Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XX.

Des Häuptlings Schwester.

Das Gesellschaftszimmer Floras Mac-Ivor war auf die einfachste Weise eingerichtet, denn in Glennaquoich wurde jede andere Ausgabe so viel als möglich beschränkt, um die Gastlichkeit des Häuptlings in höchstem Glanze bestehen lassen und die Zahl seiner Untergebenen und Anhänger nicht nur erhalten, sondern noch vermehren zu können. Von dieser Sparsamkeit zeigte sich jedoch nichts in dem Anzuge der Dame, der sehr elegant und reich war und in außerordentlich geschmackvoller Vereinigung theils die Pariser Mode zeigte, theils die einfachere Hochlandstracht. Ihr Haar war nicht durch die Kunst eines Friseurs entstellt, sondern fiel in üppigen Ringeln auf ihren Nacken herab, nur durch einen reich mit Diamanten besetzten Reif gehalten. Diese Tracht hatte sie aus Rücksicht auf das Hochlandsvorurtheil angenommen, welches nicht duldet, daß ein weibliches Haupt eher bedeckt wird, als bis der Brautkranz es ziert. Flora Mac-Ivor sah ihrem Bruder auffallend ähnlich. Beide hatten die antike Regelmäßigkeit des Profils, dieselben dunkeln Augen, Augenwimpern und Augenbrauen, dieselbe zarte Gesichtsfarbe, nur hatte das Wetter Fergus gebräunt, während Floras Teint von der feinsten Zartheit war. Die hochmüthige und etwas strenge Regelmäßigkeit in Fergus' Zügen war in denen Floras lieblich gemildert. Auch ihre Stimmen hatten ähnlichen Ton, nur waren sie in der Lage verschieden. Die von Fergus, besonders wenn er seinen Leuten während der militärischen Hebungen Befehle gab, hatte Edward an eine Schilderung des Emetrius erinnert.

Deß Stimme laut zum Ohre drang
Wie der Drommete Silberklang.

Floras Stimme dagegen war lieblich und sanft, eine vortreffliche Eigenschaft des Weibes. Besprach sie aber irgend einen Lieblingsgegenstand, was sie gern und mit natürlicher Beredsamkeit that, so standen ihr ebenso wohl die Töne, welche Ehrfurcht und Ueberzeugung erwecken, wie die, welche überredend bestricken, zu Gebote. Der feurige Glanz des schönen schwarzen Auges, das bei dem Häuptling, selbst bei den materiellen Hindernissen, auf die er traf, ungeduldig zu flackern schien, war bei seiner Schwester in ein sinnvolles Leuchten übergegangen. Seine Blicke schienen Ruhm, Macht und alles das zu suchen, was ihn über andere Menschen erheben konnte, während die seiner Schwester, des geistigen Uebergewichtes sich bewußt, die, welche nach anderer Auszeichnung rangen, eher mit Mitleid als mit Neid zu betrachten schienen. Ihre Empfindungen stimmten mit dem Ausdruck ihres Gesichtes überein. Ihre Jugenderziehung hatte ihrem Gefühle, wie dem des Häuptlings, die innigste Anhänglichkeit an die verbannte Familie der Stuarts eingeflößt, sie hielt es für die Pflicht ihres Bruders, seines Clans, jedes Mannes in Britannien, welche persönliche Gefahr auch damit verbunden sein mochte, zu deren Wiedereinsetzung beizutragen, auf die zu hoffen die Anhänger des Ritters von St. Georg noch nicht aufgehört hatten. Sie war bereit, dafür alles zu thun, alles zu dulden, alles zu opfern. Aber ihre Anhänglichkeit übertraf die ihres Bruders an Reinheit wie an Fanatismus. An kleinliche Intriguen gewöhnt, und dadurch nothwendiger Weise in tausend schnöde und selbstische Diskussionen verwickelt, war sein politischer Glaube durch die Zwecke seines Interesses und seines Ehrgeizes, die sich so leicht damit verbinden ließen, wenigstens gefärbt, wo nicht befleckt, und von dem Augenblicke an, wo er sein Schwert zog, war es schwer zu sagen, ob es mehr in der Absicht geschah, Jakob Stuart zum König oder Fergus Mac-Ivor zum Grafen zu machen. Es war dies allerdings ein Gemisch von Gefühlen, in dem er selbst nicht klar sah, aber es existirte nichts desto weniger.

In Floras Busen dagegen brannte der Eifer der Treue rein und ungetrübt von irgend einem selbstsüchtigen Gefühle, ihr Patriotismus war geradezu von religiöser Reinheit. Eine solche Anhänglichkeit war nicht ungewöhnlich unter den Parteigängern des unglücklichen Geschlechtes der Stuarts; besondere Aufmerksamkeit von Seiten des Ritters von St. Georg und seiner Gemahlin gegen die Eltern des Barons und dessen Schwester, sowie für sie selbst, als sie Waisen wurden, hatte diese Anhänglichkeit in Flora noch vermehrt. Nach dem Tode seines Vaters war Fergus einige Zeit Ehrenpage bei der Gemahlin des Ritters gewesen, und wegen seiner Schönheit und seines heiteren Gemüthes war er von ihr mit vieler Auszeichnung behandelt worden. Diese hatte sich auch auf Flora erstreckt, welche einige Zeit in einem Kloster ersten Ranges auf Kosten der Prinzessin erzogen und dann in die eigene Familie derselben aufgenommen worden war, wo sie beinahe zwei Jahre zugebracht hatte. Bruder sowohl als Schwester bewahrten das tiefste und dankbarste Gefühl für diese Güte.

Nachdem wir so die Grundzüge von Floras Charakter geschildert haben, kann das, was damit zusammenhing, flüchtiger berührt werden. Flora war sehr gebildet und hatte sich jenes elegante Wesen angeeignet, welches sich von einer Dame erwarten ließ, die in ihrer früheren Jugend die Gesellschafterin einer Fürstin war; aber sie hatte nicht gelernt, durch den Schein der Höflichkeit die Wirklichkeit des Gefühles zu ersetzen. Als sie sich in der einsamen Gegend von Glennaquoich niederließ, fand sie, daß ihre Hilfsquellen in der französischen, englischen und italienischen Literatur nur spärlich und mangelhaft wären, und so verwendete sie, um ihre müßige Zeit auszufüllen, einen Theil derselben auf die Musik und die poetischen Überlieferungen des Hochlandes. Sie fand dabei bald das Vergnügen wirklich, welches ihr Bruder, dessen Begriffe von literarischem Verdienst weniger geläutert waren, mehr wegen der daher entstammenden Popularität heuchelte als fühlte. Ihr Entschluß befestigte sich bei ihren Nachforschungen durch das Entzücken, welches ihre Fragen bei den Leuten erweckten, an die sie sich um Belehrung wandte.

Die Liebe zu ihrem Clan, eine Anhänglichkeit, die in ihrem Busen erblich war, war bei ihr wie ihre Ergebenheit für die Königsfamilie eine reinere Leidenschaft als bei ihrem Bruder. Er war zu sehr Politiker und betrachtete seinen patriarchalischen Einfluß zu sehr als ein Mittel, sein eigenes Steigen zu bewirken, als daß wir ihn das Muster eines Hochlandshäuptlings nennen könnten. Flora fühlte zwar denselben Drang, ihre patriarchalische Herrschaft auszubreiten, aber mehr aus dem großmüthigen Verlangen, diejenigen Personen der Armut oder doch wenigstens dem Mangel und der fremden Bedrückung zu entreißen, über welche ihr Bruder durch seine Geburt nach den Begriffen der Zeit und des Landes zu herrschen bestimmt war. Ihre Ersparnisse, sie bezog eine kleine Pension von der Prinzessin Sobieski, widmete sie nicht dem Zwecke, den Bauern Erleichterung zu verschaffen, denn das war ein Wort, welches sie entweder nicht kannte oder allem Anscheine nach nicht kennen zu lernen wünschte, sondern für ihre notwendigen Bedürfnisse zu sorgen, wenn sie krank oder alt waren. Zu jeder andern Zeit suchten sie eher mit dem Häuptlinge den Ertrag ihrer Mühen zu theilen, um ihm so ihre Anhänglichkeit zu beweisen, als daß sie von ihm einen andern Beistand annahmen außer dem, welchen die rohe Gastlichkeit seines Schlosses gewährte, und außer der allgemeinen Vertheilung und Untervertheilung seiner Besitzungen unter sie. Daher war Flora bei allen so beliebt, daß, wenn Mac-Murrough ein Lied dichtete, in welchem er alle die vorzüglichsten Schönheiten der Gegend aufzählte und dann ihre Erhabenheit dadurch ausdrückte, daß er schloß: »Der schönste Apfel hängt an dem höchsten Zweige,« er von den Clansgliedern mehr Saathafer zum Geschenk erhielt, als nöthig gewesen wäre, seinen Hochlandsparnaß, des Barden Feld, wie es genannt wurde, zehnmal zu besäen.

Durch die Verhältnisse sowohl, als auch aus Neigung war die Gesellschaft der Miß Mac-Ivor sehr beschränkt. Ihre vertrauteste Freundin war Rosa Bradwardine gewesen, der sie sich innig zugethan fühlte, und wenn man die Mädchen beisammen sah, hätten sie einem Künstler zwei bewundernswerthe Gegenstände für die ernste und heitere Muse bieten können. Rosa wurde von ihrem Vater so zärtlich bewacht, und der Kreis ihrer Wünsche war so beschränkt, daß keiner erwachte, als den er zu erfüllen geneigt war, und kaum einer, der nicht im Bereiche seiner Macht lag. Mit Flora war das anders. Beinahe noch Kind hatte sie den Wechsel des Glücks, von Pracht und Herrlichkeit zu Verlassenheit und Armut erfahren, und die Gedanken und Wünsche, welche sie hauptsächlich nährte, betrafen große nationale Ereignisse, die nicht ohne Gefahr und Blutvergießen herbeigeführt werden konnten, und an die man nicht mit leichtem Muthe denken durfte. So war ihr Wesen ernst geworden, obgleich sie stets bereit war, mit ihren Talenten zur Unterhaltung der Gesellschaft beizutragen und sehr hoch in der Meinung des alten Barons stand, der mit ihr französische Duette zu singen pflegte, wie sie zu Ende der Regierung Ludwigs XIV. Mode waren.

Man glaubte allgemein, obgleich niemand gegen den Baron von Bradwardine darauf hinzudeuten gewagt hätte, daß Floras Bitten keinen geringen Antheil daran gehabt hatten, die Wuth ihres Bruders bei der Gelegenheit des Streites mit ihm zu beschwichtigen. Sie faßte Fergus bei seiner verwundbaren Seite, indem sie zuerst auf des Barons Alter aufmerksam machte, dann auf den Nachtheil, der der guten Sache daraus erwachsen konnte, und auf den Zweifel an seiner Klugheit, die für einen politischen Agenten so nothwendig ist, wenn er darauf bestand, den Streit bis zum Aeußersten zu treiben. Wäre das nicht geschehen, so ist es wahrscheinlich, daß ein Duell daraus entstanden wäre, sowohl weil der Baron bei einer frühern Gelegenheit das Blut eines Clansangehörigen vergossen hatte, als auch weil er einen hohen Ruf wegen seiner Handhabung jeder Waffe genoß, um den Fergus ihn fast beneidete. Darum betrieb Flora ihre Aussöhnungsversuche nur um so eifriger, und der Häuptling war um so bereitwilliger, als einige andere seiner Pläne dadurch gefördert wurden.

Bei diesem jungen Mädchen, welches jetzt den Vorsitz am Theetisch hatte, führte Fergus den Kapitän Waverley ein, der von ihr mit der üblichen Höflichkeit empfangen wurde.


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