Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Der Ammann fand sich ein und Felix ebenfalls. Ein Liebespaar auf dem Lande führt sich gewöhnlich im Beisein Anderer anständig auf; es ist nichts von dem Täubeln zu sehen, wie es sich oft sogenannte Gebildete zuschulden kommen lassen, und manchmal noch, wenn sie schon Kinder die Fülle haben oder gehabt haben. Sie tun sehr oft ziemlich hölzern, so daß eben nicht viel von ihnen zu erzählen ist. Bethi hatte viel auf dem Herzen, und der Ammann gab ihm vollkommen recht. So etwas dürfe man nicht auf sich sitzen lassen, wenn man schon gern wollte; sage man nichts, so heiße es: Da sieht mans, die hätten anders würden aufbegehren, wenn nichts an der Sache gewesen, die haben gut gefunden, zu schweigen! Am besten sei, man schicke zwei Männer und lasse den Dürluftbauer und seine Frau zu einer Freundlichkeit einladen, mit der Androhung, wenn das Anerbieten nicht angenommen werde, zeige man es dem Richter an; dann könnten sie mit dem halben Dorfe, welches Briefe erhalten, ausmachen. Bethi sprach darauf mit dem Ammann noch über viele Dinge, manche Dorfgeschichte ward zerlegt.

Änneli taute nach und nach auch auf oder erwachte aus dem Traume und gab hie und da ein Wort preis, was ihm große Gunst zuzog. Es sei bsunderbar es Witzigs (Verständiges), sagte der Ammann, er hätte es gar nicht hinter ihm gesucht. Es legte viel mehr Ehre ein mit den wenigen Worten, als wenn es hinter einander geschnattert, die Konversation gemacht hätte. »Das redt mir wohl viel; wenn es mit Reden gemacht wäre!« hört man oft sagen. Bethi war mehr Reden schon viel passender, und seine Worte hatten Mark. Das sei eine rechte Bäuerin, sagte der Ammann; wenn die Schwester ebenso werde, so mache es Felix so übel nicht. Auf eine gute Frau komme viel an, und man habe Exempel, daß reiche Frauen ihre Männer also verteufelt, daß sie um ihre Sache gekommen und Fötzel geworden. Er glaube, er habe zuletzt noch selbst Freude am Meitschi und die Verwandtschaft sei ihm recht. Am Nägelibodenbauer habe er eine Stütze, und vor der Türe werde der ihm nicht zu viel sein. Die Ammännin sagte Felix, er solle Sorge tragen, daß das Söhniswyb ihr nicht lieber werde als der Sohn; es düeche sie, das Meitschi wisse es besser zu schätzen als er. Kurz bei der ganzen Verhandlung ward niemand reuig; alle fanden es besser, als sie gedacht: ein vollständiges Genügen. Es ward ausgemacht, Warten trage nichts ab, am folgenden Sonntage müsse verkündet werden.

Die Vehfreudiger erlebten große Tage, so war es noch nie gewesen: alle Tage etwas Neues und dazu so Wichtiges; sie konnten singen: »Ach, wenn es doch immer so wär!« Man kann sich denken, was das für ein Aufsehen gab, als es hieß, Felix heirate der Nägelibodenbäuerin Schwester, und zwar ganz freiwillig, es sei kein Muß da, sondern große Liebe. Man konnte den Ammann nicht begreifen, der es zugab, den Felix nicht. Wenn er nur so eine hätte haben wollen, hätte er nicht so lange zu warten brauchen; solche Einheimische hätte er viele gefunden und keine Fremde ins Dorf zu bringen brauchen. Es wäre nichts als billig, wenn ein Burger doch zuerst an Burgerstöchter dächte, die kennten den Brauch und täten doch immer am besten, man möge sagen, was man wolle. So reuete der Felix Viele insgeheim; über Änneli urteilte man fast wie Mädi. Noch vor einem Jahr sei es nur so ein strubs Kuderbützi gewesen; jetzt habe es sich freilich ein wenig zweggelassen, aber viel mehr als ein Erbsenstecken sei es nicht, nicht einmal eine Bohnenstange. Die ganze Geschichte gewann noch an Reiz und Wunderbarlichkeit durch die Briefgeschichte. Das wurde auf das Abenteuerlichste ineinander verwoben, die Käsgeschichte noch dazu, genommen samt den zehn Kreuzern; daraus ließ sich was machen, das eine Art hatte, und zwar etwas, das Ähnlichkeit hatte mit einem Kaleidoskop: es flammte alle Augen, blicke in andern Farben und Formen, blieb sich von keinem Hause zum andern, von keinem Augenblicke zum andern gleich.

Als Peterli die Kunde von der Heirat in den Dürluft brachte, wäre Eisi fast in eine Ohnmacht gefallen oder hätte einen Schlagfluß bekommen. Es konnte kein Glied mehr rühren, selbst das Maul nicht, sperrangelweit stand es ihm offen. Das war also das Ende von aller Mühe und Anstrengung, ein Triumph seiner Feinde, wie keiner noch erlebt worden: der Kuderknopf des Ammanns Söhniswyb, die Nägelibodenbäuerin Schwägerin von des Ammanns Sohn, des reichsten Burschen weit und breit – es wollte Eisi fast töten. Als es sich so weit erholte, daß es das Maul wieder brauchen konnte, so mußten der liebe Gott und der arme Peterli herhalten. Wenn ein gerechter Gott im Himmel wäre, er ließe solche Dinge nicht geschehen; das sei doch unerhört, daß eine Hexe ein solches Glück hätte! Vor alten Zeiten, wo es noch recht gegangen in der Welt, wäre so eine verbrannt worden, jetzt mache man sie vielleicht zur Sittenrichterin oder gar zur Gemeinderätin. Und wenn Peterli ein Mann wäre, gäb wie leicht einer, so täte er das alles nicht, es ginge ganz anders. Er hätte ihnen den Marsch gemacht, und sie müßten nicht so hintenabnehmen, wie es vor Gott und Menschen nicht recht sei; die würden doch lachen, das stehe es nicht aus, es wolle sterben.

Als nun aber einer kam mit der Aufforderung, Eisi solle abends um sechs Uhr im Wirtshause in der Gerichtsstube sein, wenn es nicht Verdruß und Kosten haben wolle, da sah man noch nichts von Sterben an ihm, da ging sein Mundwerk wie eine Mühle bei großem Wasser, was bekanntlich den Müller in Verlegenheit setzt, daß er lieber nicht mahlt als so. Eisi tschäderte alles durch einander: bald, es werde kommen und den Hagle dGringe wäsche, daß es ein ganzes Jahr hielte; bald, es hätte mit keinem Hund und Spitzbub was zu tun! Wer etwas mit ihm habe, wisse, wo es wohne, oder solle seinethalb ins Schloß laufen, es fürchte keinen Statthalter und keinen Teufel nüt! Dann ging es wieder über Gott und Peterli los. »Mach, was du willst«, sagte endlich der Mann, welcher die Aufforderung gebracht, »aber lue, was du machst.« Ach, Peterli hätte gern den ganzen Dürluft darum gegeben, wenn er Müller gewesen und die losgegangene Mühle hätte stellen können, aber es war nicht möglich; das lief um in sausendem Gebrause, wie er es noch nie erlebt, und das will viel sagen! Bald Zorn, bald Angst trieben die Räder und trieben endlich Eisi doch an den Ort der Zusammenkunft. Die Mutter hatte gemeint, es solle einen Mittelweg einschlagen und den Mann senden, aber das wollte es nicht. Dä Löhl verkafle alles, wisse nicht, was Leugnen sei, sage zuletzt noch viel mehr, als man begehre, dampe alles aus.

Es war bei der Zusammenkunft ein wahrer Spektakel, halb Ernst, halb Spaß. Eisi wurde gehetzt, wie man Kaninchen mit jungen Hunden, welche man dressieren will, jagt. Bald ward ihm die Hölle heiß gemacht, daß ihm der Atem verging, dann ließ man es wieder los und auf die Beine, dann hetzte man es aufs neue, brachte ihns in Zorn und dann in Angst, brachte es zu neuen Scheltungen, dann zu neuen Abbitten, und endlich mußte es eine Schrift unterschreiben, wo es Ehrenrettungen gab bis ins siebente Glied und Bußseufzer und Sündenbekenntnisse eines zu Brei zermalmten schrecklichen Sünders. Dagegen ward ihm versprochen, es solle einstweilen weder geköpft noch gehängt, sondern bis auf weiteren Bescheid am Leben gelassen werden. In seinen Kreuz- und Querzügen hatte Eisi seinen jungen Helfershelfer nicht geschont, sondern alle Schuld auf ihn geworfen, und die Schuld war groß, denn die Briefe, welche von mehreren Seiten zusammengetragen wurden, enthielten schauderhafte Dinge, sie mußten von einer so recht giftigen Kröte herkommen.

Eglihannes fand sich nicht ein und schickte seine erhaltenen Briefe nicht, wahrscheinlich fand er in der Dichtung zu viel Wahrheit und kannte die Leute, welche eine Galgenfreude haben über alles Schlechte, welches sie von Andern hören, und eine um so größere, je greulicher die Dinge sind.

Es wunderten sich alle darüber, daß der Nägelibodenbauer keinen Brief bekommen, da er und seine Leute in andern Briefen so stark vernamset waren. »Gäll, Eisi, das ist vo wegem Tüfel, vor dem gruset es dir doch?« hieß es. »Warum nit?« sagte Eisi, »we me ne so nah zueche het, wem wetts nit gruse! « »Recht«, sagte der Nägelibodenbauer, »aber was sagst du dazu, wenn er sogar hier am Tische sitzt?« Da fuhr Eisi auf mit grüslichem Gesicht, und manches Stuhlbein ward vom Tische geschoben. Da erzählte Sepp so gleichsam als zum Schlusse, wie Eisi mit dem Totbeten gefochten und wie er den Teufel vorgestellt und sich damit bei Eisi in Respekt gesetzt. Es gab großes Lachen, obgleich es Mancher nicht von Herzen tat, denn man war mit Eisi keineswegs in entschiedenem Gegensatz der Ansichten. Eisi selbst aber sagte dem Nägelibodenbauer gerade ins Gesicht, er lüge, es habe ihn zu gut erkannt; aber wer ihn gesandt, wisse es, und die seien nicht besser als er selbst, selb sei wahr. Und so redet Eisi noch bis auf den heutigen Tag, denn es hat einen starken und festen Glauben.

Es war noch eine strenge Exekution gegen den jungen Dichter erkannt worden. Der Schulmeister sollte ihn nach alter Sitte in der Schule abstrafen, das heißt nach Noten mit der Rute fitzen. Der Befehl wurde erteilt, aber der Schulmeister erklärte, man habe ihm nichts zu befehlen. »Nun«, sagte man, »so soll es dir der Regierungsstatthalter befehlen; aber wenn damit die ganze Sache neu aufgewärmt wird, so bist du an den Folgen schuld.« Der Regierungsstatthalter habe ihm auch nichts zu befehlen, es stehe nirgends im Gesetz, daß er den Büttel machen müsse, es sei nicht bewiesen, daß der Junge die Briefe gemacht, derselbe stelle es in Abrede und werde es mit Recht tun, und drittens sei es gegen alle Menschenrechte, man solle keinen Menschen schlagen, am allerwenigsten ein Kind, welches nicht zurechnungsfähig sei, sagte der Schulmeister.

Der Schulmeister stand auf der neuesten Stufe der Kultur, auf derjenigen, wo man der Jugend alles erlaubt, zu allem sie berufen glaubt, während sie eben wegen der Jugend nicht zu strafen sei; wo man den Mord an Weib und Kindern zulässig findet, aber die Strafe am Mörder nicht; wo man den Brandstifter, den Aufrührer, durch den Hunderte das Leben verlieren, in seinem Rechte glaubt, aber Zetermordio schreit, wenn die Gerechtigkeit diesen ergreift und Recht an ihm übt. Die Vehfreudiger kannten bereits etwas von dieser juridischen und schulmeisterlichen Auffassung der Gerechtigkeit, sie stellten sich daher auf den gleichen Boden und erklärten: Lange stürmen mit dem Schulmeisterli wollten sie nicht, es mache halt ebenfalls jeder, was ihn gut dünke und was er könne. Nun schlug jeder von ihnen den Buben ab, wo er ihn handfest machen konnte und so oft er konnte und so stark er mochte. Der Junge ward wenigstens dreißigmal abgeprügelt statt nur einmal und jedesmal nach eines Jeglichen Willkür, so lange und so stark es jedem beliebte. Er wäre wahrscheinlich sechzigmal abgeschlagen worden, und vielleicht bis er kein Glied mehr gerührt, wenn ihm der Schulmeister nicht für einstweilen aus dem Faustrecht geholfen. Das ist nämlich das prächtige Ende der prächtigen Theorien, denn die Enden berühren sich. Der Junge ward salviert vom Schulmeister, das heißt er ward vom Regen der Traufe zugeführt. Er kam zu einem Spezialfreund des Schulmeisters, dem es im Obergaden rappelt, der Gemeindeschreiber und der Hund weiß was alles ist, der die merkwürdige Natur hat, daß er nicht bloß wie das Chamäleon in allen Farben schillert, sondern in einem Augenblick ein kriechendes Tier sein kann und im andern eine Giraffe (bekanntlich das Tier unter den Tieren, welches seinen Kopf am höchsten trägt und gewöhnlich etwas schief), der in einer Minute eine Haut hat wie eine Schlange und in der andern Borsten wie ein Stachelschwein, der in einer Minute ein ungeschältes Ei ist und in der andern ein Nashorn oder ein Flußpferd, kurz ein naturhistorisches Wundertier, was derselbe auch wirklich meint, doch vielleicht etwas anders, als es hier gemeint ist. Was nun aus dem Buben für ein pädagogisches Naturkunstprodukt werden wird, kann nicht mit Bestimmtheit vorausgesagt werden; es wäre aber sehr möglich, daß derselbe großartig ausfallen, auch Schulmeister, Gemeindeschreiber, Amtsrichter, Großrat werden und zum Allerhöchsten Mut und Appetit kriegen könnte, begreiflich samt den Fähigkeiten dazu auf die neue Mode.

Einsprache gegen die Hochzeit tat niemand, und es ward kein Trossel geführt, sondern am Abend vor der Hochzeit und am Abend des Hochzeitstages gewaltig geschossen, so gleichsam schuldigermaßen, denn Felix war der Herzog der Nachtbuben gewesen, und durch mehrere Jahre hatten sie sich ehrenvoll durchgepaukt und waren weitumher gefürchtet. Felix ließ sich auch den Wein nicht reuen, und wir denken, der Käserlös sei dabei redlich aufgegangen. Es reute ihn auch nicht, er meint noch jetzt: Dieses Geld sei am besten ausgegeben gewesen von allem, was er bisher durch die Hände gelassen, so etwas Gutes habe er noch nie so wohlfeil bekommen. Er ist der größte Lobredner der Käsereien; das sei der beste Gedanke gewesen, so lange die Vehfreudiger Kühe gemolken, eine Käserei zu errichten. Ohne eine solche hätte er seine Frau nicht, und nebenbei, wenn einer Verstand brauche und nicht alles an diesen Nagel hänge, trügen sie schönes Geld ein, seien der Dorfschaft ein großer Nutzen. Solange er etwas dazu zu sagen habe, werde er fürfahren. Indessen, wenn sie aufhören würden, könnte er sich auch darein schicken, wenn er nur sein Fraueli behalte, solange er lebe, denn wenn er einstens sterben müsse, möchte er noch gerne sagen: »Änneli, gimm mr es Müntschi, und wenn ih gstorbe bi, so drück mr dAuge zue!« Felix' Lieblingsgsätzchen, wenn ihn das Singen ankam, blieb:

U wen ih einist gstorbe bi
U ds Blüemeli o vrdirbt,
Su tue mr de mys Blüemeli
Zu mir is Grab, ih bitte dih!
O Blüemeli my, o Blüemeli my,
Ih möcht geng by dr sy!

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