Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Man hatte die Rechnung auf den Frauentag verlegt, das heißt auf Mariä Verkündigung. Es ist sonderbar, daß im Namen Frauentag die Mehrzahl liegt. Wir denken, unsere Vorfahren haben dabei an die Eva gedacht, durch welche die Sünde in die Welt kam, die böse Lust, und an Maria, durch welche der Heiland kam, die Liebe. So hat der Tag seine doppelte Bedeutung, namentlich in Beziehung auf das Weib, und zwar noch bis auf den heutigen Tag. Denn noch bis auf den heutigen Tag kommt vom Weibe vornehmlich das Böse und das Heil, die böse Lust und die Liebe, Satanas oder Gott. Des Weibes Bedeutung scheint gesetzlich nicht beträchtlich, und es ist recht so; das Weib ist nicht gesetzlicher Natur, kehrt sich wenig an Gesetze, wie Eva den Beweis geliefert hat. Des Weibes Macht und Herrschaft liegt im Gemüte, und dieses Gemüt ist unter kein Gesetz zu tun, es ist kein äußerliches, und seine Macht ist eben deswegen groß, weil kein Gesetz sie begrenzen kann. Sie streitet nicht mit den Waffen des Mannes, mit Wort und Schwert um Land und Gut; mit dem Säuseln, in welchem der Prophet Gott erkannt, gewinnt sie die Gemüter, über diese herrscht sie, diese kämpfen für sie. Man spricht viel und verächtlich von Weiberregiment, da weiß man nicht, was man spricht; wo rechte Weiber sind, ist dies Regiment überall. Das kennen freilich nicht alle, und wenn sie verächtlich von einem solchen Regimente sprechen, so werden sie bloß das meinen, welches äußerlich wird, die Stelle des Mannes einnimmt und sich in Dinge mischt, die nicht des Weibes Amt sind. Dieses Regiment ist allerdings bald lächerlich, bald verächtlich, wenn es nicht durch die Not oder des Mannes Untüchtigkeit geboten ist. Es ist dies das Regiment, welches die ausgearteten Weiber dieser Zeit in Berlin und Paris und sonst noch wo ansprechen und welches sie Emanzipation nennen und Zigarren dazu rauchen. Die armen Geschöpfe! Für die soll man wirklich beten: Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun! Ja, wenn wirklich die Weiber alle so wären, so begriffen wir die Angriffe auf die christliche Ehe ganz gut; denn wer zum Kuckuck möchte sich auf Lebenszeit an ein solches Geschöpf binden, dessen Liebe nur Begehren ist, das nichts ist als der Affe des Mannes, nur um einen guten Teil böser und naschhafter. Diese sogenannten Weiber haben nie einen rechten Frauentag gefeiert, und wir bedauern das Land, wo dieser Tag nicht alljährlich gefeiert, die wahre Weihe des Weibes nicht ausgestellt wird vor den Augen des Volkes, wie die Katholiken ihre wundertätigen Reliquien ausstellen, männiglich zu Nutz und Frommen, zur Erbauung und zur Nachahmung.

Wahrscheinlich damit in der Vehfreude dieses Fest in ungerechtem Glanze begangen werden könne, konnte man die Schlußversammlung doch nicht halten. Die Koburger waren nicht recht gezählt, man konnte das Ketzerwerk nicht einrichten, daß es sich gehörig traf, und mit der Rechnung sah es gar wunderlich aus, als der Sachkundige sie zurecht gebracht. Man ging drüber und wieder drüber, konnte es nicht anders finden und durfte dieselbe doch fast nicht vorlegen. Nun wollen wir nicht behaupten, daß an selbigem Tage, wo also der Abschluß wieder verschoben wurde, sehr viel von des Weibes Weihe auf den Gesichtern der Vehfreudigerinnen sichtbar wurde. Wir glauben auch behaupten zu dürfen, daß wenn selbigen Tages der Pfarrer auch herrlich gepredigt hätte von des Weibes hoher Bestimmung in Liebe und Langmut, im Stimmen der höhern Saiten er wenig Anklang gefunden hätte. Ja, vielleicht hätte die eine oder die andere Frau, ja vielleicht mehrere gesagt: »Er isch geng dr glych Stürmi.« Besser hätte er es vielleicht getroffen, wenn er über die Männer gedonnert hätte, welche den Engel Gabriel zum Muster nehmen sollten und es nicht täten. Der hätte der Maria nur Liebs und Guts verkündet, sei auch nicht betrunken wie ein Schwein zu ihr gekommen, sondern ganz nüchtern. Hier seien die Männer ganz das Gegenteil, hätten von dem Engel auch nicht einen Schatten. Sehe man sie von weitem, müsse man schon vor ihnen erschrecken; kämen sie heim, täten sie wüst, begehrten auf mit Frau und Katze. Am Ende müsse man Gott danken, wenn sie noch mit Schnauben und Toben im Hause herumfahren könnten wie der Teufel im Buche Hiob und nicht alle Viere von sich streckten wie Kälber. Söffen Wein wie Nilpferde Wasser, während die Weiber kein Tröpflein Milch hätten und verschmachten müßten wie die Hagar in der Wüste, die ein Unflat von Mann, der alte Abraham, fortgejagt, täten dick in den Wirtshäusern, während die Weiber daheim keinen Kreuzer hätten, Kaffee zu kaufen. Aber die sollten nur warten, es werde alles vergolten auf der Welt. Wenn die Weiber recht wüst täten und die Männer recht vaterländisch kujonierten, so hätten sie recht, mehr als recht, und die Männer sollten ihnen noch Dank wissen, denn wenn sie einmal der Teufel nehme und sie so recht liebe auf seine Art, so komme es ihnen nicht so ungewohnt. Wenn der Pfarrer so gepredigt hätte, wohl, das hätte Anklang gefunden. Die Weiber wären noch eine ganze Stunde dagesessen mit offenem Maul, des Nachtrags gewärtig, zum Beispiel wie dieser und jener sichtlich und lebig geholt worden. Als die Weiber endlich den Mund zugebracht, wäre das Erste gewesen, was sie gesagt: Der könnte, wenn er wollte; machte er es alle Sonntage so, sie fehlten keine Predigt. Das wäre jetzt einmal evangelisch und himmlischer Trost, wie man ihn nötig hätte in diesem schrecklichen Leben, in dieser niederträchtigen Welt!

Am Ende kam doch das Ende: die Koburger Sechskreuzerle waren gezählt und die Rechnung so, daß sie nicht mehr anders gemacht werden konnte. Die Käsrechnung wurde zuerst vorgelegt. Rechnungen werden bekanntlich von den wenigsten Menschen begriffen, und sehr Viele von denen, welche von Amts wegen sie passieren sollen, begreifen ebenfalls keine. Es ist also unsern Vehfreudigern nicht zu verargen, wenn es ihnen nicht viel besser erging. Sie zogen an ihren Pfeifen, und hier und da fragte einer: »Ist sie noch lang?« Am Ende kam das Ende, und war alles gutgeheißen unter Vorbehalt von Irr- und Mißrechnung.

Nun kam die Hauptsache. Jedem ward ein Zettel gegeben mit dem Resultat seiner Lieferungen, der Angabe seiner Forderung und der Rest derselben in (etwas miserabel) klingenden Koburgern. Zudem verkündete der Hüttenmeister, wegen den Käsen, welche der Sekretär zum Verkaufen gehabt, sei die Sache noch nicht ausgemacht. Es seien da allerlei Anstände, wo man es besser gefunden, die Sachen von einander zu scheiden. Er wolle aber anfragen, ob man die Sache so genehmigen wolle oder ob man es anders meine; sie sollten reden, jetzt sei Zeit dazu. Hätte man warten wollen, bis alles im Reinen sei, so hätte das noch lange gehen können. Daher habe man es so gemacht, und jetzt habe ja jeder Geld. Das sei recht, hieß es; man habe schon lange genug gewartet. Aber wegen dem Andern, wegen den Käsen, welche man Eglihannes zum Verkaufen übergeben, wolle man wissen, woran man sei. Es wolle sie fast dünken, es stinke in der Fechtschule.

Da erhob sich Eglihannes wie eine angeschossene Majestät – das will bei uns so viel sagen als wie ein angeschossener Eber. Er lärmte schrecklich, wie man ihn verdächtige, verlästere, er am Ende aller Sündenbock sein solle; das sei der Dank für alles, was er mit Rat und Tat der Gesellschaft getan. Habe er etwas gemacht, was nicht recht sei, solle man es ihm beweisen, er wolle es darauf ankommen lassen. Wenn Käse gestohlen worden, so könne er nichts dafür, er habe den Schlüssel nicht immer in seinen Händen gehabt, und wenn er heute nicht Geld habe, so sei er nicht schuld. Wenn er die Käse habe verkaufen wollen, so habe er in dieser bösen Zeit Termine machen müssen, und zum Betreiben habe er keinen Auftrag erhalten. Wenn auch hin und wieder etwas eingegangen, so habe er auch zu fordern: das Kässalzen einen ganzen Winter lang mache sich nicht umsonst, und ob er alle Läuf und Gäng und Mühe umsonst gehabt haben solle? Und wenn ihm einer da stürmen wolle wegem Gewicht, so sage er ihm gerade ins Gesicht, er sei ein Esel. Es wisse ja jedes Kind auf der Gasse, wie viel ein Käs leichte in einem langen Winter, ja, jedes Kind wisse es, aber Kälber und Kühe freilich nicht, und dazu schlug er auf den Tisch, daß alles weit umher krachte. Er war groß in seinem Zorn, der Eglihannes; es wirkte aber auch. Die Versammlung war verblüfft; scheinbar hatte er etwas recht. Die Sache mit ihm ordentlich auszufegen, zeigte niemand Lust.

Es ist sehr merkwürdig, wie sehr ein solches Wüsttun imponiert, besonders in öffentlichen Angelegenheiten; da ist der Schlotter alsbald da, ja so weit, daß öffentliche Beamtete mit der Gewalt in der Hand in die Hosen gehen ließen, wenn einer, der in das Zuchthaus gehörte, vor ihnen so recht auf den Tisch schlug, daß der Schreiber sieben Tage lang an Händen und Füßen zitterte. So was ist aber nicht neu, vide Exempel an Pontius Pilatus; das war auch so ein Richter, den man mit Aufbegehren ins Bockshorn jagte, dieweil er Menschen mehr fürchtete als Gott und dieweil er nicht sauber über das Nierenstück war und dieweil man ihm manches ausbringen konnte. Ja, und jetzt, wie viele Richter in der Welt fürchten Gott nicht, und Herrgott, wie sehen erst die Nierenstücke aus! Ist sich daher zu wundern, daß man mit Aufbegehren so ungeheuer viel ausrichtet, daß Richter auf den Gassen von Verbrechen sprechen, von denen sie in ihrem Gerichtszimmer nichts wissen wollen, im Allgemeinen sich wie Bullenbeißer gebärden, in bestimmten Fällen wie Hosenscheißer, daß bekannte Betrüger, Witwen- und Waisenschinder, Meineidige, Staats- und Gemeindsdiebe um so sicherer sind, je gröber sie es treiben, je unverschämter sie sich gebärden! In ihrer Person ist der Betrug geheiligt, und der Betrogene kann mit langer Nase nachsehen, für ihn ist weder Gesetz noch Richter da. Begehrt er auf, so soll er an allem schuld sein, die Sache verkehrt gemacht haben. Daher kommt es einem öfter vor, als seien die Richter von Staats wegen nicht dafür da, die Gesetze zu handhaben, sondern den Verbrechern die Löcher zu zeigen, durch welche sie entschlüpfen können. Ein sauberes Richteramt! Was wohl einst der Teufel mit diesen Verwaltern anfangen wird?

Gerade unter diese gehörte jetzt Eglihannes, so wie er in seinen schönen Tagen unter die gehört hatte, welche die Macht in Händen haben, aber die Menschen fürchten statt Gott und nicht sauber übers Nierenstück sind. Er wußte, was Aufbegehren für einen Eindruck macht, darum sparte er es nicht und hatte ihm bereits viel zu verdanken. Einem Andern, der nicht Kniffe verstanden und kein grobes Maul gehabt, wäre es in der Lage von Eglihannes längst an die Beine gegangen. Die Männer zogen auf Eglihannese Donnerwetter beträchtlich die Pfeifen ein, bloß dumpfes Grollen ward noch hörbar: Das werde eine ewige Rechnung geben sollen; eine Untersuchung wäre doch gut, eine Kommission wäre am besten. Die größte Erfindung der Neuzeit sind wohl die Kommissionen, und deren Erfinder liegt in Dunkelheit begraben, sein Name ist der Nachwelt unbekannt, sie kann nicht dankbar sein, wenn sie schon wollte – es ist schrecklich! Den Namen des Erfinders der Schießbaumwolle kennt man dankbar, und mit der Schießbaumwolle sprengt man Sachen in die Luft; mit den Kommissionen sorgt man dafür, daß alles ordentlich bleibe, wo es ist, sie sind die großen Dämpfer auf der gärenden Welt; Schießbaumwolle und Kommissionen sind entgegengesetzte Mächte, und den Erfinder der Kommissionen kennt man nicht!

Ehe ein Mehr gemacht wurde, einer Meinung zur Oberhand zu verhelfen, unterbrach Peterli im Dürluft die Verhandlung. Er kam mit seinem Zettel, auf dem seine Bilanz verzeichnet war, und sagte: »Ammann, du, was soll das machen auf dem Papier? Ich kann mich auf die Sache nicht verstehen.« Der Ammann nahm das Papier, machte ein Schelmengesicht und sagte endlich: »He, das soll machen, daß du noch zehn Kreuzer herauszahlen mußt.« Da bebte die Käshütte, als täte Simson am Pfeiler rütteln; aber es war kein Simson da, sondern ein allgewaltiges Gelächter, wie es unerhört war auf der Vehfreude, fuhr an den Wänden herum und donnerte unterm Dache. Peterli zehn Kreuzer herauszahlen! Peterli machte ein wunderliches Gesicht und sagte: Er lasse sich nicht vexieren, nicht einmal von einem Ammann. Das werde nicht in der Rechnung stehen, sonst sei es eine Schelmenrechnung und ein Spitzbub der, welcher sie gemacht! Aber er hatte bös reden, es hörte lange kein Mensch auf ihn. Es hatten natürlich alle Eisi sehr lieb und freuten sich nun sehr über diese konstatierte Tatsache, von der man bereits allerlei gemuckelt hatte und um die Peterli als Rechnungsrevisor etwas geahnt haben mußte, sie jedoch in ihrem Umfange nicht begriffen.

Als man endlich nach dem Lachen wieder ein vernünftiges Wort reden konnte, sagte der Ammann: »Täte nicht so wüst an deinem Platze, Peter, nützt doch nichts. DSach ist, wie sie ist, wirst sie nicht ändern; anfangs wollte ich es auch nicht glauben, aber als ich den Schaden ansah, mußte ich es glauben. Es ist mir leid für dich, ein andermal pass deiner Frau etwas besser auf.« »Sie wird das Recht haben wie die Andern auch, holen zu lassen, was ihr beliebt«, sagte Peterli. »Allweg«, sagte der Ammann, »und muß sich gefallen lassen, daß aufgeschrieben wird wie allen Andern auch.« »Ja, wenn alles aufgeschrieben worden wäre wie bei Eisi, es hätte bei Andern noch ganz andere Rechnungen gegeben, meine Frau wird nicht allein sein«, sagte Peterli. »Allweg nicht, aber so gut hat es doch Keine gemacht«, sagte der Ammann.

Peterli fuhr fort, wüst zu tun, und ergrimmte im Herzen über Eisi, daß es ihm das gemacht; sein Lebtag werde ihm das nicht vergessen, sondern alleweil vorgehalten werden, dachte er und mit Recht. »Du kannst jetzt zueche«, rief er dem Nägelibodenbauer zu, »dSach ist ja dein!« »Bedank mich«, sagte dieser, »so ists nicht gemeint; daneben bist mir noch lange gut genug.« »Glaubs«, sagte Peterli, »so einer wie du vermag zu warten, wirst aber auch müssen, wenn das Schelmenwerk nicht aufgedeckt wird.« »Nu, nit«, sagte der Ammann, »dSach ist lauter, gebt doch das Buch.« Ach, Peter hätte noch zehn Kreuzer gegeben, wenn er geschwiegen; denn nun kams aus, was sein Eisi für eine Schlecke war, wieviel an Anken, Nidle, Zieger es verbraucht, von dem weder Peter noch die Kinder, bis auf den Buben, der es gebracht, je etwas gesehen.

Erst glaubte Eisi, der Senn mache nicht auf, später hatte es keinen Begriff mehr von der Sündenlast, welche es sich zuzog. Das ist das Heillose mit dem Dingsnehmen und Aufschreibenlassen: man hat keinen Maßstab mehr, vergißt die Hälfte dessen, was man genommen. Fragt man endlich nach der Summe, so kommt sie so entsetzlich, und man glaubt sich betrogen. Es macht nichts leichtsinniger als auf Borg nehmen zu können; das erfährt niemand besser als Beamtete vom Lande, wo man bar zu zahlen gewohnt ist, wenn sie in die Stadt ziehen, wo man aufschreiben läßt und nach dem Neujahr das Konto gewärtigt. Für so etwas beweisen die Weiber eine ungeheure Fassungskraft. Sobald eine neue Dame in die Stadt zieht, fallen die andern über sie her, unterrichten sie in der Kunst, aufschreiben zu lassen. Aber wie manchem guten Ehezüttel, der am Staatskarren den Staatsgaul spielt, wird es himmelblau vor Augen, wenn nach dem Neujahr die Kontos geschneit kommen hageldick und immer neu die Glocke geht und immer neu die Stimme eines Würgengels die Treppe auf tönt und ruft: »He, Herr oder Madam lassen ihren Respekt vermelden, und da sei das Konto! Wenns gelegen ist, kann ich gleich darauf warten!« Ja, da gibts Katzenjammer, welcher gewöhnlich so lange dauert, bis er chronisch wird.


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