Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XLII.

Der Ball.

Fähnrich Maccombich war in Dienstgeschäften nach dem Hochland, wo sich das Lager befand, gegangen, Amtmann Macwheeble hatte sich zurückgezogen, um sein Mittagessen und Evan Dhus Hindeutung auf das Kriegsgesetz zu verdauen, und Waverley, der Baron und der Häuptling gingen nach Holyrood. Die beiden letzten waren sehr flott gestimmt, und der Baron neckte unsern Helden während des Weges über seinen schönen Wuchs, der durch den neuen Anzug vortheilhaft hervorgehoben wurde.

Sie erreichten jetzt den Palast von Holyrood und wurden gemeldet, indem sie in die Gemächer traten.

Es ist nur zu wohl bekannt, wie viele Edelleute von Rang, Erziehung und Vermögen an der verzweifelten Unternehmung von 1745 Theil nahmen. Auch die Damen traten in Schottland fast allgemein der Sache des tapfern und schönen jungen Prinzen bei, der sich seinen Landsleuten mehr wie ein Romanheld als wie ein berechnender Politiker anvertraute. Es ist daher nicht zu verwundern, daß Edward, welcher den größern Theil seines Lebens in der feierlichen Einsamkeit von Waverley-Haus zugebracht hatte, durch die Lebendigkeit und den Glanz der Scene geblendet wurde, die sich ihm jetzt in den lange verödeten Hallen des schottischen Palastes darbot. In der That herrschte wenig Glanz, da die Verwirrung und Hast der Zeit in dieser Beziehung nicht zu viel zu thun gestattete, dennoch aber war der allgemeine Eindruck überraschend, und wenn man den Rang der Gesellschaft erwägt, so konnte sie wohl glänzend genannt werden.

Es währte nicht lange, bis das Auge des Liebenden den Gegenstand seiner Neigung entdeckte. Flora Mac-Ivor kehrte eben zu ihrem Sitz am obern Ende des Gemaches mit Rosa Bradwardine an ihrer Seite zurück. Unter vielen Erscheinungen von Eleganz und Schönheit hatten sie in hohem Grade die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, denn sie waren zwei der hübschesten unter den anwesenden Damen. Der Prinz beschäftigte sich viel mit beiden, besonders mit Flora, mit der er tanzte, ein Vorzug, den sie wahrscheinlich wegen ihrer fremden Erziehung, sowie ihrer Fertigkeit in der französischen und englischen Sprache genoß.

Als das Gewirre nach Beendigung des Tanzes es erlaubte, folgte Edward beinahe unwillkürlich Fergus zu dem Orte, wo Miß Mac-Ivor saß. Das Gefühl der Hoffnung, mit dem er seine Neigung während der Abwesenheit von dem geliebten Gegenstande genährt hatte, schien in seiner Gegenwart zu verschwinden, und wie jemand, der sich der einzelnen Umstände eines halb vergessenen Traumes zu erinnern strebt, würde er in diesem Augenblicke die Welt darum gegeben haben, sich auf die Gründe zu besinnen, auf welche er einst Aussichten stützte, die jetzt trügerisch zu sein schienen. Er begleitete Fergus mit niedergeschlagenen Augen, klingendem Ohr und dem Gefühl des Verbrechers, der, während der finstere Karren sich langsam durch die dichte Masse bewegt, die sich versammelt hat, um der Hinrichtung beizuwohnen, kein deutliches Gefühl von dem Lärmen gewinnt, das seine Ohren füllt, noch von dem Tumult, auf den sein unstäter Blick trifft.

Flora schien ein wenig, sehr wenig, durch seine Annäherung erregt und außer Fassung. – »Ich bringe Dir einen Adoptivsohn Ivors,« sagte Fergus.

»Und ich empfange ihn wie einen zweiten Bruder,« erwiderte Flora. Es lag eine leise Betonung in dem Worte, die jedem andern Ohre als einem so fieberhaft gespannten entgangen sein würde. Sie war aber genau markirt, und mit ihrem ganzen Ton und Wesen zusammengehalten, sagte sie deutlich: »Ich will nie an Herrn Waverley wie an einen vertrauteren Bekannten denken.« Edward verbeugte sich und blickte Fergus an, der sich auf die Lippe biß, eine Bewegung des Zornes, welche bewies, daß auch er dem Empfange seines Freundes von Seiten seiner Schwester eine ungünstige Auslegung gegeben hatte.

»Das also ist das Ende meines wachen Traumes?« Das war Waverleys erster Gedanke, und er war ihm so peinlich, daß er jeden Blutstropfen aus seinen Wangen trieb.

»Großer Gott!« rief Rosa Bradwardine, »er ist noch nicht wiederhergestellt.«

Diese Worte, welche sie mit großer Rührung aussprach, hörte der Chevalier selbst, der schnell vortrat, und Waverleys Hand ergreifend, freundlich nach seiner Gesundheit fragte, und dann hinzufügte, daß er mit ihm zu sprechen wünsche. Durch eine kräftige Anstrengung, welche die Umstände unerläßlich machten, gewann Waverley so viel Selbstbeherrschung, daß er dem Prinzen schweigend in eine ferne Ecke des Gemaches folgen konnte.

Hier hielt der Prinz ihn einige Zeit zurück, indem er ihm mehrere Fragen nach den großen Torys und katholischen Familien Englands, ihren Verbindungen, ihrem Einflusse und ihren Neigungen gegen das Haus Stuart vorlegte. Auf diese Fragen hätte Edward zu jeder Zeit nur allgemeine Antworten geben können, und man muß vermuthen, daß bei dem gegenwärtigen Zustande seiner Gefühle seine Antworten unklar bis zur Verwirrung waren. Der Chevalier lächelte einigemal über das Unzusammenhängende seiner Entgegnungen, fuhr aber in der Unterhaltung fort, obgleich er sich gezwungen sah, den größten Theil derselben allgemein zu führen; endlich bemerkte er, daß Waverley seine Geistesgegenwart wiedergewonnen hatte. Es ist wahrscheinlich, daß diese lange Audienz zum Theil vom Prinzen beabsichtigt war, der seiner Umgebung einen möglichst hohen Begriff von der politischen Wichtigkeit Waverleys beizubringen wünschte. Nach seinen letzten Ausdrücken aber schien es, daß er auch einen ganz andern und gutmüthigen Beweggrund hatte, der unserm Helden persönlich galt, wenn er das Gespräch verlängerte. »Ich kann der Versuchung nicht widerstehen,« sagte er, »mich meiner Verschwiegenheit als der Vertraute einer Dame zu rühmen. Sie sehen, Herr Waverley, daß ich alles weiß, und ich versichere Sie meiner aufrichtigsten Theilnahme an der Sache. Aber, mein guter junger Freund, Sie müssen Ihren Gefühlen mehr Zwang anlegen. Es gibt hier viele Augen, die eben so klar sehen wie die meinigen, deren Zungen jedoch nicht eben so zu trauen ist wie der meinigen.«

Mit diesen Worten wendete er sich freundlich ab und trat zu einem Kreise von Offizieren, die wenige Schritte entfernt standen, und überließ Waverley dem Nachdenken über seine letzte Aeußerung, welche zwar nicht ganz verständlich war, aber doch hinlänglich die Nothwendigkeit der Vorsicht andeutete. Er machte daher eine Anstrengung, sich der Theilnahme werth zu zeigen, die sein neuer Gebieter gegen ihn ausgesprochen hatte, und um seinem Winke augenblicklich zu gehorchen, ging er zu dem Orte, wo Flora und Miß Bradwardine noch saßen, und nachdem er die letztere gegrüßt hatte, gelang es ihm, selbst über seine Erwartung, ein Gespräch über allgemeine Gegenstände anzuknüpfen.

Anstrengung belohnt sich wie die Tugend selbst, und unser Held hatte überdies noch einen andern Sporn gegen Floras offenbare Unfreundlichkeit, eine erzwungene Ruhe und Gleichgültigkeit zu zeigen. Der Stolz, welcher sich als ein nützliches, wenn auch strenges Mittel gegen die Wunden der Neigung zeigt, kam ihm schnell zu Hilfe. Ausgezeichnet durch die Gunst des Prinzen, bestimmt dazu, wie er hoffen durfte, in der Revolution, welche die Gründung eines mächtigen Königreichs erwarten ließ, eine hervorragende Rolle zu spielen, indem er wahrscheinlich an geistigen Vorzügen die meisten der edlen und ausgezeichneten Personen überträfe, neben denen er jetzt stand, und denen er an persönlichen Vorzügen wenigstens gleich käme, jung, reich, hochgeboren, konnte, mußte er sich vor dem Stirnrunzeln einer launischen Schönheit beugen?

Wie kalt auch Dein Herz immer sein mag, Nymphe,
Mein Busen ist so stolz wie Deiner.

Mit dem Gefühl, welches in diesen Zeilen ausgesprochen ist, beschloß Waverley, Flora zu überzeugen, daß er durch eine Zurückweisung nicht niedergebeugt werden konnte, eine Zurückweisung, durch die, wie seine Eitelkeit ihm zuflüsterte, sie ihren eigenen Aussichten eben so im Wege stand wie seinen eigenen. Und diesen Wechsel der Gefühle zu unterstützen, lauerte darin die geheime, wenn auch uneingestandene Hoffnung, daß sie seine Neigung höher schätzen würde, sähe sie ein, daß es nicht ausschließlich in ihrer Macht stände, sie anzuziehen oder zurückzuweisen. Es lag auch eine geheimnißvolle Ermuthigung in den Worten des Chevaliers, obgleich er fürchtete, daß sie sich nur auf Fergus' Wunsch bezögen, der ja eine Verbindung zwischen ihm und seiner Schwester begünstigte. Das Zusammentreffen der Zeit, des Ortes, der Umstände vereinigten sich, seine Einbildungskraft zu erregen, und ihn zu einem männlichen, entschiedenen Benehmen aufzufordern, wobei er dem Geschicke den Ausgang überließ. Sollte er als der einzige Trübe und Entmuthigte am Vorabend einer Schlacht erscheinen? Wie begierig würde dies von einem Gerücht benützt werden, das sich schon einmal so boshaft gegen ihn gezeigt hatte? »Nie, nie,« so beschloß er bei sich selbst, »sollen meine Feinde, die ich nicht herausforderte, einen solchen Vortheil über meinen Ruf gewinnen.«

Unter dem Einflusse dieser gemischten Gefühle, und von Zeit zu Zeit ermuthigt durch ein Lächeln des Einverständnisses und der Billigung von Seiten des Prinzen, wenn dieser an der Gruppe vorüberging, bot Waverley seine Kraft der Phantasie, Lebendigkeit und Beredsamkeit auf und zog die allgemeine Bewunderung der Gesellschaft auf sich. Das Gespräch nahm allmählich den Ton an, der am besten geeignet war, seine Talente und Kenntnisse zu zeigen. Die Heiterkeit des Abends wurde durch die nahende Gefahr des morgenden Tages eher gesteigert als gehemmt. Alle Nerven waren gespannt auf die Zukunft und zugleich bereit, sich der Gegenwart zu freuen. Diese Gemüthsstimmung ist sehr vortheilhaft, die Gewalt der Einbildungskraft, der Poesie zu entwickeln, sowie jene Beredsamkeit, welche die Verbündete der Poesie ist. Waverley besaß, wie wir früher schon bemerkten, zuweilen einen wunderbaren Redefluß, und bei der gegenwärtigen Gelegenheit schlug er mehr als einmal die Saiten des höchsten Gefühls an und ließ sich dann von wilder phantastischer Fröhlichkeit fortreißen. Er wurde durch den lebhaft verwandten Geist der andern, welche denselben Einfluß der Stimmung und der Zeit empfanden, unterstützt und angetrieben, und selbst die von kälteren und ruhigeren Gewohnheiten wurden durch den allgemeinen Strom mit fortgerissen. Viele Damen lehnten den Tanz ab, der noch immer fortwährte, und traten unter dem einen oder andern Grunde zu der Gruppe, welcher »der hübsche junge Engländer« sich gewidmet zu haben schien. Er wurde mehreren Damen vom ersten Range vorgestellt, und sein Benehmen erregte allgemeines Entzücken.

Flora Mac-Ivor schien unter allen anwesenden Damen die einzige zu sein, welche ihm mit einem gewissen Grade der Kälte und Zurückhaltung begegnete, aber selbst sie konnte einige Verwunderung über Talente nicht unterdrücken, welche sie ihn im Laufe ihrer Bekanntschaft nie so glänzend und mit solchem Erfolge hatte entwickeln sehen. Ich weiß nicht, ob sie eine augenblickliche Reue darüber fühlte, einen Liebhaber so entschieden zurückgewiesen zu haben, der so wohl geeignet schien, einen hohen Platz in dem höchsten Range der Gesellschaft einzunehmen. Sicher hatte sie bisher zu den unverbesserlichen Fehlern Edwards die mauvaise honte gerechnet, welche, da sie in den ersten Cirkeln des Auslandes erzogen und mit dem zurückhaltenden Wesen englischer Sitte unbekannt war, ihrer Meinung nach, der Blödigkeit und Dummheit nahe stand. Wenn aber in ihr ein vorübergehender Wunsch erwachte, daß Waverley sich immer so liebenswürdig und anziehend gezeigt haben möchte, so war diese Wirkung doch nur sehr augenblicklich, denn seitdem sie sich nicht gesehen, hatten sich Umstände zugetragen, welche bei ihr den Entschluß, den sie früher in Bezug auf ihn gefaßt, fest und unwiderruflich machten.

Mit entgegengesetzten Gefühlen lauschte ihm Rosa Bradwardine von ganzer Seele. Sie fühlte einen geheimen Triumph über den öffentlichen Tribut, der einem jungen Manne gezollt wurde, dessen Verdienst sie nur zu früh und zu sehr würdigen gelernt hatte. Ohne einen Gedanken der Eifersucht, ohne ein Gefühl von Furcht, Schmerz oder Zweifel, ungestört durch irgend eine selbstsüchtige Betrachtung, gab sie sich dem Vergnügen hin, das allgemeine Gemurmel des Beifalls zu beobachten. Wenn Waverley sprach, war ihr Ohr ausschließlich von dem Klange seiner Stimme erfüllt, wenn andere antworteten, wendete sie ihr Auge beobachtend auf ihn und schien zu warten, was er antworten würde. Das Entzücken, welches sie diesen Abend empfand, war seiner Natur nach vielleicht das reinste und uneigennützigste, dessen der Mensch fähig ist, obgleich es nur vorübergehend war und große Sorge im Gefolge hatte.

»Baron,« sagte der Chevalier, »ich möchte meine Geliebte der Gesellschaft Ihres jungen Freundes nicht anvertrauen. Er ist in der That einer der bezauberndsten jungen Männer, die ich je gesehen habe, wenn auch vielleicht etwas romantisch.«

»Und bei meiner Ehre, Hoheit,« entgegnete der Baron, »der Bursche kann zuweilen so mürrisch sein wie ein Sechsziger, gleich mir. Hätten Ew. königliche Hoheit ihn gesehen, wie er träumend und sinnend durch die Gänge von Tully-Veolan hinschlich, Sie würden sich wundern, wo er so plötzlich alle diese seinen Worte und diese heitere Beredsamkeit hergenommen hat.«

»Wahrlich,« sagte Fergus Mac-Ivor, »ich glaube, das ist nur die Begeisterung des Tartans, denn obgleich Waverley jederzeit ein junger Mann voll Verstand und Ehre war, so habe ich ihn doch bisher oft als einen schweigsamen und unaufmerksamen Gesellschafter gefunden.«

»Wir sind ihm dann um so mehr verpflichtet,« sagte der Prinz, »daß er für diesen Abend Eigenschaften aufsparte, welche so vertraute Freunde noch nicht beobachteten. – Doch kommen Sie, meine Herren, die Nacht rückt vor, und wir müssen morgen früh an unser Geschäft denken. Jeder führe seine Dame und ehre ein kleines Mahl mit seiner Gesellschaft.«

Er ging nach einer andern Reihe von Gemächern voran und nahm den obersten Sitz an mehreren Tafeln mit einem Wesen der Würde und Leutseligkeit ein, das mit seiner edlen Geburt und seinen hochstrebenden Ansprüchen wohl übereinstimmte. Kaum war so eine Stunde vergangen, als die Musik das in Schottland wohlbekannte Zeichen zum Aufbruch gab.

»Gute Nacht denn!« sagte der Chevalier, indem er aufstand. »Gute Nacht, meine schönen Damen, die Sie einen verbannten und verstoßenen Prinzen so hoch geehrt haben. – Gute Nacht, meine braven Freunde, möge das Glück, welches wir diesen Abend empfanden, ein Vorzeichen unserer baldigen und triumphirenden Rückkehr in diese unsere väterlichen Hallen sein, sowie für manch wiederholtes Zusammensein voll Lust und Freude in dem Palaste von Holyrood!«

Wenn der Baron von Bradwardine später dies Lebewohl des Chevaliers erzählte, verfehlte er nie, in einem melancholischen Tone zu wiederholen:

Audiit, et voti Phoebus succedere partem
Mente dedit; partem volueres dispersit in auras;

»was,« wie er hinzufügte, »mein Freund Bangour so übersetzt hat:

Ein Teil der Worte ließ Gott Phöbus Gnade finden,
Der andre ward verstreut nach allen Winden.«


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