Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Viertes Kapitel

Wie die Bauern für greisete Kühe sorgen

Die öffentlichen Angelegenheiten waren beseitigt; es war aber auch gut, denn Privatsachen nahmen nun jeden sattsam in Anspruch. Jetzt mußte in den Ställen dafür gesorgt werden, daß man greisete Kühe habe. Was das bedeutet, wissen sicher weise Leute nicht, und wenn einer den Weg unter die Füße nehmen würde und liefe den sieben berühmten Göttinger Professoren nach, was gilt die Wette, sie wüßten es alle sieben nicht! Daß das Wort reisen und greiset sich nicht auf Reisen über Land und Meer beziehen kann, wird den meisten Lesern sicherlich in die Augen fallen. Wirklich ist es in Beziehung auf die Nutzbarkeit einer Kuh gleichgültig, ob sie im nämlichen Stall geboren und geblieben oder die halbe Welt durchwandert habe, und in Beziehung auf Bildung möchte das Sprüchwort von der Gans auch auf die Kuh anwendbar sein: Kuh über Meer, Kuh wieder her. Ja wir haben Grund zum Glauben, je mehr eine Kuh auf der Straße sei, desto schlechter stehe es bei ihr mit der Milch.

Eine greisete Kuh ist eine solche, welche gerade zur gelegenen Zeit die meiste Milch gibt; eine für die Käserei greisete Kuh gibt während der Käszeit die meiste Milch. Die meiste Milch gibt aber eine Kuh gleich nach dem Kalben, besonders wenn sie zugleich mit grünem Futter gefüttert werden kann. Mit Beginn der grünen Fütterung beginnt man das eigentliche Käsen. Die am besten greisete Kuh ist also die, welche ihr Kalb beim Beginnen der Käszeit erhält. Nun hat man im Allgemeinen nicht ungern, wenn Kühe ins Grüne oder zum Grünen kalben, wie man poetisch sich auszudrücken pflegt. Indessen, wo man nicht käset und mehrere Kühe hat, hat man es am liebsten, wenn das Kalben sich verteilt, so daß man immer die gehörige Milch hat das ganze Jahr durch. Tritt also ein Bauer in eine Käserei, so scheint das die Hauptsache, daß er lauter greisete Kühe habe, das heißt solche, welche alle auf einen Tätsch als wie aufs Kommando kalben, und zwar ins Grüne und womöglich gerade fünf Tage vor Anfang des Käsens. Das mache einen Unterschied, heißt es, ob man ds Halb mehr oder ds Halb weniger Milch täglich liefern könne. Die Rechnung ist richtig und ds Halb mehr Milch wäre prächtig, wenn nicht jedes Ding wenigstens zwei Seiten hätte.

Wer also ungreisete Kühe hat und greisete will, muß kaufen oder tauschen und schweres Geld zusetzen, per Stück drei, vier und mehr Louisdor, wenn er sie von gleicher Schwere will; denn zur Zeit, wo man eben die Kühe zu reisen pflegt, sind im Verhältnis die ungreiseten viel zu wohl, feil, die greiseten viel zu teuer. Hat so ein Bauer seine zwanzig Dublonen zugesetzt und meint Hans oben im Dorfe zu sein mit seinem Stall voll greiseter Kühe, so fehlt es hier, fehlt es dort; die Zeit des Kalbens war falsch angegeben, die Euter finden sich schlecht, das Kalben geht bös, die Kuh gibt keine Milch; er milcht nicht halb so viel, als er gehofft, er ist beträchtlich angeführt, denn bekanntlich gibt es keinen betrogeneren Handel als den Kuhhandel. Will er, um dem Schaden beizukommen, die erhaltenen Kälber verkaufen, so will ihm niemand etwas dafür geben, sie sind unwert; denn bekanntlich blöken nie mehr Kälber in der Welt herum als im Frühjahr, wenn in den Städten die Vorlesungen, auf dem Lande die Käsereien ihre Arbeit beginnen.

Nun kann man sich denken, was das für Lärm und Läuf gibt, was das für Geld und Redens braucht, wenn eine ganze Dorfschaft die Kühe reisen und jeder Bauer sie noch verflüchter will greiset haben als der andere. Man kann sich denken, daß es da wieder sehr interessante Hausgeschichten gab, welche aufzufassen fast so viel Papier erfordern würde als die Ratsverhandlungen. Wir wollen uns daher wieder auf die zwei Haushaltungen beschränken, welche wir bereits etwas näher ins Auge genommen, vielleicht näher, als es ihnen selbst lieb ist.

Im Dürluft war große Verlegenheit; ungreisete Kühe und kein Geld – und greiset mußten sie sein, und sollte es Magdeburg kosten. Aber wie machen? Das war eben die Frage, deren Lösung über Peterlis und seines Eisis Verstand ging. Eisi schickte Peterli zum Kassier mit der Frage, ob es nicht zu machen wäre, daß man das Käsgeld vorausziehen könne oder wenigstens etwas auf Abschlag. Es dünke ihns, es sollte den Käsherren noch lieb sein, brauchten sie doch dann das Geld nicht zu hüten ein ganzes Jahr lang. Als aber Peterli mit der alten Antwort heimkam, das Fell lasse sich nicht eher verkaufen, als bis man den Bären hätte, begehrte Eisi schrecklich auf. Das sei ein verfluchter Zwang, sagte es; es sehe schon, es gehe hier auch alles nach Gunst. Für das Schyßhüttli hätte man zahlen können, es hätte keine Art gehabt, und jetzt, wo man auch was wolle, könne man nichts kriegen. Wenn es der Ammann gewesen wäre, jawolle, da wäre schon Geld dagewesen für dä Donnstigs Großgring, wo die Käserei auch seiner Frau unter das Gloschli erzwängt habe. Wohl, die und der Senn werden was können!

Eisi schickte Peterli aus, Geld zu leihen, tausend Gulden, oder so viel er könne. Tausend Gulden mehr oder weniger gingen in einem zu; könne man tausend Güldlein mehr nicht verzinsen, könne man das Wenigere auch nicht. Und wenn schon etwas vorschieße für die Notdurft, so sei es mehr als kommod, man sei ein ganz anderer Mensch, wenn man Geld im Hause habe, als wenn man keins habe, so kalkulierte Eisi. Aber Peterli fand in der ganzen Vehfreude, und so weit er sonst bekannt war, kein Geld. Es sei nicht, und was man habe, brauche man selbst, hieß es allenthalben. Das sei verfluchtet Verbunst (Mißgunst), sagte Eisi; man wolle sie plagen, daß sie nicht viel Milch liefern könnten. Peterli solle mit Gschriften laufen zum Amtschreiber, der wisse immer Geld, und es müsse kurios sein, wenn er nicht froh wäre, Geld auf den Dürluft zu geben, und dann noch mehr als tausend Gulden, und Peterli solle nehmen, so viel der Amtschreiber geben wolle.

Peterli lief ab, aber traurig kam er wieder. Der Amtschreiber habe gesagt, berichtete er, das Geld sei rar, und auf dem Unterpfand seien Vorgänger, und selbe liebe man nicht. »Jch glaube es«, schrie Eisi, »der alte Hagel hat die Vorgängerinnen lieber; wenn dere wären, dann hätte der schon Geld!« »Aber er hat mir gesagt, wenn ich mir die Mühe nehmen wollte, so fände ich in Bern Geld, so viel ich wolle. Es sei dort ein neues Eingericht, daß wer mit zwei guten Bürgen bezeugen könne, er sei von der neuen Meinung und habe den Glauben, die neuen Herren seien die rechten und keine Andern, Geld bekomme wie Heu, und an den Zinsen gehe das Kapital ab, es sei auf das Kommodeste eingerichtet«, berichtete Peterli.

»Lauf, Peterli, lauf, der Donner, lauf, so streng du magst, du könntest sonst zu spät kommen!«schrie Eisi.»Nimm Hansli mit im Schorgraben und Fritzli uf dr Blütti, sie sollen dir Bürg sein und auch nehmen, werden froh sein, und denen kannst du meinetwegen auch Bürg sein. Weniger als zehntausend Gulden nimm nicht; sag drinnen nur, die verfluchten Aristokraten und Patrioten, Jesuiten und Eidgenossen brächten uns sonst noch um den Dürluft!« Peterli lief ab, kam aber traurig wieder und ohne Geld. Ein kleiner, hässiger Mann, akkurat wie ein angekleideter Affe, hätte ihnen Bescheid gegeben und sie schrecklich ausgehöhnt; die Sache sei ihnen verleidet, hätte er gesagt, die Unterpfänder seien nichts wert gewesen, hätten alle die Auszehrung bekommen, wenn man sie habe fassen wollen, er solle zu den Berner Herren, die hätten Geld, wenn sie geben wollten, so erzählte Peterli. »So!« schrie Eisi, »sy das scho mutz Bese, kum es Jahr u scho nüt meh nutz. Es geht mit der Sach mit Schyn wie mit allen andern; es ist alls nichts mehr nutz, kaum hat man es in den Fingern, so ists nichts mehr wert, u mi mueß sih zUnnutz plage.« Das kam Eisi stotzig vor und fast vor den Atem. Und jetzt, was machen?

Einstweilen predigte Eisi seinem Peterli von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, er sei der Allerleideste unter den Männern, dr dümmst Hung unter der Sonne. Jeder andere Mann wüßte sich doch zu helfen, aber er wisse nichts anzufangen, in aller lieben Gotts Welt nichts! Sie fragte, ob er nicht eine Base oder einen Vetter hätte, wo er erben könne. »Nicht daß ich wüßte«, antwortete Peterli. »Es müßte neuere sy, daß ich nicht wüßte.« »So«, sagte Eisi, »so, nichts zu erben, nirgends einen Vetter oder eine Base oder e Götti und Gotte?« »Sy gstorbe«, antwortete Peterli kleinlaut. »Hätte ich gewußt«, sagte Eisi, »wie das ist, nicht mit dem Hintern hätte ich dich angesehen! So eine schlechte Familie, wo auch gar nichts zu erben ist, nicht einmal Götti und Gotte mehr leben, ist mir doch auf der Welt noch nie vorgekommen.« »Und dann deine«, sagte endlich Peterli, wenn Eisi gar zu zornig ward, »was ist denn das für eine, was ist da zu erben?« »Die geht dich nichts an, weißt du es!« schrie Eisi, »hell nichts! Es ist eine Zeit gewesen, wo in meiner Familie geerbt wurde wie in keiner mehr das Land auf, das Land ab. Aber diese ist vorbei, für die bist du zu spät aufgestanden; wo etwas Gutes ist, da kommst du in Gottes Name hintendrein, du Trappi, was du bist, du Tschalpi!« Peterli hätte gerne gesagt, zu Eisi wenigstens sei er früh genug gekommen, werde aber eben nichts Gutes gewesen sein. Aber Peterli war gewohnt, an allem schuld sein zu müssen; er hätte es angenommen, wenn Eisi ihm vorgeworfen, er sei schuld daran, daß auf dem Dürluft der Wind gehe.

Die Zeit rann weiter, fragte nicht, ob im Dürluft die Kühe greiset seien oder nicht. Die greiseten Kühe wurden alle Tage teurer, die ungreiseten alle Tage unwerter. Eisi fuhr fast aus der Haut geradezu in Peterlis Haare. Das müßte aber wirklich zu den unangenehmsten Dingen auf der Welt gehören, so eine aus der Haut gefahrene Frau in den Haaren zu haben. Der Teufel weiß, wie lange man sie da haben müßte, besonders seit die Hintersäßgelder abgeschafft sind und freie Niederlassung in der ganzen Eidgenossenschaft! Da kam eines Abends der Polizeidiener mit einem Briefe. Man hat nämlich im Kanton Bern das sehr große Talent, allen Angestellten ein Nebentürlein oder mehrere zu eröffnen zu Privatverdienst oder Privatvergnügen, daß von der Hauptsache endlich gar nicht mehr die Rede ist. Dieses scheint ganz besonders mit der Polizei der Fall zu sein, wo man Angestellte hat zu allem Möglichen, aber wie viele sich um die eigentliche Polizei bekümmern, das möchten wir gerne einmal hören, so wie wir gerne einmal einen schriftlichen oder mündlichen Rapport vernehmen würden über das Maß der Liebe und der Achtung, welche der Polizeiminister im Lande genießt.

Also einen Brief brachte die Polizei, durch deren Hände demnach die meisten Briefe laufen; sechs Kreuzer sollte er kosten. Jä, sechs Kreuzer für ein Lumpenpapier, in welchem nichts ist, sondern bloß etwas steht, was man vielleicht gar nicht zu wissen begehrt, die lassen sich bedenken, besonders wenn man sie nicht übrig hat, sondern viele hundert Franken zu wenig. »Gehe damit wieder hin, wo du hergekommen; es könnte ein jeder Narr uns so einen Wisch schicken und sechs Kreuzer darauf machen, wenn wir einmal Narrs genug wären, sie zu bezahlen«, schneuzte Eisi. »Ja, Frau«, sagte die Polizei, »sieh, was du machst mit solchen Briefen läßt sich nicht narren; man hat Beispiele, daß es Leuten mehr als hundert Taler geschadet, weil sie sich Briefen nicht geachtet. Und wenn ich ein Bauer wäre, welcher sechs Kühe im Stalle hat und manchmal sieben, so würde ich mich doch schämen, wegen sechs Kreuzern einem armen Mannli, wie ich bin, den Brief an der Schatzig zu lassen.« »Sechs Kühe hin, sechs Kühe her«, sagte Eisi, »deswegen ist noch nirgends geschrieben, daß man dir für jedes Papier, welches du bringst, sechs Kreuzer geben müsse. Das Papier würde rar, wenn man jedem Halunken dasselbe so teuer abnehmen müßte.« »Rede du nur«, sagte die Polizei, »wenn ihr sechs Kreuzer hättet, ihr würdet den Brief nehmen, aber die habt ihr nicht, da fehlts!« Das ging Eisi nicht bloß ins Leder, sondern ins Fleisch. »Wirst meinen, wir hätten es wie du«, sagte es; »mit dir zähl uns nicht zusammen! Da hast deine sechs Kreuzer; aber jetzt wart und lue, was in dem Papier ist, und wenn es das ist, für was ich es halte, so sieh, wie es dir geht!«

Peterli machte den Brief auf, Eisi stand neben ihm, streckte seinen Kopf vor Peterlis Kopf, hinter ihnen stand der Briefträger und sah zu einer Lücke hinein. Eisi fuhr zurück und schrie: »Das ist ein Vexierbrief! Der ist nit gschribe, das ist ume Gehafel!« »Glaub nit«, sagte Peterli,»aber allem an ist es Welsch.« »Oh, neue nit«, sagte der Briefträger, welcher den Brief zur Hand nahm und vor die Augen hielt. »Allem an ist es die neue Gschrift, welche aufkommt in den Schulen, man nennt sie die deutsche. Ich verstehe mich auch nicht darauf, aber sie soll schöner sein als die alte.« »Dreck«, sagte Eisi, »und jetzt, willst ihn wieder nehmen und die sechs Kreuzer wieder geben, wohl und gut, sonst mußt du verklagt sein, und das mußt.« »He«, sagte der Briefträger, »ehe ich das Wüstest alles machen würde, wollte ich doch sehen, ob mir ihn niemand lesen könnte. Wir wollen zum Schulmeister gehen, der macht es akkurat auf diese Weise und wird es notti doch wohl lesen können.« Selb sei die Frage, sagte Eisi; kribeln und kratzen könnten alle Hühner, und noch nie habe es von einem gehört, welches habe sagen können, was sein Kribeln zu bedeuten hätte. »Zu wem dann?« fragte der Polizeimann.


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