Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XIII.

Eine Entdeckung. – Waverley gehört zur Familie in Tully-Veolan.

Am nächsten Morgen stand Edward früh auf, und auf einem Morgenspaziergange um das Haus und durch dessen Umgebung kam er plötzlich auf einen kleinen Hof, dem Hundestalle gegenüber, und fand dort Freund Davie mit seinen vierfüßigen Pfleglingen beschäftigt. Ein flüchtiger Blick seines Auges streifte Waverley und zeigte, daß er ihn erkannt hatte, gleichwohl sang er, als hatte er ihn nicht bemerkt, folgendes Bruchstück einer alten Ballade:

Ein Junger, der liebt dich wohl hübscher und fein;
Ei, hörst du, wie lustig das Vögelein singt?
Ein Alter, der wild immer treu dir sein;
Und die Drossel den Kopf untern Fittig schiebt,

Des Jungen Wuth, die gleicht brennendem Stroh;
Ei hörst du, wie lustig das Vögelein singt?
Des Alten Zorn ist Rothgluth und Loh;
Und die Drossel den Kopf untern Fittig schiebt.

Der Junge dir frech beim Nachtschmaus prahlt;
Ei hörst du, wie lustig das Vögelein pfeift?
Mit dem Schwert der Alte am Morgen zahlt;
Und die Drossel den Kopf untern Fittig schiebt.

Waverley mußte bemerken, daß Davie diese Verse mit satirischer Emphase recitirte; daher näherte er sich ihm und suchte zu erfahren, was die Anspielung zu bedeuten habe. Davie aber hatte keine Lust, sich zu erklären, und besaß Witz genug, seine Schelmerei hinter seiner Narrheit zu verstecken. Edward konnte nichts von ihm erfahren, als daß der Laird von Balmawhapple gestern Morgen »mit Blut auf den Stiefeln« nach Haus gegangen sei. Im Garten traf Waverley den bejahrten Haushofmeister, der jetzt nicht länger zu verbergen suchte, daß er an den Blumenbeeten arbeite, um dem Laird und Miß Rosa zu gefallen. Durch eine Reihenfolge von Fragen erfuhr Edward endlich, mit einem peinlichen Gefühle der Ueberraschung und Scham, daß Balmawhapples Entschuldigung und Aussöhnung die Folge eines Zweikampfes mit dem Baron gewesen sei, welcher stattgefunden hatte, ehe er selbst sein Lager verließ, und in welchem der jüngere Kämpfer entwaffnet und am rechten Arme verwundet worden sei. Durch diese Nachricht tief gedemüthigt, suchte Edward seinen freundlichen Wirth auf und setzte ihm ängstlich das Unrecht auseinander, das er begangen, als er seinem Zusammentreffen mit Mr. Falkoner zuvorgekommen sei, da dies in Erwägung seiner Jugend und der eben von ihm begonnenen Waffenlaufbahn sehr zu seinem Nachtheile ausgelegt werden könnte. Der Baron rechtfertigte sich mit großer Breite, wie gewöhnlich. Er führte an, der Zwist sei für sie beide gemeinschaftlich gewesen, und Balmawhapple hätte es nach den Gesetzen der Ehre nicht vermeiden können, beiden Genugthuung zu geben; dies hätte er bei ihm durch einen ehrenvollen Zweikampf und bei Edward durch eine Palinodie gethan, welche den Gebrauch des Schwertes unnöthig machte.

Durch diese Entschuldigung wurde Waverley zum Schweigen gebracht, wenn auch nicht zufrieden gestellt; er konnte sich aber nicht enthalten, einiges Mißvergnügen gegen den »heiligen Bären« zu äußern, welcher Veranlassung zu dem Streit gegeben, und deutete darauf hin, daß der heiligende Beiname kaum passend sei. Der Baron bemerkte, er könnte nicht leugnen, daß der Bär, obgleich von den Heraldikern als ein ehrenvolles Zeichen der Familie dargestellt, nichts desto weniger etwas Mürrisches, Tückisches und Grimmiges in seinen Anlagen habe, und so der Typus mancher Händel und Zwistigkeiten in dem Hause Bradwardine geworden wäre.

Da wir bei den Beschreibungen der Unterhaltungen in Tully-Veolan am ersten Tage nach Edwards Ankunft so genau waren, den Leser mit allen seinen Bewohnern bekannt zu machen, wird es jetzt weniger nöthig, den weiteren Verkehr mit derselben Genauigkeit zu beschreiben. Es ist wahrscheinlich, daß ein junger, an heitere Gesellschaft gewöhnter Mann der Unterhaltung eines so eifrigen Vertheidigers der Heraldik wie Mr Bradwardine, wenn er all die Eigentümlichkeiten des Familienbären erklärte, bald überdrüssig geworden wäre, aber er fand eine angenehme Abwechselung in der Unterhaltung der Miß Bradwardine, welche seinen Auseinandersetzungen über die Literatur aufmerksam zuhörte und in ihren Antworten einen sehr richtigen Geschmack zeigte. Ihr sanftes Gemüth hatte sie veranlaßt, sich bereitwillig und sogar mit Vergnügen in die Lectüre zu fügen, die ihr Vater ihr vorschrieb, obwohl sie nicht nur einige wuchtige Folianten über Welthistorie enthielt, sondern auch gewisse Riesenbände anglikanischer Polemik. Rosa war der Augapfel ihres Vaters. Ihre beständige Liebenswürdigkeit, ihre Aufmerksamkeit auf alle die kleinen Rücksichten, welche denen am meisten schmeicheln, die nie daran gedacht haben würden, sie zu fordern, ihre Schönheit, die ihn an die Züge eines geliebten Weibes erinnerte, ihre ungeheuchelte Frömmigkeit, die edle Großmuth ihrer Gesinnungen, würden die zärtlichste Liebe eines Vaters gerechtfertigt haben.

Seine Besorgniß um sie schien sich aber nicht bis zu dem Punkte zu erstrecken, durch den sie der allgemeinen Meinung nach am deutlichsten gezeigt wird, nämlich bis zu der Sorge, ihre Zukunft durch eine reiche Erbschaft oder eine bedeutende Aussteuer sicher zu stellen. Nach einem alten Erbvertrage fielen fast alle Besitzungen des Barons nach dessen Tode einem entfernten Verwandten zu, so daß er sich auch nur als Pächter des Gutes betrachtete. Man vermuthete, daß Miß Bradwardine nur spärlich versorgt sein würde, da des guten Barons Gelder viel zu lange ausschließlich in den Händen des Verwalters Macwheeble gewesen waren, als daß man sich von der Erbschaft große Vorstellungen hätte machen können. Es ist wahr, daß der erwähnte Amtmann seinen Herrn und seines Herrn Tochter zunächst, obgleich in Unermeßlicher Ferne, nach sich selbst liebte. Er hielt es für möglich, die Erbfolge der männlichen Linie zu beseitigen, und hatte sich in der That darüber, und wie er sich rühmte, unentgeltlich, ein Gutachten von einem ausgezeichneten schottischen Rechtsgelehrten verschafft, aber der Baron wollte von einem solchen Vorschlage nichts hören. »Nein,« sagte er, »sind manche ebenso würdige Weiber als Rosa ausgeschlossen worden, um meiner eigenen Erbfolge Platz zu machen, so behüte mich der Himmel, daß ich irgend etwas thun sollte, was der Bestimmung meiner Vorfahren widerspräche, oder das Recht meines Lehnsvettern, Malcolm Bradwardine von Inchgrabbit antastete, der, wenn auch herabgekommen, doch ein ehrenwerther Sproß meiner Familie ist.«

Der Verwalter hatte, als Premierminister, diese bestimmte Weisung seines Herrschers empfangen und wagte nicht, seine eigene Ansicht weite zur verfolgen. Er begnügte sich damit, bei jeder Gelegenheit gegen Saunderson, den Minister des Innern, des Lairds Eigensinn zu beklagen und Pläne zu entwerfen, Rosa mit dem jungen Laird von Balmawhapple zu verbinden, der eine hübsche, nur wenig verschuldete Besitzung besaß, ein fleckenloser junger Edelmann und so nüchtern wie ein Heiliger war, wenn man Branntwein von ihm fern hielt und ihn von Branntwein, der, kurz gesagt, keine andern Mängel hatte, als daß er zu Zeiten leichte Gesellschaft liebte, »Und diese Fehler, Mr. Saunderson, wird er ablegen, er wird sie ablegen,« versicherte der Amtmann.

»Wie ein Holzapfel die Säure,« bemerkte Davie Gellatley, der zufällig diesem Conclave näher war, als sie vermutheten.

Bei all ihrer Einfachheit ergriff Rosa voll Eifer die Gelegenheit zur Vermehrung ihrer literarischen Kenntnisse, welche Edwards Besuch ihr bot. Er ließ aus seiner Garnison einige seiner Bücher kommen, und diese eröffneten ihr eine Quelle des Entzückens, von dem sie bisher keine Idee gehabt hatte. Die besten englischen Dichter jeder Art und andere belletristische Werke bildeten einen Theil dieser kostbaren Fracht, Ihre Musik und selbst ihre Blumen wurden vernachlässigt, und Saunderson murrte nicht nur über eine Arbeit, für welche er jetzt kaum noch einen Dank erhielt, sondern begann sogar, sich dagegen aufzulehnen. Diese neuen Freuden wurden allmählich dadurch erhöht, daß sie sie mit einem Mann von gebildeterem Geschmacke theilte. Edwards Bereitwilligkeit, schwierige Stellen zu erklären, machte seinen Beistand unschätzbar, und die wildere Romantik seines Geistes entzückte einen Charakter, der zu jung und unerfahren war, um seine Mängel zu bemerken. Bei Gegenständen, die ihn interessirten, und wenn er sich ganz behaglich fühlte, besaß er jenen Strom natürlicher und glühender Beredsamkeit, welche ein weibliches Herz zu gewinnen für ebenso mächtig gehalten wird als Gestalt, Benehmen, Ruhm und Reichthum. Es war daher eine wachsende Gefahr für der armen Rosa Gemüthsruhe in diesem beständigen Verkehr, und diese Gefahr war um so größer, da ihr Vater in seine Studien zu sehr vertieft und von seiner eigenen Würde zu sehr eingenommen war, um sich träumen zu lassen, daß seine Tochter derselben ausgesetzt sei.

Er schloß seine Augen so ganz gegen die natürlichen Folgen von Edwards vertraulichem Umgange mit Miß Bradwardine, daß die ganze Nachbarschaft vermuthete, er hätte sie den Vortheilen geöffnet, die eine Verbindung seiner Tochter mit dem reichen jungen Engländer mit sich brächte.

Hätte der Baron wirklich auf eine solche Verbindung gesonnen, so würde Waverleys Gleichgültigkeit für einen solchen Plan ein unübersteigliches Hinderniß gewesen sein. Seit unser Held in Freiheit und Verkehr mit der Welt getreten war, hatte er gelernt, mit Scham und Verwirrung an seine geistige Legende der heiligen Cäcilia zu denken. Sein Verdruß über diese Betrachtungen konnte leicht der natürlichen Empfänglichkeit seiner Gefühle das Gegengewicht halten. Ueberdies besaß Rosa Bradwardine, so reizend und liebenswürdig wir sie auch geschildert haben, nicht gerade jene Schönheit und Vorzüge, die ein romantisches Gemüth in früher Jugend fesseln. Sie war zu offen, zu vertrauensvoll, zu freundlich, liebenswürdige Eigenschaften ohne Zweifel, die aber das Wunderbare aufheben, mit dem ein Jüngling von glühender Einbildungskraft die Gebieterin seiner Neigungen auszustatten liebt. War es möglich, sich vor dem schüchternen und doch heiteren Mädchen, das jetzt Edward bat, ihr eine Feder zu schneiden, dann, ihr eine Stanze im Tasso zu erklären, dann wieder, ihr ein langes, langes Wort zu einem richtigen Verse theilen zu helfen, zu beugen, vor ihm zu zittern und es anzubeten? Es ist gewiß, daß, wäre Edward die Gelegenheit geboten worden, sich mit Miß Stubbs lange zu unterhalten, die Vorsicht der Tante Rahel unnöthig war, weil er sich dann ebenso schnell in ein anderes Mädchen, das ihm ferner stand, verliebt haben würde. Freilich war Miß Bradwardine ein ganz anderer Charakter; aber es ist wahrscheinlich, daß eben der vertraute Umgang ihn hinderte, für sie andere Gefühle zu hegen als die eines Bruders für eine liebenswürdige, ausgezeichnete Schwester. Die Gefühle der armen Rosa nahmen allmählich und ihr selbst unbewußt einen Schatten wärmerer Zuneigung an. Wir hätten erwähnen sollen, daß Edward, als er die Bücher aus Dundee holen ließ, um längern Urlaub bat, der ihm auch gewährt wurde. Der Brief seines Obersten enthielt den freundschaftlichen Rath, seine Zeit nicht ausschließlich Personen zu widmen, die im allgemeinen Sinne sehr achtungswerth sein möchten, von denen man aber nicht annehmen dürfte, daß sie einer Regierung zugethan wären, deren Anerkennung durch den Eid der Treue sie verweigerten. Der Brief deutete ferner sehr schonend darauf hin, daß gewisse Familienverbindungen es dem Kapitän vielleicht nothwendig machten, mit Männern umzugehen, die sich in einem so unangenehmen Verdachte befänden, daß aber seines Vaters Stellung und Wünsche ihn abhalten müßten, diesen Umgang zu innigerer Freundschaft werden zu lassen. Zugleich wurde bemerkt, daß er auch in der Religion irrige Eindrücke durch Geistliche empfangen möchte, die hartnäckig daran arbeiteten, die königliche Gewalt in kirchlichen Dingen zu bestreiten.

Diese letzte Andeutung bewog Waverley wahrscheinlich, die Warnungen den Vorurtheilen seines Obersten zuzuschreiben. Er fühlte, daß Mr. Bradwardine mit dem gewissenhaftesten Zartgefühl gehandelt hatte, indem er sich nie in einen Streit einließ, der nur die geringste Absicht verrathen konnte, Waverleys Ansichten zu ändern, obgleich der Baron selbst nicht nur ein entschiedener Anhänger der verbannten Königsfamilie war, sondern auch zu verschiedenen Zeiten die wichtigsten Aufträge im Interesse derselben ausgerichtet hatte. Edward fühlte sich daher überzeugt, daß er keine Gefahr lief, seinen Pflichten abwendig gemacht zu werden, ja es kam ihm vor, als begehe er eine Ungerechtigkeit gegen seines Oheims alten Freund, wenn er ein Haus, in welchem er Vergnügen und Unterhaltung empfing, nur wegen eines vorurtheilsvollen und unbegründeten Verdachtes verließe. Er schrieb deshalb eine sehr allgemein gehaltene Antwort, in der er seinem Obersten versicherte, daß seine Treue nicht der geringsten Gefahr ausgesetzt sei, und blieb nach wie vor ein geehrter Gast und Bewohner des Hauses von Tully-Veolan.


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