Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Die Käsrechnung

Wer weiß, wie bald das Ding losgefahren, wenn nicht etwas anderes dazwischengekommen wäre, der verhängnisvolle Tag nämlich, an welchem die Bilanz gezogen, die Resultate der Käserei vorgelegt, die Rechnung abgelegt, der Rest des Geldes eingehen und geteilt werden sollte. Das ist ein wichtiger Tag, man kann es sich denken, besonders wenn die meisten Geldseckel eine Positur machen wie die Mägen von Dreschern, welche vierundzwanzig Stunden hintereinander gedroschen und nichts gegessen haben.

Die Hauptsache an diesem Tage ist also, daß die Rechnung gemacht, sowohl die allgemeine als die Auszüge für jeden Anteilhaber, und daß das Geld da sei. Eglihannes sollte die Rechnung machen. Der hatte entweder gute Lust, sie zu verdrehen, oder konnte sie sonst nicht machen, oder er gehörte der Art von Menschen an, welche mit der Familienkrankheit behaftet sind, nie eine Rechnung ablegen zu können, besonders eine solche, wo sie noch herauszahlen sollen, es sei denn, sie kriegten Hausarrest (versteht sich ernstlichen, und nicht wie im Kanton Bern, wo es hinreichend ist, daß man ihn gegeben hat, ihn aber niemand zu halten braucht) oder würden ins Gefängnis gesetzt. Es soll Ortschaften geben, wo die meisten Familien mit dieser Krankheit behaftet sind. Eglihannes wollte lange nicht daran, bis endlich die Käsgemeinde erkannte, wenn er die Rechnung nicht bis dann und dann einem Ausschuß vorlege, so müsse sie jemand anders machen. Das war ihm auch nicht recht; er wußte, daß eine Käsgemeinde, wenn es sich um Geld handelt, nicht ist wie eine Behörde, welche die Sache persönlich nichts angeht und die daher getrost schlitten läßt, was nicht anders laufen will. Er machte sich endlich daran, aber kafelte, daß sich niemand darauf verstand, brachte vor allem die Käse, welche ihm zum Verkauf übergeben waren, nicht in Rechnung, kurz der Ausschuß wollte sie nicht und ordnete ihm jemanden bei, aber nicht den Schulmeister, den Eglihannes für alle Gewalt haben wollte. Wenn dann einer sein müsse, so sollten sie ihm einen geben, der rechnen könne; auf der Vehfreude sei ja Keiner, der fünfe zählen könne, hatte er gesagt. Das wollten sie mit ihm probieren, bekam er zur Antwort; sie wollten noch lange fünfe zählen, wenn er längst nicht mehr Babi sagen könne. Und was das Schulmeisterli im Rechnen könne, wisse man nicht, den Kindern sehe man nichts an. So viel wisse man bloß, daß er nicht abteilen könne, er würde sonst nicht immer den Lohn lange voraus einziehen. Einer schlug Ammanns Felix vor; der sei in der Schule der beste Rechner gewesen und werde wohl gut aufpassen. Nur zu gut, meinte jemand; der täte dem Eglihannes die Augen auf, daß er sie nicht mehr zubrächte, bis sie ihm jemand zudrückte. Der werde bald für sich selbst genug zu sehen und gern haben, wenn die Leute die Augen ihm zudrückten, sagte Eglihannes. »Wie ist das gemeint?« fragte der Ammann. »Werdet es früh genug erfahren«, erwiderte Eglihannes. Man schlug den kleinen Burschen vor, der die Nase in alles stecke, der werde schon den Weg zeigen, wo es im Geraden durch müsse. Nun, sagte Eglihannes, wenn sie einen Schulbub für den Gescheitesten erachteten unter ihnen, so sei ihm der der Rechte. Wen man auch vorschlug, Keiner wollte es annehmen; diese Ehrenstelle war in den Statuten nicht benamset, konnte also ausgeschlagen werden. Endlich kam es an Peterli im Dürluft; der wollte sich mit Unkenntnis entschuldigen. Man sagte ihm, es sei ihm erlaubt, die Frau beizuziehen; das sei ja die beste Rechnerin weit und breit, könne jedem aufs Haar sagen, was er verdient habe im Himmel und auf Erden. Peterli machte ein böses Gesicht, nahm indessen den Posten an; als Grund gab er an: Am Ende werde sich einer brauchen lassen müssen, und da komme es nicht darauf an, wer es sei; nur hoffe er, für die versäumte Zeit werde man ihm Rechnung tragen. »Mach dSach recht, mr cheu de geng noch luege«, gab man ihm zur Antwort.

Die Rechnung wurde endlich gemacht, aber der Ausschuß schüttelte den Kopf; Hüttenmeister und Kassier wollten ihren Beifall durchaus nicht geben. Eglihannes hatte für seinen Käs wohl Ausstände, aber kein Geld angesetzt, und die Ausstände gefielen ihnen auch nicht, und etwas Wunderliches erzeugte sich wegen Peterli: dem sah auf einmal eine Summe zu seinen Gunsten heraus, woran man vorher nicht gedacht hatte. Man soll nicht glauben, daß es mit Käsrechnungen sich gleich verhält wie mit Vogtsrechnungen; da läßt sich nicht so leicht ein X für ein U machen, und zwar aus guten Gründen nicht. Indessen gibt bei jeder Art von Rechnung niemand die Finger gerne her, um mit denselben die Fehler an den Tag zu ziehen, und je länger, je weniger, von wegen der Menschenfurcht. Denn je weniger man Gott fürchtet, desto mehr fürchtet man sich vor den Menschen. Man hat darüber merkwürdige Beispiele von Exempeln.

Die Rechnung zu machen und das Material dazu wurden also einem Unparteiischen außerhalb der Gemeinde übergeben, trotz dem Geschrei von Eglihannes, jetzt werde es erst ein großes Geschrei in der Welt geben über der Vehfreudiger Dummheit, die nicht einmal die Käsrechnung selbst machen könnten. Diese meinten aber, das gehe sie nichts an, sondern am meisten ihn selber, der sie machen sollte und sie nicht machen könnte oder wollte. Einstweilen rieten sie ihm, zu schweigen; wenn seine Rechnung durch die des Beauftragten sich als richtig erwiesen, dann möge er reden. Unterdessen machten sie unter der Hand etwas anderes. Eglihannes hatte in der Rechnung über seinen Käshandel die Namen derer ausgesetzt, welche den Käs nicht bezahlt hatten; die, welche gezahlt, waren nicht genannt; die Zahl der verkaufen Käse und derer, welche noch da waren, stimmte nicht überein mit der Zahl derer, welche im Herbst übrig geblieben. Kein Mensch wollte wissen, wohin die fehlenden Käse gekommen; vielleicht, daß die Mäuse sie gefressen. Da sehe man jetzt, was es helfe, wenn man schon den ersten Käs rückwärts in den Spycher trage, hieß es.

Nun ward auf einmal offenbar, wie viel Augen dem Eglihannes aufgepaßt. Man wußte fast alle Wirte, denen er verkauft, wußte, wer Käs geholt und wie manchen; man wußte viel mehr, als Eglihannes ahnte. Nun ging man unter der Hand den Käufern nach und suchte zu vernehmen, wie gehandelt worden, wieviel verkauft worden, was ausstehe usw. Nun fand es sich, daß gar mancher Käs bezahlt war, dessen Erlös als ausstehend in der Rechnung stand. Über Preis und Gewicht wollten Wirte, welche bar bezahlt, nicht mehr Auskunft geben. Sie sagten, was sie bar bezahlten, schrieben sie nicht auf, was Tüfels das nützen wollte! Andere sagten, sie erinnerten sich nicht mehr recht im Kopfe, aber vielleicht hätten sie es daheim auf dem Papiere, sie wollten gelegentlich luegen. Hie und da rückte einer mit den Karten aus und sagte, sie sollten nur zufahren, und wenn es dann Ernst sei, so wolle er mit seinem Hausbuche auch noch ein Wörtlein dazu reden. Es werde sich aber wohl am besten erzeigen, wenn sie das Verzeichnis der Käse, wo Nummern und Gewicht angegeben stünden, mit Eglihannese Rechnung verglichen, da sei es bald ausdiskutiert.

Solche Berichte brachte man dem Rechnungsverordneten. Das sei böser Bescheid, sagte dieser; in Eglihannese Rechnung seien die Nummern oder das Geburtsdatum der Käse nicht verzeichnet. Das ganze Verzeichnis über die sämtlichen Käse sei wohl da, aber keins von den Käsen, welche der Käsherr genommen, sondern bloß summarisch ihr Gewicht. Das Gesamtgewicht der Käse aber, welche Eglihannes übernommen, war wieder nirgends verzeichnet. Sie hätten das zu wenig exakt genommen, es werde Mühe kosten, bis der Sachverhalt am Tag sei. Ein Schelm sei dieser, aber es werde es kein Richter glauben wollen; das seien die ungläubigsten Tüfle auf der Welt, jetzt freilich nur noch gschnäuzt, aber gschwänzt würden sie mit dem Alter wohl auch noch werden.

Die Männer redeten von dieser Geschichte eben nicht viel. Man solle sie vor den Weibern geheim halten, meinten die Meisten; wenn diese es wüßten, sei der Teufel los. Ja, aber seit wann blieb den Weibern verborgen, was die Männer wußten? Soll sogar dem Windischgrätz manches entronnen sein; man kann sich daher denken, wie es den Vehfreudigern erging, welche noch lange keine Windischgrätze waren. Das nahm die Gedanken gefangen, das beschlug alle Worte, welche aus eines jeden Munde gingen; die Winke, welche Eisi über Felix und Änneli fallen gelassen, schwollen nicht auf, kamen nicht in Fluß, das Wetter war nicht günstig. Die Mitwisser, die Gespannten, fuhren wohl fast aus der Haut, aber wären sie rausgefahren, es hätte es kaum jemand gemerkt.

Der verhängnisvolle 15. März kam, aber mit ihm kein Geld, nicht einmal ein Brief. Die Vehfreudiger waren Nervenübeln sonst eben nicht unterworfen, man sagte sonst von ihnen, sie hätten Nerven so dick wie dreibatzige Stricke; aber selbe Nacht ging doch mancher Mann mit Kopfweh zu Bette, welches seine Frau ihm angepaukt. Und Mancher, der lange nicht gebetet, betete an selbem Abend lange, lange und laut und am Morgen noch viel länger, bis man Hosen und Schuhe anhatte, weil man, wie billig, erwartete, die Frau werde doch schweigen, solange man mit Gott rede. Es geht zwar die Rede, es sei Manche mitten ins Gebet gefahren, und zwar gröblich.

Es sind zwei Dinge sehr fatal und unangenehm: erstlich, wenn man einen Bissen in den Mund zu kriegen glaubt und hat ihn jemand weggezogen, man klappt den Mund zu, und siehe da, er ist leer; zweitens, wenn man eine leere Tasche hat und beim Hineinstoßen mit der Hand mit gar nichts klimpern kann, weder mit Silber noch mit Münze. Es entstand eine sehr bedenkliche Stimmung im Dorfe. Was die, welche nicht in die Käserei gegeben, für Schalksgesichter machten! Darob sollen Viele am Bauchweh gelitten haben in denselben Tagen. Man ließ unter der Hand sich erkundigen, wann man das Geld haben könnte, man habe doch geglaubt, darauf zählen zu können, und sich darnach eingerichtet. »Zahlet, wenn ihr kein Geld habt!« schrie diese der Käsherr an. »Ihr werdet warten müssen wie Andere auch; es sind noch Viele, die möchten, wenn man es geben könnte (das ist ein schöner Trost für Gläubiger), aber ich kann so wenig Geld scheißen als ein Anderer. Ihr hängt noch immer am Alten; ihr müßt jetzt zu den verfluchten Aristokraten und Städtern gehen und ihnen ihre Geldkisten aufmachen, die haben das Geld und geben es nicht, die sind schuld an der Not, hätten die größte Freude daran, wenn das Volk eis Tags verrecken würde!« Das sei wahr, sagte ein Vehfreudiger, die hätten mehr Geld als die jetzigen Fötzeln, wo man zehn auf den Kopf stellen müsse, ehe ein Taler aus einer Tasche falle. Aber wer es habe, habe recht, nichts zu geben, wenn er nichts versprochen; er wisse ja nicht, ob er es wieder bekomme. Es sei ja jetzt ein Eingericht, wo man sieben Jahre prozedieren müsse, ehe man zu einer Forderung komme, wenn nämlich unterdessen der Advokat nicht verschuldet oder mit dem Schelmen davongegangen, wo man dann nichts kriegte und Kosten bezahlen könnte. Aber versprechen und nicht halten, selb sei nicht brav. »Halte du, wenn du nicht kannst!« brüllte der Herr, und dagegen ließ sich freilich nicht viel sagen. »Es muß bei euch nicht viel Geld sein, daß ihr so nötlich tut«, fuhr er dann fort. »Allweg«, sagte der Mann. »Ihr müßt mir wenig trauen, daß ihr nicht warten wollt«, bemerkte jener. »Allweg«, sagte der Mann. »Was? Mir nicht trauen?« fuhr der Herr auf, »traut ihr denn niemanden mehr?« »Allweg«, lautete die Antwort. Nun ging ein schreckliches Donnerwetter los, welches mit der Erklärung schloß: »Ihr müßt euer Geld haben, nur damit ihr mir nicht mehr unter die Augen kommt; ein solches Volk habe ich noch nicht getroffen, will nichts mehr damit zu tun haben! Es ist gut, daß nicht alle so sind, da möcht dr Tüfel drby sy!« »Zwyfle«, antwortete der Mann. »Warum?« sagte der Herr. »Er fände dich da nicht«, antwortete der Bauer kaltblütig. »Donners Schelm, jetzt mach, daß du fortkommst!« »Allweg«, sagte der Bauer, »aber daß das Geld kommt, sonst komm ich wieder.« »Häb nit Kummer, will dir nicht Müh machen, begehre dich nicht mehr zu sehen, du alter Schelm, was du bist!« Darauf gab der Mann keine Antwort, sondern marschierte vergnüglich schmunzelnd am langen Stecken langsam ab. Das Geld kam wirklich alsbald, aber in den schlechtesten Sorten, welche man auftreiben konnte, absonderlich in Koburgischen Sechskreuzern, welche faßweise in die Schweiz verschleppt worden waren. Das war ein Erlesen und Zählen! Wenn alle Flüche dabei den Koburgern in die Beine gefahren, so soll es niemanden wundern, wenn sie das Podagra schrecklich kriegen.


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