Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XLIII.

Der Marsch.

Die widerstreitenden Leidenschaften und aufgeregten Gefühle Waverleys ließen ihn einen zwar späten, aber doch gesunden Schlaf genießen. Er träumte von Glennaquoich, und versetzte nach den Hallen Jans nan Chaiftel den festlichen Zug, welcher noch so kürzlich die von Holyrood schmückte. Auch den Pibroch hörte er deutlich, und dieser wenigstens war keine Täuschung, denn der stolze Schritt des ersten Pfeifers vom Clan Mac-Ivor ließ sich auf dem Hofe vor der Thür seines Häuptlings vernehmen, und, wie Frau Flockhart bemerkte, die augenscheinlich keine Freundin seiner Musik war, erweichte Steine und Kalk mit seinem Gequieke. Er wurde deshalb auch bald zu mächtig für Waverleys Traum, mit dem er zuerst so ziemlich harmonirte.

Der Klang von Callums Holzschuhen, denn Mac-Ivor hatte seinem Freund Waverley wieder der Sorge desselben übertragen, war die nächste Mahnung zum Aufbruche. »Woll'n Eu'r Gnaden nicht auf? Bich Ian Vohr und der Prinz sind nach dem grünen Thal gegangen, das man Königspark nennt und mancher steht schon auf sein'n eig'nen Beinen, der auf andrer Leute ihren getragen werden wird, eh' die Nacht anbricht.«

Waverley sprang auf und mit Callums Beistand und nach dessen Weisungen legte er sich den Tartan an. Callum sagte ihm auch, sein lederner Mantelsack mit dem Schlosse wäre aus Doune angekommen, aber schon wieder mit Bich Ian Vohrs Sachen auf den Wagen gepackt. Waverley dachte dabei an das geheimnißvolle Packet, das ihm beständig zu entgehen schien, wenn er es schon zu fassen glaubte. Aber es war jetzt nicht die Zeit dazu, der Neugier nachzugeben, und nachdem er Frau Flockharts Anerbieten eines Morgens, d. h. eines Frühtrunkes abgelehnt hatte, wahrscheinlich der einzige Mann in des Chevaliers Armee, der eine solche Artigkeit zurückwies, sagte er Lebewohl und brach mit Callum auf.

»Callum,« sagte er, als sie eine schmutzige Gasse hinabgegangen waren, um das südliche Ende von Canongate zu erreichen, »wo bekomme ich ein Pferd her?«

»Den Teufel, wo denkt Ihr hin?« sagte Callum, »Bich Ian Vohr marschirt zu Fuß an der Spitze seiner Leute, nichts zu sagen vom Prinzen, der's auch so macht, mit seinem Schild auf der Schulter, und Ihr müßt doch gleich sein.«

»Das will ich auch, Callum; gib mir meinen Schild! So, wie sehe ich jetzt aus?«

»Wie der hübsche Hochländer auf dem Wirthshausschilde der Luckie Middlemass,« antworte Callum, und ich muß bemerken, daß er diese Aeußerung für ein großes Kompliment hielt, denn seiner Meinung nach war das Wirthshausschild der Luckie Middlemass ein ausgezeichnetes Kunstwerk. Waverley aber, der die Wichtigkeit dieses artigen Vergleiches nicht erkannte, richtete weiter keine Frage an ihn.

Als sie die engen und schmutzigen Vorstädte im Rücken hatten und in die freie Luft hinaustraten, fühlte Waverley seine Gesundheit und seine Lebensgeister erneut; er wendete seine Gedanken mit Festigkeit auf die Ereignisse des vorhergehenden Abends und mit Hoffnung und Entschlossenheit auf die des bevorstehenden Tages.

Als er eine kleine Höhe erstiegen hatte, welche St. Leonards Hügel hieß, lag der Königspark, oder die Schlucht zwischen dem Berge Arthurs Sitz und dem aufsteigenden Boden, auf welchem der südliche Theil von Edinburg jetzt erbaut ist, unter ihm, und gewährte ein eigentümliches und interessantes Schauspiel. Er war von der Armee der Hochländer besetzt, die jetzt im Begriffe stand, abzumarschiren. Waverley hatte schon etwas der Art bei der großen Jagd gesehen, der er mit Fergus beiwohnte, doch dies war in weit größerem Maßstabe und von ungleich höherem Interesse. Die Felsen, welche den Hintergrund der Scene bildeten, und der Himmel selbst erdröhnte unter dem Klange der Sackpfeifer, deren jeder mit dem eigenthümlichen Pibroch, d. h. der Schlachtmusik seinen Häuptling und seinen Clan rief. Die Bergbewohner, welche sich von ihrem Lager unter dem Gewölbe des Himmels mit dem Gesumm und Gewirr einer unregelmäßigen Volksmenge erhoben, gleich Bienen, die in ihren Stöcken beunruhigt wurden, schienen alle die Fügsamkeit zu besitzen, welche zu kriegerischen Manövern erforderlich ist. Ihre Bewegungen sahen zwar willkürlich und verworren aus, aber der Erfolg war Ordnung und Regelmäßigkeit so daß ein General das Resultat gelobt haben würde, hätte auch vielleicht ein strenger Kriegsmann die Ausführungsweise verspottet.

Das Gewirr, welches durch die hastigen Anordnungen der verschiedenen Clans unter ihren Bannern entstand, um in die Marschordnung zu kommen, war an und für sich ein heiteres, lebendiges Schauspiel. Sie hatten keine Zelte abzubrechen, da sie sämmtlich und aus freier Wahl auf offenem Felde schliefen, obgleich der Herbst schwand und die Frostnächte anfingen. Während sie sich in Ordnung stellten, entstand für kurze Zeit ein Hin- und Herwogen und ein buntes Gemisch flatternder Tartans und wallender Federn, sowie der Banner mit dem stolzen Allarm-Worte des Clan Ronald Ganion Coheriga – Widerstehe, wer kann –, Loch Slo, dem Feldrufe der Mac-Farlanes, Forth, fortune and fill the fetters, dem Motto des Marquis von Tullibardine, Bydand, dem des Lord Lewis Gordon, sowie den angemessenen Wahlsprüchen und Emblemen mancher andern Häuptlinge und Clans.

Endlich ordnete sich die wogende Menge in eine schmale Kolonne von großer Länge, welche sich durch das ganze Thal erstreckte. In der Mitte der Kolonne wehte die Fahne des Chevaliers, ein rothes Kreuz auf weißem Grunde mit der Umschrift »tandem triumphans«. Die geringe Kavallerie, meistens Tieflandsedelleute mit ihren Dienern und Pächtern, bildete die Avantgarde der Armee, und ihre Fahnen, deren sie im Verhältniß zu ihrer Anzahl eigentlich zu viel hatte, sah man am äußersten Saume des Horizontes flattern. Viele Reiter dieser Abtheilung, unter der Waverley zufällig Balmawhapple und dessen Lieutenant Jinker bemerkte, welcher letztere aber auf den Rath des Barons von Bradwardine degradirt worden war, erhöhten das Lebendige des Schauspieles, keineswegs aber die Regelmäßigkeit desselben, indem sie, so schnell das Gedränge es gestattete, vorwärts gallopirten, um den ihnen angewiesenen Platz in der Vorhut zu erreichen. Die Zaubermittel der Circen in der Hochstraße, und die starken Getränke, durch die sie während der Nacht erquickt wurden, hatten diese Helden wahrscheinlich innerhalb der Mauern Edinburgs länger zurückgehalten, als mit ihrer Dienstpflicht verträglich war. Von diesen Nachzüglern schlugen die Klügeren den weiteren aber offeneren Weg ein, um an ihre Stelle zu gelangen, indem sie, die Infanterie umgehend, rechts durch die Umhegungen ritten, auf die Gefahr hin, über die Steinmauern hinwegsetzen oder dieselben einreißen zu müssen. Das unregelmäßige Erscheinen und Verschwinden dieser einzelnen Reiterabtheilungen, sowie die Verwirrung, welche die verursachten, die sich durch die Abtheilungen der Hochländer zu drängen suchten, erhöhten die malerische Wildheit der Scene durch das, was sie ihr an militärischer Regelmäßigkeit nahmen. Während Waverley dieses merkwürdige Schauspiel anstarrte, das durch die einzelnen Kanonenschüsse aus dem Schlosse auf die abziehenden Wachen noch eindrucksvoller gemacht wurde, erinnerte ihn Callum mit seiner gewöhnlichen Freiheit der Rede daran, daß Bich Ian Vohrs Mannschaft beinahe an der Spitze der Kolonne wäre, und daß sie nach diesen Kanonenschüssen im Geschwindschritt marschiren würden. So ermahnt, schritt Waverley rasch vorwärts, warf aber noch oft einen Blick zurück auf die dunkle Masse der Krieger, die vor und unter ihm versammelt waren. Ein näherer Anblick verminderte den Eindruck, den die fernere Ansicht der Armee auf das Gemüth gemacht hatte. Die Führer jedes Clans waren alle wohlbewaffnet mit Schwert, Schild und Büchse, denen alle noch den Dolch und viele stählerne Pistolen zugefügt hatten. Doch diese bestanden aus Edelleuten, d. h. Verwandten des Häuptlings, die als solche auf dessen Schutz und Unterstützung einen unmittelbaren Anspruch hatten. Schönere und kühner aussehende Menschen hätte man aus keiner Armee der Christenheit auswählen können. Die freien und unabhängigen Gewohnheiten, welche jeder besaß und welche doch jeder so gut dem Befehle seines Häuptlings unterzuordnen geübt war, sowie die besondere Art der Disciplin in dem Hochlandskriege machten sie ebenso gefährlich durch ihren individuellen Muth und ihr Ungestüm, wie durch ihre innige Ueberzeugung von der Notwendigkeit, einig zu handeln, um ihrer nationalen Angriffsweise die vollste Gelegenheit des Gelingens zu geben.

In einem niedrigeren Range als diese aber standen Leute einer geringeren Kategorie, nämlich die gemeinen Bauern des Hochlandes, welche sich zwar nicht so nennen ließen und oft sogar mit anscheinendem Rechte eine ältere Abstammung in Anspruch nahmen als die Gebieter, denen sie dienten, die aber gleichwohl die Kleidung der äußersten Armut trugen, schlecht bewaffnet, halb nackt, kleiner und von erbärmlichem Aussehen waren. Jeder wichtige Clan hatte einige dieser Heloten als Anhängsel. So waren die Mac-Couls obgleich sie ihre Abstammung von Comhal, dem Vater Fingals herleiteten, eine Art von Gibeoniten oder erblicher Diener der Stuarts von Appine; die Macbeths, von dem unglücklichen Monarchen dieses Namens stammend, waren Unterthanen der Morays. Noch könnten viele andere Beispiele aufgestellt werden, müßte ich nicht fürchten, den Stolz irgend einer noch bestehenden Clanschaft zu verletzen und dadurch einen Hochlandssturm auf den Laden meines Buchhändlers zu leiten. Nun waren im allgemeinen diese Heloten sehr spärlich genährt, schlecht gekleidet und noch schlechter bewaffnet, obgleich die Willkürherrschaft des Häuptlings, unter dem sie Holz fällten und Wasser trugen, sie in das Feld zwang. Die schlechte Bewaffnung rührte in der That hauptsächlich von der Akte der allgemeinen Entwaffnung her, welche im ganzen Hochlande zur Ausübung kam, obgleich die meisten Häuptlinge sich ihrem Einflusse dadurch zu entziehen wußten, daß sie die Waffen ihrer unmittelbaren Clansleute behielten und nur die werthloseren jener niederen Satelliten ablieferten. Daraus folgte denn natürlich, daß viele dieser armen Schelme in einem sehr erbärmlichen Zustande in das Feld zogen.

So kam es denn, daß in Abtheilungen, deren Spitze auf ihre eigenthümliche Weise vortrefflich bewaffnet war, die Nachhut wahren Banditen glich. Hier war eine Streitaxt, dort ein Schwert ohne Scheide; hier ein Gewehr ohne Schloß, dort eine Sense an einer Stange befestigt; einige hatten sogar nichts als ihren Dolch oder Pfähle, die sie aus irgend einem Zaune gezogen. Das grimmige, ungekämmte und wilde Aussehen dieser Menschen, von denen die meisten mit der Bewunderung der Unwissenheit die gewöhnlichsten Erzeugnisse der häuslichen Künste anblickten, erweckte bei den Tieflandleuten Staunen aber auch Schrecken. Man darf sich deshalb nicht wundern, daß Waverley, der bisher die Hochländer im allgemeinen nur nach dem beurtheilt hatte, was Fergus ihm dann und wann von ihnen gezeigt hatte, über das kühne Unternehmen eines Heeres staunte, welches nicht über 4000 Mann zählte, von dem höchstens die Hälfte bewaffnet war, das es dennoch unternehmen wollte, das Schicksal der britischen Königreiche umzugestalten.

Während er an der Kolonne hinging, wurde eine eiserne Kanone, das einzige Geschütz, welches die Armee besaß, die eine so wichtige Revolution unternahm, zum Signal des Abmarsches abgefeuert. Der Chevalier hatte den Wunsch ausgesprochen, dieses nutzlose Geschütz zurückzulassen. Zu seinem Staunen aber verwendeten die Hochlandshäuptlinge sich dafür, daß es den Marsch mitmachen sollte, indem sie auf die Vorurtheile ihrer Leute aufmerksam machten, welche, an Artillerie wenig gewöhnt, diesem Geschütz einen absurden Grad von Wichtigkeit beilegten und erwarteten, daß es wesentlich zu einem Siege beitragen würde, den sie doch nur durch ihre Musketen und Schwerter erringen könnten. Zwei oder drei französische Artilleristen wurden daher zur Bedienung dieses Geschützes bestimmt, welches von einigen Hochlandspferden gezogen und nur zu Signalschüssen benutzt wurde. Kaum war bei dieser Gelegenheit seine Stimme vernommen worden, als sich die ganze Linie in Bewegung setzte. Ein wilder Schrei der Freude von den vorrückenden Bataillonen erschütterte die Luft und verlor sich in den schrillen Tönen der Sackpfeifen, und diese wurden wieder von dem schweren Tritt so vieler Marschirenden übertönt. Die Banner flatterten in dem Winde und die Reiter eilten, ihre Stellung bei der Avantgarde einzunehmen und Patrouillen zur Rekognoszirung auszusenden, um Nachricht von den Bewegungen des Feindes einzuziehen. Sie verschwanden vor Waverleys Augen, als sie um den Fuß von Arthurs Sitz bogen, unter dem merkwürdigen Basaltfelsen, der dem kleinen See von Duddingstone gegenübersteht.

Die Infanterie folgte in derselben Richtung in gleicher Höhe mit einer anderen Abtheilung, welche auf einem südlicheren Wege marschirte. Es kostete Edward einige Anstrengung, die Stelle zu erreichen, welche Fergus mit seiner Mannschaft in der Kolonne einnahm.


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