Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel LX.

Eine Reise nach London

Die Familie Fasthwaite war Edward bald zugethan. Er besaß jene Freundlichkeit und Leutseligkeit, welche fast immer eine entsprechende Gesinnung in andern erweckt. Bei ihren einfachen Begriffen verlieh seine Gelehrsamkeit ihm Wichtigkeit, und sein Kummer gewann ihm Theilnahme. Den letztern schrieb er ausweichend dem Verluste eines Bruders in dem Scharmützel bei Clifton zu, und in jenem Urzustände der Gesellschaft, wo die Bande der Verwandtschaft hochgeachtet werden, erweckte seine fortgesetzte Niedergeschlagenheit Sympathie, doch nicht Ueberraschung.

Gegen Ende Januar wurde seine Stimmung durch die glückliche Verbindung von Edward Williams, dem Sohne seines Wirthes, mit Cicely Jobson in etwas erheitert. Unser Held wollte nicht durch Kummer das Fest trüben, das die Heirat von zwei Personen feierte, denen er so sehr verpflichtet war. Er nahm sich daher zusammen, tanzte, sang, spielte die verschiedenen Spiele mit und war der lustigste in der Gesellschaft; am nächsten Morgen aber hatte er an ernstere Dinge zu denken.

Der Geistliche, der das junge Paar traute, fand so viel Gefallen an dem vorgeblichen Studenten der Gottesgelahrtheit, daß er von Penrith herüberkam, ihm einen Besuch zu machen. Dieser hätte schlimm enden können, hätte er an eine Prüfung der muthmaßlichen theologischen Studien unseres Helden gedacht, zum Glück sprach er lieber von Tagesneuigkeiten. Er brachte zwei oder drei alte Zeitungen mit, und in einer derselben fand Edward eine Nachricht, die ihn bald taub gegen jedes Wort machte, welches der ehrwürdige Mr. Twigtythe von den Nachrichten aus dem Norden, sowie über die Aussicht sagte, daß der Herzog die Rebellen bald überfallen und vernichten würde. – Der Artikel lautete ungefähr folgendermaßen: »Es verstarb in seinem Hause, Hill Street, Berkeley Square, am 10. dieses Richard Waverley, Esq., zweiter Sohn des Sir Giles Waverley von Waverley-Haus, u.s.w. Er starb an einem schleichenden Uebel, welches durch den unliebsamen Verdacht verschlimmert wurde, in dem er sich befand; denn er war gezwungen gewesen, eine hohe Bürgschaft gegen die drohende Anklage des Hochverrathes zu stellen. Eine Anklage desselben schweren Verbrechens schwebt über seinem älteren Bruder, Sir Everard Waverley, dem Haupte dieser alten Familie, und, wie wir hören, steht der Tag seiner Untersuchung im Anfang des nächsten Monates bevor, wenn sich nicht Edward Waverley, der Sohn des verstorbenen Richard und der Erbe des Baronets, der Gerechtigkeit überliefert. In diesem Falle ist die gnädige Absicht Sr. Majestät, wie wir hören, das weitere Verfahren gegen Sir Everard fallen zu lassen. Dieser unglückliche junge Mann war, wie versichert wird, unter Waffen im Dienste des Prätendenten und marschirte mit den Hochlandstruppen nach England. Seit dem Scharmützel bei Clifton am 18. Dezember ist jedoch nichts wieder von ihm gehört worden.«

So lautete der betrübende Paragraph. »Guter Gott,« rief Waverley aus, »bin ich denn ein Vatermörder? Unmöglich! Mein Vater, der, so lange er lebte, nie die Liebe eines Vaters zeigte, kann durch meinen muthmaßlichen Tod nicht so sehr betrübt worden sein, daß dies den seinigen beschleunigte. Nein, ich kann das nicht glauben, ich müßte wahnsinnig werden, sollte ich einen so fürchterlichen Gedanken nur einen Augenblick hegen! – Aber es wäre mehr als Vatermord, ließe ich meinen edlen, großmüthigen Oheim, der mir stets mehr als ein Vater war, nur einen Augenblick in Gefahr, während ein solches Uebel durch ein Opfer von mir abgewendet werden kann.«

Während diese Betrachtungen gleich Scorpionenstichen auf Waverleys Denkvermögen wirkten, wurde der würdige Geistliche in einer langen Auseinandersetzung der Schlacht bei Falkirk durch die Todesblässe seines Zuhörers unterbrochen und fragte ihn, ob ihm unwohl sei? Zum Glück war die junge Frau, voll Leben und Fröhlichkeit, eben eingetreten. Mrs. Williams gehörte zwar nicht zu den scharfsichtigsten Frauen, aber sie war gutmüthig, und da sie sogleich vermuthete, daß Edward durch irgend eine unangenehme Nachricht in den Zeitungen getroffen sei, zog sie, ohne Verdacht zu erwecken, die Aufmerksamkeit des Herrn Twigtythe ganz auf sich, bis er bald darauf Abschied nahm. Waverley setzte hierauf seinen Freunden auseinander, daß er gezwungen sei, so bald als möglich nach London zu gehen.

Es entstand jedoch ein Grund der Zögerung, an den Waverley wenig gewöhnt war. Seine Börse, obgleich wohl versehen, als er nach Tully-Beolan kam, war seit jener Zeit nicht neu versorgt worden, und obgleich sein Leben dort nicht der Art gewesen war, daß er sie schnell erschöpft hätte, so fand er doch, nachdem er seine Schuld an seinen freundlichen Wirth berichtigt hatte, daß er zu arm sei, um die Ausgabe für Postpferde bestreiten zu können. Das beste schien daher, die große nördliche Landstraße bei Boroughbridge zu erreichen, und dort einen Platz in der Norddiligence zu nehmen, einem schweren altmodischen Kasten, der von drei Pferden gezogen wurde und die Reise von Edinburg nach London – mit Gottes Willen, wie die Ankündigung sagte – in drei Wochen zurücklegte. Unser Held nahm daher einen herzlichen Abschied von seinen cumberländischen Freunden, deren Güte er nie zu vergessen versprach, indem er schweigend die Hoffnung hegte, dies einst durch materielle Dankbarkeitsbeweise an den Tag legen zu können. Nach einigen kleinen Schwierigkeiten und Verzögerungen, und nachdem er seinen Anzug in einen Zustand gebracht hatte, der bei aller Einfachheit doch besser für seinen Rang paßte, befand er sich glücklich in dem gewünschten Fuhrwerke, vis-à-vis der Frau Nosebag, der Gattin des Lieutenants Nosebag, Adjutanten und Stallmeisters des Dragonerregiments ** Sie war eine muntere Frau von ungefähr fünfzig Jahren, trug einen blauen Rock, mit Scharlach ausgeschlagen, und hatte in der Hand eine Reitpeitsche mit silbernem Knopfe.

Diese Dame war eins von jenen thätigen Mitgliedern der Gesellschaft, die es übernehmen, de faire les frais de conversation. Sie war eben aus dem Norden zurückgekehrt und erzählte Edward, wie ihr Regiment die Unterrocksleute bei Falkirk beinahe in Stücken gehauen hätte, »nur daß ein abscheulicher Sumpf da war, wie man sie in Schottland überall findet, der bewirkte, daß unser armes kleines Regiment, wie mein Nosebag sagt, in jenem unbefriedigenden Gefechte ein wenig litt. Sie haben auch bei den Dragonern gedient?« Waverley kam diese Frage so überraschend, daß er sie bejahte.

»O, das wußte ich wohl,« sagte sie. »Ich sah an Ihrem Benehmen, daß Sie Soldat waren, und ich war überzeugt, daß Sie nicht zu den Kothpatschern gehört, wie mein Rosebag sie nennt. In welchem Regimente, bitte?«

Das war eine schlimme Frage. Waverley schloß aber sehr richtig, daß diese gute Frau die ganze Rangliste auswendig wußte, und um der Entdeckung dadurch zu entgehen, daß er der Wahrheit nahe blieb, antwortete er: »Gardinerdragoner, aber ich bin seit einiger Zeit ausgetreten.«

»Aha, die, welche in dem Wettrennen von Preston den Preis gewannen, wie mein Nosebag sagt. Bitte, waren Sie dabei?«

»Ich war so unglücklich, Zeuge jenes Gefechts zu sein.«

»Und das war ein Unglück, infolge dessen nur wenige aus dem Regiment Gardiner als Zeugen des Unfalls übrig geblieben sind, glaube ich, Sir, ha, ha, ha. Ich bitte Sie um Verzeihung, aber die Frau eines Soldaten liebt den Scherz.«

Hole Dich der Teufel, dachte Waverley, was für ein höllischer Zufall hat mich mit dieser zudringlichen Hexe zusammengebracht! Zum Glück blieb die gute Frau nicht lange bei einem und demselben Gegenstande. »Wir kommen jetzt nach Ferrybridge,« sagte sie, »wo eine Abtheilung von den Unsern geblieben ist, um die Konstabler und Gerichtsdiener und die Art von Geschöpfen zu unterstützen, welche Papiere prüfen und Rebellen fangen und dergleichen.« Kaum waren sie in das Wirthshaus getreten, als sie Waverley an das Fenster zog und ausrief: »Da kommt Unteroffizier Bridoon von unserer armen lieben Schwadron, er kommt mit dem Konstabler; Bridoon ist eines von meinen Lämmern, wie Nosebag sie nennt. Kommt, Herr –, ja so, bitte, wie ist Ihr Name, mein Herr?«

»Butler, Madame,« sagte Waverley, entschlossen, sich lieber mit dem Namen eines früheren Regimentskameraden durchzuhelfen, als dadurch ertappt zu werden, daß er einen Namen nannte, der im Regiment nicht zu finden war.

»Ach, Sie bekamen kürzlich eine Schwadron, als der schäbige Kerl, der Waverley, zu den Rebellen überging. Hilf Himmel, ich wünschte, unser alter mürrischer Kapitän Crump ginge auch zu den Rebellen über, daß Nosebag die Schwadron bekäme! – Himmel, warum steht Bridoon nur so wackelig vor der Brücke? Ich will gehangen werden, wenn er nicht eins im Oberstübchen hat, wie Nosebag sagt. – Kommen Sie, da Sie und ich zum Dienste gehören, so wollen wir den Schurken an seine Pflicht erinnern.«

Mit Gefühlen, die leichter zu begreifen als zu beschreiben sind, sah Waverley sich gezwungen, diesem tapferen weiblichen Kommandeur zu folgen. Der Reiter glich so sehr einem Lamme wie ein betrunkener Dragonerunteroffizier, sechs Fuß lang, breitschulterig und sehr dünnbeinig, eine große Narbe über der Nase ungerechnet, einem Lamme gleichen kann. Frau Nosebag redete ihn mit einer Aeußerung an, die, wenn sie kein Fluch war, doch sehr danach klang, und erinnerte ihn an seine Dienstpflicht.

»Ihr seid eine verdammte –« begann der tapfere Reiter, aber als er aufsah, um auf diese Worte eine entsprechende That folgen zu lassen, erkannte er die Sprecherin, machte seinen militärischen Gruß und veränderte den Ton. »Gott erhalte Euer liebliches Gesicht, Frau Nosebag, sind Sie es? Nun, wenn ein armer Bursche zufällig einen Schnaps trinkt, so sind Sie gewiß nicht die Frau dazu, ihn deshalb in Bedrängniß zu bringen.«

»Nun, Ihr Sapperloter, geht nur und thut Eure Pflicht; dieser Herr und ich gehören zum Dienst, aber seht genau nach dem scheuen Hahn mit dem breitkrämpigen Hute, der in der Ecke der Kutsche sitzt. Ich glaube, es ist ein verkleideter Rebell.«

»Verdammt sei ihre Stachelbeerbuschperrücke,« sagte der Korporal, als er nicht mehr gehört werden konnte, diese triefäugige Krake – Mutter Adjutantin, wie wir sie nennen – ist 'ne größere Plage fürs Regiment als der Profos, der Wachtmeister, und der alte Hubble de Shuff, der Oberst dazu. – Kommt, Meister Konstabler, laßt uns sehen, ob der scheue Hahn, wie sie ihn nennt, Pathe zu einem tüchtigen Glas Branntwein sein will, denn Euer Yorkshirer Bier ist verdammt kalt für meinen Magen.«

Dieser Verdächtige war beiläufig gesagt ein Quäcker aus Leeds, mit welchem Frau Nosebag einen heftigen Streit über die Rechtmäßigkeit des Waffentragens gehabt hatte.

Die Lebhaftigkeit der guten Frau half Waverley zwar aus dieser Klemme, war aber nahe daran, ihn in zwei oder drei andere zu bringen. In jeder Stadt, in der sie anhielten, wünschte sie die Wache zu sehen, wenn eine da war, und hätte Waverley einmal beinahe zu einem Werbeunteroffizier seines eigenen Regimentes gebracht. Dann bekapitänte und bebutlerte sie ihn, bis er beinahe taub vor Verdruß und Angst war, und nie in seinem Leben freute er sich mehr über die Beendigung einer Reise, als da die Ankunft der Kutsche in London ihn von den Aufmerksamkeiten der Madame Nosebag befreite.


 << zurück weiter >>