Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Der schattenhalb gewachsene Dotziger hatte bereits gewirkt, Courage und Kühnheit krochen (wir können nicht sagen brausten) durch alles Gebein; die Rede tat Wirkung, wie keine vollständigere je eine Flachssamenrede hatte, tat Wirkung wie ein Blitz, der in ein Strohdach fährt, sie war zeitgemäß, traf den rechten Punkt im rechten Augenblick. Keine Einwendung wurde gemacht, einhellig der Beschluß gefaßt, eine Käserei zu errichten, eine Käshütte zu erbauen und zwar eine rechte. Da war Keiner, der nicht mit noch einem Schoppen den Beschluß weihte und seine Begeisterung steigerte, so daß die Zeit, wie es in glücklichen Stunden zu gehen pflegt, unbemerkt verrann und Mitternacht nahe war, als endlich die Männer aufbrachen. Jeder schien wenigstens einen halben Zentner schwerer geworden, so gewichtig traten sie auf, so gravitätisch schritten sie weiter. Wenn einmal Kraft und Mut im Schweizerherzen flammen, kommt das blanke Schwert schwer wieder zur Ruhe. Als die Schweizer bei Prattelen gesiegt hatten, wurden sie erst hitzig, stürzten nach Muttenz in die zweite Schlacht, und als die geschlagen war, da waren sie gar nicht mehr zu halten, sondern rannten in die Birs St. Jakob zu in die dritte Schlacht; da wohl, da kriegten sie endlich genug, und mit dem Leben verloderte der tolle Mut.

Die Vehfreudiger hatten Ähnlichkeit mit den alten Eidgenossen. Im Schulhause hatten sie der Obrigkeit einen Schnipps unter die Nase geschlagen, ein neues Schulhaus aberkannt. Im Wirtshause hatten sie sich zu einem zweiten Beschlusse erhoben am gleichen Tage, was unerhört war in der Vehfreude, hatten was ganz Neues erkannt, was ebenfalls noch nicht erlebt worden war. Jetzt schritten sie ans Dritte: sie zogen heim, wo die Weiber ihrer harrten und wissen wollten, was es gegeben, daß sie so spät heimkämen, die Männer ihnen also verkünden sollten, das Schulhaus sei aberkannt, dagegen eine Käserei abgeredet worden. Da kam es doch Manchem, der dritte Strauß möchte der härteste sein und es könnte ihm ergehen wie den Eidgenossen zu St. Jakob, denn die Vehfreudiger kannten zwei Dinge vortrefflich: erstlich ihr Vieh, zweitens ihre Weiber, und die waren handlich. Den Käsereien waren sie nicht grün, das wußten die Männer, und was sie anstellen würden, wenn es zu ihren Ohren kam, daß die Männer was Neues erkannt unerwartet, ohne daß die Weiber es einige Monate oder Jahre gehechelt, das konnte man sich nicht vorstellen, denn es war noch nicht erlebt worden.

Indessen, die Vehfreudiger besaßen auch Eigenschaften, und unter anderen die, daß was sie nicht im Kopfe hatten, das hatten sie nicht im Kopfe, was sie aber im Kopfe hatten, das hatten sie nicht in den Füßen. Sie gehörten zu den sehr interessanten Figuren, auf welche man zwei bis drei Stunden so eindringlich und inbrünstig einreden kann, daß es einem dünkt, man hätte Nagelfluh weich reden sollen, daß sie geworden wie Mehlbrei, und man will nun, da die Zunge den Dienst versagt, die Sache zu Ende ziehen und fragt: »Ists nit so, meinet ihr nit, und weyt dr?«, so kriegt man, wenn es höflich geht, zur Antwort: »Es kann sein, aber pressieren wird es allweg nicht. Man muß öppe mit einander reden, derweilen kann man sich besinnen, gut Ding will Weile haben. Allweg gibt es noch Sachen, welche auch gemacht sein sollten und mehr pressieren; es ist lange so gewesen und doch gegangen usw.« Sie gingen heim, entschlossen, fest zu bleiben, doch rannten sie eben nicht wie die Eidgenossen nach St. Jakob, sondern gingen langsam und immer langsamer, und wer die Vehfreudiger nicht genau gekannt hätte, wäre in den Wahn gefallen, als seien sie sentimental, zögerten, unter ihr finsteres Strohdach zu kommen, um so lange als möglich an dem Anblick der Sterne sich zu laben und dem Gedanken, wie es dort oben sein möchte, wie schön das Wohnen dort und auf welchem wohl am schönsten; oder sie möchten noch niedergehen sehen das herzliebe Möndlein in sein himmelblaues Bettlein, wie ein feuriger Liebhaber auch nicht vom Fenster seiner Liebsten weg kann, bis sie das Licht ausgelöscht und schnarcht, daß die Fenster klirren. Wer die Vehfreudiger besser kannte, wußte, daß sie sich um Mond und Sterne am Himmel durchaus nicht kümmerten, sondern bloß um Mond und Sterne im Kalender. Den Stand der Planeten betrachteten sie im Kalender wegen einer Menge landwirtschaftlicher Geheimnisse, und um den Mond kümmerten sie sich wegen Kropfsalben und Kabisbschütten, wegen Laxieren und Purgieren, welches Erstere bekanntlich im abnehmenden, das Letztere aber im steigenden zweckentsprechender unternommen wird.

Die Männer sammelten sich nun, mit aller Besonnenheit vor ihre Weiber zu treten, ungefähr wie gute Katholiken, wenn sie dem Beichtstuhle sich nahen. Unstreitig sind die Weiber die allertüchtigsten Beichtväter, woher es kommen wird, daß die meisten Männer, wie gut reformiert sie im ledigen Stande sein mögen, in der Ehe nachgerade katholisch werden oder wenigstens es werden möchten. indessen, wie langsam man auch vorrückt, rückt man am Ende doch weiter und weiter und endlich ans Ziel: jeder der Männer vor seine Türe. Weiter wollen wir ihnen nicht folgen, die Bücher würden gar zu dick, welche die daherigen Beichten und Bußreden fassen sollten, und gar zu strub wären was wir von hier und dort zu berichten hätten. Einen Einzigen wollen wir begleiten, den Peterli im Dürluft, den magersten der Bauern.

Im Dürluft (und der Hof trug seinen Namen nicht umsonst) liegen selten triftige Gründe zum Fettwerden. Der Hof lag auf einem kleinen Hügel, allen Winden zweg, es war, als nehme die Luft den Dünger, daher gähne der Boden fast aus Magerkeit. Daneben war er groß, fast wie es am schlimmsten ist: viel Jagens und wenig Fangens. Viele Leute speisen und wenig ernten macht nicht reich. Zudem war Peterli auch der Mann nicht, dem Hof recht unter die Arme zu greifen; er war arbeitsam, aber die Tage, an welchen ihm was einfiel, hätte er rot zeichnen können im Kalender, und gar zu viele Feiertage hätte es nicht gegeben. Daher konnte er nie Gänge ersparen und in einem Gange zwei Geschäfte abtun, konnte die Arbeit nicht so verflechten, daß die Zeit gehörig zu Ehren gezogen worden wäre, so daß er mit der Landarbeit gewöhnlich so im Rückstande war, daß er ein sogenanntes Werk, das heißt Heuet, Ernte usw. erst anfing, wenn die Andern damit fertig waren. Dazu besaß er viel Schulden und wenig Mist, hatte viele Dienstboten, aber nur halbbatzige; alles Dinge, welche eben nicht geeignet sind, einem magern Hof auf die Beine zu helfen. Eisi, seiner Frau, kam zuviel in Sinn, was ihrem Manne zuwenig; sie schoß von einer Arbeit zur andern, machte keine aus, fing siebenmal an, ehe sie einmal fertig wurde. Sie wollte die Bäuerin machen, die gute Frau sein, gab unverständig mit vollen Händen am Morgen und konnte am Abend, um der Sache einzukommen, einer armen Frau ein halbes Pfund Anken einen Batzen zu teuer geben oder ihr die Milch zumessen, als stamme sie von einem Elsässer Juden ab. Neben der guten Frau wollte sie auch die sein, welche Meister im Hause sei. Peterli durfte ihr das Geld nicht bloß nicht einschließen (von Aufschreiben war begreiflich keine Rede), sondern sie nahm Geld, gab es aus ohne Verstand, nur um zu zeigen, daß sie über das Geld könne, wann und wie sie wolle. Sie sei nit niene (nirgends) daheim gsi und nit blutti (nackt), so pflegte sie zu sagen; sie brauche von ihrer Sache und so viel, als sie gut dünke, potz Blitz! Ob bei solcher Verwaltung Zinse gegeben würden, ob es rückwärts oder vorwärts gehe mit dem Haushalt, das kümmerte Eisi so wenig, als es jene Beamtenweiber kümmert, welche alle Monate einen neuen seidenen Rock und alle Tage sonst was Neues begehren und nie fragen: wo nehmen und nicht stehlen? Wie es in solchen Weibsköpfen aussieht, begreift ein verständiger Mensch hell nicht; daß es im Kopfe einer Eisi so aussehen kann, das anfällig fasset er, aber in den Köpfen von Professorentöchtern zum Exempel, he?

Dieses Eisi nun erwartete seinen Peterli mit steigendem Zorne, nicht weil ihns die Eifersucht plagte oder die Angst, Peterli vertue Geld, sondern weil es einen Gwunder im Leibe hatte, der ihns ärger quälte als das strengste Bauchweh. Eisi hatte Peterli klare Instruktionen mitgegeben, und auf dem Halten der Instruktionen hielt es wie die Urner, welche einen Gesandten, der es nicht tat, um einen Kopf kürzer machten. Die Urner werden nämlich sich als frei und nicht die Herren Gesandten als ihre gestrengen Herren und Obern betrachtet haben. So ein Urner war Eisi und hatte seinem Peterli gesagt, er solle sehen, was sie machen. Werde ein Schulhaus erkannt, so täte er besser, er ließe sich so bald nicht mehr zum Hause, denn sobald es ihn erlängen möge, haare es ihn, bis er einen Kopf habe wie eine geschorene Rübe, darauf könne er zählen. Eisi haßte den Pfarrer sehr; so oft es zur Kirche gegangen, habe er auf ihns gestichelt. Da hätte es gedacht: Warte, dir will ichs zeigen, und sei an einen andern Ort gegangen, und was hätte ihm da der schwarze Hagel angemacht! Hätte der sich nicht die Mühe nehmen mögen und hätte ihns beim andern Pfarrer angemalet, daß es keine Art gehabt! Kaum sei es in der Kirche abgesessen, so hätte der auch angefangen zu sticheln, daß es fry gsurret heyg und alle Leute es angesehen, daß es hätte mögen durch den Boden hinunterschlüpfen so weit als möglich. Aber da hätte es sich hoch und teuer versetzt, in einer Kirche sehe es niemand mehr; wenn sie einen Narren haben wollten, könnten sie sich einen eisernen machen lassen. Es nehme ihns wunder, ob denn die Kirche da sei, um die Leute auszuführen, oder wo das Gesetz sei, daß man gehen, anehocke und selber hören müsse, wie man da ausgeführt und heruntergemacht werde, als ob man in keinen Schuh gut sei?

Doch noch bitterer haßte Eisi den Schulmeister. Erstlich weil derselbe einmal den Kindern gesagt, ihre Mutter müsse doch e fule Hung sy, weil sie immer zu spät in die Schule kämen und dann noch selten gewaschen und gekämmt; zweitens weil er so vornehm und herrschelig umeschnäuzle.

Als Eisi Peterli seine Instruktionen gegeben hatte, hatte Peterli gesagt: Er wisse nicht, wie es gehe, es sei ein Befelch von der Obrigkeit da. »Und ih schyß druf«, hatte Eisi gesagt; »lue du, was du machst!« Peterli hatte mit seinem untertänigen Bescheid sich Eisi sehr verdächtig gemacht; das lange Ausbleiben steigerte von Minute zu Minute den Verdacht in ihr bis zur Gewißheit. »Wart«, sagte Eisi, »bleib aus, so lange du willst, das soll dir nichts nützen; dir solls eine Weile nicht mehr einfallen, in den Haaren zu kratzen.«

Peterli fiel es nicht ein, daß seine Frau denken könne, sie hätten das Schulhaus erkannt. Er setzte gewöhnlich voraus, was er wisse, das wisse die ganze Welt; aber er fürchtete sich wegen dem späten Heimkommen und wegen der Käserei, hoffte sehr, Eisi schlafe und Erläuterungen blieben bis am Morgen verschoben. Der gute Peterli dachte nicht daran, daß eine Frau, welche voll Gwunder auf den Mann wartet, so wenig schläft als ein Mädchen, welches voll Liebe seines Schatzes harret. Als Peterli so leise als möglich ans Haus trappete und nach der Türe suchte (denn das liebe Möndlein lag längst im himmelblauen Bettlein), sprang diese plötzlich auf und Eisi fuhr heraus. Die meisten Weiber hätten gewartet, bis sie den Mann innerhalb den vier Wänden gehabt hätten; aber Eisi war zu zornig geworden und war überhaupt der Meinung, im Dürluft sei es Meister, frag keinem Hung was nach, mache, was ihns ankomme. Zornig schrie Eisi seinen Peterli an: »Was Donners hast du machen helfen, daß du nicht heimkommen darfst wie üblich und bräuchlich und einem Hausvater wohl ansteht?« Peterli, der nie zwei Sachen mit einander im Kopfe behielt, hatte begreiflich das Schulhaus längst vergessen, dachte bloß an die Käserei und glaubte, die Frau wisse längst, was diesen Abend sich zugetragen hätte; er sagte daher ganz kleinlaut: »Tue doch recht nit wüest, lue, gscheh ist gscheh; und wenn man sich recht berichten läßt und die Sache nicht übertreibt, so ist es doch eine rechte Sache und steht dem ganzen Dorfe wohl an.« »Dreck steht es an!« schrie Eisi; »und Brichten hin, Brichten her, ich will dich anders brichten; du weißt dann ein anderes Mal, ob du dich von Pfaffen und Fötzeln sollst brichten lassen!« Somit fuhr Eisi Peterli mit allen zehn Fingern in die Haare, daß er wußte, was es heißt, fremde Hände im Haar haben, faßte ihn an Haar und Ohren und schüttelte, daß Peterli das Feuer im Elsaß brennen sah.

Peterli hielt einen Augenblick dar, um die Buße alsbald abzutun. Als es ihn endlich dünkte, es sollte genug sein, faßte er Eisi bei den Armen und sagte: »Setz ab, sonst mach ich auch, was ich kann. Es ist sich doch dr wert, so wüst zu tun, wo es doch nichts abträgt, denn erkannt ist erkannt, und dann habe ich ja nur für viere unterschrieben und wir haben sechse.« »Sechsmal Lümmel, das du bist, an einem ists zu viel! Meinst, man wisse nicht, daß du sechse hast, und das siebente wird nicht weit sein. Oder willst sie etwa verleugnen, meinst etwa, sie seien nicht dein? Wohl, beim Hagel, das soll doch niemand besser wissen als du! Aber wart, dir will ich -« so schrie Eisi, biß Peterli in den Arm, riß sich vom andern los und teilte Ohrfeigen aus, daß Peterli vors Dachtrauf hinausfuhr und schrie: »Bist sturm, oder fehlt es dir sonst im Kopf? Küeh, nit King; nit King, Küeh!« »Was, jetzt sagst du den Kindern Küeh, ja, wenn es nur deine wären! Aber es ist himmelschreiend, Küeh und nit King u de no myni King!«schrie Eisi und fuhr frisch darauf los. Peterli war eigentlich nicht an beiden Händen links, wie man zu sagen pflegt, hatte sich von der Überraschung erholt, hielt Eisi vom Leibe und sagte: »Was ist doch mit dir, seit wann schreibt man die Kinder auf wegen einer Käserei, das nimmt man nach den Kühen, denn da kommt es auf die Milch an, die man liefern kann.« »Was geht mich die Käserei an«, schrie Eisi,»ich rede vom Schulhaus, du Sturm, welches ihr erkannt habt kuhmäßig!« »Sturm selber«, sagte Peterli; »das Schulhaus ist ja dr Bach ab gschickt, und für zu zeigen, daß wir doch auch an einem Orte daheim seien, haben wir eine Käserei erkannt.« »Warum sagst das nicht?« sagte Eisi. »Habe gemeint, du wissest es«, antwortete Peterli. »Die Narrn meine«, entgegnete Eisi. »Wie hätte ich wissen sollen, daß solchen Knubeln was in Sinn käme.«

Indessen sagte Eisi dieses ganz sanftmütig. Die Nachricht, daß dem Pfarrer und dem Schulmeister ein Schnipps unter die Nase gemacht worden und daß sie jetzt wüßten, daß sie die Sache nichts anginge, hatte Eisis Zorn nicht bloß zersetzt, sondern sogar in große Freude verwandelt. In dieser Freude erschien Eisi eine neue Käserei ganz rosenrot. »Meinerhalben«, sagte Eisi, »aber da kannst du dann aufpassen, daß du nicht betrogen wirst von den Andern. Du hast erfahren, was die können. Nur das will ich dir sagen, einschränken und so ganz eintun lasse ich mich nicht; Geld gnue und Milch gnue, selb will ich, solange ich lebe.« »Persche«, sagte Peterli.

Ach Gott, persche ist so leicht gesagt, und Milch genug und Geld genug ist eine so schöne Sache. Wenn man jedem mit einem Persche dazu verhelfen könnte, in wie viel bessern Hosen stünde so Mancher!


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