Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel LVIII.

Ein Scharmützel.

Der Leser braucht kaum daran erinnert zu werden, daß die Hochländer nach einem Kriegsrathe, den sie am 5. Dezember in Derby hielten, ihre verzweifelte Unternehmung aufgaben, weiter nach England vorzudringen, und daß sie zum großen Mißvergnügen ihres jungen kühnen Führers die Rückkehr nach Norden beschlossen. Sie begannen also den Rückzug und kamen durch die außerordentliche Schnelligkeit ihrer Bewegungen denen des Herzogs von Cumberland zuvor, der sie mit einem starken Korps Kavallerie verfolgte. Dieser Rückzug war eine Verzichtleistung auf ihre hochfliegenden Hoffnungen. Keiner war so sanguinisch gewesen als Fergus Mac-Ivor, keiner sah sich daher durch die neuen Maßnahmen so grausam getäuscht wie er. Er widersprach in dem Kriegsrathe mit der größten Heftigkeit, und als seine Meinung verworfen wurde, vergoß er Thränen des Kummers und Unwillens. Von diesem Augenblicke an war sein ganzes Wesen so sehr verändert, daß er kaum mehr als jener von Leidenschaft glühende Mensch wieder zu erkennen war, dem noch eine Woche zuvor die ganze Welt zu eng erschienen war. Der Rückzug währte schon einige Tage, als Edward zu seiner Ueberraschung früh am 12. Dezember einen Besuch des Häuptlings auf dem halben Wege zwischen Shap und Penrith in seinem Quartier empfing.

Da sie seit ihrem Bruche nicht in Verkehr gestanden hatten, so sah Waverley mit einiger Beklemmung der Erklärung dieses unerwarteten Besuches entgegen, zumal die Veränderungen in Mac-Ivors Aeußern ihn überraschten und betrübten. Sein Auge hatte von seinem Feuer verloren, seine Wangen waren eingefallen, seine Stimme leiser, und selbst sein Gang schien weniger fest und kräftig als sonst, sein Anzug, auf den er früher besondere Aufmerksamkeit verwendete, war sorglos übergeworfen. Er forderte Edward auf, mit ihm hinaus an den kleinen Fluß zu kommen, der in der Nähe vorüberfloß, und lächelte trübe, als er sah, wie Waverley sein Schwert umschnallte.

Sobald sie auf dem einsamen wilden Pfade am Ufer des Flusses waren, sagte der Häuptling: »Unser schönes Abenteuer ist jetzt gänzlich ins Wasser gefallen, Waverley, und ich wünschte zu wissen, was Du zu thun beabsichtigst, – nein, starre mich nicht so an, Mensch. In einem Briefe, den ich nach unserem Streite schrieb, machte ich meine Schwester mit der Ursache desselben bekannt, und sie antwortet mir jetzt, daß sie nie die Absicht gehabt hätte oder hätte haben können, Dich zu ermuthigen. Ich scheine daher wie ein Wahnsinniger gehandelt zu haben. Die arme Flora! Sie schreibt sehr heiter; wie wird die Nachricht von diesem unglücklichen Rückzuge ihre Stimmung verändern.«

Waverley, der durch den Ton tiefer Melancholie, in dem Fergus sprach, wahrhaft betrübt wurde, bat ihn herzlich, jede Erinnerung an die unfreundlichen Worte, die sie mit einander gewechselt hatten, zu vergessen, und sie schüttelten einander die Hände mit aufrichtiger Herzlichkeit. Fergus fragte Waverley abermals, was er zu thun gedächte. »Wäre es nicht besser,« sagte er, »Du verließest diese unglückliche Armee, gingest nach Schottland voraus und schifftest Dich in einem der östlichen Häfen, die noch in unserem Besitze sind, nach dem Kontinente ein? Bist Du außer dem Bereiche, so werden Deine Freunde leicht Deine Begnadigung bewirken; und Dir die Wahrheit zu gestehen, wünschte ich, daß Du Rosa Bradwardine als Dein Weib mitnähmest und Flora unter eurem gemeinsamen Schutz.« – Edward sah ihn überrascht an. – »Sie liebt Dich, und ich glaube, Du liebst sie auch, obgleich Du es noch nicht an Dir entdeckt hast, denn Du bist nicht besonders befähigt, den eigenen Gemüthszustand zu beurtheilen.« Dies sagte er mit lächelnder Miene.

»Wie kannst Du mir rathen,« antwortete Edward, »die Unternehmung zu verlassen, zu der wir uns alle eingeschifft haben?«

»Eingeschifft?« sagte Fergus. »Das Schiff geht in Trümmer, und es ist Zeit für jeden, der es kann, das Langboot zu erreichen und sich zu retten.«

»Was werden aber andere Edelleute thun,« antwortete Waverley, »und weshalb willigten die Hochlandshäuptlinge in diesen Rückzug, wenn er so verderblich ist?«

»O,« entgegnete Mac-Ivor, »sie denken, daß, wie bei frühern Gelegenheiten, das Hängen, Köpfen, Konfisciren hauptsächlich den Tieflandsadel treffen wird, daß sie sicher in ihrer Armut und in ihrer Wildniß bleiben werden, um dort, wie das Sprichwort sagt, auf dem Berge dem Winde zu lauschen, bis das Wasser fällt. Aber sie werden sich täuschen, sie sind zu oft Ruhestörer gewesen, um wieder übergangen zu werden, und John Bull wurde diesmal zu sehr erschreckt, um seine gute Laune so bald wieder zu gewinnen. Die hannoverschen Minister verdienten immer als Schurken gehangen zu werden; wenn sie aber jetzt die Gewalt in die Hände bekommen, so verdienen sie den Galgen als Narren, wenn sie nur einen einzigen Clan im Hochlande in der Lage lassen, die Regierung je wieder zu beunruhigen. Und sie werden reine Bahn machen, dafür stehe ich.«

»Und während Du mir zur Flucht räthst,« sagte Edward, »was sind Deine Absichten?«

»O,« antwortete Fergus mit einem melancholischen Blick, »mein Geschick steht fest. Vor morgen Abend bin ich todt oder gefangen.«

»Was willst Du damit sagen, mein Freund?« sagte Edward. »Der Feind ist noch einen Tagemarsch hinter uns zurück, und sollte er uns erreichen, so sind wir stark genug, ihn abzuhalten. Erinnere dich an Gladsmuir.«

»Was ich sage, ist dennoch wahr, soweit es mich persönlich betrifft.«

»Und auf welchen Grund stützt sich Deine trübe Prophezeiung?« fragte Waverley.

»Auf einen, der nie bei einem Mitgliede meines Hauses trog. Ich sah,« sagte er mit leiserer Stimme, »ich sah den Bodach Glas.«

»Den Bodach Glas?«

»Ja. Bist Du so lange in Glennaquoich gewesen und hast nie von dem grauen Geiste gehört? Freilich, unter uns wird nur mit Widerstreben von ihm gesprochen.«

»Ich habe niemals von ihm gehört.«

»Das wäre eine Geschichte gewesen, die Dir die arme Flora hätte erzählen können. Wenn jener Hügel Benmore wäre, und jener lange blaue See, den Du dort nordwärts gegen die Berge blitzen siehst, Loch Tay, oder mein eigener Loch an Ri, so paßte die Erzählung besser zu der Umgebung. Laß uns indessen auf dieser Höhe niedersitzen; selbst Saddleback und Ulswater passen zu dem, was ich Dir zu sagen habe, besser, als englische Hecken und Pachthöfe. Nu mußt also wissen, daß mit meinem Ahnherrn Ian nan Chaistel, als er Northumberland verheerte, eine Art von südländischem Häuptlinge verbündet war, der Kapitän einer Bande Tiefländer, Namens Halbert Hall. Auf ihrer Rückkehr durch Cheviot stritten sie sich über die Theilung der großen Beute, die sie gemacht hatten, und von Worten kam es zu Streichen. Die Tiefländer wurden bis auf den letzten niedergehauen, und zu allerletzt fiel ihr Führer, bedeckt mit Wunden, von dem Schwerte meines Ahnherrn. Seit jener Zeit tritt sein Geist den Bich Ian Vohrs an dem Tage entgegen, wenn irgend ein großes Unglück droht, besonders aber vor der Annäherung des Todes. Mein Vater sah ihn zweimal, das erste Mal, ehe er bei Sheriff-Muir zum Gefangenen gemacht wurde, das zweite Mal am Morgen des Tages, an dem er starb.«

»Mein lieber Fergus, wie kannst Du mir solchen Unsinn mit ernsthaftem Gesichte erzählen?«

»Ich verlange nicht, daß Du mir glauben sollst, aber ich sage die Wahrheit, bewiesen durch die Erfahrung von wenigstens zweihundert Jahren und in der vergangenen Nacht durch meine eigenen Augen.«

»Theile mir die näheren Umstände mit, um des Himmels willen!« sagte Waverley hastig.

»Das will ich, doch unter der Bedingung, daß Du nicht darüber zu scherzen versuchst. – Seitdem der unglückliche Rückzug begann, habe ich fast nie geschlafen, weil ich immer an meinen Clan dachte und an den armen Prinzen, den sie zurückschleppen wie einen Hund in der Schlinge, er mag wollen oder nicht, und an den Fall meiner Familie. In der letzten Nacht fühlte ich mich so fieberisch, daß ich mein Quartier verließ und in das Freie ging, in der Hoffnung, die scharfe Winterluft werde meine Nerven stärken. Ich kann Dir nicht sagen, wie es mir widerstrebt, fortzufahren, denn ich weiß, daß Du mir kaum glauben wirst. – Ich kam über einen kleinen Steg und ging auf und nieder, da bemerkte ich mit Staunen bei dem hellen Mondlichte eine schlanke Gestalt in einem grauen Plaid, wie ihn die Schäfer im südlichen Schottland zu tragen pflegen, die, welchen Schritt ich auch immer halten mochte, stets auf vier Schritt Entfernung vor mir blieb.«

»Du sahest wahrscheinlich einen cumberländischen Bauern in seiner gewöhnlichen Tracht.«

»Nein. Ich glaubte es anfangs auch und wunderte mich über die Verwegenheit des Menschen, mir nicht von der Seite zu gehen. Ich rief ihm zu, ich erhielt keine Antwort. Ich fühlte ein ängstliches Klopfen meines Herzens, und um mich von dem zu überzeugen, was ich fürchtete, stand ich still und wendete mich an derselben Stelle der Reihe nach gegen alle vier Weltgegenden. – Beim Himmel, Edward, wohin ich mich auch wendete, stand die Gestalt genau in derselben Entfernung vor meinen Augen! Da war ich überzeugt, daß es Bodach Glas sei. Mein Haar sträubte sich und meine Kniee bebten. Ich ermannte mich indeß und beschloß nach meinem Quartier zurückzukehren. Der Geist glitt vor mir her, denn ich kann nicht sagen, daß er ging, bis wir den Steg erreichten, hier blieb er stehen und wendete sich ganz nach mir um. Ich mußte entweder durch den Fluß waten oder so nahe an ihm vorbeigehen, wie ich jetzt bei Dir stehe. Ein verzweifelter Muth, gestützt auf den Glauben, daß mein Tod nahe sei, machte, daß ich beschloß, meinen Weg ihm zum Trotz fortzusetzen. Ich bekreuzte mich, zog das Schwert und rief: »Im Namen Gottes, böser Geist, gib Raum!« »Bich Ian Vohr,« antwortete er mit einer Stimme, die mein Blut erstarren machte, »hüte Dich vor morgen!« – Er schien in diesem Augenblick nicht einen Fuß, breit von der Spitze meines Schwertes entfernt zu sein, aber kaum waren die Worte gesprochen, als auch die Gestalt verschwunden war, und nichts weiter sich zeigte, das meinen Weg hätte hemmen können. Ich ging nach Hause und warf mich auf mein Bett, wo ich einige Stunden unruhig genug zubrachte, und als diesen Morgen gemeldet wurde, es sei kein Feind nahe, nahm ich mein Pferd und ritt aus, um mich mit Dir zu verständigen. Ich möchte nicht gern fallen, ehe ich mich mit einem Freunde, dem ich Unrecht that, versöhnte.«

Edward zweifelte wenig daran, daß dieses Phantom die Wirkung eines erschöpften Körpers und eines niedergebeugten Geistes sei, welche den allen Hochländern gemeinschaftlichen Aberglauben stärkte. Er beklagte darum Fergus nicht weniger, vielmehr erwachte seine ganze frühere Freundschaft für denselben aufs neue. In der Absicht, seinen Geist von diesen traurigen Bildern abzulenken, erbot er sich, mit des Barons Erlaubniß in seinem Quartier zu bleiben, bis das Korps seines Freundes herankäme und dann wie früher mit demselben zu marschiren. Der Häuptling schien darüber viel Freude zu empfinden, dennoch zögerte er, das Anerbieten anzunehmen.

»Wir sind, wie Du weißt, bei der Arrieregarde,« sagte er, »dem gefährlichsten Posten beim Rückzuge.«

»Aber auch dem Ehrenposten.«

»Gut,« entgegnete der Häuptling, »so laß Alick Dein Pferd bereit halten für den Fall, daß wir von der Menge überwältigt werden, und es soll mich freuen, Deine Gesellschaft noch einmal zu genießen.«

Es währte lange, bis die Arrieregarde erschien, welche durch verschiedene Unfälle sowie durch die schlechten Straßen zurückgehalten worden war. Als Waverley endlich Arm in Arm mit seinem Häuptlinge zu dem Clan Mac-Ivor trat, schien aller Haß gegen ihn plötzlich verschwunden zu sein. Evan Dhu empfing ihn mit einem freundlichen Grinsen, und selbst Callum Beg, der eben so munter war als je, nur etwas blaß aussah und ein großes Pflaster auf dem Kopfe trug, schien über seinen Anblick erfreut zu sein.

»Der Schädel dieses Galgenstricks,« sagte Fergus, »muß härter sein als Marmor. Der Hahn der Pistole war daran abgebrochen.«

»Wie konntest Du einen so jungen Burschen so hart schlagen?« sagte Waverley mit einiger Theilnahme.

»Wenn ich nicht zuweilen hart zuschlüge, würden die Schurken sich vergessen,« lautete die Antwort Mac-Ivors.

Sie waren jetzt in vollem Marsche, und alle Vorsichtsmaßregeln wurden getroffen, um einen Ueberfall zu verhindern. Fergus mit seinen Leuten und ein schönes Clanregiment von Badenoch, das Cluny Mac-Pherson kommandirte, hatten die Arrieregarde. Sie waren eben über ein weites offenes Moor gekommen und betraten die Umhegungen welche ein kleines Dorf, Namens Clifton, umgaben. Die Wintersonne war untergegangen, und Edward fing an, Fergus wegen der falschen Prophezeiungen des grauen Geistes zu necken. »Die Iden des März sind noch nicht vorüber,« sagte Mac-Ivor lächelnd, und als er dabei seine Augen rückwärts über das Moor schweifen ließ, gewahrte er eine starke Abtheilung Kavallerie über der braunen Fläche. Die Umhegungen, welche den offenen Grund begrenzten, und die Straße, auf der er zu dem Dorfe kommen mußte, zu besetzen, war das Werk eines Augenblicks. Während dies geschah, brach die Nacht vollends herein, obgleich man Vollmond hatte. Nur zuweilen warf dieser ein zweifelhaftes Licht auf die Scene.

Die Hochländer blieben nicht lange ungestört in der defensiven Stellung, die sie eingenommen hatten. Begünstigt durch die Nacht versuchte eine starke Abtheilung abgesessener Dragoner die Umgebungen zu forciren, während eine zweite, gleich starke, auf der Straße vorzudringen versuchte. Beide wurden durch ein so heftiges Feuer empfangen, daß ihre Glieder wankten und sie von der Verfolgung ihres Planes abstanden. Nicht zufrieden mit dem errungenen Vortheile zog Fergus, dem die Gefahr die ganze Elasticität seines Geistes zurückgegeben, sein Schwert und rief: »Claymore!« und feuerte seine Leute durch Stimme und Beispiel an, die Hecken zu überspringen und sich auf den Feind zu stürzen. Nach kurzem Handgemenge zwangen sie die Dragoner über das Moor zu entfliehen, wo eine große Menge derselben niedergehauen wurde. Aber der Mond, der plötzlich die Scene beleuchtete, zeigte den Engländern die geringe Zahl ihrer Verfolger, die durch den Sieg noch dazu in Unordnung gerathen waren. Zwei Schwadronen rückten zur Unterstützung ihrer Waffenbrüder vor, und die Hochländer suchten die Umhegungen wieder zu erreichen. Aber mehrere von ihnen und unter diesen ihr tapferer Häuptling wurden abgeschnitten und umzingelt, ehe sie ihren Zweck erreichten. Waverley, der sich ängstlich nach Fergus umsah, von dem er in der Verwirrung und Dunkelheit getrennt worden war, erblickte ihn, wie er sich mit Evan Dhu und Callum verzweiflungsvoll gegen ein Dutzend Reiter wehrte, die mit ihren langen Pallaschen einhieben. Der Mond wurde in diesem Augenblicke wieder ganz umwölkt, und Edward konnte in der Dunkelheit weder seinem Freunde Hilfe bringen, noch einen Rückweg zur Arrieregarde finden. Nachdem er ein- oder zweimal kaum der Gefahr entgangen war, von einzelnen Abtheilungen der Dragoner gefangen genommen oder getödtet zu werden, erreichte er endlich eine Hecke, kletterte über dieselbe und glaubte in Sicherheit und auf dem Wege zu den Hochländern zu sein, deren Sackpfeifen er in einiger Entfernung hörte. Für Fergus blieb ihm kaum einige Hoffnung, wenn nicht die, daß er gefangen sein möchte. Indem er mit Sorge und Angst sein Schicksal überdachte, erinnerte er sich an den Aberglauben von Bodach Glas, und mit innerlichem Staunen sagte er zu sich selbst:

»Wie, kann der Teufel die Wahrheit sprechen?«


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