Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel LI.

Intriguen der Gesellschaft und der Liebe

Oberst Talbot wurde nach dem Vertrauen, das Waverley ihm geschenkt, freundlicher in seinem Benehmen gegen denselben, und da sie viel beisammen waren, stieg Waverleys Achtung vor dem Charakter des Obersten. Anfangs hatte es ihm geschienen, als ob etwas Hartes in dessen unwilligen und bitter tadelnden Aeußerungen läge, wenn auch im allgemeinen niemand sich der Ueberlegung zugänglicher erwies. Die Gewohnheit aber, als Autorität zu gelten, hatte seinem Wesen etwas Gebieterisches aufgeprägt, trotz des feinen Schliffs, welchen sein Benehmen durch die Bewegung in den höheren Kreisen der Gesellschaft angenommen hatte. Als Militär unterschied er sich von allem, was Waverley bisher gesehen hatte. Das Soldatische des Barons von Bradwardine trug den Stempel der Pedanterie; das des Majors Melville charakterisirte sich durch eine kleinliche Beobachtung der technischen Einzelnheiten in der Disciplin, welche allenfalls für den paßt, der ein Bataillon führen soll, doch nicht für den, welcher eine Armee zu kommandiren hat; bei Fergus war der Geist des Soldaten so sehr mit Plänen und politischen Absichten vollgepfropft, daß er weniger einem Militär als einem kleinen Herrscher glich. Oberst Talbot war der englische Soldat in des Wortes eigentlichster Bedeutung. Seine ganze Seele war dem Dienste seines Königs und seines Vaterlandes gewidmet, ohne ein Gefühl des Stolzes, wie es den Baron erfüllte, daß er in der Theorie seiner Kunst so erfahren war, wie es Melville aus der strengsten Beobachtung praktischer Kleinigkeiten sog, und ohne, wie der Häuptling von Glennaquoich, seine Kenntnisse zu verwenden, um die Zwecke seines persönlichen Ehrgeizes zu verfolgen. Zudem war Talbot ein Mann von umfassendem Wissen und gebildetem Geschmack, nur, wie wir bereits erwähnten, von den eigenthümlichen Vorurtheilen des Engländers erfüllt.

Dieser Charakter erschloß sich Edward von Tag zu Tage mehr, denn die fruchtlose Belagerung des Schlosses von Edinburg durch die Hochländer nahm mehrere Wochen in Anspruch, während deren Waverley weiter keine Beschäftigung hatte, als die Unterhaltung aufzusuchen, welche die Gesellschaft bot. Gern hätte er seinen neuen Freund überredet, sich seinen älteren Bekannten vorstellen zu lassen, aber nach einem oder zwei Besuchen schüttelte Oberst Talbot den Kopf und lehnte jede weitere Probe ab. Er ging in der That noch weiter und schilderte den Baron als den unerträglichsten Pedanten, mit dem das Unglück ihn je in seinem Leben zusammengeführt, und den Häuptling von Glennaquoich als einen französirten Schotten, der alle List und Leichtfertigkeit des Volkes, bei dem er erzogen worden, mit dem ganzen Stolz, der Rachgier und dem unruhigen Geiste der Nation, in welcher er geboren war, vereinigte. »Hätte der Teufel,« sagte er, »absichtlich einen Agenten ausgesucht, dies arme Land in Verwirrung zu stürzen, so hätte er keinen besseren finden können als diesen Menschen, dessen Geist ebenso thätig als gewandt, verschlagen und Unheil brütend zu sein scheint und dem eine solche Bande von Halsabschneidern wie die, welche Sie so sehr bewundern, blindlings folgt und gehorcht,«

Die Damen der Gesellschaft entgingen seinem Tadel ebenfalls nicht. Er gab zu, daß Flora Mac-Ivor ein schönes Weib und Rosa Bradwardine ein liebliches Mädchen sei; aber er sagte, daß die erstere den Eindruck ihrer Schönheit durch ein geziertes Wesen der Vornehmheit störe, das sie wahrscheinlich an dem lächerlichen Hofe von St. Germain gesehen hatte, und was die letztere beträfe, so sei es unmöglich, daß irgend ein Sterblicher solch ein kleines unerzogenes Ding bewundern könnte, dessen geringer Grad von Erziehung für ihr Geschlecht und ihre Jugend paßten, wie ihr eine von ihres Vaters alten Kriegsuniformen passen würde. Nun war freilich viel von diesem Tadel der Stimmung und dem Vorurtheile des guten Obersten beizumessen, bei dem die weiße Kokarde vor der Brust, die weiße Rose in dem Haar und das Mac vor dem Namen aus einem Engel einen Teufel gemacht hätten, und er gestand selbst scherzend, daß er die Venus nicht ertragen würde, wenn sie in einem Gesellschaftszimmer unter dem Namen Miß Mac-Jupiter vorgestellt würde.

Waverley sah, wie man leicht glauben wird, die jungen Damen mit ganz andern Augen an. Während der Belagerung war er fast täglich ihr Gast, obgleich er mit Betrübniß bemerkte, daß seine Bewerbungen um die Neigung Floras eben so wenig ausrichteten, als die Waffen des Chevaliers gegen die Festung. Sie folgte ausdauernd der Regel, die sie sich auferlegt hatte, ihn mit Gleichgültigkeit zu behandeln, ohne sich den Schein zu geben, ihn zu vermeiden oder seine Unterhaltung zu fliehen. Jedes Wort, jeder Blick stimmte genau zu ihrem System, und weder die Niedergeschlagenheit Waverleys, noch der kaum unterdrückte Zorn ihres Bruders konnten Floras Aufmerksamkeit auf Edward über das hinausheben, was die gewöhnlichen Formen der Artigkeit erforderten. Auf der andern Seite stieg Rosa Bradwardine allmählich in Waverleys Meinung. Er hatte mehrfach Gelegenheit zu bemerken, daß ihr Wesen einen höheren Charakter annahm, sobald ihre Blödigkeit schwand, daß die Aufregungen der stürmischen Zeit bei ihr eine gewisse Würde des Gefühls und Ausdruckes hervorzurufen schienen, die er früher nicht bemerkt hatte, und daß sie keine erreichbare Gelegenheit unbenutzt ließ, ihre Kenntnisse zu erweitern und ihren Geschmack zu verfeinern. Flora Mac-Ivor nannte Rosa ihren Zögling, und war eifrig bemüht, ihr in ihren Studien beizustehen, und sowohl ihren Geschmack, als ihren Geist zu bilden. Ein sehr genauer Beobachter hätte indeß bemerken können, daß sie in Waverleys Gegenwart viel mehr bemüht war, die Eigenschaften ihrer Freundin geltend zu machen als die eigenen. Aber ich muß den Leser ersuchen anzunehmen, daß diese freundliche und uneigennützige Absicht von dem vorsichtigsten Zartgefühl verhüllt wurde, so daß es der gewöhnlichen Bemühung eines reizenden Weibes, ein anderes hervorzuheben, eben so ungleich war, wie die Freundschaft David und Jonathans dem vertrauten Verkehr von zwei Müßiggängern. Thatsache ist, daß die Wirkung zwar gefühlt, die Ursache aber schwerlich bemerkt wurde. Jede der Damen war wie zwei vortreffliche Schauspielerinnen ausgezeichnet in ihrer Rolle und führte sie zum Entzücken der Zuhörer durch; unter diesen Umständen konnte man natürlich nicht entdecken, daß die ältere fortwährend ihre Freundin dort zur Geltung kommen ließ, wo sie in dem günstigsten Lichte erscheinen mußte.

Für Waverley besaß Rosa Bradwardine eine Anziehungskraft, der nur wenige Männer widerstehen können, durch die deutliche Theilnahme nämlich, die sie an allem zeigte, was ihn betraf. Sie war zu jung und zu unerfahren, um ganz die Wirkung der beständigen Aufmerksamkeit, die sie ihm zollte, zu würdigen. Ihr Vater war zu ausschließlich mit gelehrten und militärischen Streitfragen beschäftigt, um ihre Parteilichkeit zu bemerken, und Flora Mac-Ivor beunruhigte sie nicht durch Warnungen, denn sie schloß aus diesem Benehmen, es sei höchst wahrscheinlich, daß die Neigung ihrer Freundin zuletzt erwidert werde.

Die Wahrheit ist, daß Rosa in der ersten Unterredung mit ihrer Freundin derselben ihren ganzen Gemüthszustand entdeckt hatte, obgleich sie selbst davon nichts merkte. Von der Zeit an war Flora nicht nur zu gänzlicher Verwerfung von Waverleys Anträgen entschlossen, sondern erst recht darauf bedacht, dessen Neigung womöglich auf ihre Freundin zu lenken. Auch interessirte sie sich darum nicht weniger dafür, weil ihr Bruder von Zeit zu Zeit, halb im Scherz, halb im Ernst, davon gesprochen hatte, sich um Miß Bradwardine zu bewerben. Sie wußte, daß Fergus die echten Ansichten des Kontinents über die Ehe theilte und seine Hand selbst einem Engel nicht gegeben haben würde, außer in der Absicht, dadurch seine Verbindungen, seinen Einfluß, seinen Reichthum zu erhöhen. Des Barons Idee, seine Besitzungen auf einen entfernten männlichen Erben, statt auf seine eigene Tochter zu übertragen, war daher wahrscheinlich ein unübersteigliches Hinderniß für ihn, ernsthaft an eine Verbindung mit Rosa Bradwardine zu denken. In der That war der Kopf unseres Fergus eine ewig thätige Werkstätte von Plänen und Intriguen jeder Art, und gleich manchem Künstler von mehr Geist als Ausdauer gab er oft unerwartet und ohne einen scheinbaren Grund einen Plan auf, um mit allem Ernste an einen andern zu gehen, der entweder frisch geschmiedet war, oder in einer frühern Zeit halb beendet bei Seite geworfen wurde. Es fiel deshalb oft schwer zu errathen, welches Benehmen er bei gegebener Gelegenheit beobachten würde.

Obgleich Flora innig an ihrem Bruder hing, dessen hohe Energie in der That ihre Bewunderung auch ohne die Bande erzwungen hätte, welche sie mit ihm vereinigten, so war sie doch keineswegs blind gegen seine Fehler, die sie als gefährlich für die Hoffnungen jedes Mädchens betrachtete, welches seine Begriffe ehelichen Glückes auf den friedlichen Genuß der Häuslichkeit und den Austausch gegenseitiger Herzensneigung stützte. Die wahre Neigung Waverleys auf der andern Seite schien ungeachtet seiner Träume von militärischen Thaten und Ehren ausschließlich auf die Häuslichkeit gerichtet. Er forderte und empfing keinen Antheil an den unruhigen Auftritten, die rings um ihn her vorgingen, und wurde durch die Besprechung widerstreitender Ansprüche, Rechte und Interessen, die oft in seiner Gegenwart stattfand, eher gelangweilt als interessirt. Dies alles zeigte ihn als einen Mann, ganz geeignet, ein Wesen glücklich zu machen, dessen Neigungen, wie die Rosas, mit den seinigen übereinstimmten.

Flora bemerkte diesen Punkt in Waverleys Charakter eines Tages, als sie mit Miß Bradwardine zusammen saß. »Sein Geist und sein feiner Geschmack,« sagte Rosa, »können durch solche kleinliche Streitpunkte nicht erregt werden. Was gilt es ihm z. B., ob der Häuptling der Macindallaghers, der nur fünfzig Mann in das Feld stellte, Oberst oder Kapitän sein soll, und wie kann man glauben, daß Herr Waverley Theil an dem heftigen Zwiste zwischen Deinem Bruder und dem jungen Corrinaschian nehmen könnte, ob der Ehrenposten dem ältesten eines jüngeren Clans ober dem jüngeren des ältesten gebührt?«

»Meine theure Rosa, wäre er der Held, den Du in ihm siehst, so würde er an diesen Sachen Theil nehmen, in der That nicht als wichtig an und für sich selbst, sondern als Vermittler zwischen den glühenden Geistern, welche dieselben zum Gegenstand ihres Zwistes machten. Du hast gesehen, daß Waverley, als Corrinaschian die Stimme leidenschaftlich erhob und die Hand auf das Schwert legte, aufsah, als erwache er aus einem Traume, und mit großer Ruhe fragte, was vorgefallen sei.«

»Gut, und nützte nicht das Gelächter, in welches alle über seine Geistesabwesenheit ausbrachen, zur Beilegung des Streites besser, als irgend etwas, das er sonst hätte vorbringen können?«

»Gewiß, meine Liebe,« antwortete Flora, »doch war dies nicht so rühmlich für Waverley, als wenn er die Streitenden durch Gründe zur Vernunft gebracht hätte.«

»Willst Du ihn denn zum allgemeinen Friedensstifter unter den sämmtlichen sprudelköpfigen Hochländern in der Armee machen? Ich bitte Dich um Verzeihung, Flora, Dein Bruder, weißt Du, ist dabei außer aller Frage; er hat mehr Verstand als die Hälfte aller übrigen, aber kannst Du glauben, daß die feurigen, heißen, wilden Gemüther, von deren Streitigkeiten wir so viel sehen und noch mehr hören, und die mich täglich bis zum Tode erschrecken, überhaupt mit Waverley zu vergleichen sind?«

»Ich vergleiche ihn nicht mit diesen ungebildeten Menschen, meine theure Rosa. Ich beklage nur, daß er bei seinen Talenten und bei seinen Kenntnissen nicht den Platz in der Gesellschaft einnimmt, zu dem sie ihn so sehr befähigen, und daß er diese nicht mit der vollen Kraft für die edle Sache verwendet, der er sich gewidmet hat. Sind da nicht Lochiel und P. und M. und G., alles Männer von der höchsten Erziehung, sowie von den ersten Talenten, weshalb suchte er nicht so thätig und nützlich zu sein wie diese? Ich glaube oft, daß sein Eifer durch den stolzen, kaltblütigen Engländer erstarrt ist, mit dem er jetzt so viel zusammen lebt.«

»Oberst Talbot? Der ist in der That eine unangenehme Persönlichkeit. Er sieht aus, als wäre keine schottische Dame würdig, ihm eine Tasse Thee zu reichen. Aber Waverley ist so freundlich, so unterrichtet.«

»Ja,« sagte Flora lächelnd, »er kann den Mond bewundern und eine Stanze von Tasso citiren.«

»Uebrigens weißt Du ja auch, wie er gefochten hat,« fügte Miß Bradwardine hinzu.

»Was das bloße Fechten betrifft,« antwortete Flora, »so glaube ich, daß alle Männer, d. h. die, welche den Namen verdienen, einander darin gleich sind; im allgemeinen gehört mehr Muth dazu, davon zu laufen. Sie haben überdies, wenn sie einander gegenübergestellt werden, einen gewissen Instinkt zu kämpfen, wie wir ihn bei männlichen Thieren, etwa an Hunden, Stieren und anderen überhaupt finden. Aber hohe und gefahrvolle Unternehmungen sind nicht Waverleys starke Seite; er würde nie geworden sein, was sein ruhmgekrönter Vorfahr, Sir Nigel, war, höchstens dessen Lobredner und Sänger. Ich will Dir sagen, wo er zu Haus und an seiner Stelle sein wird, meine Liebe: in dem stillen Kreise häuslichen Glückes, gelehrter Trägheit und eleganter Zerstreuungen zu Waverley-Haus; dort wird er das alte Bibliothekszimmer in dem ausgezeichnetsten gothischen Geschmacke wieder herstellen und die Bücherbretter mit den seltensten und kostbarsten Werken versehen; er wird Pläne und Landschaften entwerfen, Verse schreiben, Tempel ausführen, Grotten graben, er wird in einer heitern Sommernacht unter der Kolonnade vor der Halle stehen und auf die Hirsche blicken, die im Mondlicht äsen oder im Schatten der gewaltigen alten Eiche liegen; er wird seiner reizenden Gemahlin, die sich an seinen Arm hängt, Verse citiren, – er wird eben ein glücklicher Mann sein.«

Und sie eine glückliche Frau, dachte die arme Rosa. Sie seufzte und ließ das Gespräch fallen.


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