Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XLIV.

Ein Umstand gibt Veranlassung zu unnützen Betrachtungen.

Als Waverley die Stelle erreichte, welche in der Kolonne durch den Clan Mac-Ivor ausgefüllt wurde, machte dieser Halt und begrüßte ihn mit einer Fanfare der Sackpfeifen und einem lauten Geschrei der Mannschaft, von der die meisten ihn persönlich kannten und entzückt waren, ihn in der Kleidung ihres Landes und ihres Stammes zu sehen. »Ihr schreit,« sagte ein Hochländer eines benachbarten Clans zu Evan Dhu, »als ob der Häuptling eben an Eure Spitze gekommen wäre.«

»Mar e Bran is e a brathair – ist es nicht Bran, so ists Brans Bruder,« war die sprichwörtliche Antwort Maccombichs.

»So ists also der hübsche Saffanagh Duinhé-wassel, den Lady Flora heiraten wird?«

»Das kann sein und kann auch nicht sein, aber das ist weder meine Sache, noch Deine, Gregor.«

Fergus trat vor, den Freiwilligen zu umarmen, und begrüßte ihn warm und herzlich; er hielt es aber für nöthig, sich wegen der verminderten Stärke seines Bataillons, welches in der That nicht über 200 Mann zählte, dadurch zu entschuldigen, daß er viele zu andern Unternehmungen abgesendet hätte.

Die Thatsache war aber, daß der Abfall Donald Bean Leans ihm wenigstens dreißig tüchtige Burschen raubte, auf deren Dienste er bestimmt gerechnet hatte, und daß manche seiner frühern Anhänger von ihren eigentlichen Häuptlingen zu den Fahnen gerufen worden waren, zu denen sie gehörten. Auch das eifersüchtige Haupt des großen nordischen Zweiges, zu dem sein eigener Clan gehörte, hatte seine Mannschaft gemustert, und obgleich er sich weder für den Chevalier, noch für die Regierung erklärte, verminderten seine Intriguen doch in etwas die Streitkräfte, mit denen Fergus in das Feld rückte. Diese getäuschten Hoffnungen zu vergüten, wurde allgemein eingestanden, daß die Mannschaft Bich Ian Vohrs in Aussehen, Equipirung, Waffen und gewandtem Gebrauch derselben den auserwähltesten Truppen gleichkäme, welche den Fahnen Karl Edwards folgten. Der alte Ballenkeiroch diente als Major und hieß wie die übrigen Offiziere, die Waverley in Glennaquoich kennen gelernt hatte, unsern Helden herzlich als den Theilnehmer ihrer Gefahren und ihres erwarteten Ruhmes willkommen.

Die Straße, welche die Hochlandarmee verfolgte, nachdem sie das Dorf Duddingstone verlassen hatte, war einige Zeit die gewöhnliche Poststraße zwischen Edinburg und Haddington, bis sie bei Musselburgh über den Esk ging; statt hier die Niederung gegen die See zu halten, wendete sie sich mehr landeinwärts und besetzte die Spitze des Carberry Hill, eines Ortes, der in der schottischen Geschichte schon dadurch berühmt war, daß die Königin Marie sich hier ihren aufrührerischen Unterthanen überlieferte. Diese Richtung wählte der Chevalier, weil er die Nachricht erhalten hatte, daß die Armee der Regierung, die zur See von Aberdeen gekommen, in Dunbar gelandet hatte, und die vorige Nacht westlich von Haddington einquartiert gewesen war, die Absicht hätte, an dem Ufer hin sich Edinburg auf der niedern Küstenstraße zu nähern. Indem er die Höhen hielt, welche die niedere Straße an vielen Stellen beherrschten, hoffte er eine Gelegenheit zu finden, den Feind mit Vortheil anzugreifen. Die Armee machte daher auf dem Kamme von Carberry Hill Halt, sowohl um die Soldaten zu erfrischen, als weil dies ein Centralpunkt war, von dem aus der Marsch nach jedem Punkte gerichtet werden konnte, wohin die Bewegungen des Feindes es räthlich machen würden. Während die Armee in dieser Stellung blieb, langte ein Bote in aller Hast an, um Mac-Ivor zu dem Prinzen zu berufen. Er fügte hinzu, daß ihre Avantgarde ein Scharmützel mit der feindlichen Kavallerie gehabt, und der Baron von Bradwardine einige Gefangene zurückgeschickt hätte.

Waverley trat etwas vor die Linie, um seine Neugier zu befriedigen und bemerkte bald fünf oder sechs Reiter, die mit Staub bedeckt, herangaloppirt kamen, um zu melden, daß der Feind in vollem Marsche längs der Küste sei und gegen Westen rücke.

Indem er noch etwas weiter vorging, fiel ihm ein schmerzliches Stöhnen auf, das aus einer Hütte ertönte. Er näherte sich dem Orte und hörte eine Stimme in dem englischen Provinzialdialekte seiner Grafschaft das Vater Unser beten, obgleich von Schmerzen oft unterbrochen. Die klagende Stimme fand eine bereite Antwort in dem Busen unseres Helden. Er trat in die Hütte und konnte in der Dunkelheit derselben anfangs nichts erkennen, als eine Art von rothem Bündel, denn die, welche den Verwundeten seiner Waffen und eines Theils seiner Kleider beraubten, hatten ihm seinen Dragonermantel gelassen, in den er gehüllt war.

»Um Gottes willen,« sagte der Verwundete, als er Waverleys Schritte hörte, »gebt mir einen einzigen Tropfen Wasser.«

»Den sollt Ihr haben,« antwortete Waverley, hob ihn zugleich auf, trug ihn zu der Thür der Hütte und ließ ihn aus seiner Feldstasche trinken.

»Die Stimme sollte ich kennen,« sagte der Mensch, aber mit einem verwirrten Blicke auf Waverleys Anzug fügte er hinzu: »Nein, das ist nicht der junge Junker.«

Dies war die gewöhnliche Benennung, mit welcher Edward auf den Besitzungen von Waverley-Haus bezeichnet wurde, und der Klang durchzuckte sein Herz mit den tausendfachen Erinnerungen, welche die wohlbekannten Töne seiner Geburtsgegend schon in ihm erweckt hatten. »Houghton,« sagte er, indem er in das blasse Gesicht des Verwundeten sah, dessen Züge der Tod schon entstellte, »könnt Ihr das sein?«

»Ich glaubte nie wieder einen englischen Laut zu hören,« sagte der Verwundete. »Sie ließen mich hier liegen, zu leben oder zu sterben, wie ich könnte, als sie sahen, daß ich ihnen nichts von der Stärke des Regiments sagen wollte. – Aber, Herr Junker, wie konntet Ihr so lange von uns fortbleiben und uns durch den bösen Feind aus der Hölle, den Ruffin, versuchen lassen? – Wir wären Euch ganz gewiß durch Wasser und Feuer gefolgt!«

»Ruffin? Ich versichere Euch, Houghton, Ihr seid schändlich hintergangen worden.« »Das dachte ich oft,« entgegnete Houghton, »obgleich sie uns Euer Siegel zeigten. So wurde Tims erschossen und ich zum Gemeinen degradirt.«

»Erschöpft Euch nicht durch das Sprechen,« sagte Edward; »ich will sogleich einen Chirurg besorgen,«

Er sah Mac-Ivor sich nähern, der vom Hauptquartier zurückkehrte, wo er einem Kriegsrathe beigewohnt hatte, und der ihm eilig entgegenkam,

»Gute Nachrichten!« rief der Häuptling, »In weniger als zwei Stunden werden wir an einander sein. Der Prinz hat sich selbst an die Spitze der Avantgarde gestellt, und als er das Schwert zog, rief er aus: »Meine Freunde, ich habe die Scheide fortgeworfen! – Kommt, Waverley, wir marschiren sogleich.«

»Einen Augenblick, einen Augenblick, dieser arme Gefangene stirbt, wo finde ich einen Chirurg?«

»Ei, wo solltet Ihr? Wir haben keinen, wie Ihr wißt, ausgenommen zwei oder drei Franzosen, die, wie ich glaube, wenig besseres sind als garçons apothécaires.«

»Aber der Mensch verblutet sich.«

»Der arme Bursche!« sagte Fergus in einem augenblicklichen Anfalle der Theilnahme, sogleich aber setzte er hinzu: »Das wird, noch ehe die Nacht anbricht, das Schicksal von Tausenden sein, kommt also.«

»Ich kann nicht, er ist ein Pächterssohn von unsern Gütern.«

»O, wenn er einer von Euren Leuten ist, muß für ihn gesorgt werden. Ich will Callum zu Euch schicken, aber diaoul! – ceade millia molligheart,« fuhr der ungeduldige Häuptling fort, »was macht denn ein alter Soldat wie Bradwardine, daß er uns Sterbende zur Last fallen läßt.«

Callum kam mit seiner gewöhnlichen Schnelligkeit herbei, und Waverley stieg in der That in der Meinung der Hochländer durch seine Besorgniß für den verwundeten Mann. Sie würden schwerlich die allgemeine Menschenliebe begriffen haben, die es Waverley unmöglich gemacht hätte, irgend jemand in einer solchen Lage hilflos zu lassen, als sie aber hörten, daß der Verwundete einer der Seinigen sei, da gestanden sie einstimmig, Waverleys Benehmen sei das eines freundlichen, folgsamen Häuptlings, der die Anhänglichkeit seiner Leute verdiene. – In weniger als einer Viertelstunde hauchte der arme Humphrey seinen letzten Seufzer aus, indem er seinen jungen Gebieter bat, wenn er nach Waverley zurückkehre, gütig gegen den alten Job Houghton und dessen Frau zu sein, und ihn beschwor, nicht mit diesen wilden Unterrocksmännern gegen Altengland zu fechten.

Als er den letzten Athemzug ausgestoßen hatte, gebot Waverley, der mit aufrichtigem Kummer und nicht ohne Reue hier zum ersten Male Zeuge des Todeskampfes war, daß Callum die Leiche in die Hütte schaffen sollte. Dies that der junge Hochländer, doch nicht ohne die Taschen des armen Verstorbenen zu durchsuchen, die aber, wie er bemerkte, schon vortrefflich gesäubert waren. Er zog jedoch dem Todten die Uniform aus und versteckte diese mit der Vorsicht eines Hundes, der einen Knochen vergräbt, in einem dichten Busche Ginster. Den Ort merkte er sich genau, indem er sagte, wenn er auf diesem Wege glücklich zurückkommen sollte, so würde das eine vortreffliche Jacke für seine alte Mutter Elspat geben.

Nach einer beträchtlichen Anstrengung erreichten sie ihre Stelle in der marschirenden Kolonne, welche jetzt schnell vorrückte, um die Höhen über dem Dorfe Tranent zu besetzen. Zwischen diesem und dem Meere mußte nämlich die feindliche Armee ihren Marsch nehmen.

Dies traurige Zusammentreffen mit seinem früheren Unteroffizier zwang Waverley manche nutzlose, doch peinliche Betrachtungen auf. Nach den Geständnissen dieses Mannes war es klar, daß die Schritte des Obersten Gardiner streng pflichtgemäß und sogar unvermeidlich gewesen waren, nach allem, was in Edwards Namen gethan worden war, um dessen Leute zur Meuterei zu reizen. Des Umstandes mit dem Siegel erinnerte er sich jetzt zum ersten Male wieder, und wahrscheinlich mußte er es in der Höhle des Bean Lean verloren haben. Daß der listige Schurke es gestohlen und als Mittel benutzt hatte, zu seinem eigenen Zwecke irgend eine Intrigue in dem Regimente zu spielen, war jetzt deutlich genug, und Edward zweifelte nicht daran, daß er in dem Päckchen, welches dessen Tochter in seinem Mantelsack verborgen hatte, weiteres Licht finden würde. Dabei tönte der wiederholte Ausruf Houghtons: »Ach, Herr Junker, weshalb seid Ihr von uns gegangen?« gleich einer mahnenden Glocke in seinen Ohren. »Ja,« sagte er, »ich habe in der That gegen Euch mit gedankenloser Grausamkeit gehandelt. Ich entriß Euch Euren väterlichen Fluren und dem Schutze eines großmüthigen und freundlichen Herrn, und als ich Euch der ganzen Strenge militärischer Disciplin unterworfen hatte, scheute ich mich, meinen eigenen Theil an der Bürde zu tragen, und entzog mich den Pflichten, die ich übernommen hatte; so überließ ich die, deren Schutz meine Pflicht war, sowie meinen eigenen Ruf den Ränken der Schurkerei. O, Trägheit und Unentschlossenheit des Herzens! Wenn ihr nicht an und für sich Laster seid, zu wie viel Elend und Mißgeschick könnt ihr dennoch so häufig den Weg bahnen.«


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