Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel IX.

Rosa Bradwardine und ihr Vater.

Rosa Bradwardine war siebzehn Jahre alt, dennoch hatte der Laird von Bumperquaigh, der immerwährende Toastausbringer des Bautherwhillery-Clubs, als bei dem letzten Wettrennen in dem Landstädtchen ** auf ihre Gesundheit getrunken werden sollte, die Gottheit, der er seine Libation darbrachte, »die Rose von Tully-Veolan« genannt, und bei dieser festlichen Gelegenheit wurde von allen der Sitzung beiwohnenden Mitgliedern jener ehrwürdigen Gesellschaft ein dreimaliges Lebehoch auf sie ausgebracht. Ja, mir ist sogar versichert worden, daß die schlafenden Theilnehmer der Gesellschaft Beifall schnarchten, und daß sogar zwei oder drei an dem Boden verschiedene unartikulirte Töne ausstießen, durch die sie ihre Zustimmung zu erkennen gaben.

Solch allgemeiner Beifall konnte nur durch ein anerkanntes Verdienst hervorgerufen werden, und Rosa Bradwardine verdiente nicht nur ihn, sondern auch den Beifall viel verständigerer Personen, als die Mitglieder des Bautherwhillery-Clubs waren. Sie war in der That ein ganz allerliebstes Mädchen nach den schottischen Begriffen der Schönheit, d.h. mit einer Fülle von Goldhaar und einer Haut, so weiß wie der Schnee auf den Bergen ihres Vaterlandes. Dennoch hatte sie kein mattes, träumerisches Wesen; ihre Züge, sowie ihr Geist, trugen einen lebendigen Ausdruck; die Farbe ihres Gesichts war zwar nicht hoch geröthet, aber sie war ebenso rein wie durchsichtig, und die leiseste Aufregung trieb ihr das Blut in Hals und Wangen. Ihr Wuchs war zwar unter der gewöhnlichen Größe, aber auffallend elegant, ihre Bewegungen leicht, ungezwungen, gewandt. – Sie kam aus einem andern Theile des Gartens, um Kapitän Waverley mit einer Mischung von Verschämtheit und Artigkeit zu begrüßen.

Als die ersten Begrüßungen vorüber waren, erschien der Baron selbst, durch Davie Gellatley benachrichtigt, »mit den gastfreundlichsten Gesinnungen,« und kam über den Wiesengrund mit so gewaltigen Schritten daher, daß sie Waverley an das Märchen von den Siebenmeilenstiefeln erinnerten. Er war von hoher, magerer, doch athletischer Gestalt, zwar alt und grauhaarig, aber jeder Muskel war durch beständige Uebung so zäh wie eine Peitschenschnur geworden. Er war nachlässig gekleidet, mehr wie ein Franzose als wie ein Engländer jener Zeit, seine scharfen Züge und seine aufrechte Haltung verliehen ihm einige Aehnlichkeit mit einem Offizier der Schweizergarde, der einige Zeit in Paris gestanden und sich wohl die Tracht, doch nicht die Leichtigkeit oder das Benehmen der dortigen Einwohner angeeignet hat. In der That waren auch seine Sprache und Gewohnheiten seiner Stellung ebenso wenig angemessen wie seine äußere Erscheinung.

Infolge seiner natürlichen Anlage zu wissenschaftlicher Beschäftigung oder vielleicht auch der ziemlich allgemeinen schottischen Mode, jungen Leuten von Rang eine juristische Ausbildung zu geben, war er für die Gerichtsschranken bestimmt gewesen. Da aber die politischen Traditionen seiner Familie jede Hoffnung ausschlossen, in dieser Laufbahn vorwärts zu kommen, so reiste Mr. Bradwardine einige Jahre mit vieler Auszeichnung in fremden Ländern und machte in auswärtigen Diensten einige Feldzüge mit. Nach einer Kollision mit den Gesetzen wegen Hochverrats im Jahre 1715 lebte er in Zurückgezogenheit und verkehrte fast nur mit solchen Nachbarn, die seine eigenen Grundsätze theilten. Bei seiner ersten Anrede schien es, als hätte die herzliche Freude, den Neffen seines Freundes zu sehen, die Steifheit und stolze Würde in der Haltung des Barons von Bradwardine etwas gemildert, denn Thränen standen dem alten Manne in den Augen, als er zuerst Edwards Hand auf englische Weise herzlich geschüttelt hatte, und er ihn dann auf französische umarmte und auf beide Backen küßte; die Härte seines Händedrucks und die Menge schottischen Schnupftabaks, welche er bei der Umarmung seinem Gaste mittheilte, riefen auch in dessen Augen einige Tropfen hervor.

»Bei der Ehre eines Edelmannes,« sagte er, »es macht mich wieder jung, Euch bei mir zu sehen, Mr. Waverley! Ein würdiger Zweig des alten Stammes von Waverley-Haus – spes altera – wie Maro sagt; und man sieht Euch an, daß Ihr zu der älteren Linie gehört, Kapitän Waverley; noch nicht so stattlich wie mein alter Freund, Sir Everard, mais cela viendra avec le temps, wie mein holländischer Bekannter, Baron Kikkitbroek sagte, als er von der sagesse de Madame son epouse sprach. – Ihr habt also die Kokarde aufgesteckt? Recht, recht, obgleich ich die Farbe etwas anders gewünscht hätte, und das thut, wie ich glaube, Sir Everard ebenfalls. Doch nichts weiter davon, ich bin alt, und die Zeiten haben sich geändert. Und wie befinden sich der würdige Baronet und die schone Miß Rahel? – Ei, Ihr lacht, junger Mann? – In der That, sie war die schöne Miß Rahel im Jahr der Gnade 1716; aber die Zeit vergeht – et singula praedantur anni – das ist ganz gewiß. Aber noch einmal, seid mir herzlich willkommen in meinem armen Hause zu Tully-Beolan! – Eile nach dem Hause, Rosa, und sieh nach, daß Alezander Saunderson vom alten Chateau-Margaut heraufholt, den ich im Jahr 1713 von Bordeaux nach Dundee schickte.«

Rosa entfernte sich mit ziemlich gemessenen Schritten, bis sie an die erste Ecke kam, dann flog sie mit Sylphenschnelligkeit dahin, um nach Vollziehung des väterlichen Auftrages noch für ihren Anzug und Putz sorgen zu können, wozu ihr die Nähe der Speisestunde nicht viel Zeit ließ.

»Wir können mit dem Luxus Eurer englischen Tafel nicht wetteifern, Kapitän Waverley, oder Euch die epulae lantiores von Schloß Waverley geben, ich sage epulae statt prandium, weil das letztere Wort gemein ist, epulae ad senatum, prandium vero ad populum attinet, sagte Suetonius Tranquillus. Aber ich hoffe, Ihr werdet meinem Bordeaux Beifall zollen, c'est des doux oreilles, wie Kapitän Binsauf zu sagen pflegte, vinum primae notae, wie der Rektor von St. Andreas ihn nannte. Und noch einmal, Kapitän Waverley, ich bin hocherfreut, daß Ihr hier seid, das Beste zu trinken, was mein Keller zu bieten vermag.« Diese Rede mit den nothwendigen dazwischen eingeschobenen Antworten währte von der niedern Allee, wo sie sich trafen, bis an die Thür des Hauses, wo vier oder fünf Diener in altmodischen Livreen standen, an ihrer Spitze der Haushofmeister Alexander Saunderson, der jetzt kein Zeichen mehr von dem Staube des Gartens trug, und sie

In einer alten Halle mit Lanzen, Schwert und Bogen
Und Panzer, Schild, an die manch böser Speer geflogen,

in großem Costüm empfing.

Mit viel Ceremonie und noch weit mehr Herzlichkeit führte der Baron seinen Gast, ohne sich in einem dazwischen liegenden Zimmer aufzuhalten, in den großen Speisesaal, der mit geschwärztem Eichenholz getäfelt war, und an dessen Wänden die Bilder seiner Vorfahren hingen. Hier stand eine Tafel für sechs Personen gedeckt, und ein altmodisches Büffet entfaltete alles alte und massive Silbergeschirr der Familie Bradwardine.

Jetzt ertönte von dem Ende der Eingangsallee her eine Glocke, denn ein alter Mann, der an Galatagen das Amt eines Pförtners versah, hatte von dem Lärm gehört, den Waverleys Ankunft verursachte, war auf seinen Posten geeilt und meldete das Nahen anderer Gäste.

Diese waren, wie der Baron seinen jungen Freund versicherte, sehr ehrenwerthe Personen. »Da war der junge Laird von Balmawhapple, mit dem Beinamen »der Falkenjäger,« aus dem Hause Glenfarquhar, der Jagd zwar total ergeben, – gaudet equis et canibus, – aber ein sehr anständiger junger Edelmann. – Dann der Land von Killancureit, der seine Mußestunden dem Ackerbau und der Viehwirthschaft widmete, und sich rühmte, im Besitze eines tadellosen Stiers aus der Grafschaft Devon zu sein. Er ist, wie Ihr nach einer solchen Neigung wohl denken könnt, nur vom Pachterschlage – servabit odorum testa diu –, und ich glaube, unter uns, sein Großvater war von der falschen Seite – ein gewisser Bullsegg, der als Pachter oder Vogt, oder Grundbeamter, oder dergleichen zu dem seligen Girnigo von Killancureit kam, der an der Auszehrung starb. Nach seines Herrn Tode – kaum werdet ihr ein solches Aergerniß glauben –, verheiratete sich dieser Bullsegg, der schön und wohlgebaut war, mit der jungen und verliebten verwittweten Lady, und wurde so Eigenthümer der Besitzthümer, welche dieser unglückseligen Frau durch Vermächtniß ihres verstorbenen Mannes zufielen. Der jetzige Mr. Bullsegg von Killancureit hat aber in seinen Adern gutes Blut durch die Mutter und die Großmutter, welche beide aus der Familie Pickletillim stammten; er ist wohl gelitten und gern gesehen, und weiß, was für ein Platz ihm gebührt. Und behüte Gott, Waverley, daß wir uns über ihn aufhalten, denn es könnte ja kommen, daß seine Nachkommen in der achten, neunten, zehnten Generation gewissermaßen dem alten Adel des Landes gleichstehen. Rang und Ahnen, Herr, sollten die letzten Worte in unserem Munde sein, die wir aus tadellosem Geschlechte stammen – vix ea nostra voco, wie Naso sagt. – Außerdem ist da noch ein Geistlicher der wahren wenngleich unterdrückten bischöflichen Kirche von Schottland. Er war ein Bekenner derselben im Jahre 1715, als ein Haufe Whigs seine Kirche zerstörte, sein Chorhemd zerriß, ihm vier silberne Eßlöffel stahl und seine Speisevorräthe entführte, nebst zwei Fässern, eines mit einfachem, eines mit doppeltem Bier, und außerdem noch drei Flaschen Branntwein. – Der Verwalter meiner Baronie, Mr. Duncan Macwheeble, ist der vierte auf unserer Liste. In Bezug auf die alte Orthographie findet eine Ungewißheit statt, ob er zu dem Clan von Wheeble oder Quibble gehört, doch haben beide ausgezeichnete Rechtsgelehrte hervorgebracht.«

So beschrieb er alle nach Person und Namen,
Die als Gäste bei ihm zur Tafel kamen.


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