Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel LXV

Nun ist Cupido ein gewissenhafter Knabe,
und gibt zurück, was er nahm.
Shakespeare.

Mr. Duncan Macwheeble, jetzt nicht länger Geschäftsführer oder Amtmann, obgleich er noch immer den leeren Titel dieser Würde führte, war der Bestrafung durch eine zeitige Lossagung von der Partei der Insurgenten sowie durch seine Unbedeutendheit entgangen.

Edward fand ihn in seinem Arbeitszimmer unter einer Menge von Papieren und Rechnungen, vor ihm stand ein großer Napf Hafermuß, daneben lag ein hörnerner Löffel und stand eine Flasche mit Dünnbier. Hastig eine umfangreiche Bekanntmachung durchfliegend, schob er von Zeit zu Zeit einen Löffel voll Muß in seinen geräumigen Mund. Eine dickbäuchige Flasche mit Branntwein, die ebenfalls neben ihm stand, zeigte, daß dieses ehrenwerthe Mitglied der gesetzkundigen Gesellschaft seinen Morgentrunk entweder schon genommen hatte, oder daß er den Brei durch ein solches Verdauungsmittel zu würzen gedachte. Seine Nachtmütze und sein Schlafrock waren früher von Tartan gewesen, aber eben so vorsichtig als bescheiden hatte der ehrliche Amtmann sie schwarz färben lassen, damit die ursprüngliche Farbe seine Gäste nicht an den unglücklichen Ausflug nach Derby erinnerte. Sein Gesicht war, um das Bild zu vollenden, mit Schnupftabak bis zu den Augen betüpfelt und seine Finger mit Tinte bis zur Hand. Er blickte ängstlich auf Waverley, als dieser sich der kleinen grünen Barriere näherte, die seinen Schreibtisch und seinen Stuhl gegen die Annäherung des gemeinen Haufens schützte. Nichts beunruhigte den Amtmann mehr als der Gedanke, daß seine Bekanntschaft von irgend einem der unglücklichen Edelleute angesprochen werden möchte, die jetzt weit wahrscheinlicher Beistand fordern als Nutzen gewähren konnten. Aber dies war der reiche junge Engländer – wer konnte seine Lage kennen? – Es war des Barons Freund – was war also zu thun?

Während diese Betrachtungen dem Gesichte des armen Mannes einen Ausdruck plump komischer Verlegenheit gaben, konnte sich Waverley, indem er daran dachte, daß die Mittheilung, die er ihm zu machen hatte, so lächerlich mit dem Aussehen des Mannes kontrastirte, sich eines lauten Gelächters nicht erwehren.

Da Macwheeble keinen Begriff hatte, daß ein Mensch, der in Gefahr schwebe oder von Armut bedrückt sei, herzlich lachen könnte, erheiterte Edwards Lustigkeit sein eigenes Gesicht bedeutend und er hieß ihn ziemlich herzlich willkommen in Klein-Veolan, indem er ihn zugleich fragte, was er frühstücken wollte. Sein Gast hatte ihm zuerst etwas heimlich zu sagen und bat daher vor allen Dingen die Thür zu verriegeln. Duncan liebte diese Vorsicht keineswegs, denn sie schmeckte nach der Besorgniß vor drohender Gefahr, aber er konnte nicht zurück.

Ueberzeugt, daß er diesem Manne trauen dürfe, theilte Edward ihm seine gegenwärtige Lage und seine zukünftigen Pläne mit. Der Amtmann lauschte ängstlich, als er hörte, daß Waverley noch nicht begnadigt sei, er wurde etwas beruhigt, als er erfuhr, daß er einen Paß hätte, rieb sich freudig die Hände, als er den Betrag seines gegenwärtigen Vermögens erwähnte, riß die Augen groß auf, als er von seinen glänzenden Aussichten hörte; als Edward aber die Absicht aussprach, dies alles mit Miß Rosa Bradwardine zu theilen, da schien das Entzücken den armen Menschen beinahe des Verstandes zu berauben. Der Amtmann sprang von seinem dreibeinigen Stuhle auf wie die Pythia von ihrem Dreifuße, warf seine beste Perrücke zum Fenster hinaus, weil der Stock, auf dem sie hing, ihm gerade im Wege stand, warf seine Mütze gegen die Decke und fing sie wieder auf, pfiff ein Nationallied, tanzte einen Hochlandstanz mit unnachahmlicher Anmut und Gewandtheit, und warf sich dann erschöpft auf einen Stuhl, indem er ausrief: »Lady Waverley! – Zehntausend jährlich! – Gott halte meinen armen Verstand zusammen!« »Amen von ganzem Herzen,« sagte Waverley. »Doch jetzt, Herr Macwheeble, laßt uns ans Geschäft gehen.« Dieses Wort hatte sonst eine Art von Zauberkraft, aber des Amtmanns Kopf war, wie er selbst sich ausdrückte, noch ganz wirblig. Er schnitt jedoch seine Feder, versah ein Dutzend Bogen mit einem breiten Rande und traf alle Anstalten, einen Kontrakt aufzusetzen, der jeden Rücktritt unmöglich machte.

Mit einiger Schwierigkeit machte Waverley ihm begreiflich, daß er zu rasch vorwärts wollte. Er erklärte ihm, daß er seines Beistandes zuerst bedürfte, um seinen Aufenthalt dadurch sicher zu machen, daß er an den Offizier in Tully-Veolan schriebe, Herr Stanley, ein englischer Edelmann und naher Verwandter des Obersten Talbot, sei in Geschäften bei Herrn Macwheeble, und da ihm der Zustand des Landes bekannt sei, schicke er dem Kapitän Foster seinen Paß zur Einsicht. Dies bewirkte eine artige Antwort von dem Offizier, mit einer Einladung an Herrn Stanley, bei ihm zu essen, was, wie man leicht denken kann, unter dem Vorwande der Geschäfte abgelehnt wurde.

Die nächste Bitte Waverleys war, daß Herr Macwheeble einen berittenen Boten nach ** schicken möchte, der Poststation, wohin Oberst Talbot ihm schreiben sollte, mit dem Auftrage, dort zu warten, bis die Post einen Brief für Herrn Stanley brächte und dann mit diesem eiligst nach Klein-Veolan zurückzukehren. Sogleich berief der Amtmann seinen Servitor, wie man vor sechszig Jahren sagte, Jock Scriever, und in nicht viel längerer Zeit saß Jock auf dem kleinen weißen Pony.

»Gebt Acht und führt ihn gut, denn er ist etwas kurzathmig, seit – hm, hm. Der Himmel steh mir bei, ich war nahe daran, unklug zu sein – seit ich mit Peitsche und Sporen ritt, um den Chevalier zu holen, den Streit zwischen Herrn Waverley und Bich Ian Vohr zu schlichten, aber einen schönen Lohn kriegt' ich für meine Mühe. – Der Himmel verzeihs Ew. Gnaden! Ich hätte den Hals dabei brechen können – doch das alles wird gut gemacht! Lady Waverley! – Zehntausend jährlich! – Der Herr stehe mir bei!«

»Aber Ihr vergeßt, Herr Macwheeble, daß wir noch des Barons Einwilligung brauchen – die der Lady –«

»Fürchtet nichts, ich bürge dafür – ich will meine persönliche Bürgschaft dafür geben – Zehntausend jährlich. – Das sticht Balmawhapple gründlich aus – eine Jahresrente ist ganz Balmawhapple! Der Herr mache uns dankbar!«

Um dem Laufe seiner Gefühle eine andere Richtung zu geben, fragte Edward, ob er nicht kürzlich etwas von dem Häuptling von Glennaquoich gehört hätte?

»Nicht ein Wort weiter,« antwortete Macwheeble, »als daß er noch in dem Schlosse Carlisle ist und bald auf Leben und Tod inquirirt werden soll. Ich wünsche dem jungen Herrn nichts Böses,« sagte er, »aber ich hoffe, daß die, die ihn haben, ihn festhalten, und ihn nicht zurück nach dem Hochlande lassen, um uns wieder mit Schutzgeld und allen Arten von Gewaltthaten und Bedrückungen und Plünderungen zu plagen. Er machte sich freilich aus dem Gelde nichts, da er es nicht verdient hatte, und das er der Frau in Edinburg in die Schürze warf, aber wie gewonnen, so zerronnen. Ich meines Theils wünsche nie wieder ein Schwert im Lande zu sehen, oder einen Rothrock, oder eine Flinte, es müßte denn sein, um ein Rebhuhn zu schießen. – Sie sind alle über einen Leisten, und wenn sie einem Unrecht gethan haben, und man auch einen Urtheilsspruch gegen sie für Bedrückung und Gewaltthat bewirkt, was sind wir dadurch gebessert? – Sie haben keinen Pfifferling, uns zu bezahlen, und man kann nichts herausholen.«

Unter solchen Reden und einigen Geschäftsangelegenheiten verging die Zeit bis zum Essen, Macwheeble sann während dessen auf ein Mittel, Edward in Duchran, wo Rosa gegenwärtig wohnte, einzuführen, ohne Gefahr oder Verdacht zu erregen, was nicht leicht schien, da der Laird ein sehr eifriger Freund der Regierung war. Der Hühnerhof war in Requisition gesetzt worden, und Lauchsuppe mit schottischen Fleischschnitten dampften bald auf dem Tische in des Amtmanns kleinem Arbeitszimmer. Des Wirthes Korkzieher war eben in den Hals einer Flasche Claret gedreht, wahrscheinlich aus den Kellern von Tully-Veolan, als der Anblick des weißen Ponys, der in vollem Trabe unter dem Fenster vorbeikam, den Amtmann bewog, die Flasche für einen Augenblick mit der gehörigen Vorsicht bei Seite zu setzen. Jock Scriever trat mit einem Packet für Herrn Stanley ein. Es zeigte das Siegel des Obersten Talbot, und Edwards Finger zitterten, als er es erbrach. Zwei offizielle Schriften, zusammengelegt, unterzeichnet und in aller Form untersiegelt, fielen heraus. Sie wurden hastig von dem Amtman aufgehoben, der eine natürliche Ehrfurcht vor allem hatte, was einem Dekrete glich, und, die Titel flüchtig überfliegend, wurden seine Augen oder vielmehr seine Brille mit der Ueberschrift begrüßt: »Schutzbrief Sr. königl. Hoheit für die Person des Cosmo Comyne Bradwardine, Esq., gewöhnlich Baron von Bradwardine genannt, angeklagt wegen seiner Theilnahme an der letzten Rebellion.« – Das andere Papier war ein Schutzbrief derselben Art für Edward Waverley, Esq. Der Brief des Obersten Talbot lautete:

»Mein theurer Edward!

Ich bin soeben hier angelangt und habe doch schon mein Geschäft beendigt, es hat mich freilich einige Mühe gekostet, wie Sie sogleich hören sollen. Ich machte Sr. königl. Hoheit unmittelbar nach meiner Ankunft meine Aufwartung und fand sie in keiner sehr günstigen Stimmung für meine Absicht. Drei oder vier schottische Herren verließen den Herzog eben. Nachdem er mich sehr höflich begrüßt hatte, sagte er: »Sollten Sie es wohl glauben, Talbot, daß hier eben ein halbes Dutzend der achtungswerthesten Edelleute und der besten Freunde der Regierung nördlich des Forth waren, Major Melville von Cairnvreckan, Rubrick von Duchran und andere, und mir durch ihre Vorstellungen einen Schutzbrief und das Versprechen künftiger Begnadigung für den hartnäckigen alten Rebellen abgezwungen haben, den sie Baron von Bradwardine nennen? Sie sagten, sein achtungswerther persönlicher Charakter sowie die Milde, die er gegen diejenigen der Unsrigen gezeigt, welche in die Hände der Rebellen fielen, müßten zu seinen Gunsten sprechen, besonders da der Verlust seiner Güter eine hinlänglich strenge Strafe sei. Rubrick hat sich erboten, ihn in seinem eigenen Hause zu bewahren, bis im Lande alles ausgeglichen ist; aber es ist etwas hart, gewissermaßen gezwungen zu werden, einen solchen Todfeind des Hauses Braunschweig zu begnadigen.« – Das war kein günstiger Augenblick zur Eröffnung meines Geschäftes, dennoch sagte ich, ich hörte mit Freuden, daß Se. königl. Hoheit soeben im Zuge wäre, solche Bitten zu genehmigen, und es machte mich kühn, eine ähnliche in meinem eigenen Namen vorzubringen. Er war sehr ärgerlich, doch ich blieb fest; ich erwähnte der Unterstützung unserer drei Stimmen im Parlamente, erwähnte bescheiden meine Dienste außerhalb, obgleich sie nur dadurch Werth erhalten hätten, daß Se. königl. Hoheit sie anzunehmen geruht, ich stützte mich auf seine eigenen Versicherungen der Freundschaft und des Wohlwollens gegen mich. Er war verlegen, aber hartnäckig. Ich deutete auf die Klugheit hin, den Erben eines solchen Vermögens, wie das Ihres Oheims, für die Folge allen Machinationen der Abgeneigten zu entziehen. Aber ich machte keinen Eindruck. Ich erwähnte der Verpflichtungen, die ich gegen Sir Everard und gegen Sie persönlich hätte, und forderte als einzigen Lohn meiner Dienste, daß er mir die Mittel gewähren möchte, meine Dankbarkeit zu beweisen. Ich bemerkte, daß er noch auf eine Weigerung sann, und mein Patent aus der Tasche ziehend, nahm ich zu dem letzten Mittel meine Zuflucht, ich sagte, da mich Se. königl. Hoheit unter so dringenden Umständen einer Gunst nicht für werth hielte, welche sie andern gewährt hatte, deren Dienste ich kaum für so wichtig wie die meinigen halten könnte, müßte ich mit aller Demuth um die Erlaubniß bitten, mein Patent in Sr. königl. Hoheit Hände niederlegen und mich vom Dienste zurückziehen zu dürfen. Darauf war er nicht vorbereitet, er gebot mir, mein Patent zurückzunehmen, sagte einige freundliche Worte über meine Dienste und gewährte meine Bitte. Sie sind daher abermals ein freier Mann, und ich habe in Ihrem Namen versprochen, daß Sie in Zukunft ein guter Junge und eingedenk sein wollen, was Sie der Milde der Regierung zu verdanken haben. So sehen Sie, daß mein Prinz eben so großmüthig sein kann, wie der Ihrige. Ich behaupte freilich nicht, daß er eine Gunst mit der ausländischen Anmut und den Artigkeiten Ihres irrenden Ritters gewährt; aber er hat ein einfaches englisches Wesen, und der offenbare Widerwille, mit dem er die Bitte gewährte, zeigte deutlich das Opfer, welches er brachte, indem er seine Neigungen meinen Wünschen unterordnete. Mein Freund, der Generaladjutant, hat mir des Barons Schutzbrief im Duplikat verschafft, das Original ist in den Händen des Major Melville, welches ich Ihnen sende, da ich weiß, daß es Ihnen eine Freude sein wird, ihm die glückliche Nachricht zuerst mitzutheilen. Er wird sich natürlich ohne Zögern nach Duchran begeben, um dort einige Wochen Quarantäne zu halten. Was Sie betrifft, so gebe ich Ihnen die Erlaubniß, ihn dahin zu begleiten und sechs Tage dort zu bleiben, da ich höre, daß eine gewisse schöne Dame ebenfalls dort ist. Ich habe das Vergnügen, Ihnen sagen zu können, daß es Sir Everard und der Mistreß Rahel äußerst angenehm sein würde, wenn Sie in der Gunst dieser Dame Fortschritte machen können. Beide werden nicht eher glauben, daß Ihre Absichten und Aussichten und die drei laufenden Hermeline in Sicherheit sind, bis Sie ihnen eine Mistreß Edward Waverley vorstellen. Da nun eine gewisse Liebesangelegenheit von mir selbst – vor einer hübschen Reihe von Jahren – gewisse Maßregeln unterbrach, die damals zu Gunsten der drei Hermeline getroffen waren, verpflichtet mich meine Ehre, für Ersatz zu sorgen. Benutzen Sie deshalb Ihre Zeit gut, denn wenn die Woche verflossen ist, müssen Sie sich direkt nach London begeben, um dort bei den Gerichtshöfen Ihre Begnadigung zu betreiben.

Ich bin, mein theurer Waverley, auf immer Ihr treuer
Philipp Talbot.«


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