Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XXVII.

Ein Brief aus Tully-Veolan.

Am folgenden Morgen, als Waverleys unruhige Betrachtungen für einige Stunden dem Schlafe gewichen waren, ertönte in seinen Träumen eine Melodie; aber es war nicht die Stimme Selmas. Es kam ihm vor, als sei er wieder in Tully-Veolan und höre Davie Gellatley aus dem Hofe jene Lieder singen, welche seine Morgenruhe zu stören pflegten, als er Gast des Barons von Bradwardine war. Die Töne, welche das Traumgesicht hervorgerufen hatten, wurden lauter, bis Edward darüber erwachte. Der Traum aber schien noch nicht ganz verschwunden zu sein. Das Zimmer, in dem er sich erblickte, war in der Burg Jans nan Chaistel, aber noch immer war es die Stimme Gellatleys, welche unter seinen Fenstern sang:

Mein Herz ist im Hochland, mein Heiz ist nicht hier;
Mein Herz ist im Hochland und jaget das Thier,
Es jaget das Wildthier und folget dem Reh,
Mein Herz ist im Hochland, wohin ich auch geh.

Neugierig, zu erfahren, was Mr. Gellatley zu einem so ungewohnten Ausfluge bewegen konnte, kleidete Edward sich in aller Hast an, und wahrend dies geschah, wechselte Davie mehrmals die Weise seines Gesanges:

Nichts ist in dem Hochland als Zwiebel und Lauch,
Beim Stutzer selbst ist keine Hos' im Gebrauch,
Doch kommt König Jakob, erkämpfen wir Schuh',
Wir erkämpfen die Schuh' und die Hosen dazu.

Während sich Waverley angekleidet hatte und hinabeilte, schloß Davie Bekanntschaft mit ein paar Hochlandbummlern, welche die Thore des Schlosses stets mit ihrer Gegenwart beehrten, und hüpfte und sprang nach der Musik seines eigenen Pfeifens sehr lustig umher. Diese doppelte Eigenschaft eines Tänzers und Musikers setzte er fort, bis ein müßiger Pfeifer, der seinen Eifer sah, dem allgemeinen Rufe: Aufgespielt! folgte, und ihn von dem musikalischen Theil seiner Anstrengung befreite. Jung und Alt mischten sich dann in den Tanz, wie sie eben Theilnehmer dazu finden konnten. Das Erscheinen Waverleys unterbrach Gellatleys Anstrengungen nicht, obgleich er ihm durch Grüßen und Nicken und Verbeugungen Zeichen des Erkennens zukommen ließ. Indem er ohne Unterlaß hüpfte und sprang und mit den Fingern über dem Kopfe schnippte, verlängerte er plötzlich einen Seitenschritt bis zu dem Orte, wo Edward stand, und indem er wie Harlekin in der Pantomime dem Takte der Musik noch immer folgte, drückte er unserm Helden einen Brief in die Hand, worauf er seinen Tanz ohne die geringste Unterbrechung fortsetzte. Edward, der auf der Adresse Rosas Handschrift erkannte, entfernte sich, um den Brief zu lesen, und überließ den treuen Boten dem Tanze, bis der Pfeifer oder er müde wurden.

Der Inhalt dieses Briefes überraschte Waverley sehr. Er war ursprünglich mit »theurer Herr« angefangen worden, dann war das Wort »theurer« sorgfältig ausradirt und nur das Wort Herr geblieben. Den übrigen Inhalt wollen wir mit Rosas eigenen Worten geben.

»Ich fürchte, daß ich mir eine unpassende Freiheit nehme, wenn ich Sie belästige; aber ich kann sonst niemand Vertrauen schenken, um Ihnen Dinge mitzutheilen, die sich hier zugetragen haben, und mit denen Sie, wie mir scheint, bekannt gemacht werden müssen. Verzeihen Sie mir, wenn ich Unrecht thue, doch ach, Herr Waverley, ich habe keinen bessern Rathgeber als meine eigenen Gefühle. Mein theurer Vater ist fort, und wann er zu meinem Beistande und meinem Schutze zurückkehrt, weiß nur Gott. Sie haben wahrscheinlich gehört, daß infolge beunruhigender Nachrichten aus dem Hochlande Befehle ertheilt wurden, mehrere Edelleute unserer Gegend zu verhaften, unter andern auch meinen Vater. Trotz aller meiner Thränen und Bitten, sich der Regierung zu überliefern, vereinigte er sich mit Mr. Falkoner und einigen andern Edelleuten, und sie alle sind mit etwa vierzig Reitern nordwärts gezogen. Ich bin also nicht sowohl wegen seiner augenblicklichen Sicherheit besorgt, als wegen der Folgen, denn diese Unruhen beginnen erst. Doch das alles geht Sie nichts an, Herr Waverley, nur glaubte ich, daß es Sie freuen würde, zu hören, daß mein Vater nun in Sicherheit ist, wenn Sie zufällig von der Gefahr hören sollten, in welcher er sich befunden hatte.

Den Tag nach der Entfernung meines Vaters kam eine Abtheilung Soldaten nach Tully-Veolan und benahm sich sehr roh gegen den Amtmann Macwheeble, aber der Offizier war artig gegen mich, nur sagte er, daß seine Pflicht ihn zwänge, nach Waffen und Papieren Haussuchung zu halten. Mein Vater hatte dagegen Vorkehrungen getroffen, indem er alle Waffen mitnahm, ausgenommen das alte unbrauchbare Zeug, das in der Halle hängt; die Papiere hat er auch alle fortgeschafft.

Aber ach, Herr Waverley, wie soll ich Ihnen sagen, daß die Soldaten sich auch nach Ihnen erkundigten, und fragten, wann Sie in Tully-Veolan gewesen, und wo Sie jetzt wären. Der Offizier ist mit seinen Leuten wieder zurückgegangen, aber ein Unteroffizier ist mit vier Mann als Garnison im Hause geblieben und bis jetzt haben sie sich sehr gut betragen, da wir gezwungen sind, sie bei guter Laune zu erhalten. Die Soldaten spielten aber darauf an, daß Sie in großer Gefahr sein würden, wenn Sie ihnen in die Hände fielen, ich kann mich nicht entschließen, niederzuschreiben, was für schnöde Unwahrheiten sie erzählen, denn Lügen waren es gewiß; doch Sie werden am besten wissen, was Sie zu thun haben. Der Offizier hat Ihren Bedienten als Gefangenen, Ihre zwei Pferde und alles, was Sie in Tully-Veolan ließen, mitgenommen. Ich hoffe, Gott wird gestatten, daß Sie glücklich nach England kommen, wo, wie Sie mir selbst manchmal erzählten, kein Kampf zwischen den Clans und keine Gewaltthat mit Waffen erlaubt ist, sondern alles unter gleichem Gesetze steht, das die Harmlosen und Unglücklichen beschützt. Ich hoffe, Sie werden mir Nachsicht dafür gewähren, daß ich so kühn bin, Ihnen zu schreiben, wo es mir scheint, daß Ihre Sicherheit und Ehre gefährdet sind, wenn dies vielleicht auch ein Irrthum sein könnte. Ich bin überzeugt, wenigstens glaube ich es, daß mein Vater diesen Brief billigen würde, denn Mr. Rubrick ist zu seinem Vetter nach Duchran geflohen, um außer aller Gefahr vor den Soldaten und den Whigs zu sein, und der Amtmann Macwheeble liebt es nicht, wie er sagt, sich in anderer Leute Angelegenheiten zu mischen, obgleich ich hoffe, daß meines Vaters Freunden in einer Zeit wie diese Dienste zu leisten keine unpassende Einmischung genannt werden kann. Leben Sie wohl, Kapitän Waverley! Ich werde Sie wahrscheinlich nie wieder sehen, denn es wäre sehr unpassend, zu wünschen, daß Sie eben jetzt nach Tully-Veolan kämen, auch wenn diese Leute fort wären; aber ich werde mich stets mit Dankbarkeit der Güte erinnern, mit der Sie mich bei meinen kleinen Studien unterstützten, sowie Ihrer Aufmerksamkeit gegen meinen theuren, theuren Vater.

Ich bleibe Ihre hochverpflichtete Dienerin
Rosa Comyne Bradwardine.

Nachschrift.

Ich hoffe, Sie werden mir durch Davie Gellatley ein paar Zeilen schicken, um mir zu sagen, daß Sie diese erhielten, und daß Sie für Ihre Sicherheit Sorge tragen wollen; und verzeihen Sie mir, wenn ich Sie um Ihrer selbst willen anflehe, sich keiner dieser unglücklichen Kabalen anzuschließen, sondern so bald als möglich nach Ihrem beglückten Vaterlande zu entfliehen. Viele Grüße an meine theure Flora und an Glennaquoich. Ist sie nicht so schön und vortrefflich, wie ich sie beschrieb?«

So schloß Rosas Brief, dessen Inhalt Waverley zugleich überraschte und betrübte. Daß der Baron den Verdacht der Regierung infolge des gegenwärtigen Aufstandes für das Haus Stuart erweckte, schien die natürliche Folge seiner früheren politischen Gesinnungen; unerklärlich schien ihm aber, wie er selbst mit in diesen Verdacht verwickelt worden sei, zumal er bis gestern frei von jedem Gedanken einer Unternehmung gegen die herrschende Familie gewesen war. Sowohl in Tully-Veolan als in Glennaquoich hatten seine Wirthe seine Verpflichtung gegen die bestehende Regierung geehrt, und obgleich sich zufällig genug ereignete, was ihn veranlassen konnte, den Baron und den Häuptling unter die mißvergnügten Edlen zu rechnen, deren Zahl in Schottland noch immer sehr groß war, so hatte er doch bis zu seinem Austritte aus der Armee keinen Grund gehabt zu vermuthen, daß sie unmittelbare oder feindliche Absichten gegen die eingesetzte Regierung hegten. Wohl sah er ein, daß, wenn er den Vorschlag Fergus Mac-Ivors, sich dem Aufstande anzuschließen, zurückwiese, es für ihn von der größten Wichtigkeit sei, diese verdächtige Gegend ohne Zögern zu verlassen und sich dahin zu begeben, wo seine Aufführung einer Prüfung unterworfen werden könnte. Diesen Entschluß faßte er um so rascher, als Floras Rath ihn begünstigte, und er einen unaussprechlichen Widerwillen gegen den Gedanken hegte, die Leiden des Bürgerkrieges befördern zu helfen. Was auch die ursprünglichen Rechte der Stuarts sein mochten, ruhige Ueberlegung sagte ihm, daß Jakob II. seine persönlichen Rechte nach der einstimmigen Entscheidung der ganzen Nation verscherzt hatte. Dabei sah er von der Frage, wie dieser König zugleich die Rechte seiner Nachkommen verscherzen konnte, ganz ab. Seit jener Zeit hatten vier Monarchen in Frieden und Ruhe über Britannien geherrscht, die den Charakter der Nation nach außen sicherten und emporhoben und ihre Freiheit nach innen förderten. Die Vernunft fragte, ob es werth sei, eine so lange bestehende und befestigte Regierung zu beunruhigen und ein Königreich in alle Greuel des Bürgerkrieges zu stürzen, um die Nachkommen eines Monarchen auf jenen Thron zu setzen, den er muthwillig verscherzt hatte? Wenn auf der andern Seite seine eigene Ueberzeugung von der Vortrefflichkeit ihrer Sache oder die Befehle seines Vaters oder seines Oheims ihn bewegen konnten, dem Bündniß für die Stuarts beizutreten, so war es doch nothwendig, seinen eigenen Charakter zu rechtfertigen, indem er zeigte, daß er nicht, wie fälschlich insinuirt zu sein schien, irgend einen Schritt in dieser Sache gethan habe, so lange er noch im Dienste des regierenden Monarchen stand.

Die herzliche Einfachheit Rosas und ihre Besorgniß für seine Sicherheit, sein Gefühl, sie in schutzlosem Zustande zu wissen, und der Schrecken sowie die wirklichen Gefahren, denen sie ausgesetzt sein konnte, machten einen tiefen Eindruck auf ihn. Er schrieb augenblicklich, um ihr in den freundlichsten Ausdrücken für ihre Besorgniß seinetwegen zu danken, seine herzlichsten Wünsche für ihr Wohlergehen und das ihres Vaters auszusprechen und sie von seiner eigenen Sicherheit zu überzeugen. Die Gefühle, welche diese Aufgabe in ihm hervorgerufen hatte, verschwanden schnell vor der Notwendigkeit, die jetzt an ihn herantrat, Flora Mac-Ivor Lebewohl zu sagen, vielleicht für immer. Unbeschreiblich war die Qual, mit der er dies sich sagte, denn die Erhabenheit ihres Charakters, ihre innige Anhänglichkeit an die von ihr ergriffene Sache, ihre ängstliche Gewissenhaftigkeit in Bezug auf die Mittel, diese Sache zu fördern, hatten vor seinem Verstände die Wahl seiner Leidenschaft gerechtfertigt. Aber die Zeit drängte, die Verleumdung war geschäftig gegen seinen Ruf, und jede Stunde des Zögerns vermehrte die Macht, demselben zu schaden. Seine Abreise mußte augenblicklich erfolgen. Mit diesem Entschlüsse suchte er Fergus auf und theilte ihm den Inhalt von Rosas Brief sowie seine Absicht mit, auf der Stelle nach Edinburg zu gehen und in die Hände einer oder der andern jener einflußreichen Personen, an die er Briefe von seinem Vater hatte, seine Rechtfertigung gegen jede mögliche Beschuldigung niederzulegen.

»Ihr steckt Euren Kopf in den Rachen des Löwen,« antwortete Mac-Ivor. »Ihr kennt nicht die Strenge einer Regierung, die durch gerechte Besorgnisse und das Bewußtsein ihrer eigenen Ungesetzlichkeit und Unsicherheit getrieben wird. Ich werde Euch aus irgend einem Gefängnisse in Stirling oder Edinburg befreien müssen.«

»Meine Unschuld, mein Rang, meines Vaters vertrauter Umgang mit vielen Lords und Generalen der Armee wird ein hinreichender Schutz für mich sein,« sagte Waverley.

»Ihr werdet das Gegentheil finden,« entgegnete der Häuptling, »diese Herren werden mit sich selbst genug zu thun haben. Noch einmal, wollt Ihr den Plaid nehmen und einige Zeit für die beste Sache, für welche je ein Schwert gezogen wurde, unter unsern Nebeln und Bergen bleiben?«

»Wegen mancher Gründe, mein theurer Fergus, müßt Ihr mich entschuldigen.«

»Wohl,« sagte Mac-Ivor, »so werde ich Euch gewiß damit beschäftigt finden, Eure poetischen Talente in Elegien über ein Gefängniß zu üben, Nachforschungen über das Oggam-AlphabetDas alte Alphabet der Irländer, von dem man annahm, daß es mit dem phönizischen im Zusammenhang stehe anzustellen oder punische Hieroglyphen auf dem Schlußsteine eines merkwürdig gearbeiteten Gewölbes zu entziffern. Oder was meint Ihr zu einem petit pendement, bien joli? Gegen welche unangenehme Ceremonie ich Euch nicht Bürge sein mag, solltet Ihr auf eine Abtheilung der bewaffneten Westlands-Whigs treffen.«

»Und weshalb sollten sie mich so behandeln?« fragte Waverley.

»Aus hundert guten Gründen,« antwortete Fergus. »Erstlich seid Ihr ein Engländer, dann ein Edelmann, drittens ein abgeschworener Prälatist, und viertens haben sie nicht oft die Gelegenheit, ihre Talente in dieser Beziehung zu üben. Doch seid nicht niedergeschlagen, mein Lieber: alles wird in der Furcht des Herrn geschehen.«

»Wohl, ich muß mich der Gefahr aussetzen.«

»Ihr seid also entschlossen?«

»Ich bin es.«

»Der Eigensinn thuts,« sagte Fergus, »Doch, Ihr könnt nicht zu Fuß gehen, und ich werde kein Pferd brauchen, da ich zu Fuße an der Spitze der Söhne Ivors fechte, Ihr sollt den braunen Dermid haben.«

»Wolltet Ihr ihn verkaufen, so würdet Ihr mich sehr verpflichten.«

»Wenn Euer stolzes englisches Herz ein Geschenk oder ein Darlehen nicht annehmen will, so werde ich das Geld bei dem Anfange eines Feldzuges nicht ablehnen; der Preis ist zwanzig Guineen. (Erinnere Dich, Leser, daß es mehr als sechszig Jahr her ist.) Und wann denkt Ihr zu reisen?«

»Je eher, desto besser,« sagte Waverley.

»Ihr habt Recht, da Ihr gehen müßt oder gehen wollt. Ich werde Floras Klepper nehmen und Euch bis Bally-Brough begleiten. – Callum Beg, sorge dafür, daß unsere Pferde und ein Klepper für Dich gesattelt werden, um Herrn Waverley zu begleiten und sein Gepäck bis ** – hier nannte er eine kleine Stadt – zu bringen, wo er ein Pferd und einen Boten nach Edinburg bekommen kann. Leg Tieflandstracht an, Callum, und sorge dafür, Deine Junge im Zaum zu halten, wenn Du nicht willst, daß ich sie Dir ausreißen soll. – Herr Waverley reitet den Dermid.« – Hierauf wandte er sich zu Edward mit der Frage: »Wollt Ihr Abschied von meiner Schwester nehmen?« »Gewiß, das heißt wenn Miß Mac-Ivor mich dieser Ehre würdigen will.«

»Cathleen, sage meiner Schwester, daß Herr Waverley ihr Lebewohl zu sagen wünscht, ehe er uns verläßt. – Aber an Rosa Bradwardines Lage muß gedacht werden, ich wünschte, sie wäre hier, und weshalb sollte sie nicht? – Es sind nur vier Rothröcke in Tully-Veolan, und ihre Musketen würden uns sehr nützlich sein.«

Auf diese abgebrochenen Bemerkungen antwortete Edward nichts; sein Ohr vernahm sie zwar, aber seine Seele war bei dem bevorstehenden Abschiede von Flora. Die Thür öffnete sich, es war Cathleen, welche eine Entschuldigung ihrer Herrin und die besten Wünsche für Kapitän Waverleys Gesundheit und Wohlergehen überbrachte.


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