Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Am Vorabend des wichtigen Ereignisses stand Felix wieder beim Fahren, er ging zum Vater und fragte. »Ätti, was meinst, welches Geschirr sollen wir nehmen, und wärs nicht am besten, wir fragten den Schmied um seine neue Chaise? Man kann sie immer wieder gehörig putzen, daß man ihr nichts ansieht; der Weg ist gut und nicht staubig.« »Bueb, ih wett nit dr Narr mache, sondern tun wie andere Leute, sonst zähl darauf, tut dich das andere Jahr dr Eglihannes i dBrattig (Kalender)«, sagte der Ammann. Das wirkte, machte aber in Felix' Augen Eglihannes um nichts liebenswürdiger.

Felix war kein Gardeoffizier, welche es bekanntlich lieben, ihre Pferde vor den Fenstern ihrer Liebsten zu trablen; aber er wendete nicht weniger an, schön zu sein, als er auf seinem Braunen nach dem Nägeliboden ritt, als so ein Leutnant, guckte nicht weniger nach Änneli aus, welches diesmal alsbald sichtbar war, neben der Schwester stand und dem Bauer zusah, den sein Brauner nicht wollte aufsitzen lassen, sondern im Ring herumtanzte. Änneli hatte Angst für den Schwager, während Bethi Spaß am Braunen hatte. Denn es wird selten eine Frau sein, welche nicht Spaß am Manne hat, wenn er in etwelche Verlegenheit kommt, die es nicht wunder nimmt, wie er sich daraus zieht, und die es ihm nicht ein klein wenig gönnen mag, wenn er ein klein wenig darin hängen bleibt. Endlich gelang es dem Nägelibodenbauer, hinaufzukommen, und ein stattliches Reiterpaar trabte vom Hause weg, dem Änneli mit Angst und Wonne nachsah, so weit es konnte. »Sieh«, sagte es zur Schwester, »wie die Rosse wüst tun; wenn nur Keiner herunterfällt.« »Häb nit Kummer«, sagte Bethi, »so ein klein wenig schadete nichts, es geht nicht gleich z'töten; sie stünden nur etwas weniger hochmütig vom Boden auf, als sie auf das Roß gekommen.« »Aber Bethi, wie kannst so reden, denkst nicht, du könntest dich versündigen? Es macht mir jetzt den ganzen Tag angst, bis er wieder da ist«, sagte Änneli. »Wer, Felix oder Sepp?« fragte Bethi. Da ward Änneli sehr rot, drehte sich ab und sagte: »Du bist doch es recht es Wüests, schäm dich«, und ging ins Haus.

Als die Reiter an Eglihannese Haus vorbeikamen, stand dieser vor demselben. Sowie Felix ihn erblickte, drehte er den Braunen, ritt auf ihn zu und rief. »Seh, komm mit, es ist Lieferung in Solothurn; du kannst deine zwei Engländer, Pigger und Gstabi, brauchen, das wären Rosse für König und Königin von Mailand! Hier kommst du ihnen nicht ab, müßtest selbst mit ihnen zHimmel fahren und wüßtest nicht, ob du hineinkämest! « »Mach du dich vom Hause, sonst gebe ich dich unsauber weg«, sagte Eglihannes; »du brauchst mir nicht zum Hause zu kommen, um mich zu plagen!« »Ja«, sagte Felix, »ich wußte nicht, daß du böse würdest, wenn ich dir vom zHimmelfahren rede, hätte geglaubt, du hörest dies noch gern. Das Höllenfahren hätte ich dir nicht anmuten dürfen; mangelst nicht zu fahren, brauchst ja nur zu warten, so holt er dich selbst!« Als Felix dies gesagt hatte, drehte er den Braunen und sprengte dem Nägelibodenbauer nach. Eglihannes lief voll Zorn auf die Straße, suchte Steine, warf sie den Reitern nach, und immer zorniger, je kürzer seine Würfe wurden. Das laute Gelächter hie und da rund um ihn mahnte ihn endlich, abzusetzen und nicht länger dem Spott der Leute sich preiszugeben. Begreiflich vermehrte dies die gegenseitige Liebe nicht.

Die beiden Reiter feierten einen recht glücklichen Tag; wo sie durchritten, sah man bewundernd ihren Rossen nach. Der Roßhändler zahlte mit schönem Gelde, hatte sichtbarlich große Freude an den Tieren, denn er ging alle Augenblicke in den Stall, sie zu besehen, ließ es daher an gehöriger Zehrung nicht fehlen, ermahnte sie, sich aufs Nachziehen solcher Pferde zu legen, und machte ihnen den Mund so süß, daß es Felix war, wenn er nur Flügel hätte, um heute nach Einsiedeln oder nach Schwyz zu fliegen, wo die schönen Rosse wachsen mit dem stolzen Halse und der zierlichen Gestalt.

Dieser Tag brachte den Nägelibodenbauer und Felix recht nahe zusammen, sie leerten sich so ihre Herzen und teilten sich ihre Gedanken mit. Namentlich ward Sepp gegen seine Gewohnheit offenherzig, redete viel von seinen vergangenen Bedrängnissen, wie er manchmal nicht gewußt, wie sich kehren, besonders im vergangenen Sommer, wo er ein Kapital habe abzahlen müssen und ihm kein Geld eingegangen sei, wie es ihm jetzt gebessert, so daß er hoffe, bald auf festem Fuße zu stehen. Das Schwerste sei, den Wagen vom Platz zu bringen und in Gang, vorwärts nämlich; sei das einmal erstritten, so sei das Schwerste erlebt. Felix versicherte, wie leid ihm sei, daß sie darum nicht gewußt, von Herzen hätten sie ihm geholfen; so ganz aus mit Geld ließen sie sich nie, einem Freunde könnten sie immer unter die Arme greifen, und wenn sein Alter nichts hätte, so sei er auch noch da. Apart dem Zins frage er nicht viel nach, er liebe schönes Geld und habe großes Plaisir daran, es von Zeit zu Zeit zu zählen; indessen, wenn er jemanden dienen könne, so tue er es, es gebe immer wieder anderes. Sepp dankte. Das sei guter Bescheid, sagte er, er werde ihn nicht vergessen, aber je weniger er davon Gebrauch machen müsse, desto lieber sei es ihm. Von Änneli war keine Rede.

Es kam die Zeit, wo die Schneegänse wandern und die Meitscheni zMärit laufen, diese angeblich nach warmen Strümpfen, jene nach einem wärmeren Lande, jedenfalls beide nach etwas Warmem. Zwischen beiden ist bloß der Unterschied, daß die Schneegänse an einem warmen Lande volles Genügen haben, die Mädchen aber eigentlich lieber noch als zu warmen Strümpfen zu einem warmen Herzen kämen, ganz glücklich bloß dann sind, wenn sie beides zugleich kriegen: warmes Herz und warme Strümpfe. Was will man auch mehr in der Welt, besonders im Winter!

Dicke Käsbauern mit dünnen Heustöcken stoßen gern ungreisete Kühe in die Welt hinaus. Wir fragen, ob das eine Zeit zum Reisen sei. Es wird ihnen der Unverstand gewöhnlich auch praktisch zu Gemüte geführt, indem niemand mit diesen Kühen heimreisen will, man sie zumeist wieder zurückführen muß in den Stall, woher sie gekommen sind. Da heißts gewöhnlich: »Schrecklich viel Ware und grausam wenig Kauf!« Was gekauft wird, ist etwas Fettes von Metzgern und so große Gestüdel, himmelhohe Krämerstände von Kühen mit ellenlangen Hörnern. Diese letzteren kaufen Bauern, welche viel Kartoffeln gemacht und ein großes Hausgesinde mit scharfen Zähnen und gesundem Magen haben. Wollte man denen junges, zartes Fleisch aufstellen, das verschwände wie junger Klee bei junger Ware. Solche Bauern lauern daher auf die ehrwürdigsten Häupter, welche den Louis Philipp nicht bloß, sondern auch den Charles dix erlebt. Ja, am fêtiertesten wären die, wenn sie noch zu haben wären, welche den Napoleon gekannt und unter Ludwig XVI. geboren wären, Kühe mit Zähnen wie Heugabeln und Haaren wie eine gepuderte Perücke. Das sind Kühe, welche so recht vorteilhaft sind, starke Häute haben und naseweisen Bürschchen etwas zu kauen geben, die man an einem Sonntag so recht ordentlich an einem Stück gesalzenen oder geräucherten Fleisch von einer solchen Kuh versäumen kann den ganzen Tag, von einer Tagheitere zur andern, daß sie am Abend das Laufen vergessen und am Montag ihre Kifel noch so müde sind, daß sie Gott danken, je weniger sie dieselben brauchen müssen. Dieses Fleisch hat noch einen unaussprechlichen Vorteil, welchen aber nur Eingeweihte kennen: solches Fleisch ist vor den Würmern sicher. Würmer fressen bekanntlich weder Kiesel, noch andere Steine, ihre Zähne sind nicht dafür eingerichtet. Gibt es Würmer oben im Rauchfang, so lassen die alsbald solches Fleisch und fressen bloß die Weidenzweige durch, an welchen das Fleisch aufgehängt. Dann fällt dasselbe begreiflich runter; wenn es nun die Bäuerin unten merkt, weiß sie, daß es reif zum Brauchen ist.

Auch commis voyageurs sind vorhanden, lauernd auf die Krämer wie Kreuzspinnen auf Fliegen. Sie sind da mit mannigfachen Mustern von Finkenschuhen und Flanell von allen Sorten, hätten am liebsten Geld, besonders von zweifelhaften Kunden. Diesen armen Teufeln ergeht es oft an solchen Märkten wie den Zitronen zu S. im B.: dort werden sie nämlich zu drei verschiedenen Malen zu Punsch gepreßt, das erstemal mit dem Daumen, das zweitemal mit der Faust, das drittemal mit einem Erdäpfeldrücker. Aus dem Hausgang von irgend einem der Wirtshäuser schießt so eine Kreuzspinne vor mit vorgestreckter Zärtlichkeit, wickelt den armen Teufel ein, zieht ihn an und preßt, bis er weiterläuft. Kaum zieht er frischen Atem und preiset Gott für seine Rettung, so schießt aus einem andern Gange eine andere, und husch, ist er abgefaßt, wird gepreßt, daß er breit wird wie ein Ölkuchen und mühsam mit dem Leben davonkommt. Jetzt will er vorsichtig sein, schleicht langsam weiter, die Hände sorgfältig auf allen Säcken, sorgfältigst die Reste hütend: da schießt es von hinten her, er wird am Arm gefaßt, geliebkost und geschüttelt, er begreift nicht, warum so zärtlich. Ach, er erfährts! Wehe dem armen Teufel, wenn noch etwas klingelt an ihm, ein Kreuzer an den andern kommt nur von weitem; dann ist er verloren, er muß beiten, wird geschüttelt und gerüttelt, bis der letzte Kreuzer von ihm gegangen.

Kurz es ist eine sehr interessante Marktzeit; von den Ziegenhändlern wollen wir nicht einmal reden, welche mit Herden dieser Tiere dahergezogen kommen aus dem Guggisberg. Magere Ziegen sind der Guggisberger Ausfuhrartikel; wohlfeile Ratsherren, die man anderwärts nicht auf dem Mist auflesen würde, waren dagegen dort ein willkommener Einfuhrartikel, ist aber jetzt anders geworden. An diesen Markt wollte Felix auch, er hatte mit Schafen zu verkehren und wollte auch um ein Roßpaar sehen; er merkte, daß das Finden nicht halb so leicht war, als er es gedacht. Bis Größe, Farbe, Alter, Beine, Kopf sich treffen, hats eine Nase. Sepp hatte ihm versprechen müssen, sich ebenfalls einzufinden.

Ach, was so ein Markttag für ein wichtiger Tag ist! Ein Tag voll Geschicke, eine geheimnisvolle Urne voll Glück und Unglück, ein Tag, an welchem eine große Lotterie gezogen wird, wo der Eine einen halben Schoppen Wein gewinnt oder drei Batzen an einer Geiß, Mancher Tag und Geld verliert, Mancher ein Leben voll Elend gewinnt und ein Gewissen voll Reue. An diesem Tage tut es wohl ganz besonders not, Gott zu bitten, daß er den Ausgang aus dem Hause segne und das arme Menschenkind so bewahre den Tag über, daß dasselbe nach einem gesegneten Tage am Abend mit Gott wieder heimkehre, in gutem Bewußtsein einen ruhigen Schlummer finde. So ernsthaft nimmt es selten jemand, die Menschen haben immer mehr Glück als Verstand, das heißt Gott ist gütiger gegen sie, als sie es verdienen.

Felix gehörte auch unter diese. Die Mutter sagte ihm wie immer, so auch diesmal: »Häb Sorg zu dr selber!« »Häb nit Kummer«, war die gewöhnliche Antwort. Der Weg war grundschlecht, ein Teig von Kot lag über der Straße, dennoch ging Felix zu Fuß. Er hätte sich geschämt, wenn für so etwas seinetwegen ein Roß aus dem Stalle genommen worden wäre; er gehörte nicht unter das luftige Gesindel des Halbherrentums. Nebenbei hat man ohne Fuhrwerk Steg und Weg freier und kann den Heimweg nach dem Herzen richten und nicht nach dem Roß. Felix hatte ungefähr zwei Stunden nach dem Markte zu gehen, marschierte wohlgemut durch Dick und Dünn, hatte seinen Spaß an Weibern und Mädchen, welche, mit ihren Ankenkörblein am Arm, Schuh und Strümpfe sauber behalten wollten und daher auf der Straße herumstiegen, Steinen und trockenen Plätzlein nach, wie Störche auf dem Moose, wenn sie Frösche fangen. Schafherden wallten vor ihm her, und hie und da zottelte ein mageres Krämerroß vor einem mit Kisten und Kasten bepackten Wagen, auf dessen oberster Spitze halsbrechend Krämer und Krämerin thronten, vermutlich als die leichteste Ware auf dem ganzen Wagen. Das Herrentum schien noch nicht erwacht, es rasselte noch nicht in seinem verwegenen Mute durch die zwei- und vierbeinige Masse.

Plötzlich sprengte etwas hinter Felix drein, platsch, platsch, wie vom Himmel herab, und ehe er sich umsehen und gehörig salvieren konnte, war er mit Kot überspritzt von oben bis unten, und ein helles Gelächter scholl aus einem vorüberhumpelnden Wägelchen. Es war der Gstabi, der Füße hatte wie eine große Kuchenschüssel, welchen Eglihannes neben Felix vorbeijagte und ihm die Bescherung anrichtete mutwillig. Man kann sich Felix' Zorn denken; es fehlte nicht viel, er wäre ihm nachgesprungen und hätte ihn gleich fußwarm geprügelt. Aber die ruhige Berner Natur, die nicht gern springt, hielt ihn ab. »Wart du nur«, sagte Felix, »du entrinnst mir nicht, dann will ichs dir eintreiben, daß du weißt, was Felix kann! Führt er nicht die Täsche, die Pintenwirtin, bei sich, und der zLieb und zEhr hat er das gemacht, wohl, die muß nicht umsonst Freude daran gehabt haben!«

Felix schien zum Unglück auserkoren; überall, allüberall, auf Wegen und auf Stegen traf er auf Eglihannes. Er fand ihn in der Pinte, wo er sich säubern wollte. Dort handelte derselbe um Käs, tat groß mit seinem Zutrauen, welches ihm die Käsgesellschaft geschenkt, mit seiner unumschränkten Vollmacht, tat, als ob er die eigentliche Gluckhenne aller Vehfreudiger sei, ohne ihn nichts gemacht würde. Felix erworgete fast, doch hielt er an sich und erwartete eine gröbere, persönliche Reizung. Diesmal war Eglihannes klug, er mied eine solche, er hatte nicht genug getrunken, daher Erfahrung genug, zu wissen, worauf Felix wartete. Felix traf ihn auf dem Schafmarkte, doch kamen sie nicht in feindselige Berührung. Eglihannes war nicht in der Lage, Schafe zu kaufen, er ärgerte Felix bloß im Allgemeinen. Er traf ihn auf dem Roßmarkt an, wo er auch Sepp fand. Der hatte ein anderthalbjähriges Rößlein aufgestöbert, das ihm in die Augen schien und zu welchem er so halb und halb einen Gespan zu wissen glaubte. Felix nahm das Tier ebenfalls ins Auge um und um, und siehe, alsbald war Eglihannes da, auf Sepps Schutz vertrauend, und strich seinen Senf an alles. Was sie tadelten, rühmte er, was sie passieren ließen, darüber zuckte er die Achsel. Felix schwoll der Zorn, er kannte die üblichen Sitten auf dem Markte gut; in jemandes Handel sich zu mischen oder nur einzureden, gilt für unbescheiden, es erlaubt sichs selten jemand anders unberufen als ein Jude. Endlich ging Felix die Geduld aus. »Geh mir weg«, sagte er, »sonst kommst unsauber davon! Das Roß kaufst du nicht, du hast ja nicht zu fressen für eins, geschweige für drei, zum Einreden brauchen wir dich nicht, zum Raten noch viel weniger. Darum streich dich und laß uns ruhig, wie es üblich und bräuchlich ist.« Eglihannes wollte von Recht reden und wie er da sein und reden könne so gut als ein Anderer, sei er ein Dorfmagnat oder nicht. Wahrscheinlich rechnete er auf Sympathie bei Sepp. Doch der gab ihm einen sehr verständlichen Wink, so daß er sich von dannen hob.


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