Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XXXII

Ein Vertrauter

Waverley erwachte am Morgen von unruhigen Träumen und einem unerqickenden Schlummer zum vollen Bewußtsein seiner schrecklichen Lage, Wie sie enden würde, das wußte er nicht. Er konnte den Kriegsgesetzen überliefert werden, welche mitten im Bürgerkriege wahrscheinlich nicht sehr gewissenhaft in der Wahl ihrer Opfer oder in der Prüfung der Beweisgründe von deren Verurtheilung sein würden. Auch fühlte er sich nicht sehr erleichtert durch den Gedanken an eine Untersuchung vor einem schottischen Gerichtshofe, denn er wußte, daß die Gesetze und Formen dort in mancher Hinsicht von denen in England abwichen, und man hatte ihn, wenn auch irrthümlich, zu glauben gelehrt, daß Freiheit und Recht der Unterthanen dort minder sorgfältig beschützt würden. Es entstand in seinem Gemüth ein Gefühl der Bitterkeit gegen die Regierung, welche er als die Ursache seiner Verlegenheit und Gefahr betrachtete, und er verwünschte es innerlich, daß er so skrupulös gewesen war, Mac-Ivors Einladung, ihn ins Feld zu begleiten, zu verwerfen. »Weshalb,« sagte er sich selbst, »ergriff ich nicht, gleich andern Männern von Ehre, die erste Gelegenheit, in Britannien den Abkömmling seiner alten Könige, den unmittelbaren Erben seines Thrones zu begrüßen. Weshalb

Entzog ich nicht des Aufruhrs Nadelöhr
Den Faden? Hieß verkannte Treu willkommen?
Floh zu dem Prinzen Karl? Fiel ihm zu Füßen?

Alles, was von Werth und Vortrefflichkeit dem Hause Waverley nachgesagt worden ist, war gegründet auf seine treue Anhänglichkeit an das Haus der Stuarts. Nach der Auslegung, welche der schottische Beamte den Briefen meines Oheims und meines Vaters gegeben hat, ist es klar, daß ich sie so verstanden haben sollte, als ermahnten sie mich, der Laufbahn meiner Vorfahren zu folgen, und nur mein Unverstand, meine Dummheit, im Verein mit der Undeutlichkeit ihrer Ausdrücke, die sie der Sicherheit wegen wählten, haben mein Urtheil irre geleitet. Wäre ich der ersten großmüthigen Einflüsterung des Unwillens gefolgt, als ich erfuhr, daß man mit meiner Ehre gespielt habe, wie anders würde dann meine jetzige Lage sein! Ich wäre frei und unter den Waffen und kämpfte gleich meinen Vorfahren für Liebe, Königstreue und Ruhm. Und nun bin ich hier in Fesseln und in Banden, der Gnade eines harten, strengen, kaltherzigen Menschen überlassen, vielleicht um in die Einsamkeit eines Kerkers gestürzt oder der Schande einer öffentlichen Hinrichtung überliefert zu werden. Ach, Fergus, wie wahr hat sich Deine Prophezeihung gezeigt, und wie schnell, wie unendlich schnell ist sie in Erfüllung gegangen!«

Während Edward so diesen peinlichen Gegenständen der Betrachtung nachhing, und sehr natürlich, doch nicht mit gleichem Rechte, der herrschenden Dynastie das zur Last legte, was der Zufall, aber wenigstens zum Theil sein eigenes unüberlegtes Betragen verschuldete, benutzte Morton die Erlaubniß des Major Melville, den Gefangenen zu besuchen.

Waverleys erste Regung war, ihm den Wunsch auszusprechen, er möchte ihn nicht durch Fragen oder Gespräche belästigen, aber er unterdrückte ihn, als er das wohlwollende und ehrwürdige Aeußere des Geistlichen sah, der ihn von der unmittelbaren Gewaltthat der Dorfbewohner errettet hatte.

»Ich glaube, Herr« sagte der junge unglückliche Mann, »daß ich Euch unter jeden andern Umständen so viel Dankbarkeit aussprechen würde, als die Sicherheit meines Lebens werth ist, aber die Aufregung meines Gemüthes ist jetzt so groß und meine Besorgniß vor dem, was ich wahrscheinlich zu erdulden habe, so lebhaft, daß ich Euch für Eure Vermittelung kaum meinen Dank ausdrücken kann.«

Mr. Morton entgegnete, er sei weit entfernt, auf seinen Dank Anspruch zu machen, sondern sein einziger Wunsch und der alleinige Zweck seines Besuches sei, die Mittel ausfindig zu machen, ihn zu verdienen. – »Mein vortrefflicher Freund, der Friedensrichter Melville,« fuhr er fort, »hat als Offizier und öffentlicher Beamter Gefühle und Pflichten, durch die ich nicht gefesselt bin, auch kann ich nicht immer mit den Meinungen übereinstimmen, die er hegt, vielleicht weil er der Unvollkommenheit der menschlichen Natur so wenig Nachsicht schenkt.« Er hielt inne und fuhr erst nach einer Pause fort: »Ich dränge mich nicht in Euer Vertrauen, Herr Waverley, um Umstände zu erfahren, deren Kenntniß Euch oder andern nachtheilig sein kann, aber ich spreche den ernsten Wunsch aus, daß Ihr mich mit solchen Umständen bekannt machen möchtet, die zu Eurer Rechtfertigung führen können. Ich kann Euch die feierliche Versicherung geben, daß sie einem treuen, und soweit seine beschränkte Macht geht, eifrigen Gehilfen anvertraut werden.«

»Ihr seid, wie ich vermuthe, ein presbyterianischer Geistlicher?«

Mr. Morton verneigte sich bejahend.

»Ließe ich mich durch die Vorurtheile der Erziehung leiten,« fuhr Waverley fort, »so würde ich Euren freundlichen Anerbietungen mißtrauen, aber ich habe bemerkt, daß in diesem Lande ähnliche Vorurtheile gegen Eure Amtsbrüder der bischöflichen Kirche genährt werden, und ich bin geneigt zu glauben, daß beide ungerecht sind.«

»Wehe dem, der anders denkt,« sagte Mr. Morton, »oder der Kirchenherrschaft und Ceremonien für ein Unterpfand des Glaubens oder der Moralität hält.«

»Aber,« fuhr Waverley fort, »ich kann nicht sehen, weshalb ich Euch durch die Mittheilung näherer Umstände beunruhigen sollte, aus denen ich, wenn ich sie so sorgfältig als möglich in mein Gedächtniß zurückrufe, die Anklage durchaus nicht zu erklären weiß. Ich weiß in der That, daß ich unschuldig bin, aber ich sehe kaum ein, wie ich es zu beweisen vermag.«

»Eben aus dem Grunde, Mr. Waverley, wage ich es, Euch Vertrauen in Anspruch zu nehmen. Meine Kenntniß der Individuen in diesem Lande ist sehr allgemein und kann im Fall der Noth noch ausgedehnt werden. Eure Lage wird, wie ich fürchte, Euch nicht erlauben, die Schritte zu thun, die nöthig sind, um Nachrichten einzuziehen oder Betrug zu hindern, ich will dieselben gern für Euch thun, und wenn meine Bemühungen Euch nichts nützen können, so werden sie Euch doch auch nicht schädlich sein.«

Nach kurzer Ueberlegung fühlte sich Waverley überzeugt, daß sein Vertrauen gegen Mr. Morton, soweit es ihn selbst betraf, weder Mr. Bradwardine, noch Fergus Mac-Ivor nachteilig sein könnte, die beide offen gegen die Regierung die Waffen ergriffen hatten, daß es aber ihm selbst möglicherweise von Nutzen sein könnte. Er eilte deshalb kurz über die meisten Ereignisse hinweg, mit denen der Leser bereits bekannt ist, überging seine Liebe zu Flora mit Stillschweigen und erwähnte in der That weder sie noch Rosa Bradwardine in dem Laufe seiner Erzählung. Mr. Morton schien besonders ergriffen durch die Schilderung von Waverleys Besuch bei Donald Bean Lean.

»Es freut mich,« sagte er, »daß Ihr dessen gegen den Friedensrichter nicht erwähntet. Dieser Umstand ist großer Mißdeutung von Seiten derer ausgesetzt, welche die Gewalt der Neugier und den Einfluß romantischer Neigungen als Beweggründe in den Handlungen der Jugend nicht berücksichtigen. Als ich in Ihrem Alter war, Herr Waverley, würde jede solche hirnverbrannte Unternehmung, ich bitte um Verzeihung wegen des Ausdrucks, für mich einen unaussprechlichen Reiz gehabt haben. Aber es gibt Menschen in der Welt, welche nicht glauben, daß man Gefahren und Mühseligkeiten oft ohne eine sehr angemessene Ursache aussucht, und die deshalb geneigt sind, den Handlungen Beweggründe unterzuschieben, die von der Wahrheit durchaus abliegen. Dieser Bean Lean ist durch das ganze Land berüchtigt als eine Art Robin Hood, und die Geschichten, die man sich von seiner Gewandtheit und seinem Unternehmungsgeist erzählt, sind in unserer Gegend die gewöhnliche Unterhaltung am winterlichen Herde. Er besitzt ganz gewiß Talente, die ihn weit über die niedere Sphäre hinausheben, in der er sich bewegt, und da es ihm weder an Ehrgeiz mangelt, noch sein Gewissen ihn abhält, wird er wahrscheinlich alle möglichen Mittel anwenden, um sich während dieser unglücklichen Unruhen auszuzeichnen.«

Mr. Morton erkundigte sich hierauf sorgfältig nach den verschiedenen näheren Umständen von Waverleys Zusammentreffen mit Donald Bean Lean und allem andern, was er ihm mitgetheilt hatte. Die Theilnahme, welche dieser gute Mann an Edwards Unglück zu nehmen schien, vor allem aber das volle Vertrauen, das er dem Anscheine nach in seine Unschuld setzte, hatte die natürliche Wirkung, des Jünglings Herz zu erleichtern, der durch die Kälte des Friedensrichters zu dem Glauben veranlaßt worden war, die ganze Welt hätte sich verschworen, ihn zu unterdrücken. Er schüttelte Mr. Morton herzlich die Hand, und indem er ihm die Versicherung gab, daß seine Güte und Theilnahme sein Gemüth von einer schweren Last befreit hätten, sagte er ihm: Wie auch sein Geschick sein möchte, so gehöre er doch einer Familie an, die dankbare Gesinnungen hege, und die die Macht habe, sie zu bethätigen. Der Ernst seines Dankes lockte Thränen in die Augen des würdigen Geistlichen, der sich für die Sache, für welche er seine Dienste dargeboten hatte, doppelt interessirt fühlte, als er die offenen unverstellten Gefühle seines jungen Freundes sah.

Edward fragte jetzt Mr. Morton, ob er wisse, welcher Bestimmungsort ihm gesetzt werden würde.

»Das Schloß von Stirling,« entgegnete sein Freund, »und insofern bin ich Euretwegen erfreut, denn der Gouverneur ist ein Mann von Ehre und Menschlichkeit. Zweifelhaft aber ist mir Eure Behandlung unterwegs. Major Melville ist wider Willen gezwungen, die Obhut über Eure Person einem andern anzuvertrauen.«

»Das freut mich,« entgegnete Waverley, »ich verabscheue diesen kalten, berechnenden schottischen Beamten. Ich hoffe, er und ich, wir treffen nie wieder zusammen. Er zeigte weder Mitgefühl mit meiner Unschuld, noch mit meiner traurigen Lage, und die lästige Genauigkeit, mit welcher er alle Formen der Höflichkeit beobachtete, während er mich durch Fragen marterte, sein Verdacht, seine Einwürfe, waren für mich so peinigend wie die Tortur einer Inquisition. Vertheidigen Sie ihn nicht, lieber Herr, denn ich könnte das nicht mit Geduld ertragen, sagen Sie mir lieber, wer die Aufsicht über einen Staatsgefangenen haben soll, wie ich es bin.«

»Ich glaube, ein gewisser Gilfillan, einer von der Sekte, welche Cameronsleute genannt werden.«

»Ich hörte bisher nie von ihnen.«

»Sie machen Anspruch darauf,« sagte der Geistliche, »die strengeren Presbyterianer vorzustellen, welche sich in den Tagen Karls II. und Jakobs II. weigerten, die Toleranz oder Indulgenz zu benutzen, die sich auf andere Glieder dieser Sekte erstreckte. Sie halten Konventikel auf offenem Felde, und da sie von der schottischen Regierung mit großer Heftigkeit und Grausamkeit behandelt wurden, griffen sie mehrmals zu den Waffen. Sie leiten ihren Namen von ihrem Führer Richard Cameron ab.«

»Ich erinnere mich,« sagte Waverley, »aber vertilgte nicht der Triumph des Presbyterianismus in der Revolution diese Sekte?«

»Keineswegs,« entgegnete Morton, »jenes große Ereigniß blieb weit hinter dem zurück, was sie verlangten; es war nichts geringeres als die vollständige Herstellung der presbyterianischen Kirche auf dem Grunde des alten feierlichen Covenant. Ich glaube, sie wußten in der That kaum, was sie wollten, aber da sie zahlreich und im Gebrauch der Waffen nicht unerfahren waren, hielten sie als eine besondere Partei im Staate zusammen, und zur Zeit der Union schlossen sie ein fast unnatürliches Bündniß mit ihren alten Feinden, den Jakobiten, um jene wichtige Maßregel zu hindern. Seit jener Zeit hat ihre Zahl bedeutend abgenommen, aber noch immer sind viele in den westlichen Grafschaften zu finden, und mit einer bessern Stimmung als 1707 haben jetzt mehrere von ihnen für die Regierung die Waffen ergriffen. Dieser Mensch, der Gilfillan, der Begabte, genannt wird, ist lange einer ihrer Führer gewesen und kommandirt jetzt eine kleine Abtheilung, welche heute oder morgen auf ihrem Marsche nach Stirling hier durchkommen wird und unter deren Eskorte Major Melville Sie fortzuschicken gedenkt. Ich bin gern bereit, Ihretwegen mit Gilfillan zu sprechen, aber da er von allen Vorurtheilen seiner Sekte eingenommen und von wilder Gemüthsart ist, so wird er wenig auf die Worte eines Erastianers achten, wie er mich höflich zu nennen beliebt. – Und nun leben Sie wohl, mein junger Freund, für jetzt darf ich des Majors Güte nicht mißbrauchen, damit ich die Erlaubniß erhalte, Sie im Laufe des Tages noch einmal zu besuchen.«


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