Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Was ein Mensch wie Eglihannes bei solchen Umständen denkt, ist schwer zu ermitteln. Gewöhnlich sind die Geschäfte solcher Menschen in solcher Unordnung, daß sie nicht wissen, wie sie stehen, oft sind ihre Köpfe in einem andauernden Nebel, daß sie nicht zur klaren Besinnung kommen; sie hoffen auf glückliche Zufälle, Fische, die ins Garn laufen, neue Betrügereien, gute Schicke, wie sie sagen, und wenn alles fehle, sagen sie, so wollten sie brauchen, solange es halte; wenn dann nichts mehr da sei, sei immer noch Zeit, z'luege, was man machen wolle. Gäb ein klein wenig früher, ein klein wenig später, ein klein wenig mehr oder ein klein wenig minder, es werde doch sein müssen. Was es da nütze, sich vor der Zeit zu plagen!

Voll Zorn lief Eisi weiter, brütete über Rache; am liebsten hätte es die Welt in die Luft gesprengt, wenn es gewußt, wie machen. Da traf es auf den kleinen Ketzer, welcher wie eine Kleblaus der Käsgesellschaft aufsaß. Der sah Eisi grinsend und grännend an, wie es sonst niemand konnte. »Was siehst mich so an, du Lausbub!« tanzte Eisi diesen an. »Es wird nicht verboten sein, dich anzusehen«, antwortete der Bub, »oder kostet es was, zehn Kreuzer?« Doch ehe Eisi lospaukte, setzte er hinzu: »Hast es jetzt erfahren, was wir für Schelmen im Dorfe haben? Ich merkte es am ersten Tage, wie das gehen solle, aber man wollte mir nicht glauben. So einem Bub glaubt man nichts, und hat doch oft so ein Bub eine merkigere Nase als ein Dutzend dere Kudergraue.« »Ja, gäll doch auch, wie sie es uns machen, und kein Mensch will helfen, es ist alles unter einer Decke«, sagte Eisi; »und nicht einmal klagen soll man, heißt es, es sei von vornenherein vermacht, die wüßten, was sie wollten, die dicken Schelmen, was sie sind! Und daß die jetzt sich den Buckel voll lachen und zweimal Kästeiltig haben, denn Eglihannes wird nicht alles allein behalten können, selb will mich fast versprengen.« »Du mußt ihnen recht wüst sagen«, meinte der Junge, »so recht aus dem ff, und sie verbrüllen auf Kirch- und Märitwegen und auspacken, was man von ihnen weiß, es erleidet ihnen für ein andermal! Ich bin nur ein Kleiner, aber ich sage, was mich dünkt, ich fürchte niemanden. Wenn es alle so machten, es ginge anders in der Welt. Warten die aber nur, bis ich groß bin (wird es, so Gott will, nie werden), denen will ich es noch ganz anders machen!« »Ja, du hast gut reden, so eines Buben achtet man sich nicht viel«, sagte Eisi, »stellt ihn vor die Tür oder gibt ihm eine Wasche, und damit ists gut. Aber unsereins muß beweisen oder abmachen, kann Kosten zahlen und hat sonst noch Plag, und doch versprengt es mich, wenn ich das so annehmen soll und sie muß lachen lassen! Ich weiß zwar noch etwas, wenn ich das unter die Leute lasse, so stinkts und gibt großen Lärm, aber es trifft nur Wenige und geht die Käserei nichts an.«

»Was ists?«fragte der Bub, und Eisi gab Bericht; es war ganz offen gegen seinen neuen Bundesgenossen. »Weißt du was?« sagte der. »Der Schulmeister hat uns einmal erzählt, wie sie es einmal gemacht, als er noch in der Lehre gewesen. Da hätten sie für ihre Freude Briefe geschrieben und darin den Leuten alles gesagt, was sie lustig dünkte und gut, ihnen die Haare zusammenzuknüpfen. Unter die Briefe hätten sie keinen Namen gemacht und die Hand verstellt, so sei es ihnen nicht ausgekommen. Aber eine große Freude hätten sie gehabt, wie die Leute hintereinandergekommen und was sie für einen Zorn verwerchet. Wenn Benz mir helfen wollte, ich könnte sie schreiben und er vertragen, so könnte man eine Suppe anrichten, welche mehr als zehn Kreuzer wert wäre.« »Tüfel«, sagte Eisi, »das gefiel mir! Da könnte man dem Eglihannes von der Pintenwirtin dreinmachen und von seinen Schulden und dem gestohlenen Käs und dem Nägelibodenbauer von Ammanns Felix und dem Ammann von den Menschern seines Sohnes und daß er bald Großvater werde usw.« »Ja so«, sagte der Junge, »aber per Exempel, was man über den Eglihannes in den Brief macht, muß man an seine Frau schicken, die brüllt dann das Land voll. Täte man es an ihn stellen, so wäre er nicht so dumm, jemanden etwas davon zu sagen.« Das gefiel Eisi ausnehmend; so konnte es alles an Mann bringen, was es seit Langem auf dem Herzen hatte. Die gehörige Abrede ward getroffen, das Werk noch selben Abend begonnen.

Dem Nägelibodenbauer ging die ganze Geschichte am folgenden Tag doch etwas fatal im Kopfe herum. Er mußte gute Augen haben, wenn er das aus Gutmütigkeit an Peterli geliehene Geld einstweilen wieder sehen wollte. Nun, er brauchte es gerade nicht; er hatte ein schönes Stück Geld heimgetragen ohne Abzug. Sie hatten sich eingerichtet, daß sie das Schmer nicht von der Katze kaufen mußten; für den Hausbrauch hatten sie das Nötige immer bei Hause behalten. Trotz dem fatalen Käshandel war ihnen die Käserei von bedeutendem Nutzen gewesen, hatte den Hausfrieden nicht gestört, die Hauswirtschaft nicht verhunzt; Sepp hatte in allem Maß gehalten. Indessen ist doch unangenehm, Geld draußen in der Schwebe zu haben und zwar durch eigene Schuld, welches man daheim sicher verwahrt haben könnte. Nebenbei wurmten ihn Eisis Worte. Man kannte zwar Eisi wohl, und er hatte Eisi den Mund verschlossen, aber es ärgerte ihn doch. Nicht daß er irgendwie Verdacht gegen Bethi faßte, aber es hatten auch Andere diese Worte gehört, und was die daraus machen würden, wußte er nicht. Vielleicht war es möglich, daß einer meinte, Eisi wüßte mehr, als man glaube, es hätte es ihm sonst nicht so ins Gesicht sagen dürfen. Wenn man so nahe bei einander wohne, so sehe man oft Sachen, wovon andere Leute sich nichts träumen ließen.

Sepp machte daher am Morgen ein sehr saures Gesicht, daß Bethi fragte: »Hast Kopfweh, soll dir Tee machen?« Sepp erzählte, doch verschwieg er Eisis Worte. Bethi hatte große Freude an den zehn Kreuzern; das werde es wohl wieder müssen verhexet haben, sagte es. Wegen dem Gelde solle er nicht Verdruß haben, verloren sei es ja nicht, und wenn sie schon ein wenig darauf warten müßten, so hätten sie ja Spaß dafür. Das sei wahr, Eisi möge es den Spott gönnen, es verfolge alle Leute; einstweilen werde es doch jetzt genug vor der eigenen Türe haben. Bethi irrte sich; Eisi gehörte unter die Leute, welche an dem, was vor ihrer Türe liegt, auch wenn sie es sehen, doch nicht schuld sein wollen, sondern die Schuld daran Andern zuschreiben.

Es ging nicht lange, so war eines Morgens große Bewegung im Dorfe. Man sah mehr Weiber auf den Gassen als gewöhnlich; es mußte etwas Besonderes gegeben haben, wie zum Beispiel auch die Ameisen in vielen Häusern sich nur dann zeigen, wenn besonderes Wetter vorhanden ist. Sie, das heißt die Weiber, schossen aus ihren Häusern, schossen zusammen, standen bei einander, stoben dann wieder auseinander, hierhin, dorthin, selten eine schnurstracks wieder nach Hause; sie wimmelten durch einander ungefähr wie Bienen, wenn es bei ihnen etwas Besonderes gegeben hat.

So war es auch in der Vehfreude. Was sich gestern abend zugetragen, war nicht erlebt worden in der Vehfreude. Am Abend spät war Frau Eglihannese in die Gaststube der Pinte gebrochen, war der Wirtin ins Gesicht gefahren, ihrem Mann in die Haare, hatte gerauft, gekratzt, getan wie ein Ungeheuer, war geschlagen, gekratzt worden, war endlich heimgegangen, hinterher ihr Mann. Im Hause erneuerte sich der Spektakel, dauerte fast die ganze Nacht; jetzt war es noch stille dort, ob eins das Andere umgebracht, wußte man nicht. Warum die Frau so getan, wußte man eigentlich nicht, es ließ sich bloß aus den Titeln schließen, welche sie gebrauchte: Hurenbub, Schuldenhund, Kässchelm usw. Sie lebten Beide noch, waren aber nicht schön von Angesicht, und wenn sie sich zeigten, taten sie wie Eulen, welche um Mittag ans Licht müssen. Indessen fesselten sie die allgemeine Aufmerksamkeit nicht so lange, denn es spektakelte bald hier, bald dort, wo man sonst gar nichts darum gewußt hatte. Es hieß sogar, der Ammann hätte seiner Frau und seinem Sohne wüst gesagt, es sei dort bedenklich zugegangen. Man hörte nach und nach etwas von Briefen reden, welche kämen, man wüßte nicht von wem und woher; man finde sie bald hier, bald dort, sie seien fremdländisch geschrieben, Mancher könne sie nicht einmal recht lesen. Die zeigten an, wo was Böses sei, und zögen das Verborgene an die Sonne; das seien nicht Briefe, welche Menschen geschrieben haben könnten, aber wer es getan, wisse man nicht, aber denken könne es jeder! Es gehe aber arg auf der Welt, und es werde einer sein, den es düecht, es sei bald Zeit, dem ein Ende zu machen.

Es entstand ein großer Schrecken unter den Leuten. Wer noch keinen Brief erhalten, durfte am Morgen fast nicht vor das Haus, aus Furcht, die Nacht habe auch ihm einen gebracht, und wer schon deren erhalten, fürchtete sich um so mehr vor neuen. Wohl redeten Viele von Aufpassen, und das seien ganz natürliche Briefe, wenn man nur den Schreiber hätte; aber die Meisten, die so redeten, dachten nicht so, waren vom Zauber des Unheimlichen gefangen genommen. Je mehr man an ihren geheimnisvollen, überirdischen Ursprung glaubte, desto mehr galt ihr Inhalt als Wahrheit, desto mehr wirkte derselbe, brachte um so größern Aufruhr unter die Menschen.

Es ist wirklich seltsam, daß ein solcher Glaube noch in unsern Tagen keimen und reifen kann; aber der Verfasser hat mehrere solche Beispiele erlebt, es erlebt, daß mit Verdüsterung des wahren Glaubens der Aberglaube alle Tage zunimmt. Sind ihm doch mehrere Ungläubige, und zwar Herren, bekannt, welche, als sie in den Sonderbundskrieg ziehen sollten, sich wahrsagen ließen, kamen doch Soldaten sechs Stunden weit, um sich den »Schild des Glaubens« zu kaufen, welches Büchlein festmachen sollte. Man glaubte an das Hexenwerk in der Käserei, warum sollte man nicht an das Wunder mit diesen Briefen glauben? Man nahm sie mehr und mehr auf als eine Strafe Gottes wegen den Betrügereien mit der Käserei. Daß Eglihannes den ersten bekommen, bestätigte diese Ansicht, weil man ihn für den größten Betrüger hielt. Der Senn stand Todesangst aus und lief zu den Kapuzinern, denn auch er war in Briefen vernamset worden und hatte selbst einen erhalten. Die Armen frohlockten, hielten es für eine Strafe des Himmels wegen verkleinertem Milchmaß und mancherlei kleinern Knausereien, welche mit den Käsereien entstanden waren. Da sehe man doch noch, sagten sie, daß ein gerechter Gott im Himmel sei, die Reichen könnten es jetzt erfahren. Man ratschlagte ernstlich, ob man mit Käsen wieder anfangen oder es unterbleiben lassen wolle. Es gab Weiber, welche förmlich dagegen eiferten; ihr Anhang mehrte sich täglich. Es war eine größere Bestürzung im Dorfe, als wenn die Cholera mittendrin gewesen wäre.

Eines Samstagsabends spät wartete bei Ammanns die Meisterjungfere umsonst auf ihren Melcher. Derselbe war nach dem Nachtessen fortgegangen und nicht wiedergekehrt. Wo war wohl der? War der zu einer Andern gegangen? Diese Angst rumpelte schrecklich im Herzen der Meisterjungfere. Es litt sie nicht mehr im Gaden, sie machte sich auf und ging ums Haus, als wäre sie ein Geist, der keine Ruhe im Grabe habe, dieweil er seinen Schatz nicht im Himmel gesucht, sondern auf Erden gelassen, derowegen ihn immer wieder besuchen müßte. Es war schwarze Nacht unter dem tief herabhängenden Dache. Der Jungfer Auge war an die Nacht gewöhnt, sah daher ein wenig scharf nach der hellern Straße hin. Da kam etwas daher; es war nicht der Melcher, der trappete herzhafter ab, es war auch kein Geist, denn Mädi sah ihn über einen Stein stolpern, und daß Geister stolperten, davon hatte es noch nichts gehört. Indessen schlotterte es doch sehr, als das kleine Wesen gegen das Haus kam, und drückte sich bebend in die dunkelste Ecke. Das Wesen tat sehr vorsichtig, schlich leise der Türe zu, legte etwas auf die Schwelle, machte sich dann mit Windeseile davon. »Donner«, sagte das Mädchen für sich, »ist das nicht der Milchbub vom Dürluft? Der Hundsbube, der alles plagt, Kinder, Hunde, Hühner? Was Tüfels ist das? Was tat er da? Kommen die Briefe etwa daher? Ich darf nicht nachsehen; wenn doch nur der Lumpenbub, der Melcher, da wäre! Wohl, dem will ich; nicht auf drei Schritte lasse ich den mehr zum Leibe! Ich will Stüdi rufen (Stüdi war die zweite Magd). Wenn wir unser Zwei sind, dürfen wir schon.«

Gesagt, getan; Stüdi kam, und mit Furcht und Zittern nahten sie sich der Schwelle. Hier lag wirklich etwas Weißes. Mit einem Stecklein warfen sie es herab, und da es keinen Laut von sich gab, weder donnerte noch blitzte, so mutete eine der Andern zu, es aufzuheben, aber lange wollte Keine. Endlich wagte es die Meisterjungfere in den drei heiligen Namen. Es war ein großer Brief. »Tüfel«, sagte sie, »ist das die Sache! Käme die ganze Geschichte von der Dürluftmore! Wohl, der wollten wir etwas einbrocken, daß die daran sinnen sollte! Aber wer wollte ihr schreiben? Sie kanns ja nicht und der Mann auch nicht.« Beide wurden tätig, den Brief zu nehmen, zu sehen, an wen er gestellt sei, und dann abzuraten, was sie damit machen wollten. Die Meisterjungfere hatte an dem Fund und der Entdeckung fast so große Freude, als wenn ihr Melcher gekommen wäre. »Aber was soll ich denn sagen«, fragte sie ihre Vertraute, »wenn der Meister oder die Frau fragt: Aber Mädi, wie kams, daß du nicht im Bette warest, sondern vor dem Hause?« »Sage, du seiest auf dem Abtritt gewesen, hättest geglaubt, du hörest die Hühner flattern im Stall, als ob ein Marder hinter ihnen wäre. Da sei der Bub gerade gekommen, und du hättest ihm abgegucket«, lautete der Rat. »Aber glauben sie es mir wohl?« fragte die Meisterjungfer. »Warum nicht? Erst die vorige Woche hatte ja die Meisterfrau auch den Dürlauf, und es steht nirgends geschrieben, daß unsereins immer sollte verstopft sein!«

Am Sonntag ist man bekanntlich in einem Bauernhause selten früh auf; man genießt Schlaf und Ruhe, ists ja doch der Tag dafür und hat das geringste Knechtlein das Recht dazu. Gewöhnlich nehmen es sich auch die Mägde, pressieren nicht mit dem Feuern und Frühstückrüsten; daher in so vielen Häusern, wo die Meisterfrau nicht gehörig Hand obhält, keine Zeit mehr ist, den Gottesdienst zu besuchen – Tausende verschlafen die Kirche, wie Tausende den Himmel! Unter die Säumigsten gehörte sonst Mädi, hatte sich deswegen schon oft den bittersten Unwillen der Meisterfrau zugezogen. Diesmal war Mädi früh zu großer Verwunderung aller. Es sollten nun aber alle ebenfalls früh sein; es fuhr fast aus der Haut, daß es nicht alle gleich begriffen, seinen Fortschritt nachmachten, sondern taten wie an andern Sonntagen auch. Es zankte mit allen, die nicht kamen, wann es meinte, daß sie kommen sollten; nur dem Melcher sagte es nichts, dem machte es ein verächtliches Gesicht.


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