Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XXIX.

Zeigt, daß der Verlust eines Hufeisens eine ernste Unbequemlichkeit werden kann.

Das Wesen und Benehmen Waverleys, vor allem aber der blinkende Inhalt seiner Börse, und die Gleichgültigkeit, mit der er dieselbe anzusehen schien, machten einen ehrfurchtgebietenden Eindruck auf seinen Gefährten, und hielten ihn von allen Versuchen ab, sich in ein Gespräch mit ihm einzulassen. Seine eigenen Betrachtungen wurden überdies durch verschiedene Voraussetzungen beschäftigt und durch damit zusammenhängende Pläne, die seinen Nutzen betrafen. Die Reisenden ritten daher schweigend vorwärts, bis der Führer das Schweigen durch die Meldung unterbrach: sein Pferd hätte das Eisen am Vorderfuß verloren, und Se. Gnaden würden es ohne Zweifel als ihre Pflicht betrachten, dasselbe wieder aufzulegen.

Das war, was die Rechtsgelehrten eine fischende Frage nennen, berechnet, zu erforschen, inwiefern Waverley geneigt sei, sich dieser kleinen Auflage zu unterwerfen. »Ich Eurem Pferde ein Eisen auflegen, Ihr Hallunke?« sagte Waverley, der die Forderung mißverstand.

»Unzweifelhaft,« antwortete Mr. Cruickshanks; »obgleich keine ausdrückliche Klausel festgesetzt wurde, ist doch nicht anzunehmen, daß ich für die Zufälligkeiten zahlen soll, die das arme Thier befallen, während es in Ew. Gnaden Diensten ist. Wenn indeß Ew. Gnaden –«

»Ja so! Ihr meint, daß ich den Schmied bezahlen soll, aber wo finden wir einen?«

Erfreut über die Entdeckung, daß sein augenblicklicher Gebieter gegen die Zahlung nichts einzuwenden haben würde, versicherte Mr. Cruickshanks, daß Cairnvreckan, ein Dorf, welches sie eben erreichten, sich eines vortrefflichen Hufschmieds erfreue; da er aber ein Professor sei, würde er an einem Sabbath oder Kirchfeste auf keinen Fall einen Nagel einschlagen, es müßte denn die dringendste Nothwendigkeit sein, in welchem Falle er für jedes Eisen einen Sixpence fordere. Das, was nach der Meinung des Sprechers das wichtigste bei dieser Mittheilung war, machte nur einen sehr geringen Eindruck auf den Hörer, der sich nur im Stillen darüber wunderte, welchem Kollegium dieser Schmiedeprofessor angehören könne, und nicht ahnte, daß man mit diesem Worte alle die zu bezeichnen pflegte, welche sich eine ungewöhnliche Heiligkeit im Glauben und Betragen angelegen sein ließen.

Als sie das Dorf Cairnvreckan betraten, erkannten sie leicht das Haus des Schmiedes, das zugleich Gasthaus, und als solches zwei Stock hoch war. Es streckte darum seinen mit grauem Schiefer bedeckten Giebel stolz aus den niedern Hütten empor, die es umgaben. Die anstoßende Schmiede zeigte nichts von der Sabbathsruhe und Stille, welche Ebenezer nach der Heiligkeit seines Freundes vermuthet hatte. Im Gegentheil schlug der Hammer, rauschte der Blasebalg, schien der ganze Apparat des Vulkan in Thätigkeit zu sein. Auch war die Arbeit nicht ländlicher und friedlicher Art. Der Meister Schmied, welcher, wie sein Schild sagte, John Mucklewrath hieß, war mit zwei Gesellen emsig damit beschäftigt, alte Musketen, Pistolen und Schwerter, die in seiner Werkstatt unordentlich umherlagen, auszubessern und in Stand zu setzen. Der offene Schuppen, in welchem sich die Schmiede befand, war mit Personen angefüllt, die kamen und gingen, als brächten und empfingen sie wichtige Nachrichten, und ein einziger Blick auf die Leute, die hastig über die Straße schritten, oder mit erhobenen Augen und Händen in Gruppen beisammenstanden, verrieth, daß irgend eine außerordentliche Nachricht die Gemüther der Bewohner von Cairnvreckan aufregte.

»Da gibt es etwas neues,« sagte der Wirth vom Armleuchter, indem er sein Laternengesicht und seinen kahlen Schädel unter die Menge schob, »da gibt es etwas neues, und wenn es meinem Schöpfer gefällt, werde ich bald wissen, was es ist.« Waverley, der seine Neugier besser zu zügeln wußte als sein Gefährte, stieg ab und übergab sein Pferd einem Knaben, der gaffend in der Nähe stand. Es mochte eine Folge seines scheuen Charakters, der ihm von seiner Kindheit her geblieben war, sein, daß er sich nicht geneigt fühlte, von einem Fremden auch nur eine zufällige Erkundigung einzuziehen, ohne vorher sein Gesicht und sein Aeußeres betrachtet zu haben. Während er sich also nach einem Menschen umsah, den er befragen konnte, wurde er der Mühe durch die umstehende Menge überhoben. Die Namen Lochiel, Clanronald, Glengarry und anderer ausgezeichneter Hochlandshäuptlinge, unter denen Bich Ian Vohr wiederholt genannt wurde, gingen in dem Munde dieser Menschen so geläufig hin und her wie Haushaltsausdrücke, und aus der allgemeinen Besorgniß schloß er leicht, daß ein Einfall jener Häuptlinge in die Tieflande an der Spitze ihrer bewaffneten Stämme entweder schon stattgefunden hätte oder für jeden Augenblick befürchtet würde.

Ehe er noch nach näheren Umständen fragen konnte, drängte sich ein großes starkknochiges Weib mit harten Zügen durch die Menge, ungefähr vierzig Jahre alt und angezogen, als wären ihre Kleider mit der Heugabel übergeworfen. Ihre Wangen waren dunkel geröthet, wo Ruß und Lampendunst sie nicht geschwärzt hatten, beim Hindurchdrängen hielt sie ein Kind von ungefähr zwei Jahren hoch empor, und während sie es auf ihren Armen tanzen ließ, sang sie, ohne auf das Geschrei des Kleinen zu achten, mit der ganzen Kraft ihrer Lunge:

»Karl ist mein Herzchen, mein Herzchen, mein Herzchen.
Karl ist mein Herzchen, Mein Junker und Herr!«

»Hört ihr, was über euch kommen wird,« fuhr das Mannweib fort, »hört ihrs, ihr winselnden Whigs? Hört ihr, was kommt, euer Geschwätz zu kürzen –

Ihr wißt wenig, was kommt,
Ihr wißt wenig, was kommt,
Doch es kommt der wilde Macraws.«

Der Vulkan von Cairnvreckan, der in dieser lärmenden Bacchantin seine Venus erkannte, sah sie mit einem grimmigen, zornfunkelnden Gesicht an, während einige von den Vorstehern des Dorfes zur Beschwichtigung eilten, »Still Weib,« sagten sie, »ist dies eine Zeit, oder ist dies ein Tag, Eure wilden Lieder zu singen, eine Zeit, wenn der Wein des Zornes ungemischt in den Becher des Unwillens gegossen wird, und ein Tag, an dem das Land Zeugniß geben sollte gegen Papstthum und Prälaten und Quäker und Independenten und Supremat und Erastianismus und Antinomianismus und alle die Irrthümer der Kirche?«

»Das ist alles eure Whiggerei,« entgegnete die jakobitische Herrin. »Das ist eure Whiggerei und eure Presbyterei, ihr abgegriffenen greinenden Kerle! Was glaubt ihr wohl, daß die Burschen ohne Hosen sich um eure Synoden und Presbyterien und euren Bußschemel kümmern? Rache an dem schwarzen Gesicht dafür! Manch ehrlicheres Weib hat darauf gesessen, als an der Seite irgend eines Whig im Lande geht. Ich selbst –«

John Mucklewrath, welcher fürchtete, sie möchte in die näheren Umstände und persönlichen Erlebnisse eingehen, machte seine eheherrliche Gewalt geltend. »Geh nach Haus und hol Dich der Kuckuk, daß ich so sprechen muß, geh, setz das Hafermuß über zur Abendsuppe!«

»Und Du einfältiger Tropf,« rief seine zarte Ehehälfte, deren Wuth, welche bisher der ganzen Versammlung gegolten hatte, plötzlich und heftig in ihr natürliches Bett gezwungen wurde, »Du stehst da und hämmerst Waffen für Narren, die sie nie gegen einen Hochlandsmann schwingen werden, statt für Brod für Deine Familie zu sorgen, und das Pferd des jungen hübschen Herrn zu beschlagen, der da eben vom Norden gekommen ist. Ich möchte wetten, der ist keiner von eurem weibischen König-Georgsvolke, sondern ein tapferer Gordon oder etwas dergleichen.« Die Augen der Versammlung wendeten sich jetzt auf Waverley, der diese Gelegenheit ergriff, den Schmied zu bitten, das Pferd seines Führers so schnell als möglich zu beschlagen, weil er seine Reise fortzusetzen wünsche; denn er hatte genug gehört, um die Ueberzeugung zu gewinnen, daß für ihn Gefahr dabei sein würde, länger hier zu bleiben. Die Augen des Schmiedes hasteten auf ihm mit einem Blicke des Mißvergnügens und Verdachtes, welcher durch die Hast nicht gemildert wurde, mit der seine Frau Waverleys Verlangen unterstützte.

»Hörst Du alter, dusliger Taugenichts, was der schöne junge Herr sagt?« rief sie.

»Und wie heißt Ihr wohl, Herr?« fragte Mucklewrath.

»Das geht Euch nichts an, mein Freund, wenn ich nur Eure Arbeit bezahle,«

»Aber es kann den Staat etwas angehen, Herr,« sagte ein alter Pächter, der stark nach Whisky und Torfrauch roch, »und ich glaube, wir sollten Eure Reise hindern, bis Ihr den Laird gesehen habt.«

»Sicher,« sagte Waverley stolz, »werdet Ihr es schwer und gefährlich finden, mich aufzuhalten, wenn Ihr nicht zeigt, daß Ihr dazu autorisirt seid.«

Es entstand eine Pause, und ein Geflüster unter der Menge: »Sekretär Murray – Lord Lewis Gordon – vielleicht der Ritter selbst!« Das waren die Vermuthungen, welche die Menge schnell durchflogen und offenbar die Neigung steigerten, sich Waverleys Weiterreise zu widerzusetzen. Er versuchte ein gütliches Abkommen mit ihnen, aber seine freiwillige Bundesgenossin, Frau Mucklewrath, schrie hinein und übertönte seine Worte, indem sie seine Partei mit einer übel angebrachten Heftigkeit nahm, welche die, gegen die sie gerichtet wurde, ganz auf Edwards Rechnung setzten. »Ihr wollt einen Edelmann aufhalten, der des Prinzen Freund ist?« Denn auch sie hatte, obgleich mit anderen Gefühlen, die allgemeine Meinung in Bezug auf Waverley angenommen. »Wagt es, ihn anzurühren!« Dabei spreizte sie ihre langen, kräftigen Finger aus, besetzt mit Krallen, die ein Geier ihr hätte beneiden können. »Ich male meine zehn Gebote dem ersten Schelme ins Gesicht, der es wagt, ihn nur mit einem Finger anzurühren.«

»Geht nach Hause, gute Frau,« sagte der oben erwähnte Pächter; »es wäre besser, Ihr sorgtet für Eures Mannes Kinder, als daß Ihr uns hier mit Eurem Geschrei betäubt,«

»Seine Kinder?« sagte die Amazone und blickte ihren Mann mit einem Grinsen unbeschreiblicher Geringschätzung an. »Seine Kinder!

O wärt Ihr todt, mein guter Mann,
Und lägt im Grab, mein guter Mann,
Dann lenkt' ich meine Wittwenschaft
Auf einen kräft'gen Hochlandsmann«

Dieser Gesang, welcher ein unterdrücktes Gelächter bei dem jüngern Theile der Zuhörer erweckte, überwältigte die hartgeprüfte Geduld des Mannes vom Ambos vollends. »Mich soll der Teufel holen,« schrie er, »wenn ich ihr nicht die Worte in die Gurgel zurückschlage,« und zugleich ergriff er mit rasender Wuth eine eiserne Stange. Wahrscheinlich hätte er seine Drohung vollzogen, wäre er nicht durch einen Theil des Haufens zurückgehalten worden, während andere bemüht waren, ihm das Weib aus dem Gesichte zu führen. Waverley wollte in der Verwirrung den Rückzug antreten, aber er sah sein Pferd nirgends. Endlich entdeckte er in einiger Entfernung seinen treuen Begleiter Ebenezer, der, sobald er bemerkte, welche Wendung die Sache leicht nehmen könnte, beide Pferde aus dem Gedränge gezogen hatte. Er saß auf dem einen und hielt das andere am Zügel und antwortete auf den lauten und wiederholten Ruf Waverleys nach seinem Pferde: »Nein, nein, wenn Ihr kein Freund der Kirche und des Königs seid und als solch eine Person festgenommen werdet, so müßt Ihr einem ehrlichen Menschen für den Kontraktbruch stehen und ich behalte das Pferd und den Mantelsack zur Schadloshaltung für meine Kosten, denn mein Pferd und ich, wir verlieren das morgende Tagewerk und überdies noch die Nachmittagspredigt.«

Edward, der seine Geduld erschöpft sah und auf allen Seiten von dem aufgeregten Haufen eingezwängt, jeden Augenblick persönliche Gewaltthat fürchtete, beschloß Einschüchterungsmaßregeln zu versuchen und zog ein Paar Taschenpistolen hervor, mit denen er jeden niederzuschießen drohte, der ihn aufzuhalten wagte, zugleich machte er Ebenezer Aussicht auf das gleiche Geschick, wenn er sich nur einen Schritt weit mit den Pferden entferne. Der gelehrte Partridge sagt, ein Mensch mit einer Pistole ist hundert Unbewaffneten überlegen, denn obgleich er aus der Menge nur einen todtschießen kann, weiß doch keiner, ob nicht eben er das unglückliche Individuum wird. Die Masse der Bewohner von Cairnvreckan wäre daher wahrscheinlich zurückgewichen, und Ebenezer, dessen natürliche Blässe noch dreimal leichenhafter geworden war, würde gegen ein solches Gebot auch nichts einzuwenden gehabt haben, hätte nicht der Vulkan des Dorfes, begierig, die Wuth, welche sein Weib hervorgerufen, an irgend jemand auszulassen, und nicht unwillig darüber, einen solchen Gegenstand in Edward zu finden, eine glühend rothe Eisenstange ergriffen, mit der er so wüthend auf ihn einstürmte, daß das Abfeuern seines Pistols nur eine Handlung der Selbstvertheidigung war. Der Unglückliche fiel, und während Edward, von einem natürlichen Schauder über dieses Ereigniß durchrieselt, nicht so viel Geistesgegenwart besaß, seinen Säbel zu ziehen oder sich seines zweiten Pistols zu bedienen, warf sich die Masse auf ihn, entwaffnete ihn und stand im Begriffe, die größten Gewaltthaten zu verüben, als das Erscheinen eines ehrwürdigen Geistlichen, des Predigers der Gemeinde, ihrer Wuth ein Ziel setzte.

Dieser würdige Mann, keiner von den Goukthrapples oder Rentowels, bewahrte seine Würde unter dem gemeinen Volke, obgleich er die praktischen Gründe des christlichen Glaubens so gut wie die abstrakten Lehren desselben predigte, und die höheren Stände achteten ihn, obgleich er es vermied, ihre spekulativen Irrthümer dadurch zu mildern, daß er die Kanzel in eine Schule heidnischer Moral verwandelte. Vielleicht verdankte er es dieser Mischung des Glaubens und der Praxis in seinen Lehren, daß ich nie zu entdecken vermochte, ob er der evangelischen oder der gemäßigten Partei der Kirche angehörte, wiewohl sein Andenken in den Annalen von Cairnvreckan einen besonderen Zeitabschnitt bildete, so daß die Leute, um zu bezeichnen, was sich vor sechszig Jahren zutrug, noch jetzt zu sagen pflegen: Es ereignete sich in den Zeiten des guten Mr. Morton.

Mr. Morton war durch den Pistolenschuß und den wachsenden Tumult in der Nähe der Schmiede beunruhigt worden. Nachdem er den Umstehenden geboten hatte, Waverley zu halten, aber ihm nichts zu Leide zu thun, richtete er seine erste Aufmerksamkeit auf Mucklewrath, über dem sein Weib in einem Anfall der Reue weinte, heulte und sich wie außer sich die Haare ausraufte. Als man den Schmied aufhob, war die erste Entdeckung, daß er lebte, und die nächste, daß er wahrscheinlich noch so lange leben würde, als wenn er niemals hätte eine Pistole abschießen hören. Er war übrigens nur noch so eben davon gekommen; die Kugel hatte seine Stirn gestreift, wodurch er auf einige Augenblicke die Besinnung verloren hatte, ein Zustand, den Schreck und Verwirrung wohl noch etwas verlängert haben mochten. Er stand jetzt auf, um an der Person Waverleys Rache zu nehmen, und nur mit Mühe willigte er in den Vorschlag des Herrn Morton, Edward vor den Laird, in dessen Eigenschaft als Friedensrichter, zu bringen und zu dessen Verfügung zu stellen. Die übrigen Zeugen waren einstimmig mit diesem Vorschlage zufrieden, und selbst Mrs. Mucklewrath, welche sich von ihrem hysterischen Anfalle erholt hatte, sagte kleinlaut: »Sie würde nichts gegen des Predigers Vorschläge einwenden; er wäre viel zu gut für seinen Stand, und sie wünschte nur, ihn noch mit einer bischöflichen Stola auf dem Rücken zu sehen; das wäre ein besserer Anblick als die reformirten Mäntel und Binden.«

Da so aller Widerspruch beseitigt war, wurde Waverley, begleitet von sämmtlichen Bewohnern des Dorfes, die gerade nicht bettlägerig waren, zu dem Edelhofe von Cairnvreckan gefühlt, der ungefähr eine halbe Meile entfernt lag.


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