Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel LIV

Ein braver Mann im Schmerz

Sollten meine schönen Leserinnen meinen, daß meines Helden Leichtfertigkeit in der Liebe fast unverzeihlich sei, so muß ich sie daran erinnern, daß nicht all sein Kummer, alle seine Qualen aus dieser sentimentalen Quelle entsprangen. Selbst der lyrische Dichter, der sich so gefühlvoll über die Leiden der Liebe aussprach, konnte nicht vergessen, daß er zu gleicher Zeit auch Schulden und Durst hatte, was ohne Zweifel sehr zur Verschlimmerung seiner Leiden beitrug. Es gab in der That ganze Tage, wahrend welcher Waverley weder an Flora noch an Rosa dachte, sondern die er unter trüben Vermuthungen über den wahrscheinlichen Zustand der Dinge in Waverley-Haus verlebte, so wie über den zweifelhaften Ausgang des Bürgerkrieges, in den er sich hatte hineinziehen lassen. Oberst Talbot verwickelte ihn oft in Gespräche über die Gerechtigkeit der Sache, der er beigetreten war. »Nicht,« sagte er, »daß es für Sie möglich wäre, sie in dem gegenwärtigen Augenblicke zu verlassen, denn Sie müssen, komme was da will, Ihrer übereilten Verpflichtung treu bleiben. Aber ich wünschte nur, Sie zu überzeugen, daß das Recht nicht auf Ihrer Seite ist, daß Sie gegen den wahren Nutzen Ihres Vaterlandes fechten, und daß Sie als Engländer und Patriot die erste Gelegenheit ergreifen sollten, diese unglückliche Unternehmung zu verlassen, ehe der Schneeball schmilzt.«

Bei solchen politischen Streitereien setzte Waverley gewöhnlich die allgemeinen Gründe seiner Partei entgegen, mit denen der Leser nicht belästigt zu werden braucht. Aber er konnte nie etwas vorbringen, wenn der Oberst ihn aufforderte, die Streitkräfte, mit welchen sie es unternommen hätten, die Regierung zu stürzen, mit denen zu vergleichen, die jetzt schnell zur Vertheidigung derselben gesammelt würden. Nur die eine Antwort hatte er darauf: »Wenn die Sache, die ich unternommen, gefahrvoll ist, so wäre die Schmach, sie zu verlassen, um so größer.« Und dadurch gelang es ihm dann gewöhnlich seinerseits, Oberst Talbot zum Schweigen und das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu bringen.

Eines Abends, als sich die Freunde nach einem langen Streite der Art erst spät getrennt hatten, und unser Held zu Bett gegangen war, wurde er um Mitternacht durch einen unterdrückten Seufzer geweckt. Er fuhr auf und lauschte. Der Seufzer kam aus dem Zimmer des Obersten Talbot, welches von dem seinigen nur durch eine Bretterwand, in der eine Verbindungsthür war, getrennt wurde. Waverley näherte sich dieser Thür und hörte deutlich einige tiefe Seufzer, Was konnte die Ursache sein? Der Oberst war scheinbar in seiner gewöhnlichen Stimmung von ihm gegangen. Er mußte plötzlich unwohl geworden sein. In dieser Vermuthung öffnete er leise die Verbindungsthür und sah den Obersten im Schlafrock an einem Tische sitzen, auf welchem ein offener Brief und ein Bild lagen. Er erhob hastig den Kopf, als Edward noch ungewiß war, ob er vorwärts gehen oder zurücktreten sollte, und Waverley bemerkte, daß seine Wangen von Thränen feucht waren.

Wie beschämt darüber, überrascht zu werden, während er solchen Gefühlen Raum gab, stand Oberst Talbot mit sichtbarem Unwillen auf und sagte etwas streng: »Ich dächte, Herr Waverley, mein eigenes Zimmer und die Stunde sollten selbst einen Gefangenen gesichert haben gegen –«

»Sagen Sie nicht Aufdringlichkeit, Oberst Talbot, ich hörte Sie seufzen und glaubte, Sie wären unwohl, das allein konnte mich bewegen, so bei Ihnen einzutreten.«

»Mir ist wohl,« sagte der Oberst, »vollkommen wohl.« »Aber Sie sind betrübt,« entgegnete Edward; »ist da keine Hilfe möglich?«

»Keine, Herr Waverley, ich dachte nur an die Heimat und einige betrübende Ereignisse dort.«

»Großer Gott, mein Oheim!« rief Waverley.

»Nein, es ist ein Kummer, der mich allein betrifft. Ich bin beschämt, daß Sie gesehen, wie es mich beugte, aber der Schmerz muß zu gewissen Zeiten freien Lauf haben, damit er zu andern mit Anstand getragen werden kann. Ich wollte ihn vor Ihnen geheim halten, weil ich glaubte, daß er Sie betrüben würde, und Sie doch keinen Trost gewähren könnten. Aber Sie haben mich überrascht, ich sehe Sie selbst überrascht, ich hasse Heimlichkeiten. Lesen Sie den Brief.«

Der Brief war von der Schwester des Obersten und lautete: »Ich erhielt Deinen Brief, theurer Bruder, durch Hodges. Sir E. W. und Mr. R. sind noch frei, dürfen jedoch London nicht verlassen. Ich wünschte, Gott weiß es, ich könnte Dir eben so gute Nachrichten von den Deinen geben; aber die Nachrichten von dem unglücklichen Vorfalle bei Preston kamen mit dem traurigen Zusatze zu uns, daß Du unter den Gebliebenen wärest. Du weißt, wie Emilys Gesundheitszustand war, als Deine Freundschaft für E. Dich bewog, sie zu verlassen. Sie wurde durch die böse Kunde aus Schottland, daß der Aufstand ausgebrochen sei, sehr beängstigt, hielt aber ihren Muth aufrecht, da dies, wie sie sagte, sich für Deine Frau gezieme, sowie wegen des künftigen Erben, auf den Ihr so lange vergebens hofftet. Ach, mein armer Bruder, diese Hoffnungen sind vorbei. Trotz meiner Sorgfalt und Wachsamkeit erreichte dieses unglückliche Gerücht sie unvorbereitet. Sie wurde sofort krank, und das arme Kind überlebte kaum die Geburt. Wollte Gott, das wäre alles, aber obgleich die Widerlegung jenes schrecklichen Gerüchtes durch Deinen eigenen Brief sie sehr aufgerichtet hat, so hegt der Arzt dennoch ernste Befürchtungen und erwartet sogar gefährliche Folgen für ihre Gesundheit, besonders infolge der Sorge, in welcher sie nothwendiger Weise noch einige Zeit bleiben muß, die noch vermehrt wird durch ihre Begriffe von der Grausamkeit derer, von denen Du gefangen gehalten wirst.

Versuche daher, mein theurer Bruder, sobald Du diesen Brief erhältst, Deine Freilassung zu erlangen, auf Ehrenwort, gegen Lösegeld, oder auf sonst irgend eine Weise. Ich schildere Emilys Gesundheitszustand nicht schlimmer als er ist, aber ich darf nicht wagen, Dir die Wahrheit zu verhehlen. – Ich bin, mein theurer Philipp, wie immer Deine Dich liebende Schwester

Lucie Talbot.«

Edward stand regungslos da, als er diesen Brief gelesen hatte. Der Schluß war nur zu gewiß, daß den Obersten dieser Kummer infolge der Reise zu seiner Aufsuchung getroffen hatte, und der war schwer genug, selbst da, wo keine Hoffnung auf Besserung war, denn Oberst Talbot und Lady Emily, die lange ohne Familie blieben, hatten sich innig ob dessen gefreut, was jetzt verloren war, aber dies war nichts im Vergleich zu dem Schlage, der bevorstand, und mit Entsetzen betrachtete sich Edward als die erste Ursache zu beidem.

Ehe er sich fassen konnte, um zu sprechen, hatte Oberst Talbot seine gewöhnliche männliche Haltung wiedergewonnen, wenn auch sein trüber Blick den innern Kampf verrieth.

»Sie ist eine Frau, mein junger Freund, welche selbst die Thränen eines Soldaten entschuldigen kann,« sagte er, indem er ihm das Bild gab, dessen Züge dies Lob rechtfertigten, »und dennoch, Gott weiß es, ist das, was Sie hier von ihr sehen, nur der geringste Reiz, den sie besitzt – besaß, sollte ich vielleicht sagen, doch Gottes Wille geschehe.«

»Sie müssen fliehen, müssen augenblicklich fliehen, um sie zu retten, es ist nicht zu spät, darf nicht zu spät sein.«

»Fliehen? Wie ist das möglich? Ich bin Gefangener – auf Ehrenwort.«

»Ich bin Ihr Wächter, ich gebe Ihnen das Wort zurück, ich will für Sie haften.«

»Das verträgt sich nicht mit Ihrer Pflicht, auch kann ich mit der schuldigen Rücksicht auf meine eigene Ehre Ihre Freisprechung nicht annehmen, Sie würden dafür verantwortlich gemacht werden.«

»Ich will dafür mit meinem Kopfe verantwortlich sein, wenn es nöthig ist,« sagte Waverley ungestüm. »Ich bin die unglückliche Ursache, daß Sie Ihr Kind verloren, machen Sie mich nicht auch noch zum Mörder Ihrer Gattin.«

»Nein, mein theurer Edward,« sagte Talbot, indem er ihn herzlich bei der Hand faßte, »Sie sind in keiner dieser Beziehungen schuldig, und wenn ich dies häusliche Leid zwei Tage vor Ihnen verbarg, so geschah es nur, weil ich fürchtete, daß Ihr Zartgefühl es aus diesem Gesichtspunkte betrachten möchte. Sie konnten nicht an mich denken, wußten kaum von meiner Existenz, als ich England verließ, um Sie aufzusuchen. Der Himmel weiß, daß die Verantwortlichkeit für einen Sterblichen schwer genug ist, wenn er für die vorhergesehenen und unmittelbaren Folgen seiner Handlungen haften soll, für die mittelbaren und unberechenbaren Folgen hat Gott, der allein den Zusammenhang menschlicher Schicksale überschaut, uns arme gebrechliche Geschöpfe nicht verantwortlich gemacht.«

»Aber daß Sie Lady Emily in einem Zustande, der doch vor allen andern des Gatten ganze Theilnahme in Anspruch nimmt, verließen, um –«

»Ich that nur meine Pflicht,« fiel Oberst Talbot ihm mit großer Ruhe in das Wort, »und ich darf, kann das nicht bereuen. Wäre der Pfad der Dankbarkeit und Ehre immer glatt und bequem, so wäre es wenig Verdienst, ihm zu folgen, aber er geht oft gegen unseren Vortheil und unsere Leidenschaften, und zuweilen unsere innigeren Neigungen. Das sind die Prüfungen, und diese ist, wenn auch vielleicht die bitterste,« die Thränen traten ihm wieder in die Augen, »doch nicht die erste, die mein Schicksal mir zu Theil werden ließ. – Doch wir wollen davon morgen sprechen,« sagte er, indem er Waverley die Hände schüttelte, »gute Nacht! Suchen Sie es für einige Stunden zu vergessen. Der Tag bricht, glaube ich, um sechs Uhr an, und es ist zwei Uhr vorbei. – Gute Nacht.«

Unserm Edward erstarb das Wort auf der Zunge. Er zog sich zurück.


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