Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Sechstes Kapitel

Der Tag bricht an, die Sach geht los und wie!

Am folgenden Morgen, am Montag, ward die zweite Milch gebracht, und es sollte gekäset werden. Die zweite Milch wird, nachdem sie gewogen ist, gleich ins Kessi gegossen, die Abendmilch wird (wie bereits berührt worden) bis auf die Nidle, welche man zum Vorbruchanken braucht, dazugegossen, wenn man ganzfett käsen will.

Der Vorfall von gestern abend im Nägeliboden war begreiflich schon allgemein bekannt und bereits mit den seltsamsten Zusätzen verbrämt. Es war kein Weib in der ganzen Vehfreude, welches nicht fest glaubte, die Nägelibodenbäuerin sei eine Hexe, und nicht frohlockt hätte, daß es endlich an Tag gekommen. Gedacht hätte sie dieses schon lange, aber wenn sie es auch gesagt hätte, so hätte es doch niemand geglaubt, so sprach jedes Weib. Es war aber auch kein Mann in der ganzen Vehfreude, welcher zu widersprechen, die Nägelibodenbäuerin zu entschuldigen wagte, er mochte von ihrer Unschuld noch so überzeugt sein. Der Herr Ammann schüttelte vor allen sehr bedenklich das Haupt. Man hielt dafür, er bestätige damit seiner Frau Redensarten, und hoffte von ihm, entweder werde er die Sache dem Regierungsstatthalter anzeigen und die Nägelibodenbäuerin abfassen lassen oder doch wenigstens Käsgemeinde anstellen und beantragen, sie auszustoßen, bevor das Unheil größer würde. Er tat aber keins von beiden und konnte sich später vor dem Zorn seiner Frau und vor schwerem Verdacht bloß dadurch retten, daß er zu bedenken gab, wie dumm es wäre, die Nägelibodenbäuerin auszuschließen; solange sie Milch liefere, werde sie das Käsen nicht verhexen, stoße man sie aus, so könne man sehen, was man mache. Dieser Grund befriedigte.

Ein Schmiedegeselle hatte den verhängnisvollen Vorgang ebenfalls gesehen, erzählte ihn, wollte die arme Bäuerin in Schutz nehmen; aber er machte nicht bloß keinen Eindruck auf die öffentliche Meinung, sondern er mußte endlich sogar noch ganz schweigen. Es glaubte ihm niemand als alle Mägde, welche ihre Meisterfrauen haßten, aber diese durften ihren Glauben nur unter der Hand offenbar werden lassen.

Diese Stimmung nun legte sich am nächsten Morgen gar mächtig zutage in der Hütte und namentlich gegen die Milchträgerin aus dem Nägeliboden. Das war der Bäuerin Schwester, ein hübsches, schlankes Mädchen von siebzehn bis achtzehn Jahren, stillen, weichen Gemütes, aber trefflich in jeglicher Arbeit. Sie mußte für ihre Schwester abtun, und bei jedem Schritt, den sie tat, mußte sie von Hexen hören oder eine Hexe sein. Es war ein Glück für Änneli, so hieß das Mädchen, daß der Dürluftbub nicht eines Weges mit ihm ging, sondern einen weiten Umweg machte, um nicht verhexet zu werden. Der Schlingel glaubte nämlich durchaus fest an das, was er im Zorne selbst erlogen. Der Senn, mit Wägen und Aufschreiben stark beschädigt, auch von der Wichtigkeit der Sache sehr ergriffen und dem ersten Tage eine eigene Bedeutsamkeit beilegend, merkte endlich, wie alles Reden sich ums Hexen drehe. Von diesem hörte er so wenig gern in der Hütte reden als Schiffer von Ähnlichem auf dem Schiffe. Er begehrte daher mächtig auf und verbot derlei Reden in der Hütte unter der Androhung, daß er dem, der hier von Hexen rede, etwas an die Beine machen wolle, daß er zum letzten Male dagewesen sei. Mit solchen Dingen lasse sich nicht scherzen, mit einem Worte könne man etwas ziehen und dann weit und lange laufen, ehe man den finde, der es einem wieder vertreibe. Die Drohung half, das Geschwätz verstummte, der Senn hätte sein wichtiges Werk nun bequem verrichten können, wenn nicht immer noch Nachzügler gekommen wären, in der Meinung, auf eine Stunde ab oder zu käme doch wohl so viel nicht an. Wenn der Ammann bieten lasse an die Gemeinde für um sechs Uhr und man komme um acht, so sei man noch lange früh genug da, und exakter werde es doch in einer Käsehütte nicht zugehen, ein Senn sei doch lange noch kein Ammann. Aber wohl, der Senn gab Unterricht in der Pünktlichkeit und legte an Tag, daß er denn doch was sei, und zwar eine Respektsperson, wenigstens so sehr als der Ammann.

Das Feuer brannte, die Milch erwarmete; als sie den gehörigen Grad erreicht hatte, stellte der Senn die Erhitzung ein, schüttete in drei Löffel aus drei verschiedenen Gefäßen eine wunderliche, wüste Flüßigkeit, eine Art Hexentrank, guckte scharf in dieselben, als ob er aus diesen wahrsagen wollte. Nachdem er geguckt und betrachtet, nahm er aus einem der Gefäße drei Maß heraus, goß sie in den Kessel; in demselben entstand ein wunderliches, seltsames Leben: es schied sich das Ungleiche vom Ungleichen, es suchte das Gleiche das Gleiche, das Beste sammelte sich oben, das Schlechte ward bedeckt und unsichtbar, ungefähr wie die gelbe Nidle über die blaue Milch sich legt. Das gefiel dem Senn, aber er wollte es doch nicht dulden. Er nahm einen hölzernen Säbel und hieb in die dicke Decke hinein die Kreuz und die Quer, schnitt unbarmherzig darin herum, bis das Ganze in lauter kleine Stücke zerhauen war. Und als das geschehen, fuhr er mit dem nackten Arme in die zerbröckelte Masse hinein, als wolle er es auf immer hindern, daß das Gleiche mit dem Gleichen sich binde, wärmte aufs neue ein, doch sich hütend, auf das Äußerste es zu treiben, er fühlte genau am Arme den höchsten Wärmepunkt, welchen das Käsen ertragen mag, wenn der Käs nicht zähe und hart und zu viel Milch für ein Pfund Käs verwendet werden soll. Soll der Käs zart und schleimig werden, ein Zentner Käs aus weniger als drei Säumen oder zwölf Zentner Milch hervor, gehen, so darf der Wärmegrad kaum zweiundvierzig Grad Réaumur erreichen. Stundenlang rührt der Senn die Masse in ungefähr gleicher Wärme, bis er glaubt, sie sei sattsam verarbeitet, dann läßt er das Rühren sein, und alsbald tritt das Scheiden wieder ein. Ins Ungleiche kann man das Ungleiche rühren, aber wenn die Gewalt ein Ende hat, scheidet doch wieder das Ungleiche sich vom Ungleichen. Diesmal sinkt das Bessere, die Käsmasse, zu Boden, und obenauf schwimmt die dünne Flüßigkeit, Käsmilch genannt. Hat die Masse sich gelagert, wird unter ihr durch das Kästuch, eine Art von Beuteltuch, gezogen, aus dem Kessi gehoben, dann gepreßt, gewendet, neue trockene Tücher darum geschlagen, bis man ihn trocken und von aller Käsmilch befreit glaubt und dem armen Schelm endlich Ruhe gönnt, den Järb, eine hölzerne Rahme, darum legt, enger oder weiter, je nach der Größe der Masse, welche zugleich dem Käs die Form gibt.

Mit dem Kessel beginnt von neuem das Hexenwerk. Es wird gefeuert und in zweiter Linie etwas hervorgefeuert, nämlich der letzte Rest der fetten Teile, welche dem Käs sich nicht anschließen wollten, so gleichsam die Unzufriedenen, welche, dieweil sie nicht die Ersten sein konnten, nicht die Letzten sein wollten, sich zurückzogen. Diese müssen jetzt auch raus, kommen in die Höhe, wo sie die große Kelle faßt und beiseite wirft, um die Käsmilch herauslaufen zu lassen denn die taugt zu etwas Ordentlichem nicht (sie löscht den Schweinen den Durst gut, und verstopften Menschen macht sie leichten Atem). Versetzt man nun das Abgenommene mit guter Nidle, so gibt es leidlichen Anken. Die Käsmilch wird an den meisten Orten nach dem Maße der Milchlieferung von den Anteilhabern zurückgenommen und nach Verstand und Umständen verbraucht: die Einen geben sie den Schweinen, die Andern den Leuten. Die Einen versündigen sich, brauchen sie als gute Milch, kochen sogenannte Milchspeisen damit, Brei, zum Beispiel Mehl-, Reis-, Griesbrei usw., noch Andere verkaufen sie per Kreuzer die Maß armen Leuten. Käsmilch ist ein Ding, an welchem man interessante Erfahrungen machen kann. Es gibt Leute, welche behaupten, sie wirke äußerst schädlich auf den Besuch des Gottesdienstes, indem Keiner, dem sie beigebracht werde, eine Stunde in der Kirche auszuhalten vermöge.

Man sieht, die Käsbereitung gleicht in vielen Stücken dem Brotmachen. Bei beiden ist große Reinlichkeit notwendig, bei beiden eine Säure, welche scheidet. Bei dem Brot ist der Hebel der Sauerteig, bei dem Käsen der Kaselt, bereitet aus Kälbermagen, in Schotte eingelegt. Ist ein Kälbermagen im Geringsten ungesund, so scheidet er nicht, wie schlechter Sauerteig auch das Heben des Brotes hindert, daher das Probieren und im Vorrat Haben von mehreren Portionen. Es gibt Orte, wo man zweihundert Kälbermagen zerschneidet und untereinandermischt, damit das Ungesunde durch das Gesunde neutralisiert und unschädlich gemacht werde. Wärme ist an beiden Orten nötig, Kneten ebenfalls, nur dauert die Arbeit beim Käsen viel länger, ist schwerer, die Kunst größer, das Gelingen zufälliger. Und wie es Weiber gibt, welchen es nicht haben will, so gibt es Sennen, welche den Käs nicht zusammenbringen, und wie schlechtes Mehl verläuft und kein Brot geben will, so geht es auch mit schlechter Milch, sie bricht vor, macht, was sie will und nicht, was der Senn will. Doch in der Vehfreude ging es nicht so, der Käs geriet, die Bauern hatten noch keine Käsmilch, um damit die gute Milch zu verderben und dem Käsen zu schaden, und Wasser schadet bloß dem Käs, nicht dem Käsen. Auch nichts Ungesundes war an den Kühen, so daß männiglich Freude hatte am ersten Käs. DSach sei gewonnen, hieß es, ein schöneres Mulch als das ihre werde im Herbst kaum zu finden sein, es müßte den Teufel tun, wenn sie nicht dreißig Gulden aus dem Zentner lösten. Mehr als einmal wollten sie sich besinnen, ehe sie um fünfundzwanzig Gulden es geben würden. Es ist kurios, aber Gedanken solcher Art machen ganz ungeheure Fortschritte, kommen der Bildung, selbst wenn sie in entschiedenem Fortschritte begriffen ist, unendlich voraus, formulieren Rechnungen, die bis in den dritten Himmel wachsen.

Selben Abend war großes Glück in der Vehfreude, und gar manches Weib machte ihrem Manne wieder freundliche Mienen, welches seit Wochen nichts für ihn zu haben schien als zehn Nägel an zehn Fingern und im Notfalle auch die Zähne, welche sie noch im Maule hatte. Dem Manne ging die Sonne auf, er wagte sich wieder in seines Weibes Nähe, ward traulich, eröffnete ihm seine Hoffnung auf die vielen hundert Gulden und seine Pläne über ihre Anwendung. Sie rechneten und rechneten und fanden, daß sie in zehn Jahren noch einmal so reich sein würden, und in zwanzig Jahren, wenn Gott ihnen das Leben schenke, hätten sie für jedes Kind einen Hof und Gülten, es wisse kein Mensch wieviel. Wer sollte nach solchen Rechnungen nicht glücklich und wohl schlafen, ja vielleicht im Traume nicht noch zehnmal mehr in Aussicht sehen, als man auf der Tafel ausgerechnet hatte!


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