze, den Papst und die Kardinäle in der Pauls Capelle am heutigen Feste, die Villa Borghese habe ich gesehen und nun soll täglich etwas neues vorgenommen werden. Ich bin wohl und empfehle mich durch diesen eilig und vorläufig geschriebnen Brief. Durchl. dem Herzoge, Durchl. der reg. Herzoginn, Durchl. der Herzogin Mutter, Durchl. Prinzen August, Hrn. und Fr. v. Stein, Hrn. und Fr. G[eneral] S[uperintendent] Herder, Hrn. v. Knebel mit Bitte, mir ein gnädiges und freundschafftliches Andencken zu erhalten und vorerst den Ort meines Aufenthaltes niemanden zu entdecken.

1610

An den Freundeskreis.

Rom [Dienstag] d. 7 Nov. 86.

Ich bin nun zehen Tage hier und nach und nach thut sich vor mir der allgemeine Begriff dieser Stadt auf. Wir gehen fleißig auf und ab, ich mache mir den Plan des alten und des neuen Roms bekannt, betrachte die Ruinen, die Gebäude, besuche ein und die andre Ville, alsdann nehmen wir die größten Merckwürdigkeiten ganz langsam, ich thue nur die Augen auf und sehe und gehe und komme wieder. Der Menschen wird auch nicht vergeßen und so macht sich's nach und nach. Denn gewiß man kann sich nur in Rom auf Rom bereiten.

Das menschlich interessanteste was ich auf der Reise fand, war die Republick Venedig, nicht mit Augen des Leibs sondern des Geists gesehen. Das größte Werck der innern Großheit nach die Rotonde, das größte dem Maase nach, die Peterskirche |: wie denn wohl nun kein größer Gebäude in der Welt steht :| und das genialischte, daß man sagen muß es scheint unmöglich, ist der Apoll von Belvedere. Denn so viel ich auch Abgüße gesehn habe, selbst ein gutes Bruststück besitze; so glaubt man doch die Statue nie gesehn zu haben. Des übrigen vielen Guten und Herrlichen nicht zu gedencken.

Die Logen von Raphael und die großen Gemählde der Schule von Athen pp. hab ich nur erst einmal gesehn und da ists als wenn man den Homer aus einer zum Theil verloschnen beschädigten Handschrifft herausstudiren sollte. Das Vergnügen des ersten Eindrucks ist unvollkommen. Nur wenn man nach und nach alles recht durchgesehn und studirt hat wird der Genuß ganz. Am erhaltensten sind die Deckenstücke der Logen, die Biblische Geschichten vorstellen, so frisch wie gestern gemahlt, zwar die wenigsten von Raph[aels] eigner Hand doch gar trefflich nach seinen Zeichnungen und unter seiner Aufsicht. Tischbein der immer an mich gedacht und für mich gesorgt hat, hat mir ein Paar durch einen jungen geschickten Künstler kopiren lassen, die ich schon hier fand und mir viel Freude machen. Auch hat er die Steine recht gründlich studirt, wobey ihm sein Künstler Auge und die Künstler Lust an sinnlichen Dingen sehr geholfen hat. Ich schrieb ihm einmal darum und das bracht ihn darauf. Ich bin nun auf diesen Theil ziemlich vorbereitet und es vermehrt das Vergnügen, alle die Kostbarkeiten mit Unterscheidung und Kenntniß an zusehn.

Bey Angelika Kaufmann bin ich zweymal gewesen, sie ist gar angenehm und man bleibt gern bey ihr.

Hofrath Reifenstein erzeigt mir viel Gefälligkeit.

An Trippeln hab ich einen sehr braven Künstler kennen lernen.

Und nicht genug kann ich sagen was Tischbein ein guter und natürlich verständiger Mensch ist. Er giebt sich viel Mühe und ist gewiß auf einem guten Wege der Kunst.

Ein saures und trauriges Geschäfte ist es, das alte Rom aus dem neuen heraus zu suchen, und doch muß man es und es giebt die beste Freude. Man trifft Spuren einer Herrlichkeit und einer Zerstörung die beyde über unsre Begriffe gehn. Was die Barbaren stehen ließen, haben die Baumeister des neuen Roms verwüstet.

Zum Schluß nenn ich nur noch das Colisee und die Bäder des Diokletians als Gegenstände der stillen und ernstesten Bewunderung und das neue Museum als ein kostbares schönes Institut. Für diesmal das beste Lebe wohl.

G.

1611

Rom [Dienstag] d. 7 Nov. 86.

Laß dich's nicht verdrießen meine Beste daß dein Geliebter in die Ferne gegangen ist, er wird dir beßer und glücklicher wiedergegeben werden. Möge mein Tagebuch das ich biß Venedig schrieb, bald und glücklich ankommen, von Venedig bis hierher ist noch ein Stück geworden das mit der Iphigenie kommen soll, hier wollt ich es fortsetzen allein es ging nicht. Auf der Reise rafft man auf was man kann, jeder Tag bringt etwas und man eilt auch darüber zu dencken und zu urtheilen. Hier kommt man in eine gar große Schule, wo Ein Tag soviel sagt und man doch von dem Tage nichts zu sagen wagt.

Auf dem beyliegenden Blatte hab ich etwas geschrieben, das du auch den Freunden mittheilen kannst, für dich allein behalte die Versicherung daß ich immer an dich dencke und von Herzen dein bin. Ein großes Glück ist mir mit Tischbein zu leben und bey ihm zu wohnen, in treuer Künstlergesellschafft, in einem sichern Hause, denn zuletzt hat ich doch des Wirthshauslebens satt.

Wenn du mit deinem Auge und mit der Freude an Künsten, die Gegenstände hier sehn solltest, du würdest die größte Freude haben, denn man denckt sich denn doch mit aller erhöhenden und verschönernden Imagination das Wahre nicht.

Ich bin recht wohl. Das Wetter ist wie die Römer sagen brutto, es geht ein Mittagwind |:  Sirocco :| der täglich mehr oder weniger Regen bringt. Mir aber ist diese Witterung nicht unangenehm, es ist warm dabey, wie bey uns im Sommer regnichte Tage nicht sind.

Rom ist nur ein zu sonderbarer und verwickelter Gegenstand um in kurzer Zeit gesehen zu werden, man braucht Jahre um sich recht und mit Ernst umzusehn. Hätte ich Tischbein nicht der so lange hier gelebt hat und als ein herzlicher Freund von mir, so lange mit dem Wunsche hier gelebt hat mir Rom zu zeigen; so würde ich auch das weder genießen noch lernen, was mir in der kurzen Zeit bescheert zu seyn scheint; und doch seh ich zum voraus daß ich wünschen werde anzukommen wenn ich weggehe. Was aber das größte ist und was ich erst hier fühle; wer mit Ernst sich hier umsieht und Augen hat zu sehen muß solid werden, er muß einen Begriff von Solidität faßen der ihm nie so lebendig ward. Mir wenigstens ist es so als wenn ich alle Dinge dieser Welt nie so richtig geschätzt hätte als hier. Welche Freude wird mirs seyn dich davon zu unterhalten.

Nun warte ich sehnlich auf einen Brief von dir und werde dir öffters schreiben. Du nimmst mit wenigem vorlieb, denn Abends ist man müde und erschöpft vom Lauffen und Schauen des Tags. Bemerckungen zeichne ich besonders auf und die sollst du auch zu seiner Zeit erhalten.

Wo man geht und steht ist ein Landschafft Bild, aller Arten und Weisen. Palläste und Ruinen, Gärten und Wildniß, Fernen und Engen, Haüsgen, Ställe, Triumphbögen und Säulen, offt alles zusammen auf Ein Blatt zu bringen. Doch werd ich wenig zeichnen, die Zeit ist zu kostbar, ob ich gleich lernen und manches mitbringen werde.

Leb wohl. Der Herzog wird nun einen Brief von mir haben und du auch, die d. 4ten abgegangen sind.

Leb wohl. Grüße die deinen. Liebe mich. Empfiel mich dem Herzog und der Herzoginn.

Geht ab d. 11 Nov.

G.

1612

[Fraskati, Mittwoch 15. und Rom, Freitag 17. und Sonnabend 18. November]

Fraskati d. 15. Nov.

Die Gesellschafft ist zu Bette und ich schreibe dir noch aus der Tusch Muschel aus welcher gezeichnet worden ist. Wir haben ein Paar schöne, regenfreye Tage hier gehabt, warm und freundlichen Sonnenschein daß man den Sommer nicht vermißt. Die Gegend ist sehr angenehm, der Ort liegt auf einem Hügel, vielmehr an einem Berge und jeder Schritt bietet dem Zeichner die herrlichsten Gegenstände. Die Aussicht ist weit, man sieht Rom liegen und weiter die See, an der rechten Seite die Gebirge von Tivoli und so w. vielleicht bring ich dir etwas gezeichnetes mit. In dieser lustigen Gegend sind Landhäuser recht zur Lust angelegt und wie die alten Römer schon hier ihre Villen hatten, so haben vor hundert Jahren und mehr, reiche und übermüthige Römer ihre Landhäuser auch auf die schönsten Flecke gepflanzt. Zwey Tage gehn wir schon hier herum und es ist immer etwas neues und reihendes. Nur macht es mich stille und traurig, da ich gewohnt bin alles Gute in deiner Gesellschaft oder in Beziehung auf dich zu genießen, daß du das Schöne nicht sehen sollst.

Rom d. 17.

Wir sind zurück. Heute Nacht fiel ein entsetzlicher Regenguß mit Donnern und Blitzen, heute regnet es fort und ist immer warm dabey.

Wie gern erzählt ich dir von dem was ich gesehn habe, wenn nur erzählen das mindste eines Bildes hinüber tragen könnte. Frescogemählde von Domenichin in Andrea della Vallé, desgleichen von den Carrache in der Gallerie Farnese.

Sieh Volckmann. 2. Th. 443 u. 413.

Nun muß ich dir aber noch von einem wunderbar problematischen Bilde schreiben, das ich auf iene sah und was sich auf jene sehn läßt.

d. 18.

Ich bin gestört worden und kann dir heute kaum die Geschichte des wunderbaren Gemäldes schreiben.

Es ist wieder schön Wetter, ein heller, freundlicher, warmer Tag.

Heute haben wir in der Farnesina die Geschichte der Psyche gesehn, die du aus meinen Zimmern kennst.

Dann auf Pietro in Montorio die Verklärung von Rafael. Alles alte Bekannte, wie Freunde die man sich in der Ferne durch Briefwechsel gemacht hat und nun von Angesicht sieht.

Auch finden sich herrliche Sachen von denen nicht soviel Redens ist, die nicht so offt durch Kupfer und Nachbildungen in die Welt gestreut sind.

Vielleicht bring ich einiges mit, gezeichnet von guten jungen Künstlern.


Nun noch zum Schluß die oben versprochne Geschichte.

Schon vor mehreren Jahren hielt sich hier ein Franzoß auf, der als Liebhaber der Kunst und Sammler bekannt war. Er kommt zum Besitz eines anticken Gemäldes auf Kalck, niemand weiß woher, er läßt das Bild durch Mengs restauriren und hat es als ein geschätztes Werck in seiner Sammlung. Winckelmann spricht irgendwo mit Enthusiasmus davon, es stellt den Ganymed vor, der dem Jupiter eine Schaale Wein reicht und dagegen einen Kuß empfängt. Der Franzoße stirbt und hinterläßt das Bild seiner Wirthinn als antick. Mengs stirbt und sagt auf seinem Todbette: es sey nicht antick, er habe es gemahlt. Und nun streitet alles gegen einander. Der eine Theil behauptet es sey von Mengs, zum Scherz, nur so leicht hingemacht, der andere Theil sagt Mengs habe nie so etwas machen können, ja es sey beynahe für Raphael zu schön. Ich hab es gestern gesehn und muß sagen daß ich auch nichts schöners kenne als die Figur Ganymeds, Kopf und Rücken, das andre ist viel restaurirt. Indessen ist das Bild diskreditirt und die arme Frau will niemand von dem Schatz erlösen. Ich habe eine Hypothese wie das Bild entstanden, davon nächstens. Wäre es auf Holz wie auf Kalck ich sucht es zu kaufen, denn ich erlebe doch noch daß es ums dreyfache verkauft wird, wofür man es ietzt haben kann.

Nirgends ist mir Platz geblieben dir zu sagen wie ich dich liebe. Lebe wohl. Wie wart ich auf einen Brief von dir.

1613

An den Freundeskreis.

Rom [Mittwoch] d. 22 Nov. 86. am Cecilien Feste.

Das Andencken dieses glücklichen Tages, muß ich durch einige Zeilen lebhafter erhalten und was ich genoßen wenigstens historisch mittheilen. Es war das schönste, ruhigste Wetter, ein ganz heitrer Himmel und warme Sonne. Ich ging mit Tischbein nach dem Petersplatze, wo wir erst auf und abgehend und wenn es uns zu warm wurde im Schatten des großen Obelisks, der eben für zwey breit genug geworfen wird, spazierten und Trauben verzehrten die wir in der Nähe gekauft hatten.

Dann gingen wir in die Sixtinische Capelle, die wir auch hell und heiter, die Gemälde wohl erleuchtet fanden. Das iüngste Gericht und die manigfaltigen Gemälde der Decke von Michel Ange theilten unsre Bewunderung. Ich konnte nur sehen und anstaunen. Die innre große Sicherheit und Männlichkeit des Meisters, seine Großheit geht über allen Ausdruck. Nachdem wir alles wieder und wieder gesehn, verließen wir dieses Heiligthum und gingen nach der Peterskirche, die von dem heitern Himmel das schönste Licht empfing und in allen Theilen hell und klar war. Wir ergötzten uns als genießende Menschen, an der Größe und Pracht, ohne durch allzuecklen und zu verständigen Geschmack uns dies mal irre machen zu laßen und unterdrückten jedes schärfere Urtheil. Wir erfreuten uns des erfreulichen.

Endlich bestiegen wir das Dach der Kirche, wo man das Bild einer wohlgebauten Stadt im Kleinen findet. Häuser und Magazine, Brunnen |: dem Ansehn nach :| Kirchen und einen grosen Tempel, alles in der Luft, und schöne Spaziergänge dazwischen. Wir bestiegen die Kuppel, und besahen die heitere Gegend von den Apenninen dem Berg Sorackte, nach Tivoli, die Vulkanischen Hügel, Fraskati, Castelgandolfo und die Plaine und weiter das Meer. Nahe vor uns die ganze Stadt Rom, in ihrer Breite und Weite, mit ihren Berg-Pallästen, Kuppeln pp. Es rührte sich keine Luft und in dem kupfernen Knopf war es heiß wie in einem Treibhause. Nachdem wir das alles beherzigt hatten, stiegen wir herab, und ließen uns die Thüren zu den Gesimsen der Kuppel, des Tambours, und des Schiffs aufschließen, man kann um selbe herumgehn und diese Theile und die Kirche von oben betrachten. Als wir auf dem Gesimse des Tambours standen, ging der Papst unten vorbey, seine Nachmittags Andacht zu halten, es fehlte uns also nichts zur Peterskirche. Wir stiegen völlig herab und nahmen in einem benachbarten Gasthofe ein fröhliches, frugales Mahl und setzten unsern Weg nach der Cecilien Kirche fort. Viele Worte würde ich brauchen um die Auszierung der ganz mit Menschen angefüllten Kirche zu beschreiben. Man sah eben keinen Stein der Architektur mehr. Die Säulen waren mit rothem Sammt überzogen und mit goldnen Treßen umwunden. Die Capitäle mit gesticktem Sammt in ohngefährer Capitälform, so alle Gesimse und Pfeiler behängt und bedeckt. Alle Zwischen Räume der Mauer mit lebhaft gemahlten Stücken bekleidet daß die ganze Kiiche mit Mosaick ausgelegt schien, und über zwey hundert Wachskerzen brannten um und neben dem Hoch Altar so daß die ganze eine Wand mit Lichtern besetzt war und das Schiff der Kirche vollkommen erleuchtete. Eben so waren die Seiten gänge und Seiten Altäre geziert und erhellet. Gegen dem Hochaltar über unter der Orgel, waren zwey Gerüste erbaut auch mit Sammt überzogen, auf deren einem die Sänger auf dem andern die Instrumenter standen, die anhaltend Musick machten. Die Kirche war voll gedrängt. Eine schöne Art musikalischer Aufführung hört ich hier. Wie man Violin oder andre Conzerte hat; so führen sie Conzerte mit Stimmen auf, daß die eine Stimme, der Sopran herrschend ist, und Solo singt, das Chor von Zeit zu Zeit einfällt und ihn begleitet. Es versteht sich immer mit dem ganzen Orchester. Es thut gute Würckung. – Ich muß endigen, wie wir den Tag enden mußten. Denn Abends giengen wir noch vor der Oper vorbey wo eben die Litiganti aufgeführt wurden und hatten des Guten soviel genoßen daß wir vorübergingen. Wie viel wäre noch von allem zu sagen aber ich schließe.

G.

1614

[Freitag] d. 24. Nov. 86.

Ich muß heute meiner Liebsten schreiben, morgen ist Posttag, den ich nicht versäumen darf; so erhält sie doch von acht Tagen zu acht Tagen etwas von mir. Du wirst doch auch nun fleisig schreiben daß ich eine Reihe von Briefen erhalte. Bald muß nun der erste von dir ankommen. Ich lege ein ostensibles Blat bey, das einen guten Tag beschreibt, man kann aber wenig sagen. Gut ist es und noth, hier wenn man kommt ein Pythagoräisches Stillschweigen zu halten. Jahre lang könnt ich hier seyn ohne viel zu reden. Es ist alles schon so durch beschrieben, so durch dissertirt, daß man nur erst die Augen aufthun, erst lernen muß. Du kennst meine alte Manier wie ich die Natur behandle, so behandl' ich Rom und schon steigt mir's entgegen, ich fahre immer fort zu sehn und von Grund aus zu studiren. Was werd ich dir nicht erzählen können, wenn mir nur der Himmel noch eine Zeit ruhigen Lebens hier gönnen mag.

Ich vermeide sorgfältig alle Bekanntschafft, die nur Zeit verdirbt und sehe und studire unermüdet mit Künstlern und Kennern alles andre acht ich vom Übel.

Den Prinzen Lichtenstein, den Bruder der Gräfinn Harrach habe ich gesehen und bey ihm gegessen.

Wie wohl es mir übrigens bey und mit Tischbein geht, und was das für ein braver Künstler und tüchtiger, ganzer Mensch ist, kann ich dir nicht sagen. Wir passen zusammen als hätten wir zusammen gelebt.

Von der Nation zu sagen bleib ich dir schuldig, es ist ein sonderbar Volck. Was allen Fremden auffällt und was heute wieder die ganze Stadt reden, aber auch nur reden macht, sind die Todtschläge, die ganz was gemeines sind. Viere sind schon seit ich hier bin erschlagen worden von denen ich nur weiß. Heute ward ein braver Künstler, ein Schweizer, Medailleur, der letzte Schüler von Hedlinger überfallen, völlig wie Winckelman. Der Mörder, mit dem er sich herumbalgte, gab ihm wie man sagt an die zwanzig Stiche, und da die Wache hinzukam, erstach sich der Bösewicht selbst. Das ist nun sonst hier die Mode nicht, der Mörder erreicht eine Kirche und so ists gut.

Doch nichts weiter von diesen Scenen, die aber zum Ganzen Bilde der Stadt gehören. Könnt ich dir nur das beste zeigen, was ich sehe, ja nur manchmal das zu genießen geben, was ich in dem Augenblicke nicht genießen kann. So ein Element hab ich mir lange gewünscht, um auch einmal zu schwimmen und nicht immer zu waten.

Grüße Steinen, Fritzen – ob ich Ernsten noch grüßen kann weiß ich nicht – die Schwester und die Schwägerinn. Auch deine Brüder. Ich bin oft bey euch und muß mir oft die Sehnsucht verwehren.

Der Vesuv hat eine Eruption gemacht, vielleicht schrieb ich es schon. Heute hör ich daß sie noch fortdauert und muß mich halten, nicht geschwind aufzubrechen und nach Neapel zu gehen. Ich hoffe er wird noch einiges für mich aufheben, wenn mein Stündlein geschlagen hat.

Moritz ist hier, der die englische Reise schrieb, ein sehr guter, braver Mann mit dem wir viel Freude haben.

Empfiehl mich dem Herzog und der Herzoginn. Frage doch einmal ob man dem Docktor Riedel geschrieben hat, daß der gute Mann nicht ohne Nachricht und Resolution wegen des Antrags bleibe. Wüßte man nicht wo er ist; so würde der Archivarius und Rath Kestner in Hannover ihm den Brief richtig zustellen. Hätte die Herzoginn eine Summe, gros oder klein an die Kunst zu verwenden; so getraut ich mir ihr etwas mitzubringen das ihr bleibende Freude machen sollte. Ich selbst begehre nichts von allem was ich sehe, außer die Gypssachen die unendlich schön sind.

Leb wohl. Liebe den bleibenden.

Laß doch ein Ringchen machen nur von Messing das dir akkurat paßt und sage Herders daß sie es auch thun und schickt mir sie einmal mit sonst einem Packetchen. Wenn ich etwas gutes von geschnittnen Steinen finde laß ich sie euch gleich faßen. Ein artigs das ich besitze druck ich hier bey.


 << zurück weiter >>