Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel VI.

Eine Kavalleriegarnison in Schottland.

Unter verschiedenen Gefühlen, deren vorherrschendstes der ängstliche und selbst feierliche Eindruck war, seiner eigenen Führung und Leitung von jetzt ab überlassen zu sein, verließ Edward Waverley am nächsten Morgen die Halle. Die Segenswünsche und Thränen aller alten Diener und der Bewohner des Dorfes begleiteten ihn. Einige leise Bitten um Unteroffiziers- und Korporalstellen wurden dabei von Seiten derer vernommen, welche gestanden, daß sie nie daran gedacht hatten, Jakob und Gilles und Jonathan unter die Soldaten treten zu lassen, wenn es nicht geschehen wäre, um Ihro Gnaden in schuldiger Pflicht zu begleiten. Edward entzog sich eben so pflichtschuldig den Bittenden mit der Zusage von weniger Versprechungen, als man von einem jungen Manne erwartet hätte, der noch so wenig von der Welt gesehen hatte. Nach einem kurzen Besuche in London begab er sich zu Pferde nach Edinburg und von dort nach Dundee, einem Seehafen an der östlichen Küste von Angusshire, wo sein Regiment damals garnisonirte.

Er trat in eine neue Welt, in der ihm für einige Zeit alles schön erschien, weil alles neu war. Oberst Gardiner, der Kommandeur des Regiments, war an sich schon ein Studium für einen romantischen, wißbegierigen Jüngling. Von Person war er schlank, schön und lebhaft, obgleich schon etwas vorgerückten Alters, In seinen früheren Jahren war er, was man schonend einen lustigen jungen Menschen nennt, gewesen, und es waren sonderbare Geschichten im Umlauf über seine plötzliche Bekehrung vom Zweifel, wo nicht vom Unglauben zu einer ernsten und schwärmerischen Gemüthsart. Man flüsterte sich zu, daß eine übernatürliche Erscheinung diese wunderbare Veränderung in ihm hervorgebracht habe, und wenn auch einige den Proselyten für einen Enthusiasten ansahen, so nannte ihn doch niemand einen Heuchler. Dieser

sonderbare und geheimnißvolle Umstand gab dem Obersten Gardiner in den Augen des jungen Kriegers eine eigentümliche und feierliche Wichtigkeit. Man kann sich leicht denken, daß die Offiziere eines Regiments, welches von einem so achtungswerthen Manne kommandirt wurde, eine gesetztere und ordentlichere Korporation bildeten, als man sie sonst gewöhnlich an dem Regimentstische zu finden pflegt, und daß Waverley dadurch manchen Versuchungen entging, denen er andernfalls ausgesetzt gewesen sein würde.

Seine militärische Ausbildung machte erfreuliche Fortschritte, Schon früher ein guter Reiter, wurde er jetzt mit den Künsten der Manege vertraut gemacht. Er empfing auch Unterricht im Felddienste, aber mit dem Schwinden des ersten Eifers wurden die Fortschritte gering. Die Pflichten eines Offiziers, für ein unerfahrenes Gemüth die bestechendsten von allen, weil sie von so viel äußerem Pomp begleitet werden, sind im Grunde sehr trocken und undankbar, da sie hauptsächlich von arithmetischen Berechnungen abhängen, welche viel Aufmerksamkeit erfordern und einen kalt überlegenden Verstand zu ihrer Ausführung. Unser Held machte sich einiger Zerstreutheiten schuldig, die das Gelächter seiner Kameraden und die Vorwürfe seiner Vorgesetzten zur Folge hatten. Dieser Umstand erweckte in ihm das peinliche Gefühl, gerade in den Eigenschaften, welche in seinem neuen Stande die meiste Geltung hatten, untergeordnet befähigt zu sein. Vergebens fragte er sich, weshalb sein Auge eine Distanz oder einen Raum nicht ebenso gut auszumessen verstünde, wie das seiner Kameraden, weshalb es seinem Kopfe nicht immer gelänge, die verschiedenen Schwenkungen anzuordnen, die zu einem bestimmten Manöver erforderlich waren, weshalb sein Gedächtniß, sonst bei den meisten Veranlassungen so glücklich, technische Ausdrücke und einzelne Punkte des Felddienstes nicht genau zu behalten vermöchte. Die Ursache war, daß die oberflächliche Art, mit der er sich gewöhnt hatte seine Aufgaben zu lösen, auf sein von Natur verschlossenes Gemüth wirkte und ihm jenes Schwanken eines unsteten Geistes verlieh, welches zum Studium und strenger Aufmerksamkeit unfähig macht. Zugleich lastete die Zeit schwer auf ihm. Der Landadel der Nachbarschaft war den militärischen Gästen nicht geneigt und zeigte wenig Gastfreundschaft für dieselben, und die Bürger, die vorzugsweise der Handel beschäftigte, waren nicht geeignet, in Waverley den Wunsch nach ihrer Gesellschaft zu erregen.

Der Sommer und das Verlangen, mehr von Schottland kennen zu lernen, als bei einem Spazierritt aus seiner Garnison möglich war, bestimmten ihn, um Urlaub für einige Wochen nachzusuchen. Er beschloß, zuerst seines Oheims alten Freund und Korrespondenten zu besuchen und die Länge seines Aufenthalts bei ihm den Umständen anzupassen. Er reiste natürlich zu Pferde und von einem einzigen Diener begleitet, und brachte die erste Nacht in einem elenden Wirthshause zu, dessen Wirthin weder Schuhe noch Strümpfe trug, und dessen Wirth, der sich einen Edelmann nannte, beinahe gegen seinen Gast grob geworden wäre, weil dieser ihn nicht zum Abendessen einlud, wie es damals Sitte war. Am nächsten Tage kam Edward in eine offene uneingehegte Gegend, und näherte sich allmählich dem Hochlande von Perthshire, welches sich zuerst als eine blaue Linie am Horizonte zeigte, jetzt aber zu schweren Riesenmassen anwuchs, die das unter ihnen liegende flachere Land trotzig herauszufordern schienen. Nahe dieser gewaltigen Scheidewand, aber noch im Tieflande wohnte Cosmo Comyne Bradwardine von Bradwardine, und wenn den Greisen Glauben zu schenken ist, so hatten seine Vorfahren und alle ihre Erben dort schon seit den Zeiten des allerhuldreichsten König Dunkan gewohnt.


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