Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XXXVI.

Waverley immer noch in Noth.

Die Schnelligkeit, mit welcher Waverley fortgeschleppt wurde, beraubte ihn beinahe des Bewußtseins, denn die Quetschungen hinderten ihn, sich so zu helfen, wie er sonst wohl gethan haben würde. Als seine Führer dies bemerkten, riefen sie zwei oder drei der andern zur Hilfe herbei, legten unsern Helden in einen ihrer Plaids und theilten so die Last unter sich, indem sie ihn eben so schnell wie vorher ohne irgend eine Anstrengung seinerseits forttrugen. Sie sprachen wenig, und das wenige in gälischer Zunge, verkürzten auch ihren Schritt nicht eher, als bis sie ungefähr zwei Meilen weit gelaufen waren, dann gingen sie zwar etwas langsamer, aber doch noch immer sehr schnell und wechselten von Zeit zu Zeit unter einander ab. Unser Held versuchte jetzt, sie anzureden, erhielt aber die einzige Antwort: Cha n'eil Beurl' agam – ich verstehe kein Englisch, welches, wie Waverley wohl wußte, die beständige Antwort eines Hochländers war, wenn er einen Engländer, oder einen des Tieflandes nicht verstand, oder ihm nicht antworten wollte. Er nannte hierauf den Namen Bich Ian Vohr, indem er vermuthete, daß er dessen Freundschaft für seine Rettung aus den Klauen des Gifted Gilfillan verpflichtet sei, aber auch dies brachte keine Wirkung bei seinen Begleitern hervor.

Das Zwielicht war dem Mondschein gewichen, als man am Rande eines tiefen Thales Halt machte, welches, von den Strahlen des Mondes zum Theil beleuchtet, mit Bäumen und dicht verwachsenem Unterholz angefüllt zu sein schien. Zwei der Hochländer gingen auf einem schmalen Fußpfade hinab, gleichsam um es zu durchsuchen; nach einigen Minuten kehrte einer zurück, sagte einige Worte zu den übrigen, und diese hoben augenblicklich ihre Last wieder auf und trugen sie mit großer Aufmerksamkeit und Sorgfalt den engen Pfad hinab. Ungeachtet ihrer Vorsicht aber kam Waverley mehr als einmal ziemlich derb in Berührung mit den Aesten und Zweigen, die auf den Pfad herabhingen. Auf der Thalsohle, und wie es schien am Ufer eines Baches, (denn Waverley hörte das Rauschen eines Gewässers, obgleich er es in der Dunkelheit nicht sehen konnte), hielten seine Begleiter vor einer kleinen roh gezimmerten Hütte. Die Thür wurde geöffnet und das Innere schien eben so rauh und unbequem zu sein, als die Lage und das Aeußere vermuthen ließen.

Es zeigte sich kein Fußboden irgend welcher Art, das Dach schien an mehreren Stellen geborsten zu sein, die Mauern bestanden aus losen Stämmen, Rasen und Baumzweigen. Ein Feuer, welches in der Mitte brannte, erfüllte die ganze Hütte mit Rauch, der sowohl durch die Thür, als durch ein rundes Loch in dem Dache seinen Ausweg suchte. Eine alte Hochlandssibylle, die einzige Bewohnerin dieser einsamen Hütte, schien mit der Bereitung einer Speise beschäftigt zu sein. Bei dem Lichte, welches das Feuer verbreitete, konnte Waverley sehen, daß die Leute nicht dem Clan Ivor angehörten, denn Fergus hielt streng darauf, daß seine Leute einen Tartan von den besonderen Farben ihres Stammes trugen, ein Unterscheidungszeichen, das in den früheren Zeiten in dem Hochlande allgemein war und noch von den Häuptlingen beibehalten wurde, die auf ihre Abstammung stolz oder auf ihre besondere und eigenthümliche Gewalt eifersüchtig waren.

Edward hatte in Glennaquoich lange genug gelebt, um ein Unterscheidungszeichen kennen zu lernen, welches er wiederholt erwähnen hörte, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß er von seinen Begleitern keine besondere Theilnahme zu erwarten hatte, ließ er einen trüben Blick rings in der Hütte umherschweifen. Das einzige Hausgeräth war neben einem Waschfaß und einem hölzernen Schrank, der gewaltig gelitten hatte, ein hölzernes Bett, wie gewöhnlich rings herum mit Brettern verschlagen. In diesen Schlupfwinkel legten die Leute Waverley, nachdem er durch Zeichen jede Erfrischung abgelehnt hatte. Sein Schlaf war unterbrochen und unerquickend, merkwürdige Visionen gingen an seinen Augen vorüber, und es bedurfte beständiger und wiederholter Anstrengungen des Geistes, um sie zu verbannen. Frösteln, heftiges Kopfweh und Reißen in den Gliedern folgten auf diese Symptome und am Morgen war es seinen Hochlandsbegleitern oder Wächtern, denn er wußte nicht, für was er sie halten sollte, klar, daß er die Reise nicht fortzusetzen vermöchte. Nach langer Berathung unter einander begaben sich sechs der Leute mit ihren Waffen aus der Hütte und ließen einen alten und einen jungen Mann zurück. Der erste redete Waverley an und netzte seine Kontusionen, die jetzt durch Geschwulst und bläuliche Färbung kenntlich waren. Sein eigener Mantelsack, den die Hochländer mitgebracht hatten, versorgte ihn mit Leinwand und wurde ihm zu seiner großen Ueberraschung mit seinem vollen Inhalte zum beliebigen Gebrauch überlassen. Das Bett seines Lagers schien reinlich und bequem zu sein. Der ältere Wärter verschloß die Thür des Bettes, welches keine Vorhänge hatte, und sagte dann auf gälisch einige Worte zu Waverley, wovon dieser soviel verstand, daß er ihn zur Ruhe ermahnte. So sehen wir also unsern Helden zum zweiten Mal als Patienten eines Hochlandäskulaps, doch in einer weit weniger behaglichen Lage, als die war, während der er zu Gast bei dem würdigen Tomanrait verweilte.

Das Fieber, welches die erlittenen Quetschungen begleitete, ließ erst am dritten Tage nach, dann wich es der Pflege seiner Wärter und der Kraft seiner Konstitution, und er konnte sich jetzt in seinem Bette aufrichten, doch noch nicht ohne Schmerzen, Er bemerkte indeß, daß das alte Weib, welches seine Pflegerin machte, sowie der ältere Hochländer nicht geneigt waren, ihm zu gestatten, die Thür seines Bettes offen zu lassen, um sich mit der Beobachtung ihrer Bewegungen zu unterhalten, und nachdem Waverley die Thür endlich mehrmals geöffnet, und jene sie ebenso oft geschlossen hatten, beendete der Alte den Streit dadurch, daß er von außen einen Nagel so fest vorschlug, daß der Käfig ohne Beseitigung dieses Hindernisses nicht aufgethan werden konnte.

Während er über die Ursache dieses widersprechenden Benehmens bei Personen nachdachte, die keine Absicht auf Raub gezeigt hatten und die in andern Punkten auf sein Wohlergehen und seine Wünsche die größte Rücksicht zu nehmen schienen, erinnerte sich unser Held daran, daß es ihm während der schlimmsten Krisis seiner Krankheit vorgekommen war, als hätte eine weibliche Gestalt, die jünger wie seine Pflegerin war, sein Lager umgangen. Er hatte davon in der That nur eine sehr undeutliche Erinnerung, aber sein Verdacht wurde bestärkt, als er aufmerksam lauschend im Laufe des Tages mehrmals eine andere weibliche Stimme als die der Wärterin mit seinem Aufseher flüstern hörte. Wer konnte das sein? Und weshalb suchte sie sich so zu verbergen? Augenblicklich regte sich seine Phantasie und wendete sich auf Flora Mac-Ivor. Nach kurzem Kampfe aber zwischen dem Zweifel und seinem dringenden Verlangen, glauben zu dürfen, daß sie in seiner Nähe sei, wie ein Engel der Gnade sein Krankenlager bewachend, war Waverley zu dem Schlusse gezwungen, daß diese Vermuthung durchaus unwahrscheinlich sei; denn anzunehmen, daß sie ihren Aufenthaltsort in Glennaquoich verlassen hätte, um in das Tiefland herabzukommen, das jetzt der Schauplatz des Bürgerkrieges war, und sich in einem solchen Verstecke aufzuhalten, war unmöglich. Dennoch hüpfte sein Herz, wenn er zuweilen deutlich hören konnte, wie ein leichter weiblicher Tritt zur Thür der Hütte glitt, oder von dort herkam, oder wenn er die unterdrückten Töne einer sanften, wohlklingenden weiblichen Stimme im Zwiegespräch mit dem heiseren Gekrächz der alten Janet vernahm, so hieß, wie er gehört hatte, seine bejahrte Wärterin.

Na er weiter nichts wußte, um seine Einsamkeit zu erheitern, beschäftigte er sich mit Planen, der ängstlichen Aufmerksamkeit Janets und des alten Hochländers zum Trotz, seine Neugier zu befriedigen, den jungen Burschen hatte er seit dem eisten Morgen nicht wiedergesehen. Endlich schien ihm bei genauer Prüfung der gebrechliche Zustand seines hölzernen Gefängnisses die Mittel zur Befriedigung seiner Neugier zu bieten, denn es gelang ihm, aus einem etwas altersschwachen Brette einen Nagel herauszuziehen. Durch diese kleine Oeffnung erblickte er eine weibliche Gestalt, die, in einen Plaid gehüllt, sich mit Janet unterhielt. Aber seit den Tagen unserer Stammmutter Eva hat ungezügelte Neugier gewöhnlich durch Enttäuschung ihre Strafe gefunden. Die Gestalt war nicht die Floras, und ihr Gesicht nicht zu sehen, und seinen Verdruß zu krönen, verrieth sein leises Geräusch, als er die Oeffnung vergrößern wollte, um dadurch eine vollere Uebersicht zu gewinnen, seine Absicht, und der Gegenstand seiner Neugier verschwand augenblicklich, auch kehrte er, soweit er bemerken konnte, nicht wieder in die Hütte zurück.

Alle Vorsichtsmaßregeln, seinen Blick zu beschränken, wurden jetzt aufgegeben, und es wurde ihm nicht nur gestattet, sondern man unterstützte ihn sogar dabei, aufzustehen und das Lager zu verlassen, an das er im eigentlichen Sinne des Wortes gefesselt gewesen war; aber die Hütte durfte er nicht verlassen. Der jüngere Hochländer war jetzt wieder zu dem älteren zurückgekehrt, und einer von beiden hielt fortwährend Wache. Wenn Waverley sich der Thür der Hütte näherte, stellte sich ihm die Schildwache artig doch entschieden in den Weg, und verwehrte ihm den Austritt unter Zeichen, welche ihm anzudeuten schienen, daß Gefahr bei dem Versuche sei und ein Feind in der Nähe. Die Alte schien ängstlich und wachsam zu sein, und Waverley, der noch nicht wieder so viel Kräfte gewonnen hatte, um zu versuchen, sich trotz des Widerstandes seiner Wirthe zu entfernen, sah sich zur Geduld gezwungen. Seine Nahrung war in jeder Beziehung besser, als er erwarten konnte, denn Geflügel und Wein blieben seiner Tafel nicht fern. Die Hochländer machten nie Anspruch darauf, mit ihm zu essen, und behandelten ihn, die Bewachung ausgenommen, mit der größten Ehrerbietung. Seine einzige Zerstreuung war, aus dem Fenster oder vielmehr aus der Oeffnung, welche die Stelle eines Fensters vertrat, auf einen Bach zu blicken, der rasend und schäumend durch sein felsiges, dicht mit Bäumen und Gebüsch besetztes Bett ungefähr zehn Fuß vor seinem Gefängnisse vorüberschoß. Am sechsten Tage seiner Haft fühlte Waverley sich so wohl, daß er an die Flucht aus seinem dumpfen elenden Kerker zu denken begann, denn er glaubte, daß jede Gefahr, der er sich durch den Versuch aussetzen könnte, der unerträglichen Gleichförmigkeit in Janets Hütte vorzuziehen sei. Die Frage drängte sich freilich auf, wohin er sich wenden sollte, wenn er wieder frei über sich verfügen könnte. Zwei Pläne schienen ausführbar, beide aber waren mit Gefahren und Schwierigkeit verbunden. Der eine war, zurück nach Glennaquoich zu gehen, und zu Fergus Mac-Ivor zu stoßen, der ihn, wie er überzeugt war, freundlich aufnehmen würde, und bei seiner jetzigen Gemüthsstimmung sprach die Strenge, mit der er behandelt worden war, ihn in seinen Augen von jedem Gehorsam gegen die bestehende Regierung vollkommen frei. Der andere Plan war, womöglich einen schottischen Seehafen zu erreichen und sich von dort nach England einzuschiffen. Sein Geist schwankte zwischen diesen beiden Plänen, und hätte er seine Flucht durchgesetzt, so würde er sich wahrscheinlich durch die Leichtigkeit der Ausführung beider zu dem einen oder dem andern haben bestimmen lassen. Doch sein Geschick hatte entschieden, daß er nicht nach seinem eigenen Willen handeln solle.

Gegen den Abend des siebenten Tages öffnete sich plötzlich die Thür der Hütte, und zwei Hochländer traten ein, Waverley erkannte in ihnen zwei seiner ursprünglichen Begleiter. Sie unterhielten sich kurze Zeit mit dem alten Manne und dessen jüngerem Gefährten und gaben Waverley dann durch bedeutungsvolle Zeichen zu verstehen, daß er sich bereit halten sollte, sie zu begleiten. Das war eine freudige Mittheilung. Was während seiner Haft sich zugetragen hatte, machte es offenbar, daß er keine persönliche Beleidigung zu fürchten brauchte, und sein romantischer Sinn, der während seiner Ruhe viel von der Elasticität wiedergewonnen hatte, welche Angst, Reue, Enttäuschung und das Gemisch unangenehmer Gefühle für einige Zeit unterdrückt hatten, war jetzt der Unthätigkeit müde. Seine Leidenschaft für das Wunderbare war unter den gewöhnlichen und scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten verschwunden, von denen er in Cairnvreckan umgeben zu sein schien, obgleich es in der Natur solcher Gemüther liegt, durch den Grad der Gefahr aufgeregt zu werden, welcher dem, der ihr ausgesetzt ist, erhöhte Würde verleiht. In der That, diese Mischung aufgeregter Neugier und gesteigerter Einbildungskraft bildet eine eigene Art des Muthes, welche gewissermaßen dem Lichte gleicht, das gewöhnlich der Bergmann zu tragen pflegt, es reicht hin, ihn während o»gewöhnlichen Gefahren seiner Arbeit zu leiten und zu beruhigen; aber es verlischt eben so sicher augenblicklich, wenn er auf den furchtbaren Zufall der bösen oder schlagenden Wetter stoßen sollte. Dies Licht wurde für Waverley jetzt noch einmal angezündet, und mit einer bebenden Mischung der Furcht, Hoffnung und Besorgniß beobachtete er die Gruppe vor seinen Augen, wahrend die Neuangekommenen hastig etwas Speise zu sich nahmen und die andern sich rüsteten oder kurze Vorbereitungen zu ihrem Aufbruche trafen.

Als er in der räucherigen Hütte in einiger Entfernung von dem Feuer saß, um das die andern sich drängten, fühlte er einen leisen Druck auf seinem Arme. Er sah sich um und erblickte Alice, die Tochter Donald Bean Leans. Sie zeigte ihm ein kleines Päckchen Papier, doch so, daß es niemand merkte, drückte dann den Finger an ihre Lippen und ging vorüber, als wollte sie der alten Janet helfen, Waverleys Kleider in den Mantelsack zu packen. Offenbar wünschte sie, daß er den Schein vermeiden möchte, als kenne er sie, gleichwohl aber blickte sie wiederholt nach ihm zurück, wenn es unbemerkt geschehen konnte. Als sie sich überzeugt hatte, daß er bemerkte, was sie that, wickelte sie mit großer Geschicklichkeit das Packet in eines seiner Hemden und legte es in den Mantelsack.

Hier gab es also neue Nahrung für Vermuthungen. War Alice seine unbekannte Wärterin? War dies Mädchen der Höhle der Schutzengel, welcher während seiner Krankheit an seinem Lager wachte? Befand er sich in den Händen ihres Vaters? Und wenn dies der Fall, zu welchem Ende? Beute, sein gewöhnlicher Zweck, schien in diesem Falle nicht beabsichtigt zu sein, denn er hatte ja nicht nur sein sonstiges Eigenthum zurückerhalten, sondern auch seine Börse, welche diesen Räuber von Profession wohl hatte reizen können, war in seinem Besitze geblieben. Das alles erklärte vielleicht das Packet, aber aus Alices Benehmen ging deutlich hervor, daß sie wünschte, er möchte es heimlich zu Rathe ziehen. Auch suchte sie seine Augen nicht wieder, nachdem sie sich überzeugt hatte, daß sie beobachtet und verstanden worden sei. Im Gegentheil verließ sie bald darauf die Hütte, und erst als sie aus der Thür trat, lächelte sie, durch die Dunkelheit begünstigt, Waverley zu und deutete mit einem freundlichen Kopfnicken an, daß sie ihn und er sie verstanden. Alsdann verschwand sie in der finstern Thalschlucht.

»Gott segne Euch! Gott lasse es Euch Wohlergehen, Kapitän Waverley,« sagte Janet in gutem Niederschottisch, obgleich er bisher keine Silbe als gälisch von ihr gehört hatte. Die Ungeduld seiner Begleiter hinderte ihn, irgend eine weitere Auskunft zu erlangen.


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