Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel XLVIII

Der englische Gefangene

Die erste Beschäftigung Waverleys, nachdem er sich von dem Häuptlinge getrennt hatte, war, den Offizier aufzusuchen, dem er das Leben gerettet. Er wurde nebst zahlreichen Unglücksgefährten in der Nähe des Schlachtfeldes in dem Hause eines Edelmannes bewacht.

Als er das Gemach betrat, in welchem sie zusammengedrängt waren, erkannte Waverley leicht den Gesuchten, nicht nur an seinem würdevollen Aeußern, sondern auch an der Gegenwart Dugald Mahonys mit seiner Streitaxt, der seit dem Augenblicke der Gefangennehmung dem Unglücklichen nicht von der Seite gewichen war. Diese genaue Bewachung hatte wahrscheinlich nur den Grund, sich die von Edward versprochene Belohnung zu sichern, aber sie diente offenbar dazu, den Engländer in der allgemeinen Verwirrung vor der Plünderung zu bewahren; denn Dugald schloß sehr scharfsinnig, daß der Betrag des Lohnes, den er erwarten dürfte, sich nach dem Zustande des Gefangenen bei dessen Ablieferung an Waverley richten würde. Er eilte daher, Waverley mit mehr Worten, als er gewöhnlich zu machen pflegte, zu versichern, daß er den sidier ro heil erhalten hätte und daß ihm nichts widerfahren wäre, seitdem Se. Gnaden verboten hätten, ihm mit der Lochhaberaxt eins auszuwischen.

Waverley versicherte Dugald einer reichlichen Belohnung, und indem er sich dem englischen Offizier näherte, sprach er seine Bereitwilligkeit aus, alles zu thun, was unter den gegenwärtigen unangenehmen Umständen zu dessen Erleichterung beitragen könnte.

»Ich bin kein so unerfahrener Soldat,« entgegnete der Engländer, »daß ich mich über das Mißgeschick des Krieges beklagen sollte. Es schmerzt mich nur, solche Auftritte, die ich anderwärts oft mit verhältnismäßiger Gleichgültigkeit erlebt habe, jetzt auf unserer Insel mit ansehen zu müssen.«

»Noch ein solcher Tag wie dieser,« entgegnete Waverley, »und die Ursache Ihrer Trauer wird, wie ich hoffe, entfernt sein, und alles wieder zum Frieden und zur Ordnung zurückkehren.«

Der Offizier lächelte und schüttelte den Kopf. »Ich darf meine Lage nicht so weit vergessen, um eine förmliche Widerlegung dieser Meinung zu versuchen, aber ungeachtet Eures Sieges und der Tapferkeit, welche ihn erfocht, habt Ihr eine Sache unternommen, der Eure Kraft nicht gewachsen ist.«

In diesem Augenblick drängte sich Fergus durch die Menge. »Komm, Edward, komm,« rief er, »der Prinz ist für heute Abend nach Pinkie-Haus gegangen, und wir müssen ihm folgen, oder wir verlieren die ganze Ceremonie der caligae. Dein Freund, der Baron, hat sich einer großen Grausamkeit schuldig gemacht. Er hat darauf bestanden, den Vogt Macwheeble auf das Schlachtfeld hinaus zu schleppen. Dann mußt Du aber wissen, daß des Vogtes größter Abscheu ein bewaffneter Hochländer oder ein geladenes Gewehr ist; da steht er nun und hört des Barons Weisungen wegen des Protestes an, er duckt den Kopf unter wie eine Seemöve, so oft einer unserer müßigen Burschen auf dem Schlachtfelde einen Pistolenschuß abfeuert und empfängt jedes Mal zur Büßung einen strengen Verweis von seinem Patron, der selbst dann nicht eine Unaufmerksamkeit bei einer Rede auf die Ehre seiner Familie verzeihen würde, wenn man eine ganze Batterie abfeuerte.«

»Aber wie hat Bradwardine ihn dahin gebracht, sich so weit zu wagen?« fragte Edward.

»Nun, er war bis Musselburgh gekommen in der Hoffnung, glaube ich, für einige von uns das Testament zu machen, und nachdem die Schlacht vorbei war, trieb ihn des Barons strenger Befehl bis Preston. Er beklagte sich über einige unserer Burschen, daß sie sein Leben in Gefahr setzten, indem sie auf ihn zielten; aber da sie sich mit dem Lösegelde eines englischen Penny begnügten, glaube ich nicht, daß wir mit dieser Angelegenheit den Kriegsprofoß belästigen dürfen. Kommt also mit, Waverley.«

»Waverley!« rief der englische Offizier sehr überrascht, »Der Neffe des Sir Everard Waverley aus der Grafschaft –shire?«

»Derselbe,« entgegnete unser Held, etwas verwundert über den Ton, mit dem er angeredet wurde.

»Ich bin zugleich erfreut und schmerzlich berührt,« sagte der Gefangene, »daß ich mit Ihnen zusammentraf.«

»Ich weiß nicht, mein Herr,« antwortete Waverley, »wodurch ich diese Theilnahme verdiene.«

»Erwähnte Ihr Oheim niemals einen Freund, Namens Talbot?«

»Ich hörte ihn oft mit großer Achtung von einem solchen sprechen,« entgegnete Edward, »er ist Oberst, glaube ich, in der Armee und Gemahl der Lady Emily Blandeville, Aber ich glaubte, Oberst Talbot sei auf Reisen?«

»Ich bin eben zurückgekehrt,« entgegnete der Offizier, »und da ich in Schottland war, hielt ich es für meine Pflicht, zu wirken, wo meine Dienste von Nutzen sein konnten. Ich, Herr Waverley, ich bin jener Oberst Talbot, der Gemahl der Dame, die Sie nannten, und ich gestehe mit Stolz, daß ich meinen Rang und mein häusliches Glück Ihrem großmüthigen und edelherzigen Oheim verdanke. Großer Gott, daß ich seinen Neffen in einer solchen Kleidung und in eine solche Sache verwickelt finden muß.«

»Herr,« sagte Fergus stolz, »diese Kleidung und diese Sache haben Männer von Geburt und Ehre zu der ihrigen gemacht.«

»Meine Lage verbietet mir, diese Behauptung zu bestreiten,« sagte Oberst Talbot, »sonst würde es nicht schwer sein zu zeigen, daß weder Tapferkeit noch der Stolz auf edle Abkunft eine schlechte Sache vergolden können. Doch mit Herrn Waverleys Erlaubniß und der Ihrigen, wenn es nöthig ist, sie zu erbitten, möchte ich mit ihm einige Worte über seine Familienangelegenheiten sprechen.«

»Herr Waverley ist sein eigener Herr. Du wirst mir, wie ich vermuthe, nach Pinkie folgen,« sagte Fergus zu Edward, »wenn Du Dein Gespräch mit Deinem neuen Bekannten beendigt hast.« Mit diesen Worten warf der Häuptling von Glennaquoich seinen Plaid mit stolzerer Miene als gewöhnlich um und verließ das Gemach.

Die Vermittelung Waverleys verschaffte dem Obersten Talbot leicht die Freiheit, ihm in einen großen Garten zu folgen, der an das Haus stieß. Einige Schritte gingen sie schweigend neben einander her. Oberst Talbot dachte allem Anscheine nach darüber nach, wie er seine Mittheilung eröffnen sollte; endlich sagte er zu Edward:

»Herr Waverley, Sie haben heute mein Leben gerettet, und doch möchte ich bei Gott lieber, daß ich es verloren hätte, ehe ich Sie in dieser Uniform und mit der Kokarde dieser Menschen fand.«

»Ich verzeihe Ihnen Ihren Vorwurf, Oberst Talbot, er ist wohl gemeint, und Erziehung und Vorurtheil machen ihn bei Ihnen natürlich. Aber es ist nichts Außergewöhnliches dabei, einen Mann, dessen Ehre öffentlich und ungerecht verletzt wurde, in der Lage zu finden, welche ihm die meiste Aussicht versprach, Genugthuung von seinen Verleumdern zu erhalten.«

»Ich würde vielmehr sagen, in der Lage, welche am besten dazu geeignet ist, die Gerüchte zu bestätigen, die sie in Umlauf setzten,« sagte Oberst Talbot; »denn Sie zeigten gerade das Benehmen, welches Ihnen zur Last gelegt wurde. Wissen Sie, Herr Waverley, in welche Unannehmlichkeiten und selbst Gefahren Ihre gegenwärtige Aufführung Ihre nächsten Verwandten gebracht hat?«

»Gefahren!«

»Ja, Herr, Gefahren. Als ich England verließ, waren Ihr Oheim und Ihr Vater gezwungen, Bürgschaft gegen eine Anklage des Hochverrathes zu leisten, eine Bürgschaft, die ihnen nur durch die kräftigste Vermittelung gestattet wurde. Ich kam nach Schottland in der alleinigen Absicht, Sie aus dem Abgrunde zu retten, in den Sie sich gestürzt hatten, und noch kann ich die Folgen nicht absehen, die für Ihre Familie daraus entspringen werden, daß Sie sich dem Aufruhr offen angeschlossen, da schon der bloße Verdacht einer solchen Absicht Ihrerseits für dieselben so gefährlich war. Aufrichtig bedaure ich, daß ich nicht vor diesem letzten und verhängnißvollen Irrthume mit Ihnen zusammentraf.«

»Ich weiß in der That nicht,« fügte Waverley mit zurückhaltendem Tone, »warum sich Oberst Talbot meinetwegen so viel Mühe geben sollte.«

»Herr Waverley,« antwortete Talbot, »ich bin jetzt nicht in der Stimmung, auf ironische Bemerkungen zu antworten, deshalb nehme ich Ihre Worte in ihrem klaren Sinne. Ich bin Ihrem Oheim für Wohlthaten verschuldet, wie sie ein Sohn von seinem Vater nicht größer empfangen kann. Ich bekenne mich gegen ihn zu den Pflichten eines Sohnes, und da ich weiß, daß ich seine Güte nicht besser vergelten kann, als indem ich Ihnen diene, so will ich Ihnen wo möglich gefällig sein, mögen Sie es nun erlauben oder nicht. Die persönliche Verpflichtung, die Sie mir heute auferlegten, ist zwar nach den gewöhnlichen Begriffen die größte, welche ein Mensch gegen einen andern haben kann, aber sie vermehrt meinen Eifer für Sie in nichts, auch kann derselbe durch die Kälte, mit der Sie ihn aufnehmen, nicht abgeschwächt werden.«

»Ihre Absichten mögen freundlich sein, mein Herr,« sagte Waverley trocken, »aber Ihre Sprache ist rauh oder wenigstens herrisch,«

»Als ich nach langer Abwesenheit nach England zurückkehrte,« fuhr Oberst Talbot fort, »fand ich Ihren Oheim, Mr. Everard Waverley, unter der Aufsicht eines königlichen Bevollmächtigten infolge des Verdachtes, in den er durch Ihre Thaten gekommen war. Er ist mein ältester Freund – wie oft soll ich es wiederholen – mein größter Wohlthäter! Er opferte seine eigenen Aussichten auf Glück den meinigen, er sprach nie ein Wort, er hegte nie einen Gedanken, welchen das Wohlwollen selbst nicht hätte sprechen und hegen können. Diesen Mann fand ich in Haft, eine Strafe, für ihn härter durch die Gewohnheit seines Lebens, durch die natürliche Würde seiner Gefühle und, verzeihen Sie mir, Herr Waverley, durch die Ursache, welche dieses Mißgeschick über ihn brachte. Ich kann Ihnen meine Gefühle bei diesem Anblick nicht verhehlen, sie waren für Sie höchst ungünstig. Nachdem ich durch die Verbindungen meiner Familie, welche, wie Sie vielleicht wissen, nicht unbedeutend sind, die Freiheit des Sir Everard erlangt hatte, ging ich nach Schottland. Ich sah den Oberst Gardiner, einen Mann, dessen Schicksal allein hinreichend ist, diese Insurrektion für immer verwünschenswerth zu machen. Im Laufe der Unterhaltung mit ihm fand ich, daß er durch spätere Umstände, durch ein nochmaliges Verhör der in die Meuterei verwickelten Personen und durch seine Erinnerung an die gute frühere Meinung von Ihrem Charakter viel milder gegen Sie gestimmt war, und ich zweifelte nicht, daß noch alles gut werden würde, wenn ich glücklich genug wäre, Sie zu entdecken. Doch diese unnatürliche Rebellion hat alles vernichtet. Ich habe zum ersten Mal in einer langen und thätigen Kriegslaufbahn sich Briten durch eine panische Flucht entehren sehen, und zwar vor einem Feinde ohne Waffen und Disciplin. Und jetzt finde ich den Erben meines theuersten Freundes, den Sohn seines Herzens, wie ich wohl sagen darf, einen Triumph theilend, über den er als der erste hätte erröthen sollen. Weshalb sollte ich Gardiner beklagen? Sein Loos war glücklich im Vergleich zu dem meinen!«

Es lag so viel Würde in dem Wesen des Obersten Talbot, eine solche Mischung kriegerischen Stolzes und männlichen Kummers, und die Nachricht von Sir Everards Haft wurde mit so viel innigem Gefühl vorgetragen, daß Edward betrübt, beschämt, niedergeschlagen dem Gefangenen gegenüberstand, dem er erst vor wenigen Stunden das Leben gerettet hatte. Er war daher nicht unwillig, als Fergus ihr Gespräch zum zweiten Mal unterbrach.

»Se. königliche Hoheit gebieten das Erscheinen des Herrn Waverley.« Oberst Talbot warf auf Edward einen vorwurfsvollen Blick, der dem scharfen Auge des Hochlandhäuptlings nicht entging. »Sein augenblickliches Erscheinen,« wiederholte dieser mit besonderer Betonung. Waverley wandte sich wieder zu dem Obersten.

»Wir sehen uns wieder,« sagte er, »inzwischen soll jede mögliche Erleichterung –«

»Ich wünsche keine,« fiel der Oberst ihm in das Wort, »lassen Sie mich behandeln wie den geringsten der braven Männer, welche an diesem Unglückstage Wunden und Gefangenschaft der Flucht vorzogen, ich möchte beinahe meinen Platz mit einem der Gefallenen vertauschen, wüßte ich nur, daß meine Worte einigen Eindruck auf Sie machten.«

»Laßt den Obersten Talbot sorgfältig bewachen,« sagte Fergus zu dem Hochlandoffiziere, welcher die Wache der Gefangenen kommandirte, »es ist des Prinzen ausdrücklicher Befehl, er ist ein Gefangener von der höchsten Wichtigkeit.«

»Aber laßt es ihm an keiner Bequemlichkeit mangeln, die sich für seinen Rang ziemt,« fügte Waverley hinzu.

»So weit dies mit strenger Bewachung vereinbar ist,« ergänzte Fergus.

Der Offizier versicherte, beiden Ermahnungen nachkommen zu wollen, und Edward folgte Fergus zu dem Gartenthore, wo Callum Beg ihrer mit drei Reitpferden wartete. Als er sich umwandte, sah er mehrere Hochländer den Obersten Talbot in seine Haft zurückführen, auf der Schwelle blieb derselbe stehen und machte mit der Hand gegen Waverley ein Zeichen, als wollte er ihn nochmals ermahnen, seine Worte zu beherzigen.

»Pferde,« sagte Fergus, indem er aufstieg, »sind jetzt so billig wie Brombeeren, jeder Mann kann sie haben, der sie fangen will. Komm, laß Callum Deine Steigbügel schnallen und uns dann nach Pinkie-Haus eilen, so schnell diese ci-devant Dragonerpferde uns tragen wollen.«


 << zurück weiter >>