Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Zwei solche Schafe, welche er bei den Rossen gehabt, mit breitem Rücken und dickem, silbergrauem Fließ, hatte er verkauft, die Wolle aber vorbehalten; sieben Pfund wenigstens hoffte er der Mutter einhändigen zu können. Aber keine Schere wollte ihm hauen; er schwor mörderlich, er behauptete, verhexet zu sein. Ihm fiel ein, er habe kürzlich den Nägelibodenbauer Schafe scheren sehen, und dessen Schere habe gehauen wie ein Rasiermesser. Da helfe nichts, sagte Felix, geschoren müßten die Schafe sein, und darum müsse des Nägelibodenbauers Schafschere herbei. Er mir nichts, dir nichts auf und davon mitten im halben Tag.

Ums Haus wars still, die Türe zu. Das Hagels Meitschi werde sich wieder versteckt haben, dachte Felix, die Übrigen hinter dem Hause sein. Da er niemanden dort fand, klopfte er einmal manierlich, das zweitemal handlich. Endlich ging die Türe auf, und Änneli stand darunter. Man hätte nicht glauben sollen, daß das Mädchen kürzlich so ernstlich krank gewesen; rot war es über und über, wer hinter ihm gestanden, hätte gesehen, wie die Röte im Nacken ihm zusammenfloß. Felix machte große Augen, sagte endlich: »So, lebst du noch, habe geglaubt, du seiest längst tot.« »Gottlob noch nicht«, sagte Änneli, »ich bin bald wieder zweg. Gott und gute Leute haben mich davongebracht, und wäre der Schreck nicht gewesen, hätte das Andere so viel nicht gemacht.« »Mich hat es wüst genug gedünkt«, sagte Felix, »aber weil es der Eglihannes gemacht hat, wird es dir nicht weh getan haben. Wo ist Sepp?« Änneli war wieder ganz rot geworden, wußte nicht, wie es sich entschuldigen sollte. Die Frage half ihm für den Augenblick. »Sepp«, antwortete es, »führt Hanf und Flachs zur Reibe, wir haben in letzter Woche gebrochen. Heute soll nun gerieben werden; mir haben sie das Hüten anvertraut, zu den Kindern sehen kann ich gottlob schon wieder.« »Das ist lätz«, sagte Felix; »ich hatte ihn fragen wollen um seine Schafschere, mit meiner kann ich nichts machen.« »Ich glaube, ich weiß, wo er sie hat; wenn du warten willst, will ich sie dir suchen«, antwortete Änneli. »Das wäre mir ein Gefallen«, antwortete Felix, »ich will kommen und dir suchen helfen«. »Bleib nur«, sagte Änneli, »oder geh in die Stube, ich bringe sie gleich«.

Änneli hatte Takt und kannte die Welt in der Vehfreude, die ungefähr ist wie die Welt anderwärts. Änneli wußte, daß ringsum lauernde Augen waren; diese hatten erkundet, wie es allein im Hause sei, sie hatten Felix kommen sehen, wußten ihns jetzt allein mit ihm, das machte ihm angst, und Felix selbst machte ihm noch himmelangster. Es wußte nicht warum, es hatte sich seiner nur zu rühmen gehabt, und doch klopfte ihm das Herz, als stünde ein Räuberhauptmann draußen vor der Türe und dreißig Spießgesellen hinter ihm. »So geh«, sagte Felix unwillig, »aber gefressen hätte ich dich nicht.« Änneli hörte etwas von diesen Worten, sie taten ihm weh bis ins Mark hinein, aber was sollte es darauf sagen?

Es ging nicht lange, so kam es mit zwei Scheren wieder. »Es werden wohl die rechten sein«, sagte es, »Sepp hat das letztemal diese gebraucht. Wenn du aber meinst, sie seien nicht gut, will ich die andern auch holen.« »Will dir nicht Mühe machen«, sagte Felix. »Magst doch nicht warten, bis du mir wieder den Rücken siehst. Aber fragen möchte ich dich doch, was Tüfels ich dir zuleid getan, daß du dem Eglihannes so borgest und mich verdächtigen möchtest, als sei ich schuld gewesen an der ganzen Geschichte. Ich muß sagen, bravs dünkts mich nicht von dir.« Die Worte schnürten Änneli das Herz ganz zusammen, in den Hals stieg ihm der Krampf, es konnte kaum schnaufen, viel schwerer noch reden. »Du mein Gott«, sagte es, »was sinnest doch auch, und was denkst! Was sollte ich dich hassen, ich wäre ja die schlechteste Person unter der Sonne, denn du hast mir ja lauter Liebs und Guts erwiesen, wo ich mein Lebtag dir nicht vergessen werde und dir nur nie so recht dafür gedankt habe. Was kann ein armes Tröpflein, wie ich bin, vergelten? Aber wenn ich es könnte, nur ein Zeichen tun könnte, es freute mich mein Leben lang.« »Aber warum greifst du dann den Eglihannes nicht an für Entschädigung? Oder hat er im Stillen mit dir abgemacht, so ist es noch schlechter von dir. Du weißt ja wohl, daß er mir alles zuschieben will hinter dem Rücken, ins Gesicht darf er es mir nicht sagen, er weiß warum; wohl, den wollte ich flachsen!« »Zürn es doch recht nicht«, sagte Änneli, »aber ich war von Sinnen, und für mein Leben hätte ich keinen Eid tun können, und dazu hätte der Mann mich getrieben, denn es soll ein bsunderbar Wüster sein.« »Er wird dir nicht halb so wüst vorkommen, als du dergleichen tust«, sagte Felix, »sonst hättest du ja denken können, daß dir niemand einen Eid abfordern könne. Dazu waren wir ja da, wir waren nicht von Sinnen und wußten, wie es zu- und hergegangen.« »Selb wohl«, sagte Änneli. »Aber gruset hätte es mir gleich, wenn Andere meinetwegen hätten eidigen sollen; es ist allweg eine schreckliche Sache und war ja nicht der Mühe wert. Schwager und Schwester meinten es auch, ihretwegen sollte ich nicht etwa etwas machen. Sie trügen die Kosten gern, sagten sie, sei ich doch ihretwegen in dieses Unglück gekommen. Selb ist aber auch nicht, wenn man die Sache recht ansieht, so bin ich eigentlich schuld; wäre ich achtsam gewesen, so hätte ich zu rechter Zeit fliehen können und dSach wäre nicht begegnet.« »Dummheit«, sagte Felix, »wenn dra gsinnet hättest, so wärest selb Tag nicht auf die Straße, sondern im Bette geblieben. Es gingen schon viele Eide wegen geringeren Sachen, und wenns nicht Eglihannes gewesen, du hättest wohl auf einem andern Loche gepfiffen. Man kennt den Vogel. Aber ich sag es dir noch einmal: darauf hab dir nicht viel. DScherene bringe dann wieder, sobald ich sie gebraucht. Adieu unterdessen.«

»Aber um Gottswillen«, sagte Änneli, aber Felix hörte nicht, drehte sich nicht um, hatte Galgenfreude im Herzen; dem habe er es einmal gesagt, dachte er, seit er den Kropf geleert, sei es ihm ds Halb leichter. Das hätte mal schmecken können und eine Nase voll nehmen. Der Uflat dachte gar nicht daran, wie schmerzlich verwundet er das Herz des armen Meitschi zurückließ. Er stieg ganz kühn nach Hause, schor seine Schafe, freute sich, daß ers dem Meitschi gesagt, freute sich aber noch mehr, daß er es gesehen. Der Mensch ist nämlich ein ganz kurioses Kamel.

Wir sind überzeugt, wenn Felix gesehen, wie voll Änneli die Nase nahm, er wäre der Erste gewesen, der Mitleiden mit ihm gehabt hätte. Das arme Meitschi war so glücklich gewesen in aller Stille! Nicht um alles in der Welt hätte es sich sein sogenanntes Unglück, welches ihns so glücklich machte, abkaufen lassen. Für eine rechte Sünde hätte es es gehalten, wenn es dabei nur von ferne eine Entschädigung begehrt hätte. Es sei, als ob der Felix sein Engel sei, dachte es; wenn es ihm ein Unglück gebe, sei er da und nehme sich seiner an. Es hätte nie gedacht, daß ein Mensch so sein könne und so ein gutes Herz haben, geschweige eines Ammanns Sohn. Wenn es ihn von weitem sah oder nur hörte, ach, wie klopfte ihm dann sein Herz, wie glücklich ward es in seiner Nähe. Und doch floh es ihn, und wenn es ihn kommen sah, wich es vom Fenster, um ihn ungestörter betrachten zu können. Es war halt keine Kokette, es dachte nicht daran, daß jemand an ihm Gefallen finden könnte, gedachte gar nicht daran, durch äußerliche Gebärden Gefallen zu suchen, es wollte nichts als ungestört den Felix sehen und glücklich sein dabei. Ach, und wenn es ihn gesehen hatte, wie wohl lebte es daran manchen Tag! Der Felix verklärte sich vor seinem innern Auge immer himmlischer, er wurde schöner als ein Engel, es wuchsen ihm Fecken, immer größere, bis an den Himmel hinauf, ja endlich weit darüber aus. Ach, was so ein gutes, liebes Meitschi für eine stille Seligkeit hat an solch stiller Liebe ohne Schwefel, ohne sonstiges Begehren. Und in dieses stille Glück warf der Felix mit vollen Händen Pfeffer und Salz, war ein sauberer Engel, einer eher mit Hörnern als mit Fecken. Es ward Änneli, als ob eine wilde Macht Sonne, Mond und Sterne verschlungen hätte, unaussprechlich weh und kalt ward es ihm ums Herz. Es mußte absitzen, es wollte ihm der Atem stocken, kalt schwitzte es auf der Stirne; endlich brach ihm im Herzen die heiße Quelle auf, seine dunkeln, blauen Augen wurden zu zwei Springbrunnen, immer heißer sprudelten sie, dieweil immer heißer das Weh aus der Quelle quoll.

So fanden es seine Leute, als sie vom Reiben heimkehrten, mit glühendheißem Kopfe und rotgeweinten Augen. Sie fragten lange, was es gegeben; sie hätten nichts vernommen, wenn nicht ein Kind gesagt, Ammanns Felix sei dagewesen, dä wüest Bueb, der habe Änneli so z'plären gemacht. Sie wollten wissen, was er da gemacht. Er habe die Schafscheren geholt, sagte Änneli, und Mehreres brachten sie lange nicht heraus. Endlich sagte Bethi: »Hör, jetzt werde ich böse; daß er die Schafscheren geholt, deswegen tust nicht so! Was hat er gesagt? Das will ich wissen, das sage, sonst bist mir nicht mehr lieb, sondern verdächtige.« Da gab es neues Weinen, bis Änneli herausbrachte, Felix habe ihm Vorwürfe gemacht, daß man den Eglihannes nicht angegriffen, und – und – und merken lassen, er glaube, es tue das dem Eglihannes zulieb, und er sollte doch denken, der sei ihm nicht lieb. Bethi wollte trösten, wollte der Schwester abputzen, daß es wegen so Wenigem so nötlich tue; aber da half alles nichts. Bethi mußte Änneli zu Bette schicken und stand großen Kummer aus, es könnte einen Rückfall geben und das Nervenfieber jetzt im Ernste kommen.

Spät am Abend kam Felix wieder mit den Schafscheren, es nahm ihn wunder, was seine Worte für Wirkung getan, ob sie dem Meitschi so recht hineingegangen, wie sie gesollt. Er fand Sepp noch draußen im Stall; Felix war plauderhaft, Sepp sehr einsilbig. Felix berichtete, für was er die Scheren gebraucht, strich seine Schafe heraus; Sepp sagte nichts dazu. Felix fing vom Roßhandel an; Sepp sagte nichts dazu. Felix fing vom Käshandel an und wie der Eglihannes jetzt wirtschafte mit den geschaubeten Käsen; Sepp sagte wieder nichts. Felix kam ob dieser Einsilbigkeit so gleichsam in Verlegenheit und sagte endlich: »So gut Nacht, und sollest Dank haben.« »Gut Nacht wohl«, antwortete Sepp, und als Felix einige Schritte gegangen war, setzte Sepp hinzu: »Mit dem Eglihannes komme mir nicht wieder, ich hätte geglaubt, du seiest verständiger als so. Das Meitschi ist noch nicht so zweg, daß es solches erleiden mag; komm mir überhaupt nicht mehr mit dem Eglihannes, sonst hast es mit mir zu tun. Daneben wärs mir leid, wenn wir zweispältig würden.« Felix hatte sich rasch umgedreht und fragte: »Was ist mit dem Meitschi, hat es mich verklagt?« »Ds Meitschi hat dich nicht verklagt«, sagte Sepp; »aber wir fanden es ganz verpläret, da mußte es sagen, was ihns so zugerichtet; jetzt liegts im Bett, hat Fieber wie ein Roß, man mußte zum Doktor schicken, es könnte eine böse Sache geben.«

Da wars, als ob es gedonnert hätte über Felix und der Blitz ihn aufs Haupt getroffen. »Das wird nicht sein«, sagte er endlich. »Sagte ihm ja nichts Böses, meinte bloß, es hätte mit dem Eglihannes anders fahren sollen, dem Hund gings viel zu gnädig ab.« »Aber was soll sich dessen das Meitschi entgelten, und Grobs mußt du ihm gesagt haben, sonst hätte es nicht so getan«, sagte Sepp. »My türi nit«, sagte Felix; »bloß ein Wort oder zwei habe ich gesagt und es nicht böse gemeint.« »Los, ich mag nichts hören«, sagte Sepp; »du weißt nicht, was du machst. Wenn du jemanden einen Klapf gibst, daß er dahinfällt wie ein Kegel, so hast du eine große Galgenfreude und rühmst, dem habest du doch einen verflucht Braven abgestreckt, er sei dagelegen wie tot; aber wie weh du ihm getan und wie lange die Folgen währten, daran dachtest du nicht, darum kümmertest du dich nicht, so einer bist. So hast du es auch mit dem Meitschi gemacht. Hast ihm verflucht brave Worte zugemessen, wie sie dir ins Maul kamen, vielleicht noch Freude daran gehabt, wie du es dem jetzt gesagt, und wie weh du ihm tatest und wie man ein armes, halbkrankes Meitschi mit Worten abknütteln kann, ärger als einen Küherknecht mit einem Zaunstecken, davon hast du keinen Begriff. Du meinst, weil du des Ammanns Bub seiest, stehe dir alles wohl an, und jedermann müsse annehmen, was du ihm zumissest, und begreifst wieder nicht, wie andere Leute anderer Meinung sein können. So ist dSach.«


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