Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel LIX

Das Kapitel der Zufälle.

Edward befand sich in einer sehr unangenehmen und gefährlichen Lage. Bald verlor er den Klang der Sackpfeifen und, was noch unangenehmer war, als er nach langem vergeblichem Suchen endlich der Landstraße nahe kam, erfuhr er durch den unwillkommenen Ton der Kesselpauken und Trompeten, daß die englische Kavallerie sie jetzt besetzt hielt und folglich zwischen ihm und den Hochländern war. Dadurch verhindert, in gerader Richtung vorzudringen, beschloß er, die Engländer zu vermeiden und einen Versuch zu machen, auf einem Umwege zu seinen Freunden zu gelangen, ein betretener Pfad, der links von der Straße in der beabsichtigten Richtung fortlief, schien dazu das Mittel zu bieten. Dieser Pfad war schlammig und die Nacht finster und kalt, aber selbst diese Uebelstände fühlte er kaum vor den Besorgnissen, den königlichen Truppen in die Hände zu fallen.

Nachdem er ungefähr drei Meilen weit gegangen war, erreichte er ein Dorf. Er wußte, daß das gemeine Volk der Sache, der er diente, im Ganzen nicht günstig war, aber er wünschte doch auch, sich einen Führer und ein Pferd nach Penrith zu verschaffen, wo er das Hauptkorps oder doch die Arrieregarde des Chevaliers noch zu finden hoffte, und deshalb näherte er sich dem Wirthshause. Es herrschte lauter Lärm darin. Er stand still, um zu horchen. Ein derber englischer Fluch und der Refrain eines Kriegsliedes überzeugten ihn, daß auch dieses Dorf von den Truppen des Herzogs von Cumberland besetzt war. Mit dem Wunsche, sich so heimlich als möglich zu entfernen und die Dunkelheit segnend, gegen welche er bisher gemurrt hatte, tastete Waverley, so gut er konnte, an einem Zaune hin, der einen Garten zu begrenzen schien. Als er die Thür zu dieser Einhegung erreichte, wurde seine ausgestreckte Hand von einer weiblichen erfaßt, und zugleich flüsterte eine weibliche Stimme: »Bist Du's, Edward?«

»Ein unglückliches Mißverständnis,« dachte Edward und suchte sich leise los zu machen.

»Mach keinen Unsinn, Mensch, oder die Rothröcke hören Dich. Sie haben alle angerufen, die am Gasthof vorbeikamen, ihre Wagen oder so was zu fahren. Also komm hinein zum Vater, oder sie thun Dir was zu leide.«

»Ein guter Wink,« dachte Waverley und folgte dem Mädchen durch den kleinen Garten in eine gepflasterte Küche, wo sie einen Schwefelfaden an einem erlöschenden Feuer anzündete und dann ein Licht anbrannte. Kaum hatte sie bei dem Scheine desselben Waverley erblickt, als sie es mit dem Ausruf fallen ließ: »O, Vater, Vater!«

Der so herbeigerufene Vater erschien sogleich, ein derber, alter Pächter, in ledernen Hosen und Stiefeln, die er ohne Strümpfe angezogen hatte, da er eben aus dem Bette gesprungen war, der übrige Theil seines Anzuges bestand nur aus dem Schlafrocke eines Westmoreland-Staatsmannes, d.h. seinem Hemde. Sein Gesicht wurde vortheilhaft durch ein Licht beleuchtet, das er in der linken Hand hielt, während er mit der rechten einen alten Degen schwang.

»Was gibts hier, Mädchen?« fragte er.

»Ach,« rief das arme Mädchen, beinahe außer sich vor Schreck, »ich dachte, es wäre Ned Williams, und es ist einer von den Plaidleuten.«

»Und was sollte Ned Williams zu solcher Stunde hier bei Dir machen?« – Dies war eine der Fragen, die viel leichter zu thun als zu beantworten sind. Die rosenwangige Dirne antwortete deshalb auch nichts darauf, sondern fuhr fort zu weinen und die Hände zu ringen.

»Und Du, Bursch', weißt Du, daß die Dragoner im Dorfe sind? Weißt Du das, Mensch? Und daß sie Dich spalten werden wie eine Rübe?«

»Ich weiß, daß mein Leben in großer Gefahr ist,« entgegnete Waverley, »aber wenn Ihr mir Beistand leistet, so sollt Ihr reichlich belohnt werden. Ich bin kein Schotte, sondern ein unglücklicher englischer Edelmann.«

»Magst Du ein Schotte sein oder nicht,« sagte der ehrliche Pächter, »so wünschte ich doch, daß Du auf der andern Seite geblieben wärest, aber da Du hier bist, wird Jakob Jopson keines Menschen Leben verrathen, und die Plaidsleute waren muntere Burschen und thaten nichts Böses, als sie gestern hier waren.« Und er ging mit allem Ernste daran, unserm Helden für die Nacht Obdach und Nahrung zu gewähren. Das Feuer wurde schnell wieder angezündet, doch mit der Vorsicht, die Flamme von außen nicht sehen zu lassen. Der ehrliche Pachter schnitt ein Stück Speck ab, welches Cicely anrichtete, und ihr Vater fügte einen vollen Krug von seinem besten Bier hinzu. Es wurde abgemacht, daß Edward, bis die Truppen am nächsten Morgen abmarschirten, bleiben sollte. Dann konnte er, wenn er von seinem Wirthe ein Pferd miethete oder kaufte, seine Freunde zu erreichen suchen. Ein reines wenn auch ärmliches Bett nahm ihn nach den Mühseligkeiten dieses unglücklichen Tages auf.

Mit dem Morgen traf die Nachricht ein, daß die Hochländer Penrith verlassen hätten und gegen Carlisle marschirten, daß der Herzog von Cumberland im Besitz von Penrith wäre, und daß einzelne Abtheilungen seines Korps die Straßen in allen Richtungen deckten. Ein Versuch, unentdeckt hindurchzukommen, wäre eine wahnsinnige Verwegenheit gewesen. Ned Williams, der echte Edward, wurde jetzt durch Cicely und ihren Vater zu Rathe gezogen. Er, der es vielleicht nicht gern sah, daß sein hübscher Namensvetter zu lange in einem Hause mit seiner Geliebten bliebe, weil er neue Verwechselungen befürchtete, machte den Vorschlag, daß Waverley, seinen Plaid gegen die Landestracht vertauschend, mit ihm nach seines Vaters Pachthof, in der Nähe von Ulswater, gehen und in jener ungestörten Zurückgezogenheit bleiben sollte, bis die militärischen Bewegungen in der Gegend aufgehört hätten, seine Abreise zu gefährden. Auch einigten sie sich wegen eines Wochengeldes für die Zeit, während deren der Pächter Williams Edward bei sich beherbergte, bis er mit Sicherheit fortkönnte. Der Preis war sehr gering; die ehrlichen und einfachen Leute dachten nicht daran, ihre Forderung zu erhöhen, weil Waverleys Lage bedrängt war.

Die notwendigen Kleidungsstücke wurden also geschafft, und auf geheimen Pfaden, die dem jungen Pachter bekannt waren, hofften sie, jedem unangenehmen Zusammentreffen zu entgehen. Eine Vergeltung für die genossene Gastfreundschaft wurde vom alten Jopson und seinem rosigen Töchterlein entschieden zurückgewiesen, ein Kuß bezahlte die Tochter und ein herzlicher Händedruck den Vater. Beide schienen besorgt um ihres Gastes Sicherheit und nahmen mit den freundlichsten Wünschen Abschied.

Edward kam mit seinem Führer über die Felder, welche in der vorhergehenden Nacht der Schauplatz des Gefechtes gewesen waren. Ein matter Strahl der Dezembersonne beschien trübe eine weite Haide, welche die Leichen todter Menschen und Pferde, und die gewöhnlichen Begleiter des Krieges, eine große Menge von Raben, Geiern und Krähen zeigte.

»Dies also war Dein letztes Feld,« sagte Edward zu sich selbst, und sein Auge wurde feucht bei der Erinnerung an die vielen glänzenden Eigenschaften seines Freundes, sowie an die innige frühere Freundschaft, seine Leidenschaften und seine Mängel waren vergessen; »hier fiel der letzte Bich Ian Vohr auf einer namenlosen Haide, in einem unbedeutenden nächtlichen Scharmützel erlosch der glühende Geist, der es für etwas Geringes hielt, seinem Gebieter den Weg zu dem britischen Throne zu bahnen! Ehrgeiz, Politik, Tapferkeit, alle weit über ihre Sphäre hinausgehend, erfuhren hier das Geschick der Sterblichen. – Da ruhst Du nun, Du, die einzige Stütze einer Schwester, deren Geist nicht weniger stolz und ungezügelt als der Deinige, aber noch exaltirter war, hier ruhst Du und mit Dir Deine Hoffnungen für Flora und für die lange und gepriesene Linie der Vorfahren, deren Ruhm Deine abenteuerliche Kraft noch höher heben wollte!«

Als diese Gedanken sich Edward aufdrängten, beschloß er, auf dem Schlachtfeld nachzusehen, ob er unter den Todten den Körper seines Freundes finden könnte, um ihm die letzte Ehre zu verschaffen. Der ängstliche junge Mensch, der ihn begleitete, stellte ihm das Gefährliche der Unternehmung vor, aber Edward war fest entschlossen. Das Heeresgefolge hatte die Todten schon alles dessen beraubt, was sie fortschaffen konnten, aber das Landvolk, an Auftritte des Blutvergießens nicht gewöhnt, hatte sich dem Schauplätze des Gefechtes noch nicht genähert, obgleich einige ängstlich lauschend in der Nähe standen. Zwischen sechszig und siebenzig Dragonern lagen todt in der ersten Umgebung, auf der Landstraße oder auf dem Moore. Von den Hochländern war kein Dutzend gefallen, und unter ihnen namentlich die, welche sich zu weit vorgewagt hatten und die Hecken nicht wieder erreichen konnten. Fergus

konnte Waverley unter den Todten nicht finden. Auf einem kleinen Hügel, von den andern abgesondert, lagen die Leichen von drei Dragonern, zwei todte Pferde und Callum Beg, dessen harten Schädel ein Reiterpallasch gespalten hatte. Es war möglich, daß Fergus' Leiche von seinem Clan fortgetragen worden war, aber er konnte auch entkommen sein, zumal Evan Dhu, der seinen Häuptling nie verließ, auch nicht unter den Todten war, oder er konnte gefangen sein, und die am wenigsten schlimme Vermuthung, die er aus der Erscheinung des Bodach Glas zog, sich so als wahr erwiesen haben.

Die Annäherung einer Truppenabtheilung, welche ausgeschickt war, das Landvolk zur Beerdigung der Todten anzuhalten, und zu diesem Zwecke, schon mehrere Bauern versammelt hatte, nöthigte Edward jetzt, zu seinem Führer zurückzukehren, der seiner in dem Schatten einer Baumpflanzung mit großer Angst harrte.

Der Rest der Reise wurde glücklich zurückgelegt. In dem Hause des Pachters Williams galt Edward für einen jungen Verwandten, der für die Kirche erzogen war und hier bleiben wollte, bis die Ruhe im Lande wieder so weit hergestellt sei, daß er weiter reisen könnte. Dies beugte jedem Verdacht unter den gutmüthigen und einfachen Landleuten von Cumberland vor und erklärte hinlänglich das ernste Wesen und die zurückgezogene Lebensart des neuen Gastes. Diese Vorsichtsmaßregel war nöthiger, als Waverley vermuthet hatte, da mehrere Ereignisse seinen Aufenthalt in Fasthwaite, so hieß der Pachthof, verlängerten.

Zuerst machte ein gewaltiger Schneefall seine Reise auf mehr als zehn Tage unmöglich. Als die Straßen wieder gangbar wurden, erhielt man die Nachricht von dem Rückzuge des Chevaliers nach Schottland, dann erfuhr man, daß er die Grenzen verlassen hätte und sich gegen Glasgow zurückzöge, dann, daß der Herzog von Cumberland Carlisle belagere. Seine Armee schnitt also Waverley jede Möglichkeit ab, in dieser Richtung nach Schottland zu gelangen. An der östlichen Küste rückte Marschall Wade mit einem starken Korps gegen Edinburg vor, und längs der ganzen Grenze waren Abtheilungen von Miliz, Freiwilligen und Parteigängern unter den Waffen, um die Insurrektion zu unterdrücken und Nachzügler der Hochlandarmee aufzufangen, die etwa noch in England zurückgeblieben sein mochten. Die Uebergabe von Carlisle und die Strenge, mit welcher die rebellische Garnison bedroht wurde, gab bald noch einen Grund mehr, das Unternehmen einer einsamen und hoffnungslosen Reise durch ein feindliches Land nicht zu wagen.

In dieser traurigen und verlassenen Lage, ohne den Vortheil der Gesellschaft und Unterhaltung Gebildeter, fiel unserem Helden oft ein, was Oberst Talbot als Argument gegen seine Theilnahme am Aufstande angeführt hatte. Aber eine noch drückendere Erinnerung störte seinen Schlaf: der letzte Blick und Todeskampf des sterbenden Gardiner. Aufrichtig hegte er den Wunsch, wenn die selten eintreffende Post Nachrichten von Gefechten verschiedenen Erfolges brachte, daß es nie wieder sein Loos sein möchte, in einem Bürgerkriege das Schwert zu ziehen. Dann wendeten seine Gedanken sich wieder auf den muthmaßlichen Tod seines Freundes Fergus, auf die verlassene Lage Floras, und mit noch zärtlicherer Erinnerung auf die Rosas, welcher der inbrünstige Enthusiasmus der Loyalität mangelte, der Floras Unglück heiligte. Diesen Träumereien konnte er sich ungestört hingeben, und auf manchem winterlichen Spaziergange an den Küsten von Ulswater gewann er eine vollständigere Herrschaft über seinen durch Mißgeschick gebändigten Geist, als seine früheren Erfahrungen sie ihm verliehen hatten. Hier fühlte er sich auch berechtigt, sich offen, wenn auch mit einem Seufzer, zu gestehen, daß der Roman seines Lebens beendet sei, und dessen wahre Geschichte nun begonnen habe. Es wurde ihm bald die traurige Genugthuung, seine Ideen von vernünftigem, von der Philosophie geleitetem Handeln realisiren zu sollen.


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