Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel VII.

Ein schottischer Landsitz vor 100 Jahren.

Es war gegen Mittag, als Kapitän Waverley das einzeln stehende Dorf oder vielmehr den Weiler Tully-Veolan betrat, dicht neben welchem der Sitz des Eigenthümers lag. Die Häuser schienen im höchsten Grade elend zu sein, besonders in solchen Augen, die an die Freundlichkeit englischer Güter gewöhnt waren. Sie standen ohne alle Regelmäßigkeit an beiden Seiten einer krummen ungepflasterten Straße, auf welcher die Kinder beinahe völlig nackt umher lagen, als sollten sie von den Hufen des nächsten vorüberkommenden Pferdes zertreten werden. Zuweilen, wenn ein solcher Unfall unvermeidlich schien, stürzte eine wachsame alte Großmama mit ihrem eng anschließenden Käppchen, ihrem Rocken und ihrer Spindel, wie eine rasende Sibylle, aus einer dieser elenden Höhlen bis in die Mitte des Weges, ergriff unter den sonnenverbrannten Müßiggängern ihr eigenes Fleisch und Blut, begrüßte es mit einem tüchtigen Puff und trug es zurück in seinen Kerker; der kleine weißköpfige Schelm schrie dabei aus Leibeskräften, ohne auf die Vorstellungen der zornigen Matrone zu achten. Ein andrer Theil dieses Konzerts wurde durch das unablässige Gebell von einigen zwanzig unnützen Bauernhunden gegeben, welche den Hufen der Pferde knurrend, bellend, heulend und lechzend folgten, eine Beschwerlichkeit, die in jener Zeit in Schottland so gemein war, daß ein französischer Tourist, welcher gleich andern Reisenden darnach strebte, für alles, was er sah, einen guten und verständigen Grund ausfindig zu machen, es als eine der Merkwürdigkeiten Caledoniens erzählte, daß der Staat in jedem Dorfe ein Relais von Bauernhunden unterhielte, die dazu bestimmt seien, die verhungerten und erschöpften Postpferde von einem Dorfe zum andern zu hetzen, bis ihre lästige Begleitung die Pferde endlich zur Vollendung ihrer Laufbahn bestimmte. Als Waverley weiter ritt, trat hier und dort ein alter Mann in die Thür seiner Hütte, um die Kleidung des Fremden und die Gestalt und Bewegungen seines Pferdes anzustaunen, und dann, mit seinen Nachbarn in einer kleinen Gruppe bei der Schmiede vereinigt, die Wahrscheinlichkeiten zu besprechen, von woher der Fremde komme und wohin es gehe. Drei oder vier Dorfmädchen, welche von der Quelle oder dem Teiche mit Krügen und Eimern auf den Köpfen zurückkamen, erschienen angenehmer als die alten Grauköpfe und glichen mit ihren dünnen, kurz geschnittenen Röcken, ihren bloßen Armen, Beinen und Füßen, ihrem unbedeckten Haupt und geflochtenen Haar einigermaßen der Staffage italienischer Landschaften. Die ganze Scene machte keinen vorteilhaften Eindruck, denn sie verrieth auf den ersten Blick einen Mangel an industrieller Betriebsamkeit, vielleicht auch an geistiger Bildung. Selbst die Neugier, die geschäftigste Leidenschaft der Müßigen, schien lautloser Art in dem Dorfe Tully-Beolan zu sein, nur die vorerwähnten Dorfhunde machten hierin eine Ausnahme. Bei den Bewohnern war sie passiv. Sie standen und sahen den jungen hübschen Offizier und seinen Begleiter an, doch ohne eine jener schnellen Bewegungen und gierigen Blicke, die den Eifer andeuten, mit dem die, welche zu Hause in einförmiger Gemächlichkeit leben, Unterhaltung suchen, die von draußen kommt. Bei genauerer Prüfung aber war die Physiognomie der Leute weit entfernt, die Gleichgültigkeit der Dummheit zu zeigen, ihre Züge waren roh, aber auffallend verständig, ernst aber ganz das Gegentheil von dumm, und unter den jungen Weibern hätte ein Künstler mehr als ein Modell für Antlitz und Gestalt einer Minerva wählen können. Selbst die Kinder, deren Haut die Sonne gebräunt, deren Haar sie gebleicht hatte, zeigten Blicke von Wesen, die voll Leben und Aufmerksamkeit sind. Es schien im Ganzen, als ob Armut und Trägheit sich vereinigten, um die natürlichen Anlagen eines kühnen, verständigen und überlegenden Bauernstandes niederzudrücken.

Einige solcher Gedanken fuhren Waverley durch den Kopf, als er langsam die rauhe, steinige Straße von Tully-Beolan hinritt. Das Dorf war über eine halbe Meile lang, denn die Hütten waren unregelmäßig, von einander durch Gärten von verschiedener Größe getrennt, in denen riesenmäßige Kohlpflanzen umgeben von Nesselgebüschen wuchsen, und die hier und dort eine gewaltige Schirlingstaude oder eine Nationaldistel zeigten, welche die niedrigen Einhegungen überragten. Der ungleiche Boden, auf dem das Dorf stand, war nie geebnet worden, so daß die Einhegungen allerlei Bogen bildeten, hier terrassenartig emporsteigend, dort gleich Lohgruben hinabsinkend. Die von trockenen Steinen, d.h. ohne Mörtel ausgeführten Mauern, welche diese hängenden Gärten von Tully-Beolan schützten, oder zu schützen schienen, denn sie waren jämmerlich verfallen, wurden von einem engen Gange durchschnitten, der zu dem Gemeindefelde führte, wo die vereinte Arbeit der Dorfbewohner abwechselnd Raine und Flecken von Weizen, Hafer, Erbsen und Roggen baute, jedes von so geringer Ausdehnung, daß in kleiner Entfernung die bunte Mannigfaltigkeit der Fläche der Musterkarte eines Schneiders glich.

In vereinzelten Fällen zeigte sich hinter den Hütten ein elender Stall, von Erde, losen Steinen und Rasen aufgeführt, in dem der Wohlhabendere vielleicht einer verhungerten Kuh oder einem lahmen Pferde Schutz gewährte. Aber beinahe jede Hütte hatte an der Vorderseite einen großen schwarzen Torfhaufen, während auf der andern Seite der Hausthür der Familiendüngerhaufen in edlem Wettstreit emporstrebte.

Ungefähr einen Bogenschuß von dem Ende des Dorfes zeigten sich die Umhegungen, welche den stolzen Namen des Parkes von Tully-Veolan trugen und aus mehreren viereckigen Feldern bestanden, die mit fünf Fuß hohen Steinmauern umgeben waren. Mitten in der äußersten Mauer befand sich das Eingangsthor zur Auffahrt, unter einem mit Zinnen versehenen Thorwege, zu dessen beiden Seiten große verwitterte und verstümmelte Steinblöcke standen, welche, wenn man der Tradition der Dorfbewohner glauben konnte, einst zwei springende Bären, die Wappenhalter der Familie Bradwardine, vorgestellt hatten oder vorstellen sollten. Die Auffahrt war grade, von bescheidener Länge, und lief zwischen einer doppelten Reihe alter Roßkastanien hin, mit wilden Sykomoren abwechselnd, die sich so hoch erhoben und so üppig grünten, daß ihre Aeste die breite Straße gänzlich überwölbten. Neben diesen ehrwürdigen Alleen und ihnen parallell liefen zwei hohe Mauern, allem Anscheine nach von gleichem Alter, überwachsen mit Epheu, Immergrün und andern Schlingpflanzen, Die Allee schien sehr wenig betreten zu werden, und da sie sehr breit war und viel Schatten hatte, so zeigte sie eine üppige Rasenfläche, die nur da unterbrochen war, wo gelegentliche Fußgänger einen Fußpfad von dem obern zum untern Thore getreten hatten. Einer der Flügel des unteren Thores stand offen, und da die Sonne den Hof dahinter hell beschien, fiel durch denselben ein glänzender Strahl in die düstere dumpfe Allee. Er bildete eines jener Farbenspiele, welche der Maler gern darstellt, und vermischte sich mit dem zitternden Lichte, welches seinen Weg durch die Schatten des Gewölbes fand, das die Aeste über der breiten grünen Allee bildeten.

Die stille Einsamkeit der ganzen Scene erschien wahrhaft klösterlich, und Waverley, der sein Pferd seinem Diener übergeben hatte, ging die Allee langsam hinauf und genoß des angenehmen und kühlen Schattens. Die Einfahrt in den gepflasterten Hof paßte in den Rahmen der geschilderten Scene. Das Haus, welches aus zwei oder drei hohen, schmalen, mit steilen Dächern versehenen Gebäuden zu bestehen schien, die rechtwinklig an einander stießen, machte die eine Seite des Gehöftes aus. Es war zu einer Zeit erbaut worden, da Schlösser nicht mehr nöthig waren, und die schottischen Architekten die Kunst, Wohnhäuser aufzuführen, noch nicht besitzen konnten. Die Fenster waren zahllos, aber sehr klein; das Dach hatte verschiedene Vorsprünge, doch zeigte eine jede der zahlreichen Ecken ein Thürmchen, das mehr einer Pfefferbüchse als einem gothischen Wachtthurme ähnlich sah. Der Hof war übrigens nicht ohne Verzierungen. In einer Ecke stand ein dickbäuchiges Taubenhaus von großem Umfange. Dieser Taubenschlag oder dies Columbarium, wie der Besitzer es nannte, war keine geringe Hilfsquelle für einen schottischen Laird jener Zeit, dessen geringes Einkommen durch die Kontributionen erhöht wurde, welche diese leichten Fouragiere auf den Pachthöfen eintrieben, und die Konskriptionen, die von ihnen für die Tafel gemacht wurden.

Eine andere Ecke des Hofes zeigte einen Springbrunnen: ein in Stein gehauener Bär, der in ein großes steinernes Bassin Wasser spie. Dies Kunstwerk war das Wunder des Landes zehn Meilen in der Runde. Es darf nicht vergessen werden, daß alle Arten von Bären, groß und klein, in halber oder voller Gestalt, über jedem Fenster an den Enden der Giebel ausgeschnitten waren, daß die Rinnen in diese Figuren verliefen und die Thürmchen von denselben getragen wurden. Und unter einer jeden stand das alte Familienmotto: »Hüte dich vor dem Bären«. Der Hof war geräumig, wohl gepflastert und ganz rein; wahrscheinlich hatten die Ställe auf der hinteren Seite noch einen besondern Ausgang, den Dünger fortzuschaffen. Alles rings umher schien verödet, nur das Plätschern des Springbrunnens deutete auf die Nähe lebender Wesen.


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