Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Waverley oder So war's vor sechzig Jahren

Kapitel I.

Schloß Waverley. – Ein Rückblick.

Vor sechszig, und wir dürfen heute wohl sagen vor mehr als hundert Jahren, nahm Edward Waverley, der Held der folgenden Blätter, Abschied von seiner Familie, um in das Dragonerregiment zu treten, in welchem er kürzlich eine Anstellung erhalten hatte. Es war ein trüber Tag in Waverley-Haus, als der junge Offizier Abschied von Sir Everard nahm, dem freundlichen alten Oheim, dessen muthmaßlicher Universalerbe er war.

Die Verschiedenheit politischer Meinungen hatte früh den Baronet mit seinem jüngern Bruder, Richard Waverley, dem Vater unsers Helden veruneinigt. Sir Everard hatte von seinen Vorfahren die ganze Summe der Toryansichten geerbt, welche das Haus Waverley seit dem großen Bürgerkriege ausgezeichnet hatte. Richard dagegen, der zehn Jahre jünger war, sah sich zu dem Schicksal eines jüngern Sohnes geboren, und erwartete weder Ansehen noch Unterhalt von dem bescheidenen Titel Hans Schickedich.Bekanntlich stehen die jüngern Söhne des Adels in England an Rang den Bürgerlichen gleich Er sah, daß es nöthig sei, so wenig als möglich Gewicht zu tragen, um in dem Wettrennen des Lebens einen Preis zu erringen. Maler sprechen von der Schwierigkeit, verschiedene Leidenschaften zugleich in denselben Zügen auszudrücken: es würde nicht minder schwierig für den Moralisten sein, die verschiedenen Motive zu analysiren, die sich vereinigen, um den Impuls zu unsern Handlungen zu geben. Richard Waverley las und überzeugte sich selbst durch Geschichte und gesundes Urtheil von der Wahrheit des alten Liedes:

Friedsam dulden war ein Scherz,
Pah! Widerstand wars nicht;

aber die Vernunft wäre wahrscheinlich unfähig gewesen, erbliche Vorurtheile zu bekämpfen und zu beseitigen, hätte Richard vermuthen können, daß sein älterer Bruder, Sir Everard, die Vereitlung einer Jugendliebe sich so zu Herzen nehmen würde, um mit 72 Jahren noch unverheiratet zu sein. Die Aussicht auf die Erbschaft, wie fern sie auch sein mochte, würde es über ihn vermocht haben, sich durch den größten Theil seines Lebens als »Master Richard, des Baronets Bruder« hinzuschleppen, in der Hoffnung, daß er vor seinem Ende noch als Sir Richard Waverley von Waverley-Haus ausgezeichnet werden, und als Erbe eines fürstlichen Besitzthums und ausgedehnter politischer Verbindungen das Haupt der ganzen Grafschaft sein würde. Doch dies waren Dinge, die sich bei Richards Eintritt in das Leben nicht ahnen ließen. Sir Everard stand damals in der Blüthe seines Alters, und in der sichern Ueberzeugung, ein willkommener Werber in beinahe jeder Familie zu sein, mochte nun Reichthum oder Schönheit den Gegenstand seiner Bewerbungen ausmachen. Seine baldige Verheiratung war daher in der That ein Gerücht, welches die Nachbarschaft regelmäßig einmal jedes Jahr unterhielt. Sein jüngerer Bruder sah keinen Weg zur Unabhängigkeit, wenn nicht die Benutzung seiner eigenen Kräfte und die Annahme eines politischen Glaubens, der mit seinem Verstande und seinem Interesse mehr übereinstimmte, als der erbliche Glaube des Sir Everard an die Hochkirche und das Haus Stuart. So erklärte er bei dem Beginn seiner Laufbahn seinen Widerruf und trat in das Leben als anerkannter Whighandschr. Anmerkung im Originaltext: »Whig = Liberale Partei = "Rundköpfe"« und Freund der hannoverschen Erbfolge.

Das Ministerium zur Zeit Georg I. war klug dafür besorgt, die Phalanx der Opposition zu verringern. Der Toryadel, der seines geborgten Glanzes wegen von dem Sonnenscheine eines Hofes abhing, hatte sich seit einiger Zeit allmählich mit der neuen Dynastie ausgesöhnt. Aber die reichen Landedelleute Englands, welche neben vielen alterthümlichen Sitten und traditioneller Redlichkeit einen großen Theil hartnäckiger und unbeugsamer Vorurtheile besaßen, hielten sich in hochmüthiger und dumpfer Opposition fern und warfen manchen Blick des Hoffens und Sehnens nach Bois le Duc, Avignon und Italien.Wo der Prätendent aus dem Hause Stuart seinen Hof hielt, je nachdem seine Lage ihn zwang, seinen Wohnort zu ändern

Der Uebertritt eines nahen Verwandten dieser hartnäckigen und unbeugsamen Widersacher wurde von Seiten der Regierung als ein Mittel betrachtet, mehrere Bekehrte zu gewinnen, und Richard Waverley begegnete daher einer ministeriellen Gunst, die zu seinen Talenten oder zu seiner politischen Wichtigkeit in keinem Verhältnis stand. Man entdeckte indessen, daß er achtungswerthe Talente zu öffentlichen Geschäften besaß, und nachdem er einmal Zutritt zum Minister gewonnen, stieg er schnell. Sir Everard erfuhr aus den Zeitungen zuerst, daß Richard Waverley Esquire für den ministeriellen Flecken Barterfaith gewählt worden sei, dann, daß Richard Waverley Esqu. bei den Debatten über die Accisebill an der Unterstützung der Regierung einen auserlesenen Antheil genommen hatte, und zuletzt, daß Richard Waverley Esqu. mit einem Sitz an einem der Gerichte beehrt worden sei, an welchen das Vergnügen, dem Lande zu dienen, mit bedeutenden Einnahmen gepaart ist, die, um sie annehmbarer zu machen, regelmäßig einmal in jedem Quartale wiederkehren. Obgleich diese Ereignisse so nahe auf einander folgten, daß der moderne Scharfsinn eines Zeitungsredakteurs die beiden letztern vorausgesagt haben würde, während er das erste meldete, so kamen sie doch zur Erkenntniß Sir Everards allmählich, Tropfen bei Tropfen so zu sagen, destillirt durch den kalten und zögernden Brennkolben von Dyers »wöchentlichen Briefen«,Dyer's Weekly Letters, lange das Orakel der Landedelleute von der Hochtorypartei. Ursprünglich wurde das Blatt als Manuskript geschrieben, und durch Schreiber kopirt, welche dann die Kopien an die Subskribenten einsendeten. Der Politiker, durch den sie kompilirt wurden, sammelte seine Kenntnisse in Kaffeehäusern, und bat oft um einen Extravorschuß, in Erwägung der Extraausgaben, welche mit dem Besuche so feiner Orte verbunden waren denn es mag im Vorbeigehen erwähnt werden, daß statt der Briefträger, durch welche jetzt jeder Arbeiter die gestrigen Neuigkeiten der Hauptstadt erfährt, in jenen Tagen eine wöchentliche Post nach Waverley-Haus einen wöchentlichen Anzeiger brachte, der, nachdem er Sir Everards und seiner Schwester Neugier, sowie die seines bejahrten Kellermeisters befriedigt hatte, regelmäßig von der Halle nach der Pfarre gebracht wurde, von der Pfarre zum Esqu. Stubb, vom Esqu. zu dem Verwalter des Baronets, nach dessen nettem weißen Hause auf der Weide, vom Verwalter zum Schultheiß, und von diesem durch einen großen Kreis ehrlicher Weiber und Gevattern, von deren harten hornigen Händen er ungefähr einen Monat nach seiner Ankunft gewöhnlich in Stücken zerrissen wurde.

Diese langsame Aufeinanderfolge der Nachrichten war in dem vorliegenden Falle von einigem Vortheile für Richard Waverley; denn hätte die ganze Summe seiner ungeheuren Erfolge auf einmal die Ohren Sir Everards erreicht, so ist nicht zu zweifeln, daß der neue Beamte wenig Ursache gehabt haben würde, sich zu dem Erfolge seiner politischen Laufbahn Glück zu wünschen. Der Baronet war zwar der gutmüthigste Mensch, aber doch nicht ohne verletzbare Seiten in seinem Charakter; seines Bruders Ausführung hatte diese tief verwundet; die Waverley-Besitzungen hatten keinen Erbfolgezwang, denn nie war es einem der frühern Besitzer in den Sinn gekommen, daß einer seiner Enkel sich solcher Vergehungen schuldig machen könnte, wie die, welche Dyers Wochenblatt Richard zur Last legte, und wäre das auch der Fall gewesen, so würde doch die Heirat des Besitzers für einen Seitenerben sehr mißlich gewesen sein. Diese verschiedenen Gedanken fuhren Sir Everard durch den Kopf, ohne aber einen bestimmten Entschluß hervorzurufen.

Er besichtigte seinen Stammbaum, welcher, geziert mit manchem Embleme der Ehre und des Heldenmuthes, an dem wohlpolirten Wandgetäfel seiner Halle hing. Die nächsten Abkömmlinge des Sir Hildebrand Waverley waren die Waverley von Highley-Park, mit denen der ältere Zweig oder vielmehr Stamm des Hauses seit einem großen Prozesse im Jahr 1670 jede Verbindung abgebrochen hatte.

Dieser entartete Zweig hatte sich noch eine weitere Beleidigung gegen das Haupt seines Geschlechts zu Schulden kommen lassen, und zwar durch die Verheiratung seines Stammhauptes, mit Judith der Erbin von Oliver Bradshawe, von Highley-Park, dessen Wappen, das mit dem des Königsmörders Bradshawe übereinstimmte, er mit dem alten Wappen der Waverleys verband. Diese Vergehungen waren jedoch der Erinnerung des Sir Everard in der Hitze seines Unwillens entschwunden, und wäre der Anwalt Klippurse, nach dem er seinen Reitknecht expreß absandte, nur eine Stunde früher gekommen, so würde derselbe die Genugthuung gehabt haben, eine neue Erbfolge für die Lordschaft und die Besitzungen von Waverley-Haus mit allem Zubehör aufzusetzen. Aber eine Stunde kalter Ueberlegung ist eine wichtige Sache, wenn sie dazu benutzt wird, das vergleichungsweise Böse von zwei Maßregeln abzuwägen, für welche wir innerlich nicht eingenommen sind. Anwalt Klippurse

fand seinen Patron in tiefes Sinnen versunken und war zu ehrerbietig, um ihn darin auf andere Weise zu stören, als daß er ihm sein Papier und sein ledernes Tintenfaß zeigte als Beweis, daß er bereit sei, Sr. Gnaden Befehle niederzuschreiben.

Selbst diese geringe Andeutung machte Sir Everard verlegen, denn er betrachtete sie als einen Vorwurf für seine Unentschlossenheit. Er sah den Anwalt mit einigem Verlangen an, sein Fiat hinzuschreiben, als die Sonne, hinter einer Wolke hervortretend, plötzlich ihr gebrochenes Licht durch das vergitterte Fenster des dunkeln Kabinetes warf, in dem sie saßen. Als der Baronet sein Auge erhob, fiel es gerade auf das Mittelschild des Stammbaumes, auf dem derselbe Wahlspruch stand, den sein Vorfahr auf dem Schlachtfelde von Hastings geführt haben soll: »Sans tâche«.

»Möge unser Name eher untergehen,« rief Sir Everard, »als daß dies alte treue Symbol mit dem entehrten Wappen eines verrätherischen Rundkopfes vereinigt werde.«

Dies alles war die Wirkung eines Sonnenstrahles, der eben hinreichte, dem Anwalt Klippurse das nöthige Licht zum Spitzen seiner Feder zu geben. Die Feder wurde vergebens gespitzt. Der Anwalt wurde mit der Weisung entlassen, sich bereit zu halten, auf den nächsten Ruf zu erscheinen.

Die Ankunft des Anwalt Klippurse in der Halle hatte manche Vermuthungen in dem Theile der Welt, dessen Mittelpunkt Waverley-Haus bildete, veranlaßt, aber schärfere Politiker dieses Mikrokosmus zogen noch schlimmere Folgerungen für Richard Waverley aus einem Ereignisse, welches kurze Zeit nach dessen Abfall stattfand. Dies war nichts Geringeres als ein Ausflug des Baronets in einer mit sechs Pferden bespannten Staatskutsche und mit vier Bedienten in reicher Livree, um einen Besuch von einiger Dauer bei einem edlen Pair der Nachbarschaft zu machen, der von unbeflecktem Stamme, von festen torystischen Grundsätzen und glücklicher Vater von sechs unverheirateten und heiratsfähigen Töchtern war.

Sir Everards Aufnahme in dieser Familie war, wie man sich leicht denken kann, höchst günstig; unter den sechs jungen Mädchen leitete ihn sein Geschmack aber unglücklicherweise auf Lady Emily, die jüngste, die seine Aufmerksamkeit mit einer Verlegenheit hinnahm, welche bewies, daß sie sie nicht abzulehnen wagte, und daß sie ihr doch eher alles andere als Freude machte. Sir Everard mußte etwas Ungewöhnliches in der zurückhaltenden Erwiderung finden, welche das junge Mädchen seinem Entgegenkommen zollte, indeß durch die kluge Gräfin versichert, dies wären die natürlichen Folgen einer zurückgezogenen Erziehung, würde er den verhängnißvollen Schritt ohne Zweifel gethan haben, hätte nicht eine ältere Schwester den Muth gehabt, dem mächtigen Bewerber zu gestehen, daß Emilys Neigung bereits auf einen jungen reichen Krieger, einen nahen Verwandten ihrer Familie, gefallen sei. Sir Everard zeigte sich bei dieser Nachricht sehr erregt. Dieselbe wurde bald daraus durch das junge Mädchen selbst in einer besondern Zusammenkunft bestätigt, in der sie zugleich die schrecklichsten Besorgnisse über ihres Vaters Unwillen äußerte.

Ehre und Großmuth waren erbliche Eigenschaften des Hauses Waverley. Mit einer Anmuth und einem Zartgefühl, das eines Romanhelden würdig war, zog Sir Everard seine Bewerbung um die Hand der Lady Emily zurück, ja, ehe er Blandville-Castle verließ, war er sogar so geschickt, Emilys Vater die Einwilligung zu der Ehe mit dem Gegenstande ihrer Wahl abzudringen. Was für Gründe er in dieser Hinsicht anführte, kann nicht genau angegeben werden, denn im Punkte der Ueberredungsgabe wurde Sir Everard nie für stark gehalten. Sei's, wie's wolle, der junge Offizier stieg unmittelbar nach diesem Schritte in der Armee mit einer Schnelligkeit, die den gewohnten Schritt nicht protegirten Verdienstes weit übertraf, obgleich dieses dem äußern Scheine nach alles war, worauf er sich stützen konnte.

Der Streich, welchen Sir Everard bei dieser Gelegenheit empfing, wurde zwar durch das Bewußtsein gemildert, daß er tugendhaft und ehrenwerth gehandelt, hatte aber doch einen Einfluß auf sein ganzes künftiges Leben. Sein Heiratsentschluß war in einem Anfalle des Unwillens gefaßt worden, die Mühe des Hofmachens paßte nicht ganz zu der würdevollen Trägheit seiner Gewohnheiten, er war nur durch einen glücklichen Zufall der Gefahr entgangen, eine Frau zu heiraten, die ihn nie lieben konnte, und sein Stolz konnte sich durch diesen Ausgang seiner Bewerbung nicht geschmeichelt fühlen, auch wenn sein Herz nicht dadurch gelitten hätte. Das Resultat der ganzen Sache war seine Rückkehr nach Waverley-Haus, ungeachtet der Seufzer und schmachtenden Blicke der schönen Verrätherin, welche nur aus schwesterlicher Zuneigung das Geheimniß von der Liebe der Lady Emily verrathen hatte. Auch die Winke und Fingerzeige der gefälligen Lady Mutter und die ernsten Lobsprüche, welche der Graf der Klugheit, dem gesunden Sinne und den bewundernswerthen Anlagen seiner ersten, zweiten, dritten, vierten und fünften Tochter zollte, wollten nicht verfangen.

Die Erinnerung an seine mißlungene Werbung war für Sir Everard, wie bei manchen Männern seiner Gemüthsart, die zugleich schüchtern, stolz, reizbar und träg sind, eine Warnung, sich für die Zukunft ähnlicher Demüthigung, Mühe und fruchtloser Anstrengung nicht wieder auszusetzen. Er fuhr fort, in Waverley-Haus nach Art eines altenglischen Edelmannes von altem Geschlecht und großem Vermögen zu leben. Seine Schwester, Miß Rahel Waverley, führte den Vorsitz an seiner Tafel, und sie wurden allmählich, er ein alter Hagestolz und sie eine alte Jungfer, die freundlichsten und gutmüthigsten Anhänger des Cölibates.

Die Heftigkeit des Unwillens gegen seinen Bruder war in Sir Everard nur von kurzer Dauer; sein Mißfallen aber an dem Whig und dem königlichen Beamten erhielt fortwährend eine gewisse Kälte zwischen ihnen, wenn es auch nicht fähig war, ihn zu irgend einer Maßregel anzutreiben, die für Richard in Bezug auf die Erbfolge der Familiengüter nachtheilig gewesen wäre. Richard kannte genug von der Welt und von dem Temperamente seines Bruders, um zu glauben, daß er durch irgend ein unüberlegtes oder übereiltes Vorgehen von seiner Seite passives Mißfallen in einen thätigeren Unwillen verwandeln könnte. Es war daher nur ein Zufall, der endlich eine Erneuerung ihres Verkehrs herbeiführte. Richard hatte ein junges Mädchen von Rang geheiratet, durch dessen Familienverbindungen und Privatvermögen er seine Carriere zu beschleunigen hoffte. Durch sie wurde er Besitzer eines Gutes von einigem Werthe, welches nur wenige Meilen von Waverley entfernt lag.

Der kleine Edward, der Held unserer Geschichte, damals fünf Jahre alt, war ihr einziges Kind. Es ereignete sich, daß das Kind mit seiner Wärterin eines Morgens sich eine Meile von der Allee entfernt hatte, die zu Brerewood-Lodge, seines Vaters Wohnsitz, führte. Ihre Aufmerksamkeit wurde durch einen Wagen erweckt, den sechs schöne Rappen zogen, und der mit so viel Schnitzwerk und Vergoldung verziert war, daß er der Staatskutsche eines Lordmayors Ehre gemacht haben würde. Der Wagen wartete auf den Besitzer, der in geringer Entfernung davon die Fortschritte eines halbfertigen Pachthofgebäudes besichtigte. Ich weiß nicht, auf welche Weise der Knabe ein Wappenschild mit drei Hermelinen als sein persönliches Eigenthum zu betrachten gelernt haben mochte, aber kaum sah er dies Familienzeichen, als er fest entschlossen schien, sein Recht auf das glänzende Fuhrwerk geltend zu machen, auf dem es angebracht war. Der Baronet erschien, während die Wärterin noch vergebens bemüht war, den Knaben davon abzubringen, sich den vergoldeten Wagen mit den sechs Pferden zuzueignen. Das Zusammentreffen erfolgte in einem glücklichen Augenblicke für Edward, denn sein Oheim hatte eben nachdenklich und mit einem Gefühle von Neid den kräftigen Knaben seines stattlichen Pächters betrachtet, dessen Wohnung nach seiner Anleitung erbaut wurde. In dem rothwangigen Cherubsgesichte, das hier vor ihm stand, sein Auge und seinen Namen und einen Anspruch auf den Erbtitel hatte, schien die Vorsehung ihm den Gegenstand zu gewahren, der am besten geeignet war, die Leere in seinen Hoffnungen und seinen Neigungen auszufüllen. Sir Everard kehrte nach Waverley-Hall auf einem für ihn bereit gehaltenen Reitpferde zurück, während er das Kind und seine Wärterin in dem Wagen nach Brerewood-Lodge schickte, und zwar mit einer Botschaft, die Richard Waverley eine Thür zur Aussöhnung mit seinem ältern Bruder öffnete.

Der so erneuerte Verkehr blieb indeß formell und höflich, aber trotz des Mangels an brüderlicher Herzlichkeit genügte er den Wünschen beider Parteien. Sir Everard erhielt durch die häufige Gesellschaft seines kleinen Neffen etwas, worin sein erblicher Stolz das vorempfundene Vergnügen einer Fortpflanzung seines Geschlechtes finden konnte, zugleich fand seine Freundlichkeit und Güte volle Gelegenheit zur Ausübung. Richard Waverley sah in der wachsenden Zuneigung zwischen Oheim und Neffen die Mittel zu seines Sohnes, wo nicht seiner eigenen Nachfolge in den erblichen Besitzungen. Daß durch irgend einen Versuch zu größerer Vertraulichkeit diese Aussicht bei einem Manne von Sir Everards Anschauungen eher gefährdet als befördert werden konnte, dessen war er sich wohl bewußt.

Durch eine Art stillschweigenden Uebereinkommens wurde es so dem kleinen Edward erlaubt, den größeren Theil des Jahres in Waverley-Hall zuzubringen, und er schien beiden Familien gleich eng und intim anzugehören, obgleich ihr gegenseitiger Verkehr sich eigentlich nur auf formelle Mitteilungen und noch formellere Besuche beschränkte. Die Erziehung des Knaben wurde wechselsweise durch den Geschmack und die Meinungen seines Oheims und seines Vaters geleitet. Doch davon mehr in dem folgenden Kapitel.


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