Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XVI.

Die Burg eines Hochland-Räubers.

Die Ruderer beobachteten ein tiefes Stillschweigen, das nur durch einen vom Steuermann monoton gebrummten gälischen Gesang unterbrochen wurde, und nach dem der Takt der Ruder geregelt zu werden schien, die sich gleichmäßig ins Wasser senkten. Das Licht, dem sie sich jetzt noch mehr näherten, nahm einen größeren, rötheren und unregelmäßigeren Glanz an, bald zeigte es sich deutlich als ein großes Feuer; ob es aber auf einer Insel oder auf dem Festlande angezündet sei, vermochte Edward nicht zu entdecken. Sie kamen näher, und das Licht des Feuers zeigte hinlänglich, daß es in der Tiefe eines finstern Felsvorsprunges angezündet war, der vom Saume des Wassers steil aufstieg, und dessen Fläche, durch den Widerschein dunkelroth gefärbt, einen sonderbaren und selbst unheimlichen Contrast mit dem nebenliegenden Ufer bot, das von Zeit zu Zeit von dem matten Mondlichte spärlich beschienen wurde.

Das Boot näherte sich jetzt der Küste, und Edward konnte erkennen, daß das gewaltige Feuer, welches durch zwei Gestalten unterhalten wurde, die in dem rothen Lichte Dämonen glichen, in der Mündung einer Höhle angezündet war, in welche von dem See aus ein Eingang zu führen schien. Er vermuthete, wie es auch in der That der Fall war, daß das Feuer angezündet worden sei, um den Bootsleuten bei ihrer Rückkehr als Richtschnur zu dienen. Sie steuerten gerade auf die Mündung der Höhle zu, zogen ihre Ruder ein, und das Boot lief unter der Nachwirkung des empfangenen Stoßes in die Oeffnung. Das Fahrzeug glitt an der kleinen Platform des Felsen, auf der das Feuer brannte, vorüber, und ungefähr zwei Bootslängen weiter legte es an einer Stelle an, wo die Höhle, die oberhalb gewölbt war, in fünf oder sechs breiten Felsschichten aus dem Meere emporstieg, so daß sie als eine natürliche Treppe betrachtet werden konnten. In diesem Augenblicke wurde plötzlich eine Masse Wasser auf das Feuer geworfen, so daß es zischend erlosch, und mit ihm das Licht verschwand, das es bisher verbreitet hatte. Vier oder sechs kräftige Arme hoben Waverley aus dem Boote, stellten ihn auf die Füße und trugen ihn beinahe in die Höhle. Er that im Dunkeln ein paar Schritte und näherte sich einem Geräusch von Stimmen, welches aus dem Innern des Felsen zu kommen schien, und bei einer plötzlichen Wendung standen Donald Bean Lean und seine ganze Niederlassung vor ihm.

Das Innere der Höhle, welche sehr hoch war, wurde durch Kienfackeln beleuchtet, welche ein hellflackerndes und von einem starken, doch nicht unangenehmen Geruch begleitetes Licht verbreiteten. Das Licht wurde durch den rothen Schein eines Steinkohlenfeuers unterstützt, an welchem fünf oder sechs bewaffnete Hochländer saßen, während andere in der Tiefe der Höhle auf ihren Plaids schliefen. In einer breiten Oeffnung, welche der Räuber witzig seinen Brodschrank nannte, hing an den Hinterbeinen ein zerlegtes Schaf und zwei kürzlich geschlachtete Kühe. Der vornehmste Bewohner dieses eigenthümlichen Hauses kam, von Evan Dhu als Ceremonienmeister begleitet, seinem Gaste entgegen. In seinem Aeußern und Wesen war er ganz von dem verschieden, was Waverleys Einbildungskraft sich unter ihm vorgestellt hatte. Das Handwerk, welches er trieb, die Wildniß, in der er lebte, die wilden Kriegergestalten, die ihn umgaben, waren berechnet, Schrecken einzuflößen. Nach diesen Umgebungen war Waverley darauf gefaßt, eine finstere riesenmäßige Gestalt zu erblicken, wie Salvator sie zum Mittelpunkt einer Banditengruppe gewählt haben würde.

Donald Bean Lean war das Gegentheil von alle dem. Er war mager und klein von Gestalt, hatte röthliches Haar und ein blasses Gesicht, von welchem er seinen Beinamen Bean »der Weiße« ableitete, und obgleich er gewandt, wohlgebaut und lebhaft schien, war er doch im Ganzen nur eine unbedeutende Figur. Er hatte in der französischen Armee gedient, und um seinen englischen Gast mit größerer Formalität zu empfangen, und wahrscheinlich weil er ihm dadurch eine Artigkeit zu erweisen meinte, hatte er für den Augenblick seine Hochlandstracht abgelegt und eine alte blaue und rothe Uniform geringeren Ranges angezogen, und dazu einen Federhut aufgesetzt, der ihn durchaus nicht vortheilhaft kleidete, und Waverley beinahe zum Lachen gereizt hätte, wenn dies artig oder rathsam gewesen wäre. Der Räuber empfing Kapitän Waverley mit einem Schwalle französischer Artigkeiten und schottischer Gastfreundlichkeit. Er schien seinen Namen und seine Verbindungen genau zu kennen und besonders von den politischen Gesinnungen seines Oheims genau unterrichtet zu sein. Diesen widmete er große Lobsprüche, die Waverley nur obenhin zu beantworten für klug hielt. Nachdem sie in gehöriger Entfernung von dem Steinkohlenfeuer Platz genommen hatten, setzte ein großes starkes Hochlandsmädchen vor Waverley, Evan und Donald Bean drei hölzerne Gefäße, mit einer starken, aus einem besondern Theile des Rindes bereiteten Suppe hin. Nach dieser Erquickung, die durch Anstrengung und Hunger eßbar gemacht wurde, trug man dünne geröstete Fleischschnittchen in reichlicher Menge auf, und sie verschwanden vor Donald, Evan Dhu und ihrem Gaste mit einer Schnelligkeit, die zauberhaft schien und Waverley in Erstaunen setzte. Er wußte sich diese Gefräßigkeit nach allem, was er von der Enthaltsamkeit der Hochländer gehört hatte, nicht zu erklären. Es war ihm unbekannt, daß diese Enthaltsamkeit bei den geringeren Ständen nur Sache des Zwanges war, und daß die, welche sie übten, sich nach Art der Raubthiere bei Gelegenheit reichlich schadlos zu halten wußten, wenn der Zufall ihnen Ueberfluß in den Weg warf. Der Whisky wurde dann aufgetragen, um das Mahl zu krönen. Die Hochländer tranken reichlich und ungemischt davon, Edward aber, der etwas davon mit Wasser vermischt hatte, fand ihn nicht von solchem Geschmacke, daß er bewogen wurde, mehr zu trinken. Sein Wirth entschuldigte sich, daß er seinem Gast keinen Wein anbieten könnte. Hätte er nur vor vierundzwanzig Stunden von seinem Besuche gewußt, so würde er, wie er sagte, welchen gehabt haben, und hätte er ihn vierzig Meilen in der Runde aufsuchen lassen sollen. Aber kein Edelmann, fügte er hinzu, könnte die Ehre, die ihm durch einen Besuch widerführe, genügender anerkennen, als dadurch, daß er dem Gaste das Beste anböte, was sein Haus enthielte. Wo keine Bäume wären, könne es keine Nüsse geben, und mit denen man lebte, deren Lebensweise müsse man folgen.

Er beklagte dann gegen Evan Dhu den Tod eines alten Mannes, Donnacha an Amrigh oder Duncan mit der Kappe, eines »begabten Sehers«, der vermittelst des zweiten Gesichtes Gäste jeder Art anmeldete, welche die Höhle besuchten, entweder als Freunde oder als Feinde.

»Ist nicht sein Sohn Malcolm taishatr?« fragte Evan.

»Nicht in dem Grade wie sein Vater,« entgegnete Donald Bean. »Neulich sagte er uns, wir würden einen großen Herrn zu Roß erblicken, und den ganzen Tag kam niemand als Shemus Beg, der blinde Harfner, mit seinem Hunde. Ein andermal benachrichtigte er uns von einer Hochzeit, und siehe da, es war ein Begräbnis, und als er uns bei dem Streifzuge hundert Stück Hornvieh voraussagte, faßten wir nichts als einen fetten Rathsmann aus Perth.«

Von diesem Gespräche ging er auf den politischen und militärischen Zustand des Landes über, und Waverley staunte und erschrak sogar, einen Menschen dieser Art so genau mit der Stärke der verschiedenen Garnisonen und Regimenter vertraut zu finden, welche nördlich des Tay lagen. Er erwähnte sogar genau die Zahl der Rekruten, welche zu Waverleys Regiment von den Gütern seines Oheims gestoßen war, und sagte, sie wären hübsche Leute, womit er nicht meinte, sie wären hübsch, sondern kräftig und kriegerisch. Er erinnerte Waverley an zwei besondere Umstände, die sich bei einer allgemeinen Revue seines Regimentes zugetragen hätten, woraus dieser ersah, das der Räuber Augenzeuge gewesen war. Evan Dhu hatte sich inzwischen von dem Gespräche zurückgezogen und in seinen Plaid gehüllt, um der Ruhe zu genießen, und Donald fragte darauf Edward auf sehr bedeutsame Weise, ob er ihm nichts Besonderes zu sagen hätte.

Waverley, der über eine derartige Frage von solch einem Menschen erstaunt war, antwortete, er hätte keinen Grund zu dem Besuche gehabt als die Neugier, einen so merkwürdigen Aufenthaltsort zu sehen, Donald Bean Lean sah ihm einen Augenblick fest in das Gesicht und sagte dann mit bedeutungsvollem Kopfnicken: »Ihr hättet mir ebenso gut vertrauen können; ich bin des Vertrauens ebenso würdig wie der Baron von Bradwardine oder Bich Ian Vohr. – Aber Ihr seid in meinem Hause nichts desto weniger sehr willkommen.«

Waverley fühlte sich von unwillkürlichem Schauder bei dieser geheimnißvollen Sprache des gesetzlosen Banditen durchrieselt, und trotz seiner Versuche, das Gefühl zu bemeistern, beraubte es ihn doch der Kraft, nach dem Sinne jener Andeutungen zu fragen. Ein Lager von Haidekraut war für ihn in einem Winkel der Höhle bereitet worden, und mit den Plaids zugedeckt, die erübrigt werden konnten, lag er hier noch einige Zeit und beobachtete die Bewegungen der anderen Höhlenbewohner. Kleine Abtheilungen von zweien oder dreien betraten oder verließen die Höhle ohne jede andere Ceremonie, als einige gälische Worte an den Häuptling, und als dieser eingeschlafen war, an einen großen Hochländer, seinen Lieutenant, der während der Ruhe des Führers Wache zu halten schien. Die Eintretenden schienen von irgend einer Excursion zurückzukehren und den Erfolg derselben zu berichten, worauf sie ohne weitere Umstände zu der Vorrathskammer schritten, wo sie sich ein Stück von dem dort hängenden Fleisch abschnitten, was sie alsbald nach eigenem Gefallen kochten und aßen. Der Branntwein stand unter strenger Aufsicht und wurde entweder von Donald selbst, seinem Lieutenant oder dem oben erwähnten Mädchen ausgetheilt, welches das einzige weibliche Geschöpf war, das sich zeigte. Die Portion würde jedem andern als einem Hochländer reichlich erschienen sein, diese aber, welche in einem feuchten Klima beständig in freier Luft leben, können eine große Quantität starker Getränke vertragen, ohne eine nachtheilige Wirkung auf ihr Hirn oder auf ihre Gesundheit zu spüren.

Endlich begannen die einzelnen Gruppen vor den sich schließenden Augen unseres Helden zu verschwimmen, und er öffnete sie nicht eher wieder, als bis die Morgensonne draußen schon hoch über dem See stand, obgleich in der Höhle Uaimh an Ri oder der Königshöhle, wie dieser Aufenthaltsort Donald Bean Leans stolz genannt wurde, nur ein mattes Zwielicht herrschte.


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