Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XVII

Waverley setzt seine Reise fort

Als Edward sich gesammelt hatte, wunderte er sich, die Höhle ganz verlassen zu finden. Er stand auf, brachte seinen Anzug in Ordnung und sah sich sorgfältiger um, – alles blieb still. Ohne die erloschenen Brände des Feuers, das jetzt in graue Asche versunken war, ohne die Ueberbleibsel des Festes, die aus einigen halbverbrannten und halb abgenagten Knochen bestanden und zwei oder drei leeren Gefäßen wäre keine Spur von Donald und seiner Bande zu sehen gewesen. Als Waverley zu den Eingange der Höhle eilte, bemerkte er, daß der Felsvorsprung, auf welchem noch die Spuren von dem Feuer der letzten Nacht zu sehen waren, durch einen schmalen Pfad betreten werden konnte, der theils von der Natur gebildet, theils in den Fels gehauen war, und längs des Wassers einige Klafter weit bis zu einer Bucht führte, wo das Boot, das ihn hergebracht, vor Anker lag. Als er den kleinen Felsvorsprung erreichte, auf dem das Feuersignal gebrannt hatte, hielt er es für unmöglich, zu Lande weiter zu kommen, aber es war kaum wahrscheinlich, daß die Bewohner der Höhle keinen andern Ausgang haben sollten, als den über den See; er sah sich daher genauer um und bemerkte am äußersten Ende der kleinen Plattform drei oder vier eingehauene Terrassen oder Felslagen, und indem er sich ihrer als einer Treppe bediente, kletterte er um den Vorsprung, auf dem die Höhle sich öffnete, und stieg auf der andern Seite mit einiger Schwierigkeit hinab. Er erreichte bald die wilden, steilen Ufer eines Hochlandsees, der ungefähr vier Meilen breit und anderthalb Meilen lang und von waldbewachsenen wilden Bergen umgeben war, auf deren Gipfel der Morgennebel noch lagerte.

Als er auf den Ort, von dem er kam, zurückblickte, mußte er die Schlauheit bewundern, welche einen so geheimen und abgelegenen Zufluchtsort herausgefunden hatte. Der Fels, den er mit Hilfe einiger kaum bemerkbarer Einschnitte, die nur eben für den Fuß Raum genug darboten, erklettert hatte, schien ein dunkler Abgrund zu sein, der jeden weiteren Weg an den Ufern des Sees versperrte. Es war, erwog man die Breite des Sees, keine Möglichkeit, den niedrigen und finstern Eingang der Höhle von dem andern Ufer aus zu entdecken; wenn man daher nicht auf Booten den Zufluchtsort aufsuchte oder Verrath ihn bloßlegte, so konnte er für seine Bewohner ein sicheres und geheimes Versteck sein, so lange sie mit Lebensmitteln versorgt waren. Als Waverley seine Neugier in dieser Beziehung befriedigt hatte, sah er sich nach Evan Dhu und dessen Begleitern um, welche, wie er meinte, nicht weit entfernt sein konnten, was auch immer aus Donald Bean Lean und dessen Leuten geworden sein mochte, deren Lebensart einen plötzlichen Aufenthaltswechsel mit sich bringt. In der Entfernung einer halben Meile erblickte er auch wirklich einen Hochländer, allem Anscheine nach Evan, der in dem See angelte; neben ihm stand ein anderer mit einer Waffe auf der Schulter, in dem er seinen Freund mit der Streitaxt erkannte.

Viel näher dem Eingang der Höhle hörte er einen lieblichen gälischen Gesang, und geleitet durch denselben, fand er auf einem sonnigen Platze, beschattet von einer flimmernden Birke, wo der Boden von festem weißem Sande wie von einem Teppich bedeckt war, die Donna der Höhle beschäftigt, auf das beste ein Frühstück von Milch, Eiern, Haferkuchen, frischer Butter und Honigscheiben zu bereiten. Das arme Mädchen hatte diesen Morgen schon einen Weg von vier Meilen zurückgelegt, um die Eier, das Kuchenmehl und die andern Bestandteile des Frühstückes herbeizuholen, denn dies alles waren Delikatessen, die sie von fernen Hüttenbewohnern erbitten oder borgen mußte. Die Leute des Donald Bean Lean genossen wenig andere Nahrung als das Fleisch des Viehs, das sie aus dem Niederlande forttrieben; selbst Brod war ein Leckerbissen, an den sie nur selten dachten, weil es schwer zu erlangen war, und die häuslichen Genüsse der Milch, des Geflügels, der Butter sc. waren Dinge, von denen in diesem Scythenlager gar nicht die Rede war. Es darf jedoch nicht mit Stillschweigen übergangen werden, daß, obgleich Alice einen Theil des Morgens darauf verwendet hatte, für den Gast solche Genüsse herbeizuschaffen, welche die Höhle nicht bot, sie doch auch noch so viel Zeit gewinnen mußte, ihre eigene Person aufs beste herauszuputzen. Ihr Anzug war sehr einfach. Eine kurze rothe Jacke und ein Unterrock von nicht gerade bedeutender Länge bildeten ihre ganze Kleidung, aber diese Stücke waren rein und sauber geordnet. Ein Stück scharlachrothes gesticktes Tuch, Snood genannt, umschloß ihr Haar, welches darüber in einer reichen Fülle schwarzer Locken herabsank. Der scharlachrothe Plaid, der einen Theil ihres Anzuges bildete, war bei Seite gelegt, damit er sie bei ihrer Thätigkeit in der Bedienung des Fremden nicht hindere. Aber ich würde Alicens stolzesten Schmuck vergessen, unterließe ich es, ein paar goldene Ohrringe und einen goldenen Rosenkranz zu erwähnen, welche ihr Vater, denn sie war die Tochter des Donald Bean Lean, aus Frankreich mitgebracht hatte, wahrscheinlich als Beute aus einer Schlacht oder einer erstürmten Veste.

Ihr Wuchs war für ihre Jahre zwar etwas groß, aber wohl proportionirt, und ihr Benehmen zeigte eine natürliche ländliche Anmut, ohne irgend etwas von dem Linkischen einer gewöhnlichen Bäuerin zu verrathen. Das Lächeln, welches zwei Reihen der weißesten Zähne zeigte, und das lachende Auge, mit dem sie Waverley den Morgengruß gälisch zurückgab, hätten von einem Stutzer und auch vielleicht von einem hübschen jungen Krieger so ausgelegt werden können, als sollten sie mehr ausdrücken als die bloße Artigkeit einer Wirthin. Auch will ich es nicht auf mich nehmen zu behaupten, daß die kleine wilde Bergbewohnerin für einen bejahrten Mann, den Baron von Bradwardine zum Beispiel, dieselbe Aufmerksamkeit gehabt haben würde wie für Edward. Sie schien zu wünschen, ihn bei dem Mahle zu sehen, das sie so sorgsam geordnet hatte, und dem sie jetzt noch einige Büschel Preißelbeeren hinzufügte, die sie in der Nähe gesucht. Als ihr die Genugthuung geworden war, ihn bei dem Frühstück sitzen zu sehen, nahm sie selbst auf einem Stein in einiger Entfernung Platz und schien auf eine Gelegenheit zu warten, ihn mit Zuvorkommenheit zu bedienen.

Evan und sein Gefährte kamen jetzt langsam vom Ufer zurück; der letztere trug eine starke Lachsforelle, den Ertrag der Morgenfischerei, und die Angelruthe, während Evan mit schnellen, selbstgefälligen Schritten dem Orte zueilte, wo Waverley an dem Frühstückstische so angenehm beschäftigt war. Nach dem Morgengruß von beiden Seiten sagte Evan, mit einem Blicke auf Edward, einige gälische Worte zu Alice, worüber diese lachte, zugleich aber erröthete ihre von Wind und Sonne gebräunte Haut bis zur Stirn, dann sagte ihr Evan, daß sie den Fisch noch zum Frühstück bereiten möchte. Ein paar Funken von seinem Pistolenschloß schafften Feuer, welches schnell einige trockene Fichtenzweige in Asche verwandelte, in der dann der Fisch in dünnen Scheiben gesotten wurde. Die Mahlzeit zu krönen, zog Evan aus der Tasche seiner kurzen Jacke eine große Kammmuschel und unter den Falten seines Plaids ein Widderhorn voll Whisky hervor. Davon nahm er einen derben Schluck, wobei er bemerkte, daß er seinen Morgentrunk schon mit Donald Bean Lean vor dessen Aufbruch genommen; er bot dann auch Alice und Edward davon an, die aber beide ablehnten. Mit dem stolzen Wesen eines Lords reichte Evan dann die Muschel dem Dugald Mahony, seinem Begleiter, der sie mit großem Wohlbehagen austrank, ohne sich zum zweiten Mal nöthigen zu lassen. Evan traf hierauf Anstalten, das Boot zu besteigen, und forderte Edward auf, ihm zu folgen. Inzwischen hatte Alice in einen kleinen Korb gepackt, was sie des Mitnehmens werth erachtete, und ihren Plaid überwerfend trat sie auf Edward zu und bot ihm mit der größten Unbefangenheit ihre Wange zum Abschiedskusse dar, während sie seine Hand ergriff und einen leichten Knix machte. Evan, der unter den Bergbewohnern als ein Schalk bekannt war, trat vor, als wollte er eine ähnliche Gunst in Anspruch nehmen, aber Alice ergriff schnell ihren Korb und sprang mit der Behendigkeit eines Rehes um die Felsecke, dann wandte sie sich lachend um und rief ihm auf gälisch etwas zu, was er in gleichem Tone und in derselben Sprache beantwortete. Hierauf winkte sie Edward mit der Hand einen Gruß zu, machte sich auf den Weg und verschwand bald in dem Dickicht, aus dem man noch einige Zeit ihren muntern Gesang hörte.

Sie betraten jetzt wieder die Mündung der Höhle, und sobald sie in dem Boote Platz genommen hatten, stieß der Hochländer ab und spannte ein schwerfälliges Segel auf, um den frischen Morgenwind zu benutzen. Evan ergriff das Steuer, und wie es Waverley schien, richteten sie ihren Lauf etwas höher an dem See aufwärts, als zu dem Orte, wo sie sich am vorigen Abend eingeschifft hatten. Als sie über den Silberspiegel hinglitten, eröffnete Evan das Gespräch mit einer Lobrede auf Alice, die, wie er sagte, mild und freundlich wäre, und bei dem allen die beste Tänzerin der ganzen Welt. Edward stimmte dem Lobe bei, soweit er vermochte, sprach dann aber sein Bedauern darüber aus, daß sie zu einem so gefahrvollen und traurigen Leben verurtheilt sei.

»O, was das betrifft,« sagte Evan, »so gibt es in ganz Perthshire nichts, das sie nicht bekäme, wenn sie ihren Vater bäte, es ihr zu holen, es müßten denn Mühlsteine oder glühendes Eisen sein.«

»Aber die Tochter eines Kuhräubers, eines gemeinen Diebes zu sein!«

»Gemeinen Diebes! Ganz und gar nicht! Donald Bean Lean konfiscirte in seinem ganzen Leben nie weniger als eine Heerde.«

»Nennt Ihr ihn denn etwa einen ungewöhnlichen Dieb?«

»Nein; wer einer armen Wittwe eine Kuh, oder einem Freisassen den Ochsen stiehlt, der ist ein Dieb; wer aber einem Sachsenlaird die Heerde forttreibt, der ist ein Heerdentreiber und wird Herr genannt. Einen Ast vom Baume, einen Salm aus dem Flusse, ein Stück Wild vom Berg, oder eine Kuh von der Weide eines Tieflandmannes zu holen, das wird ein Hochländer nie als eine Schande betrachten.«

»Aber, was soll das für ein Ende nehmen, wenn er bei einer solchen Aneignung ergriffen wird?«

»Gewiß würde er für das Gesetz sterben, wie schon mancher tüchtige Mann vor ihm.«

»Für das Gesetz sterben?«

»Ja, das heißt, in Folge der Gesetze oder durch das Gesetz, nämlich an dem freundlichen Galgen von CrieffIm Orte Crieff in Perthshire wurden in alten Zeiten viele Hochlandräuber hingerichtet in die Höhe gezogen werden, wo sein Vater und Großvater starben, und wo er, wie ich hoffe, selbst sterben wird, wenn er nicht bei einem Ueberfalle todtgeschossen oder niedergehauen wird.«

»Ihr hofft einen solchen Tod für Euren Freund, Evan?«

»Ja, das thu ich; wolltet Ihr ihm etwa wünschen, auf einem Bündel faulen Strohs in seiner Höhle zu sterben wie ein räudiger Hund?«

»Aber was sollte dann aus Alice werden?«

»Gewiß, wenn sich ein solches Ereigniß zutrüge, und ihr Vater sie dann nicht länger nöthig hätte, wüßte ich nichts, was mich hindern sollte, sie selbst zu heiraten.«

»Muthig entschlossen,« sagte Edward, »aber was hat Euer Schwiegervater, das heißt, wenn er das Glück hat, gehangen zu werden, inzwischen mit dem Vieh des Barons angefangen?«

»Ei,« entgegnete Evan, »das trabte schon, ehe die Sonne diesen Morgen über Ben-Lawers blickte, vor Eurem Burschen und Allan Kennedy her; jetzt muß es in dem Passe von Bally-Brough sein, auf dem Rückwege nach der Trift von Tully-Beolan; es fehlen nur zwei Stück, die unglücklicherweise geschlachtet wurden, ehe ich gestern Abend nach Uaimh an Ri kam.«

»Und wohin gehen wir jetzt, Evan, wenn ich so kühn sein darf, zu fragen?« sagte Waverley.

»Wohin könntet Ihr wohl gehen, als nach des Lairds eigenem Hause in Glennaquoich? Ihr werdet doch nicht daran denken, auf seinem Gebiete zu sein, ohne ihn zu besuchen? Das gälte so viel wie ein Menschenleben.«

»Und sind wir noch weit von Glennaquoich entfernt?«

»Nur fünf kleine Meilen, und Bich Ian Vohr wird uns entgegenkommen,«

Nach ungefähr einer halben Stunde erreichten sie das obere Ende des Sees, wo die beiden Hochländer, nachdem sie gelandet hatten, das Boot in eine kleine Bucht zogen, in der es vollkommen versteckt lag. Die Ruder verbargen sie an einem andern Orte, beides wahrscheinlich zu dem Gebrauche Donald Bean Leans, wenn seine Geschäfte ihn nächstens wieder an diesen Ort brächten. Die Reisenden folgten einige Zeit einer köstlichen Aussicht zwischen den Hügeln, in der sich ein Bach zu dem See herabschlängelte. Als sie ihren Weg eine kurze Strecke verfolgt hatten, erneuerte Waverley seine Fragen nach ihrem Höhlenwirthe. »Wohnt er immer in der Höhle?«

»O nein, es übersteigt die Geschicklichkeit eines Menschen, zu sagen, wo er zur Zeit zu finden ist. Es gibt im ganzen Lande keine finstere Schlucht oder Höhle, mit der er nicht bekannt wäre.«

»Und gewähren ihm außer Eurem Herrn auch noch andere Schutz?«

»Mein Herr? – Mein Herr ist der dort oben,« antwortete Evan stolz, wobei er nach dem Himmel wies. Sogleich nahm er indeß wieder seine gewöhnliche Höflichkeit an und sagte: »Aber Ihr meint meinen Häuptling, nein, der schützt weder Donald Bean Lean, noch irgend einen, der ihm gleicht; er gestattet ihm nur,« fügte er lächelnd hinzu, »Holz und Wasser.«

»Keine große Gabe, sollte ich meinen, Evan, wo beides so im Ueberfluß ist.«

»Ja, aber Ihr versteht mich nicht; wenn ich sage, Holz und Wasser, so meine ich den See und den Wald, und ich denke, Donald würde schön in die Klemme gerathen, wollte ihn der Laird mit etwa sechszig Mann dort in dem Walde von Kailychat suchen, und kämen unsere Boote mit etwa zwanzig anderen Mann, von mir oder sonst einem tüchtigen Burschen geführt, den See herab gegen Uaimh an Ri.«

»Aber gesetzt nun, daß aus dem Tieflande eine starke Abtheilung gegen ihn zöge, würde Euer Häuptling ihn dann nicht vertheidigen?«

»Nein, er würde nicht den Funken eines Feuersteins für ihn wagen, wenn sie mit dem Gesetze kämen.«

»Und was müßte Donald dann thun?«

»Donald thäte am besten, sich aus dem Staube zu machen und zurückzuziehen, vielleicht nach Letter Scriven über den Berg hinüber.«

»Und wenn er auch dahin verfolgt würde?«

»Dann möchte ich darauf wetten, daß er zu seinem Vetter nach Rannoch ginge.«

»Und wenn man ihm auch nach Rannoch folgte?«

»Das,« sagte Evan, »ist gar nicht glaublich, und Euch die Wahrheit zu sagen, kein Tieflandmann in ganz Schottland wagt sich weiter als einen Büchsenschuß über Bally-Brough hinaus, er hätte denn die Hilfe des Sidier Dhu.«

»Was nennt Ihr so?«

»Sidier Dhu? den schwarzen Soldaten; das ist, was man Frei-Kompagnie nennt, Leute, die ausgehoben wurden, um Frieden und Gesetz in den Hochlanden aufrecht zu erhalten, Bich Ian Vohr kommandirte deren vor fünf Jahren eine, und ich selbst war Unteroffizier, dafür stehe ich Euch. Man nennt sie Sidier Dhu, weil sie Tartschen tragen, wie man Eure Leute König Georgs Leute, Sidier Roy oder rothe Soldaten nennt.«

»Gut, aber als Ihr in König Georgs Sold standet, Evan, wäret Ihr doch gewiß auch König Georgs Soldaten?«

»Meiner Treu, danach müßt Ihr Bich Ian Vohr fragen, denn wir sind für seinen König und kümmern uns nicht sehr darum, welcher von ihnen es ist. Auf jeden Fall kann niemand sagen, daß wir jetzt König Georgs Soldaten sind, denn seit einem Jahr haben wir keinen Sold von ihm besehen.«

Dieser letzte Grund gestattete keine Widerrede, auch versuchte Edward keine; er zog es vielmehr vor, das Gespräch wieder auf Donald Bean Lean zu lenken, »Beschränkt sich Donald auf Rindvieh, oder annektirt er, wie Ihr es nennt, auch andere Dinge, die ihm in den Weg kommen?«

»Ei, er ist nicht lecker und nimmt alles, am liebsten aber Rindvieh, Pferde oder lebendige Christenmenschen; denn Schafe lassen sich zu langsam treiben, Hausgeräth nimmt zu viel Raum weg und ist überdies hier im Lande nicht leicht zu versilbern.«

»Aber raubt er auch Männer und Weiber?«

»Ei freilich, hörtet Ihr ihn nicht von dem Voigt aus Perth sprechen? Dem kostete es über fünfhundert Mark, bis er wieder auf die Südseite von Bally-Brough kam. Aber einmal spielte Donald einen prächtigen Streich. Es sollte eine fröhliche Hochzeit gefeiert werden, zwischen der Lady Cramseezer aus dem Hause der Mearns, sie war des alten Lairds Wittwe und nicht mehr so jung, wie sie früher gewesen war, und dem jungen Gilliewhackit, der sein Gut und all seine Fahrhabe wie ein Edelmann bei Hahnenkämpfen, Stierhetzen, Pferderennen und dergleichen verthan hatte. Nun wußte aber Donald Bean Lean, daß der Bräutigam in Ansehen stand, und da er gern Geld erwischt hätte, entführte er Gilliewhackit mit List, als er Nachts schlaftrunken und etwas berauscht nach Hause ritt. Mit Hilfe seiner Burschen schleppte er ihn mit Blitzesschnelle in die Berge, und der erste Ort, an dem er erwachte, war die Höhle von Uaimh an Ri. Nun war es schwer, den Bräutigam auszulösen, denn Donald wollte keinen Pfennig von tausend Pfund nachlassen.«

»Der Teufel!«

»Pfund schottisch, müßt Ihr wissen. Und die Lady hatte das Geld nicht, und hätte sie auch ihren Seckel umgestürzt. So wendete sie sich an den Gouverneur von Schloß Stirling und an den Major der Zollwache; aber der Gouverneur sagte, es wäre zu weit nördlich und außer seinem Distrikt, und der Major sagte, seine Leute wären zur Schafschur nach Hause gegangen, und er würde sie, ehe die Lebensmittel eingebracht wären, nicht um alle Cramfeezers in der Christenheit zurückrufen, abgesehen von den Mearns, denn das würde dem Lande nachteilig sein. Und unterdessen konntet Ihr doch Gilliewhackit nicht hindern, die Blattern zu kriegen. Da war kein Doktor in Perth oder Stirling, der den armen Burschen hätte kuriren mögen, und ich kann sie deshalb nicht tadeln, denn Donald war durch einen Doktor in Paris falsch behandelt worden, und hatte deshalb geschworen, den ersten, den er diesseits des Passes fände, in den See zu werfen. Ein paar alte Weiber aber, die bei Donald waren, pflegten Gilliewhackit so gut, daß er sich in der frischen Luft der Höhle genau ebenso befand, wie wenn er in einem Zimmer mit GlasfensternVor der Einführung der Glasfenster in England und Schottland waren feine Hornscheiben im Gebrauch. Daher die volksthümliche Korrektion des lat. laterna in lant-horn gewesen wäre, in einem Bett mit Vorhängen gelegen hätte und mit rothem Wein und weißem Brod verpflegt worden wäre. Donald war darüber so ärgerlich, daß er ihn, als er wohl und gesund war, frei nach Hause schickte und sagte, er würde mit allem zufrieden sein, was sie ihm für die Sorge und Mühe geben wollten, die er mit Gilliewhackit in so unerhörtem Grade gehabt hätte. Ich kann nicht genau sagen, wie sie es ausgemacht, aber das ist gewiß, daß Donald eingeladen wurde, auf der Hochzeit in seiner Hochlandstracht zu tanzen, und man sagt, man hätte weder vorher noch seitdem in seiner Börse so viel Silber gesehen. Und als Dank für das alles sagte Gilliewhackit, wenn er bei dem Verhör Donalds irgend als Zeuge sein müßte, so würde er ihm nichts Schuld geben, ausgenommen etwa Brandstiftung und Mord im Auftrage.«

Mit solchen Schilderungen pries Evan den gegenwärtigen Zustand des Hochlandes, vielleicht mehr zur Unterhaltung Waverleys als der unserer Leser. Endlich, nachdem sie über Berg und Thal, Sumpf und Haide gegangen waren, kam es Edward vor, obgleich es ihm unbekannt war, wie freigebig die Schotten ihre Entfernungen schätzten, als müßten die fünf Meilen Evans schon doppelt zurückgelegt sein. Seine Bemerkung über das große Maß, welches die Schotten ihrem Lande anlegten, im Vergleich zu dem geringen Werthe ihres Geldes, beantwortete Evan schnell durch den alten Scherz: »Der Teufel holt den, der das kleinste Maß führt.«

Jetzt fiel ein Schuß, und ein Jäger erschien mit seinen Hunden und einem Begleiter am obern Ende des Thales. »Seht!« sagte Dugald Mahony, »da ist der Häuptling.«

»Er ist es nicht,« sagte Evan gebieterisch. »Glaubst Du, er würde einem Sassenagh Duinhs-Vassel auf solche Weise entgegenkommen?«

Als sie etwas näher kamen, sagte er mit offenbarem Verdruß: »Und doch ist er es, gewiß genug, und er hat sein Gefolge nicht bei sich, es ist kein lebendiges Geschöpf bei ihm als Callum Beg.«

In der That hatte Fergus Mac-Ivor, von dem ein Franzose eben so gut wie ein anderer Mann in den Hochlanden hätte sagen können: »Qu'il connaît bien ses gens,« nicht daran gedacht, sich in den Augen eines jungen reichen Engländers dadurch ein Ansehen zu geben, daß er mit einem für die Gelegenheit unpassenden Gefolge hochländischer Müßiggänger erschienen wäre. Er war sich bewußt, daß ein so unnöthiges Gefolge Edward eher prahlerisch als achtunggebietend erschienen sein würde. Obgleich er daher einen andern Häuptling wahrscheinlich mit dem ganzen Gefolge empfangen haben würde, welches Evan mit so vieler Salbung beschrieb, so hielt er es doch für angemessen, Waverley nur mit einem einzigen Begleiter entgegen zu gehen, einem schönen Hochlandsjünglinge, der seines Gebieters Jagdtasche und Schwert trug, welch letzteres derselbe selten beim Ausgehen daheim ließ.

Als Fergus und Waverley zusammentrafen, fühlte sich dieser überrascht durch die hohe Würde und Anmut des Häuptlings. Ueber Mittelgröße und wohl gebaut, hob die Hochlandstracht, die er nach der einfachsten Mode trug, seine Gestalt vortheilhaft hervor. Seine Strümpfe waren scharlachroth und weiß gewürfelt; in den andern Theilen glich sein Anzug demjenigen Evans, ausgenommen, daß er keine andern Waffen trug als einen reich mit Silber ausgelegten Dolch. Sein Page hielt, wie erwähnt, sein Schwert, und das Gewehr, welches er selbst in der Hand hatte, schien nur zur Jagd bestimmt zu sein. Er hatte während des Weges einige junge Wildenten geschossen. Sein Gesicht war entschieden schottisch und hatte alle Eigenthümlichkeiten dieser nördlichen Physiognomie, aber doch so wenig von ihrer Härte und Markirung, daß man es in jedem Lande für sehr hübsch erklärt haben würde. Die kriegerische Ausstattung seiner Mütze mit einer einzigen Adlerfeder als Auszeichnung trug viel zu dem männlichen Aussehen seines Kopfes bei, der überdies noch immer mit einer anmuthigen Menge dichter schwarzer Locken geschmückt war, wie man sie kaum im Friseurladen feil bietet.

Ein offenes und zutrauliches Wesen steigerte noch den günstigen Eindruck, den sein schönes und würdevolles Aeußere machte. Ein geschickter Physiognomiker würde indessen bei einem zweiten Blicke mit dem Gesichte minder zufrieden gewesen sein als bei dem ersten. Seine Augenbrauen und die Oberlippe verriethen die Gewohnheit gebieterischen Befehls und entscheidender Ueberlegenheit. Selbst seine Höflichkeit schien das Bewußtsein persönlicher Wichtigkeit zu verrathen, obgleich sie frei und ungezwungen war. Bei jeder plötzlichen oder zufälligen Aufregung zeigte ein schnelles, doch vorübergehendes Blitzen des Auges ein ungestümes, hochmüthiges, rachgieriges Gemüth, das zu fürchten war, wenn es auch durch Selbstbeherrschung gezügelt zu werden schien. Kurz, das Gesicht des Häuptlings glich einem schönen Sommertage, der uns durch gewisse, wenn auch kaum bemerkbare Zeichen verräth, daß es noch vor dem Abend donnern und blitzen kann.

Bei ihrem ersten Zusammentreffen hatte Edward indessen keine Gelegenheit, diese wenig günstigen Bemerkungen zu machen. Der Häuptling empfing ihn als einen Freund des Barons von Bradwardine mit der größten Freundlichkeit und Dankbarkeit für den Besuch; er machte ihm scherzhaft Vorwürfe darüber, daß er die Nacht vorher einen so rauhen Aufenthaltsort gewählt hätte und ließ sich mit ihm in ein freundliches Gespräch über Donald Beans Haushaltung ein, jedoch ohne den leisesten Wink auf dessen schmachvolle Lebensweise oder die unmittelbare Veranlassung zu Waverleys Besuch. Da der Häuptling das Gespräch nicht auf diese Sache brachte, vermied es unser Held ebenfalls. Während sie heiter dem Hause von Glennaquoich zuschritten, folgte Evan, der jetzt ehrfurchtsvoll zurücktrat, mit Callum Beg und Dugald Mahony.

Bei dieser Gelegenheit wollen wir den Leser mit einigen Umständen aus Fergus Mac-Jvors Charakter und Geschichte bekannt machen, welche Waverley erst nach einem längern Umgange erfuhr, einem Umgange, der zwar aus so zufälliger Ursache entsprang, aber für lange Zeit den tiefsten Einfluß auf seinen Charakter, seine Handlungen und seine Aussichten übte. Da dies aber ein wichtiger Gegenstand ist, so muß er den Anfang eines neuen Kapitels bilden.


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