Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XXII.

Waverley bleibt in Elennaquoich

Flora hatte ihren Gesang eben vollendet, als Fergus zu ihnen trat.

»Ich wußte auch ohne den Beistand meines Freundes Bran, daß ich euch hier finden würde,« sagte er. »Ein einfacher, nicht hochstrebender Geschmack wie der meinige würde einen Springbrunnen in Versailles dieser Kaskade mit dem ganzen Akkompagnement von Felsen und Geräusch vorziehen. Doch dies ist Floras Parnaß, Kapitän Waverley, und jener Quell ihr Helikon. Es würde meinem Keller sehr wohl thun, lehrte sie ihrem Verbündeten Mac-Murrough den Werth dieses Wassers, denn er hat eben eine Pinte Uskebah getrunken, um sich, wie er sagte, von der Kälte meines Claret zu erholen. – Ich muß doch seine Vorzüge prüfen.«

Er schöpfte mit der hohlen Hand etwas Wasser und sprach mit theatralischem Wesen:

Heil Dir, güt'ge Fee der Haide!
Lied und Harfe liebst Du beide;
Stiegst aus blüh'ndem Land herab
Hieher, wo's Gras und Korn nie gab.

Aber englische Poesie ist von keiner Wirkung unter dem Einflusse eines Hochlandshelikon. – Allons – courage –

O vous qui buvez, à tasse pleine,
A cette Leureuse fontaine,
Ou on ne voit sur le rivage,
Que quelques vilains troupeaux Suivis de nymphes de village
Qui les escortenet sans sabots

Ihr, die ihr mit voller Schale
Aus dieser Quelle euch erquickt,
An deren Ufer in dem Thale
Ihr schnödes Rindvieh nur erblickt,
Begleitet von des Dorfes Nymphe,
Die weder Schuhe kennt, noch Strümpfe.

»Ich bitte Dich, lieber Fergus,« sagte Flora, »verschone uns mit diesen langweiligen und geschmacklosen Arkadierinnen. Um des Himmels willen, bringe nicht Coridon und Lindor über uns!«

»Nun, wenn Du Hirtenstab und Schalmei nicht ertragen kannst, bleibe bei Deinen Heldengesängen.«

»Lieber Fergus, Du bist wahrlich noch mehr von Mac-Murroughs Becher begeistert als von meinem.«

»Das bestreite ich, ma belle demoiselle, obgleich ich gestehe, daß er mir am meisten von beiden zusagt. Welcher von Deinen hirnverbrannten italienischen Romantikern ists doch, der singt:

Io d'Elicona niente
Mi curo, in fe de Dio,
che 'l bere d'acque (Bea chi ber ne vuol)
sempre mi spiacque!

Ich kümmre mich fürwahr nicht um den Helikon!
Trink Wasser, wer da will, ich bleib davon.

Wenn Ihr aber das Gälische vorzieht, Kapitän Waverley, so ist hier die kleine Cathleen, die kann Euch den Drimmindhu vorsingen. – Komm, Cathleen, astore – meine Liebe – fang an; keine Entschuldigungen gegen den Cean-kinné!«

Cathleen sang mit großer Lieblichkeit ein gälisches Lied, die komische Elegie eines Landmannes über den Verlust seiner Kuh, und obgleich Waverley die Sprache nicht verstand, mußte er doch mehrmals über den Ausdruck des Liedes lachen.

»Vortrefflich, Cathleen,« rief der Häuptling, »ich muß Dir nächstens einen hübschen Burschen unter meinen Clansleuten zum Manne aussuchen.« Cathleen lachte, erröthete und versteckte sich hinter ihre Gefährtin.

Während der Rückkehr nach dem Schlosse drang der Häuptling mit vieler Wärme in Waverley, eine oder zwei Wochen zu bleiben, um an einer großen Jagd Theil zu nehmen, die er mit einigen andern Hochlands-Edelleuten zu veranstalten gedächte.

Der Zauber der Melodie und der Schönheit hatte sich Edwards Brust zu tief eingeprägt, als daß er eine so freundliche Einladung hätte ablehnen können. Es wurde daher verabredet, daß er an den Baron von Bradwardine schreiben solle, daß er noch vierzehn Tage in Glennaquoich zu bleiben gedächte und daß er ihn zugleich bitte, ihm durch den Ueberbringer die etwa angekommenen Briefe zu schicken.

Dies brachte das Gespräch auf den Baron, den Fergus als Edelmann und Soldat sehr lobte. Noch mehr erhob Flora seinen Charakter, sie bemerkte, er sei das Muster eines altschottischen Kavaliers, mit allen Vorzügen und Eigenthümlichkeiten eines solchen. »Er ist einer der Charaktere, Kapitän Waverley,« sagte sie, »welche jetzt ganz verschwinden, ihre beste Seite war die Selbstachtung, die jetzt mehr und mehr aus den Augen gesetzt wird. In unserer Zeit werden die Edelleute, deren Grundsätze es nicht gestatten, der bestehenden Regierung den Hof zu machen, vernachlässigt und herabgesetzt, viele von ihnen betragen sich auch danach und nehmen, gleich einigen, die Ihr in Tully-Beolan gesehen habt, Gewohnheiten und einen Umgang an, der zu ihrer Geburt und Erziehung nicht paßt. Die grausame Verfolgung des Parteigeistes scheint die Opfer herabzuwürdigen, die er brandmarkt. Aber laßt uns auf schönere Zeiten hoffen, wo ein schottischer Landedelmann ein Gelehrter sein kann ohne die Pedanterie unseres Freundes, des Barons, ein Jäger ohne die gemeinen Gewohnheiten des Mr. Falconer und ein verständiger Verbesserer seiner Güter, ohne ein bäuerischer zweibeiniger Stier zu werden wie Killancureit.«

So sagte Flora eine Revolution voraus, welche die Zeit in der That herbeigeführt hat, doch freilich in ganz anderer Weise, als sie im Sinne hatte. Man kam dann auf die liebenswürdige Rosa zu sprechen, und es wurden ihrer Person, ihrem Wesen, ihrem Gemüth die wärmsten Lobsprüche ertheilt. »Der Mann,« sagte Flora, »welcher so glücklich sein wird, die Neigung Rosas zu gewinnen, findet in ihr einen unerschöpflichen Schatz. Ihre ganze Seele liegt in ihrer Häuslichkeit und in der Erfüllung all der stillen Tugenden, deren Mittelpunkt das Haus ist. Ihr Gatte wird einst für sie sein, was jetzt ihr Vater ist: der Gegenstand all ihrer Aufmerksamkeit, Sorgfalt und Zuneigung. Sie wird nichts sehen als ihn, sich mit nichts verbinden außer mit ihm und durch ihn. Ist er gefühlvoll und tugendhaft, so wird sie mit seinem Kummer sympathisiren, seine Mühe mildern und seine Vergnügungen theilen. Wird sie das Eigenthum eines rohen, sie vernachlässigenden Mannes, so wird sie seinem Geschmacke ebenfalls zusagen, denn sie wird seine Unfreundlichkeit nicht lange überleben. Und ach, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß meiner armen Freundin irgend ein solches unwürdiges Loos zufällt! Wäre ich doch in diesem Augenblicke eine Königin und könnte dem würdigsten und liebenswürdigsten Jünglinge meines Königreichs befehlen, mit der Hand meiner Rosa sein Glück zu empfangen.«

»Ich wünschte, Du könntest ihr en attendant gebieten, die meine anzunehmen,« sagte Fergus lachend.

Ich weiß nicht, durch welche Laune dieser Wunsch, wie scherzend er auch ausgesprochen wurde, Edwards Gefühle verletzte, ungeachtet seiner wachsenden Neigung für Flora und seiner Gleichgültigkeit gegen Miß Bradwardine. Es ist dies eines der Räthsel der menschlichen Natur, und wir lassen es ohne Kommentar.

»Die Deine, Bruder?« antwortete Flora, indem sie ihn fest ansah. »Nein, Du hast eine andere Braut, – die Ehre. Die Gefahren, denen Du Dich ihrer Rivalin nachzujagen aussetzen müßtest, würden der armen Rosa das Herz brechen.«

Unter diesem Gespräche erreichten sie das Schloß, und Waverley besorgte sogleich seine Sendung für Tully-Beolan. Da er des Barons Peinlichkeit in solchen Dingen kannte, wollte er den Brief mit seinem Wappen siegeln, aber er fand es nicht an seiner Uhr und glaubte, er habe es in Tully-Beolan vergessen. Er erwähnte diesen Verlust, indem er sich das Familienwappen des Häuptlings borgte.

»Wahrlich,« sagte Miß Ivor, »Donald Bean Lean wird doch nicht –«

»Mein Leben für ihn unter solchen Umständen,« fiel ihr Bruder ihr in das Wort; »überdies würde er die Uhr dann nicht zurückgelassen haben.«

»Nach allem, Fergus,« sagte Flora, »mit Deiner Erlaubniß, wundert es mich, daß Du diesen Menschen unterstützest.«

»Ich ihn unterstützen? Ei, meine gütige Schwester möchte Euch überreden, Kapitän Waverley, ich nähme, was das Volk sonst den Beuteschnitt oder, deutlicher gesprochen, einen Theil von der Beute des Räubers nannte, den dieser dem Laird oder dem Häuptling entrichtete, durch dessen Gebiet er seine Beute trieb. Wahrlich, wenn ich nicht irgend einen Weg finde, Floras Zunge zu fesseln, so wird General Blackeney von Stirling ein Detachement mit einem Offizier absenden,« dies sagte er lachend und mit beißender Ironie, »um Bich Ian Vohr, wie sie mich mit dem Spottnamen nennen, in seinem eigenen Schlosse zu fangen.«

»Nein, Fergus, muß nicht unser Gast denken, daß das alles nur Thorheit und Affektation ist? Du hast Leute genug in Deinem Dienste, ohne Banditen anwerben zu müssen, und Deine Ehre ist fleckenlos. – Weshalb schickst Du also nicht diesen Donald Bean Lean, den ich wegen seiner Glätte und Doppelzüngigkeit fast noch mehr als wegen seiner Raubsucht hasse, aus dem Lande? Keine Ursache würde mich bewegen, einen solchen Menschen zu dulden.«

»Keine Ursache, Flora?« sagte der Häuptling bedeutungsvoll.

»Keine, Fergus, selbst nicht das, was meinem Herzen am nächsten liegt. Erspare dem Stützen von so böser Vorbedeutung!«

»Aber, Schwester,« entgegnete der Häuptling heiter, »Du vergißt meine Rücksicht auf la belle passion. Evan Dhu Maccombich liebt Donalds Tochter Alice, und Du kannst doch nicht erwarten, daß ich diese Liebe stören soll? Der ganze Clan würde Pfui über mich rufen. Du weißt, es ist ein weiser Spruch: Ein Verwandter ist ein Theil von unserem Körper, ein Milchbruder aber ist ein Theil von unserem Herzen.«

»Mit Dir läßt sich nicht streiten, Fergus; aber ich wünsche, daß das alles ein gutes Ende nimmt.«

»Fromm geredet, meine liebe prophetische Schwester, und der beste Weg von der Welt, einen zweifelhaften Beweisgrund abzuschließen. – Aber hört Ihr nicht die Pfeifen, Kapitän Waverley? Vielleicht ist es Euch lieber, in der Halle nach ihrem Ton zu tanzen, als hier durch ihre Klänge betäubt zu werden, ohne an der Uebung Theil zu nehmen, zu der sie uns einladen.«

Waverley nahm Floras Hand. Tanz, Gesang und Lustbarkeit nahmen ihren Fortgang und beschlossen das Fest dieses Tages in dem Hause Bich Ian Vohrs. Edward zog sich endlich zurück, aufgeregt durch eine Menge neuer und widerstreitender Gefühle, welche ihn dem Schlafe auf einige Zeit entzogen. Spät erst schlief er ein und träumte von Flora Mac-Ivor.


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