Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Die meisten Männer kamen zur Versammlung mit dem Gedanken, sie wüßten nichts anderes, als es verstehe sich von selbst, daß man den Senn wieder anstelle. Es wäre wohl was zu sagen, aber was die Hauptsache sei, das Käsen verstehe er, und wenn die Sache recht gehe, mache er rechte Käse, gegen die letzten habe ja niemand etwas gehabt. Was man an ihm habe, wisse man jetzt, was man mit einem Andern bekäme, das müßte man erst erwarten. Wie den Männern allen diese Gedanken gekommen, das wußten sie wahrscheinlich nicht, wohl ungefähr so wie die Nastücher in die Taschen und die Halstücher um den Hals: sie brachten sie einmal mit.

Unter den wenigen Weibern, welche eine Ausnahme machten, war die Frau Ammännin und Eisi im Dürluft; die Frau Ammännin aus bereits bekannten Gründen, Eisi im Dürluft dagegen aus sehr begreiflichen andern Gründen. Wie bekannt, haßte es den Schulmeister ganz kannibalisch; sobald es hörte, der Senn sei dessen Kamerad, haßte Eisi auch den Senn und glaubte, jeden Tag mit mehr Grund. Der Senn machte ihm niemals so viel Pfund Milch auf, als es gesandt zu haben meinte, fluchte noch oft darüber, ließ ihm die schnödesten Sachen sagen, die fast klangen wie Sau, Kötze, Dreckloch und solche angenehme Titel mehr. Eisis Bub war grober Art, wie wir wissen, und je mehr die Mutter den Senn haßte, desto ungattlicher tat der Bub, desto unverschämter war derselbe. Der Senn verstand nicht Spaß und streckte ihm einige Male die Haare, als ob er sie zu Besenstielen verbrauchen wolle. Das vermehrte begreiflich Eisis Zärtlichkeit nicht und machte seine Zunge nicht süßer, sondern spitzer. Es redete dem Senn die greulichsten Dinge nach; wenn man Eisi geglaubt hätte, der Senn wäre nicht nur in keinen Schuh gut gewesen, sondern überreif für das Schellenwerk, dem Teufel viel zu schlecht, er hätte ihn sonst längst genommen. Eisi machte aber keinen Eindruck bei den Andern, man hatte seinen Spaß damit, und je besser man es mit dem Senn zu können glaubte, desto größere Freude hatte man an der Ungunst, in welcher Eisi stand, und desto fleißiger trug man dem Senn zu, was Eisi über ihn gesagt. Das arme Eisi war verraten und verkauft.

Eisi wollte grausam viel in die Käserei geben wegem Hochmut, aber daheim doch auch etwas haben wegem Gutdünken; sein Bub mußte ihm daher fast allemal etwas zurückbringen aus der Käserei: Butter, Zieger, Nidle usw. Das wurde aufgeschrieben ins Soll, um es bei der Rechnung gegen das Haben zu verrechnen. Man kann sich denken, wie der Senn das gab, besonders wenn er Ausstreuungen von Eisi vernommen hatte. Wie Eisi das Nehmen aus der Käserei sich vorstellte, ob etwa nach dem Grundsatze: Wer uvrschant ist, lebt dest bas, wissen wir nicht. Allweg kann man sich denken, daß der Senn da den klugen Haushalter mit der Nidle nicht spielte, sondern den ganz getreuen, der lieber eine Halbe zu viel aufmachte als einen Schoppen zu wenig. Eisi im Dürluft hatte noch keine heiratsfähige Tochter, nach Liebe zu trachten kam ihm nicht in Sinn, mit seinem Peterli war es vollständig zufrieden bis auf einen Punkt. Es war der Punkt, worüber man sich zuweilen bei einem Haushund beklagt: er belle nicht gehörig und beiße niemanden, selbst in Notfällen nicht. Eisi mochte ihn, das heißt den guten Peterli, hetzen, wie es wollte, weiter als bis zum Knurren brachte es ihn nicht.

Diesmal nun hatte es sich zusammengenommen, als es Peterli zur Versammlung sandte, hatte ihm bündig zusammengefaßt, was er sagen solle und durchdrücken. Eisi war keine so einfältige Person, wie es sie in der Eidgenossenschaft gibt, die ihre Peterli ohne Instruktionen senden und es dem Winde überlassen, ob sie heute dies und morgen jenes erkennen, je nachdem der Wind weht, hierher und dorther. Wir haben bereits gesehen, wie Eisi an seinen Instruktionen festhielt und ihnen Nachdruck zu geben wußte. Diesmal hatte wie gesagt Eisi Peterli mit besonderem Ernst seinen Willen, den er zu vertreten hatte, kund getan. »Laß dich nicht betrügen«, hatte es gesagt, »das Geld bringe mir beim Kreuzer heim und einen Käs dazu, aber einen guten, und mach, daß der Senn fortkommt, und wenns möglich ist, mit einem Schlemperlig! Es müeßt dr Tüfel tue, wenn man dem nicht eine Karrete anrichten könnte, wo ihm den Appetit stellte sein Leben lang! Sag nur, wie er es uns gemacht habe, bschissen und betrogen auf alle Art, daß es gar keine Gattig hat. Tu sMaul auf und brings recht füre, es geht wie gschisse, wed awengst, und wengst nit a, so lue, wie es dir geht!«

So war Peterli abmarschiert und hatte bei dem ersten Teil der Instruktion getreulich sich gestellt. Das Geld hatte er beim Batzen eingesacket, aber viel weniger, als er und sein Eisi es sich ausgerechnet. Den Käs hatte er bekommen, aber einen viel größern, als ihm eigentlich lieb war. Er dachte bei sich, sie hätten es bisher ohne viel Käs machen können, er wüßte eigentlich nicht, warum es jetzt anders gehen solle. Es hatten ihm aber alle zugeredet, er solle den nehmen, das sei e bsunderbar guter, so einen bekomme er nie wieder. Mit dem Dritten nahm er es leicht. Er dachte, wenn ein Bauer was sage gegen den Senn, so sei es richtig; so schlecht seien die Leute doch noch nicht, daß ein Bauer gegen einen Knecht hintenabnehmen sollte. Es werde nicht einmal an ihn kommen, daß er etwas sagen müsse, es werden Andere auch noch sein, die sich zu beklagen hätten. Als nun der Ammann fragte: »He nun, und der Senn? Gebt eure Meinung«, da blieb es still, da blieb es lange still, man hätte eine Fliege surren hören. Endlich sagte Peterli: »He nun, wenn niemand was sagen will, so will ich meine Meinung abgeben, daß man den gehen lasse und einen Andern dinge, von wegen dessen, er ist mir erleidet u Eisin, dr Frau, o.« Darauf sagte niemand ein Wort; der Ammann mahnte wiederholt zum Reden, kein Wort. »He nun«, sagte er endlich, »es ist eine einzige Meinung da, wo dr Bauer im Dürluft abgegeben. Mit Schein seid ihr alle seiner Meinung, daß niemand dagegen redet. Oder wer es anders will und meint, man solle den jetzigen Senn behalten, der hebe die Hand auf.« Potz, kamen da nicht nach und nach alle Hände in die Höhe bis an die vom Ammann und von Peterli! »Versteht mich recht«, sagte der Ammann, »ich habe nicht gemehret, wer Peters Meinung sei, sondern wer dagegen sei und den Senn behalten wolle. Ich will das Mehr noch einmal machen, den andern Weg, umgekehrt. Also, verstehts recht: wer Peters Meinung ist und den Senn nicht mehr will, sondern einen Andern, der bezeuge es mit dem Handmehr«, und hoch hob der Ammann seine Hand auf, und hoch hob sie Peterli auf, sonst Keiner mehr. Als lange allein hoch oben die beiden Hände geschwebt, rief der Ammann ungeduldig: »ZDonner, kann ich denn heute nicht abmehren, daß ihrs versteht! Wer ihn nicht mehr will, hebe dFinger auf!« Hier und da zuckte es aus alter Gewohnheit in einigen Fingern, aber es ging keine Hand in die Höhe, die Beiden blieben allein.

»So«, sagte der Ammann,»ists so gemeint. He nun so dann, so behalte ihn, wer ihn behalten mag. Ihr werdet ihn gefragt haben, ob er auch bleiben wolle?« »Apart nicht«, sagte endlich einer; »geredet ist worden davon, aber nie z'grechtem«. »He nun«, sagte der Ammann, der auch so eine Ahnung hatte, wie man hintenher einen Beschluß am Schwanz fassen und mit ihm noch günstig manövrieren könne, »so fragt es sich doch noch, wie ihr ihn anstellen wollt, ob im gleichen Akkord, oder ob etwas daran geändert werden soll?« »Was ist deine Meinung, Ammann?« sagte endlich einer; »du warst Hüttenmeister, du weißt am besten, ob da etwas zu ändern wäre.« »Ich habe nichts mehr zur Sache zu sagen«, sagte der Ammann; »die, welche ihn par force wieder wollten, mögen jetzt zusehen, was sie machen. Aber das kann ich sagen, ihr Manne, alles ist nicht im Gleise gegangen; dem Senn ist der Ringge nicht genug eingetan, es geht dem viel zu viel Geld durch die Finger, und was sonst noch ging, davon reden ja die Kinder auf der Gasse. Daneben kann ich mir alles gefallen lassen, kann ich ja austreten oder nicht, wie es mir gefällt. Einmal mehr Lohn würde ich nicht geben. Schießet meinethalben Zwei aus, die sollen mit ihm reden, die können ihm sagen, es sei da am Akkord oder am Reglement etwas zu ändern; wenn er es sich gefallen lassen wolle, so sei man Sinns, ihn zu behalten, sonst werde man müssen um einen Andern sehen. Das ist meine Meinung, daneben macht, was ihr wollt, ich kann mir alles gefallen lassen.« So sprach die beleidigte Majestät. Das Volk war sich der Beleidigung bewußt, wollte sie gutmachen, wollte ihn ausschießen; er aber nahm es nicht an, ließ Andere wählen, die mit dem Senn zu reden hatten, aber nicht heute, sonst gäbe es eine Versammlung bis Mitternacht, er aber sei lieber früher im Bette. Das wurde auch erkannt, kurz es würde jetzt alles erkannt worden sein, was der Ammann vorgebracht hätte. Man sieht, die Vehfreudiger waren für diese Zeit noch bescheidene Leute, sie begnügten sich mit dem Finger, begehrten nicht die ganze Hand; sie hielten Maß mit ihren Errungenschaften, sie stürmten nicht von Konzessionen zu Konzessionen, bis sie das ganze Haus auf den Kopf gestellt.

Der Ammann wollte sich das ländliche Mahl, zu welchem man jetzt ging, nicht noch mehr verbittern lassen, fehlte ihm doch bereits der Appetit. Sage man nichts, es geht wohl kaum ein Bissen schwerer den Hals ab als ein solches Abgemehretwerden, wenn man sonst gewohnt ist, aufs Kommando die Hände sich in die Höhe heben zu sehen wie bei den Soldaten auf den Ruf. »Bajonett auf!« Das ist eine bittere Pille und um so bitterer, je ungesinnter sie kommt. Und arg ists erst, wenn man sie vielleicht hätte vermeiden können und daheim eine Frau hat, welcher das Ding auch nicht gleichgiltig ist und diese Pille dem Manne wohlgekaut wieder und wieder zu schlucken geben wird.

Wenn ein Schwinger, der lange der Stärkste gewesen, zum ersten Male überwunden auf dem Rücken liegt, nun ein Stärkerer über ihm ist, er kann es auch nicht verdauen, er findet lange sein gemütliches Gleichgewicht nicht wieder, und doch ist ein Schwinger noch lange kein Ammann! Noch dazu zweimal an einem Abend es erfahren müssen, daß man nicht allein Meister sei, ist wohl stark für einen Ammann. Denn daß man just jetzt noch dem Eglihannes den Verkauf der Käse übertrug aus kurzsichtiger Politik und selbstsüchtiger Bequemlichkeit, war ihm nichts weniger als recht, und doch litt er an der Letztern so gut als die Andern, denn niemand besser als er hätte billig die Käse kaufen können. Aber da er nicht schuld war, daß sie noch da waren, wollte er sich nicht damit befassen, den Andern nicht aus der Verlegenheit helfen. Das wäre ja dumm von ihm, meinte er. Aber man werde sehen, was das für ein Gchafel (Unordnung) gebe, sagte er; wo der Eglihannes seine Finger hineinstecke, da gehe es unsauber zu. Nun, ihm sei es insofern gleich; wenn es zu verlieren gebe, vermöge er es so gut als ein Anderer.

Indessen, wie tief es dem Ammann auch ging, ging es ihm doch nicht so tief wie dem Karl Albert von Sardinien, als ihn der Radetzki zum zweitenmal geschlagen hatte: er dankte als Ammann nicht ab, er lief nicht, bis daß er nicht weiterkonnte, bis an die Spitze von Europa ans Meer, er lief nicht einmal heim. Dahin komme er noch lange früh genug, wird er gedacht haben. Er lief nicht weiter als mit den Andern zu Tische, wo er neben den Nägelibodenbauer zu sitzen kam. Der Ammann hatte sonst auf diesem viel und manchmal gesagt, wenn der zwegkommen möge, so gäbe es einen rechten Gemeindevater; aber jetzt war er unzufrieden mit ihm und konnte sich nicht enthalten, es ihn merken zu lassen. »Haltet es nicht für ungut, Ammann«, sagte der junge Bauer, »daß ich diesmal nicht Eurer Meinung war. Aparte Ursach, für den Senn zu stimmen, wie vielleicht Andere, hatte ich nicht; er tat mir weder was zu leid noch was zu gunsten, er ließ uns ruhig und wir ihn. Daneben will ich nicht sagen, daß nicht manches gegangen sein mag, was nicht hätte sein sollen, und wo man zusehen muß, wenn man kann, aber vor allem wird man niemals sein können. Daneben können wir für das erste Mal noch so ziemlich zufrieden sein, ich habe es nicht einmal so erwartet. Mir war angst, wir erhielten eine starke Ohrfeige, und ich muß sagen, sie hätte mir weh getan, denn der Gattig Ohrfeigen mag ich nicht wohl erleiden. Ich weiß, wie man an andern Orten mit Sennen zweg kam, der ganze Sommernutzen verloren ging, weil sie nicht zu käsen verstanden oder ins Ungfell kamen, daß sie nichts mehr machen konnten, oder die Halunken machten, daß es mit Pelzhandschuhen zu greifen war. So ging es bei uns nicht, wir wissen, was wir haben, aber was wir bekämen, das wissen wir nicht.« »Das wäre wohl gut«, sagte der Ammann, »aber mir ists wider dHand, einen solchen Lümmel im Dorfe zu haben, den wir bezahlen und der den Meister machen will. Wenn der recht zPlatz käme hier, der würde uns den Marsch machen, daß von uns Keiner mehr Weite hätte im Dorfe; er und das Schulmeisterli jagten uns zum Dorfe hinaus.« »Selb ist nicht so gefährlich«, sagte der Nägelibodenbauer, »die muß man brüllen lassen und sich ihrer nicht achten, bis sie ausgebrüllt, dann schweigen sie von selbst; die Hauptsache ist, daß er gut käse, und das tut er, und wenn es sein Vorteil ist, wird ers auch das andere Jahr. Es wäre gut, man könnte vom Schulmeisterli das Gleiche sagen; aber da sieht es bös aus, da sollte man ändern. Es ist himmelschreiend, wie es in der Schule geht und was der Schulmeister für Reden führt.«


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