Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XIX.

Ein Hochlandsfest.

Ehe Waverley die Festhalle betrat, wurde ihm die patriarchalische Erfrischung eines Fußbades geboten, welche das schwüle Wetter und die Sümpfe, die er durchschritten hatte, sehr annehmbar machten. Aber er wurde nicht so üppig bedient wie die heldenhaften Wanderer in der Odyssee, es war kein reizendes Weib, die das Abwaschen und Abtrocknen übernahm, geübt

Die Glieder sanft zu reiben,
Zu spenden edlen Oeles Duft,

sondern ein verräuchertes altes Hochlandsweib, das sich durch die ihm auferlegte Pflicht nicht sehr geehrt zu fühlen schien, sondern zwischen den Zähnen brummte: »Unserer Väter Herde lagen nicht so nahe beisammen, daß ich Euch diesen Dienst leisten müßte.« Doch ein kleines Geschenk sühnte die bejahrte Magd mit der Last des entwürdigenden Amtes aus, und als Edward der Halle zuschritt, ertheilte sie ihm ihren Segen mit dem gälischen Sprichwort: »Möge die offene Hand am reichsten gefüllt werden.«

Die Halle, in welcher das Fest bereitet war, nahm den ganzen ersten Stock von Ian nan Chaistels ursprünglichem Bau ein, und ein schwerer Eichentisch deckte die ganze Länge des Zimmers. Die Zubereitungen zu dem Mahle waren einfach bis zur Aermlichkeit, die Gäste zahlreich bis zum Gedränge. An dem obern Ende der Tafel saß der Häuptling, neben ihm Edward und zwei Hochlandsgaste von benachbarten Clans, die Aeltesten seines eigenen Stammes, Erbpächter und Zinsleute nahmen den nächsten Rang ein, auf diese folgten deren Söhne, Neffen und Milchbrüder, dann die Beamten von des Häuptlings Haushaltung nach ihrem Range, und zu unterst von allen die Hintersassen, welche den Boden wirklich bebauten. Und über diese lange Reihe noch hinaus konnte Edward im Freien, wohin sich zwei schwere Flügelthüren öffneten, eine, Menge von Hochländern von noch geringerem Stande sehen, welche dennoch als Gäste betrachtet wurden und nicht nur unter dem Schütze des Gastgebers standen, sondern auch an seinen Festen ihren Antheil hatten. In der Ferne um diese äußerste Grenze des Banketts hin und her geschäftig, zeigte sich eine Menge von Weibern, zerlumpten Knaben und Mädchen, alten und jungen Bettlern und Hunden aller Gattungen; sie alle nahmen einen unmittelbaren oder mittelbaren Antheil an dem Feste.

Diese scheinbar unbegrenzte Gastfreiheit hatte gleichwohl ihre ökonomische Beschränkung. Einige Mühe war auf die Fische und das Wildpret, das in Schüsseln am obern Ende der Tafel servirt und den Augen des englischen Gastes unmittelbar ausgesetzt war, verwendet worden. Weiter unten standen gewaltige Schüsseln mit Hammel- und Rindfleisch, welche, wenn Schweinefleisch dabei gewesen wäre, das in den Hochlanden verabscheut wird, viel Aehnlichkeit mit dem rohen Festmahl für die Freier der Penelope gehabt hätten. Das Hauptgericht war ein jähriges Lamm, das ganz gebraten war. Es stand auf den Beinen mit einem Büschel Petersilie im Maule und wurde wahrscheinlich in dieser Stellung aufgetragen, um den Stolz des Koches zu kitzeln, der mehr auf die Fülle, als auf die Zierlichkeit bei der Tafel seines Gebieters sah. Die Seiten dieses armen Thieres wurden von den Clansleuten tapfer angegriffen, von den einen mit Dolchen, von den andern mit den Messern, welche sie gewöhnlich in derselben Scheide mit den Dolchen trugen, so daß das Ganze bald einen traurigen Anblick gewährte. Noch weiter unten an dem Tische schienen die Speisen noch geringerer Art zu sein, obgleich in reichlicher Menge vorhanden. Fleischbrühe, Zwiebeln, Käse und die Ueberbleibsel des Festes regalirten die »Söhne« Ivors, die in freier Luft tafelten.

Die Getränke wurden in demselben Verhältnisse und nach ähnlichen Regeln vertheilt. Vortrefflicher Champagner und Claret flossen reichlich unter des Häuptlings unmittelbaren Nachbarn: Whisky, rein oder vermischt, und starkes Bier erquickten die, welche am unteren Ende der Tafel saßen. Uebrigens schien diese ungleiche Vertheilung niemanden zu verletzen. Jeder Anwesende erkannte, daß sein Geschmack sich nach dem Range richten müsse, den er an der Tafel einnahm, die Freisassen und ihre Angehörigen versicherten daher, daß der Wein für ihren Magen zu kalt wäre, und forderten scheinbar nach Wahl das Getränk, welches ihnen aus Sparsamkeit angewiesen wurde. Die Sackpfeifer spielten während der ganzen Essenszeit einen lärmenden Kriegsgesang, und das Echo des gewölbten Gemachs und das Geräusch der celtischen Sprache brachten ein solches babylonisches Gewirr hervor, daß Waverley fürchtete, seine Ohren möchten sich nie davon erholen. Mac-Ivor suchte die Verwirrung, die durch eine so große Gesellschaft veranlaßt wurde, zu entschuldigen, und bezog sich auf seine Lage, die ihm unbegrenzte Gastfreiheit zur Pflicht machte. »Diese meine kräftigen müßigen Lehnsleute,« sagte er, »glauben, daß ich meine Besitzungen zu ihrem Unterhalte habe, und ich muß Rindfleisch und Ale für sie herschaffen, während die Schelme nichts für sich selbst thun, als sich mit dem Schwerte üben, oder über die Berge wandern, um zu schießen, zu fischen, zu jagen, zu trinken und mit den Mädchen des Thales zu liebeln. Aber was kann ich thun, Kapitän Waverley? Jedes Ding hält sich nach seiner Art, mag es nun ein Habicht oder ein Hochländer sein.«

Waverley gab die erwartete Antwort durch eine Schmeichelei über den Besitz so viele kühner und treuer Anhänger.

»Ei ja,« entgegnete der Häuptling, »wollte ich meines Vaters Weg einschlagen, um einen Streich auf den Kopf oder zwei in das Genick zu bekommen, so glaube ich wohl, daß die Burschen mir beistehen würden. Aber wer denkt daran in unsern Tagen, wo der Wahlspruch geht: Besser ein altes Weib mit dem Geldbeutel in der Hand, als drei Männer mit geschwungenem Schwert.« – Hierauf wendete er sich zur Gesellschaft und brachte die Gesundheit aus auf Kapitän Waverley, einen würdigen Freund seines guten Nachbarn und Verbündeten, des Baron von Bradwardine.

»Ei ist willkommen hier,« sagte einer der Alten, »wenn er von Cosmo Comyne Bradwardine kommt.«

»Ich sage nein dazu,« rief ein anderer Alter, der offenbar nicht in die Gesundheit mit einstimmen wollte, »ich sage nein dazu. So lange es ein grünes Blatt im Walde gibt, herrscht auch Falschheit bei einem Comyne.«

»Es ist Ehre in dem Baron von Bradwardine,« antwortete wieder ein anderer Alter, »und der Gast, der von ihm Hieher kommt, sollte willkommen sein, erschiene er auch mit Blut an seiner Hand, wenn es nur kein Blut vom Stamme Foors ist.«

Der alte Mann, dessen Becher gefüllt blieb, antwortete: »Es klebt genug Blut von dem Stamme Foors an der Hand Bradwardines.«

»Ha, Ballenkuiroch,« entgegnete der erste, »Ihr denkt mehr an den Blitz der Muskete auf den Gefilden von Tully-Beolan als an das Blitzen des Schwertes, das bei Preston für unsere Sache focht.«

»Und das darf ich,« antwortete Ballenkuiroch, »der Blitz der Muskete kostete mich einen blondlockigen Sohn, und das blinkende Schwert hat nur wenig für König Jakob gethan.«

Der Häuptling erklärte Waverley mit zwei Worten auf französisch, daß der Baron vor sieben Jahren dieses alten Mannes Sohn in einem Gefechte bei Tully-Veolan erschossen hätte, und eilte dann, Ballenkuirochs Vorurtheil zu beseitigen, indem er ihm sagte, daß Waverley ein Engländer sei und mit der Familie Bradwardine weder durch Blut, noch durch Heirat verbunden. Darauf erhob der Alte seinen bisher unberührten Becher und trank höflich auf des Kapitäns Gesundheit. Als so der Alte beschwichtigt war, gab der Häuptling den Pfeifern das Zeichen aufzuhören und rief laut: »Wo hat sich der Gesang versteckt, meine Freunde, daß Mac-Murrough ihn nicht finden kann?«

Mac-Murrough, der Familienbarde, ein bejahrter Mann, beachtete den Wink und begann mit leisen und schnellen Tönen eine Menge lettischer Verse vorzutragen, welche von den Zuhörern mit enthusiastischem Beifall vernommen wurden. Je weiter er in seiner Deklamation kam, desto mehr schien seine Gluth zuzunehmen.: Anfangs hatte er mit auf den Boden gehefteten Augen gesprochen, dann ließ er seine Blicke umherschweifen, als suche, bald auch, als gebiete er Aufmerksamkeit, und seine Stimme erhob sich zu wilden leidenschaftlichen Tönen, die passende Geberden begleiteten. Es schien Edward, der ihm mit der größten Aufmerksamkeit folgte, als nenne er viele Eigennamen, beklage die Todten, rede die Abwesenden an, ermahne, beschwöre, beseele die Anwesenden. Waverley glaubte sogar seinen eigenen Namen zu hören und überzeugte sich von der Richtigkeit seiner Vermuthung, als die Augen der ganzen Gesellschaft sich gleichzeitig auf ihn richteten. Die Gluth des Sängers schien sich den Zuhörern mitzutheilen. Ihre wilden sonnenverbrannten Gesichter nahmen einen feurigeren, belebteren Ausdruck an, alle neigten sich vorwärts gegen den Sänger, mehrere sprangen auf und schwangen verzückt die Arme, andere legten die Hand an ihr Schwert. Als der Gesang geendet, entstand eine tiefe Pause, während welcher die aufgeregten Gefühle des Sängers und der Zuhörer allmählich wieder zur Ruhe kamen.

Der Häuptling, welcher während dieses Auftrittes mehr die erweckte Aufregung zu beobachten, als den Enthusiasmus selbst zu theilen schien, füllte einen kleinen silbernen Becher, der vor ihm stand, mit Claret und sagte zu einem der Diener: »Gib dies an Mac-Murrough nan Jonn, d. h. vom Liede, und wenn er getrunken hat, möge er zum Andenken an Bich Ian Vohr das Gefäß behalten.« Mac-Murrough empfing die Gabe mit inniger Dankbarkeit; er trank den Wein, küßte den Becher und schob ihn voll Ehrfurcht in die Falten seines über die Brust geschlungenen Plaids. Dann ließ er einen Gesang erschallen, den Edward mit Recht für einen aus dem Stegreif gedichteten Dank und Lobgesang auf seinen Häuptling hielt. Er wurde ebenfalls mit Beifall aufgenommen, brachte aber nicht die Wirkung des ersten Liedes hervor. Dennoch war es offenbar, daß der Clan die Freigebigkeit seines Häuptlings mit hoher Billigung sah. Hierauf wurden mehrere gälische Trinksprüche ausgebracht, und von einigen gab der Häuptling seinem Gaste die Uebersetzung; sie lauteten:

»Dem, der weder Freund noch Feind den Rücken kehrt!«

»Dem, der nie einen Kameraden verließ!«

»Dem, der nie Gerechtigkeit kaufte oder verkaufte!«

»Gastfreundschaft für den Landflüchtigen, zerbrochene Knochen für den Tyrannen!«

»Den Burschen mit dem Schwert!«

»Hochländer, Schulter an Schulter!«

Andere drückten Gedanken ähnlicher Art aus.

Edward war besonders begierig, den Sinn jenes Gesanges kennen zu lernen, der die Leidenschaften der Gesellschaft so tief aufgeregt hatte, und theilte seinem Wirthe seinen Wunsch mit, »Da ich bemerke,« versetzte der Häuptling, »daß Ihr die Flasche während der letzten drei Stunden unberührt vorbeigehen ließet, wollte ich Euch eben den Vorschlag machen, Euch zu dem Theetisch meiner Schwester zurückzuziehen, die Euch diese Dinge besser erklären kann als ich. Obgleich ich meinen Clan bei dem gewöhnlichen Laufe meiner Feste nicht beschränken kann, bin ich doch selbst nicht geneigt, an demselben bis zu Ende Theil zu nehmen; auch halte ich nicht,« fügte er lächelnd hinzu, »einen Bären, um den Verstand derer zu verschlingen, welche davon guten Gebrauch zu machen wissen.«

Edward war mit dem Vorschlage einverstanden. Der Häuptling richtete einige Worte an die zunächst Sitzenden und verließ, von Waverley begleitet, die Tafel. Als die Thür sich hinter ihnen schloß, hörte Edward, wie die Gesundheit Bichs Ian Vohr mit lautem wildem Geschrei ausgebracht wurde, und er erkannte daraus sowohl die Zufriedenheit der Gäste, als ihre unbedingte Ergebenheit in seinen Dienst.


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