Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Siehe, da half die Vorsehung! Eglihannes im Saubrunnen trappete daher einer Wirtschaft zu, welche ihm besonders anständig war, wo ihn oft am Morgen die Sonne fand, wo sie ihn am Abend gelassen, wo man gar nicht wußte, was ihn mehr festhielt, war es Spiel, Wein oder Wirtin. »Seh«, sagte Peterli,»bist fast wie ein Gelehrter, kannst das?« Mit verächtlichen Mienen riß Eglihannes das Papier an sich, und um zu zeigen, daß er es gleich vorweg könne vom Blatt, ohne es vorher zu studieren, begann er alsbald zu lesen. Später sagte er oft, in den Haaren kratzend, das Dümmste, was man machen könne, sei, wenn man so mir nichts, dir nichts den Leuten ablese, was sie einem zu lesen brächten. Sei man zu Hause, solle man ihnen sagen, sie sollten morgen wieder kommen und den Brief dalassen, jetzt hätte man nicht Zeit; kämen sie zu einem außer dem Hause, solle man den Brief nehmen und ebenfalls sagen, sie sollten morgen wieder kommen, man habe den Spiegel (Brille) nicht bei sich. Lese man gleich von der Hand weg, lese vorweg, ohne zu wissen, was nachkomme, könne man sich zwei- bis dreihundert Gulden schaden, er habe es erfahren. Er las nämlich, freilich unter Stammeln und Stottern, besonders gegen das Ende zu: Stampfimichel im Hühnerloche, an welchem Peterlis Vater dreihundert Gulden verloren, habe schön geerbt, und wer seinen Nutzen zu rechter Zeit bedenke, könne Schadens einkommen.

Wenn die Sonne um Mitternacht plötzlich am Himmel stände, sie könnte nicht mehr verrichten als dieser Brief. Was Peterli, Eisi und der Polizeier für Gesichter machten! Nur Eglihannes sah finster aus und grännete (schüli, würde ein Zürcher sagen). Es war aber auch kein Wunder, einen solchen Fisch vor dem Netz und so dumm sein, ihn selbst verjagen und nichts in Sinn kriegen, ihn wieder zur Hand zu bringen! »Ja, ja«, sagte Peterli, »dreihundert Gulden und von meiner Seit! Jetzt, Eisi, ist das Geld da, wir können uns helfen, und aus meiner Familie her kommt es.« »Hast es noch nicht, kannst sehen, wie du es kriegst«, sagte Eglihannes höhnisch und ging weiter. Das war Wasser auf Eisis Mühle. »Wenn du es nur schon hättest«, sagte es wieder und wieder.

Peterli war wirklich in Verlegenheit; er hatte einen Brief in der Hand, konnte ihn aber nicht lesen, wußte noch weniger, was er mit demselben anfangen sollte, um das Geld zu bekommen. Er trappete endlich dem Eglihannes in die Wirtschaft nach. Die Sache war so plötzlich über Peterli gekommen und erfüllte seine Seele so ganz, daß er das übliche Mißtrauen und die Vorsichtigkeit ganz vergaß und, sobald er seinen Schoppen vor sich hatte, die andern Gäste nicht scheuend, zu Eglihannes sagte: »Du hast gesagt, wenn ichs nur schon hätte; ich solle sehen, wie ich es kriege. Möchte dich fragen, ob du mir dazu verhelfen könntest? Es wäre mir jetzt gar anständig, wenn ich es bald bekäme, hätte es übel nötig.« Wohl, wie da Eglihannes ihn hässig anschnauzte! Er solle ihm vom Leibe bleiben, sagte er; mit solchen Lumpensachen gebe er sich nicht ab, und Geschäfte treibe er nicht im Wirtshause. Wer etwas von ihm wolle, könne in seine Schreibstube kommen, dort sei der Ort, wo er Bescheid gebe. »Nüt für unguet, fragen wird doch erlaubt sein?« sagte Peter halb erschrocken. Aber das Herz voll von der Sache, merkte er Eglihannes nicht, sondern spann weiter, sprach, wie doch ungesinnt einem was zur rechten Zeit kommen könne, zeigte den Brief, fragte, wer ihn lesen könne. Hannes da hätte ihn gelesen und wisse, was darin sei usw. Endlich klopfte die Wirtin Peterli auf die Achsel und sagte: »Komm, es ist jemand da, der dir was sagen will.«

Draußen sagte sie ihm, Hannes lasse ihm sagen, er solle doch das Maul halten. Wenn es bekannt werde, was im Briefe stehe, so solle er zusehen, ob nicht welche in der Nähe seien, welchen es anständig wäre, ausstehende Zinse endlich zu bekommen. Potz Türk, daran hatte Peterli gar nicht gedacht! Als er wieder in die Stube kam, war er ein ganz Anderer; es war, als wäre ihm ein Kübel kaltes Wasser über das Haupt gegossen worden, denn drinnen saßen wirklich Solche, welche mehr als einmal zu ihm gesagt hatten: »Peterli, ich nähms, wenns brächtest.« Er hatte die Sprache halb verloren, wußte über den Brief keine Auskunft mehr und machte, daß er fortkam so bald als möglich.

Am folgenden Morgen war Peterli früh auf, mochte nicht warten, bis Eisi das Morgenbrot zweg hatte, verbrannte das Maul am heißen Kaffee und machte sich halb hungrig dem Saubrunnen zu. Er hätte aber nicht so zu pressieren gebraucht, denn Eglihannes stand nicht früh auf. Wenn er nach Mitternacht halb oder ganz betrunken zu Bette kam, oft daß er nicht wußte wie, so lag er darin wie ein fettes Schwein im Mist, und wenn er endlich einmal aufstehen sollte, so grunzte er erst eine lange Weile, ehe er es vollbrachte, akkurat wie ein Schwein; erschien er endlich vor den Leuten, so hatte er zugepichte Augen, ein versalbtes Gesicht, gefiederte und borstige Haare; er sah wirklich nicht besser aus als ein verwahrlostes Schwein. Als derselbe endlich so versalbet und verpicht erschien, den Tag angrännend, als hätte er in saure Zwetschgen gebissen, grollte er den armen Peterli an wie ein Bär, der Bauchweh hat, nahm den Brief zur Hand, studierte aber darin herum wie einer, der erst mühsam seine fünf Sinne zusammenholen und zur Besinnung kommen muß. Endlich gab er verständliche Töne von sich, welche ungefähr also lauteten: »Also dreihundert Gulden hat dein Vater an diesem Michel verloren, und der Michel hat jetzt geerbt, aber es heißt nicht wieviel, und in welchem Range deines Vaters Forderung ist, steht auch nicht da. In einem Nachgeltstag geht gar viel vorab, ehe was an die Gläubiger kommt, meist hat man nichts als verfluchte Mühe und vergebliche Kosten. Vor allem mußt du deine Forderung gehörig eingeben, du wirst dafür Papiere haben, dann wird die Sache untersucht; kommt es bis an dich, so kriegst du eine Anweisung, dann erst kannst du sehen, was du damit anfangen kannst und was sie wert ist. Allweg geht es ein oder zwei Jahre, bis du einen Kreuzer siehst, und hast ausgegebenes Geld, es weiß kein Teufel wieviel.«

Da stand der Peterli wie ein Ölgötze, und all seine Träume zerrannen ihm wie Butter an der Sonne. So hätte er es, sagte er; wenn er glaube, es gucke ihm irgendwo was Süßes, und er greife zu, so sei es ein Sack voll Galle. Das Beste werde sein, er gehe zum Amtschreiber und sehe, wie es sei; laute es auch da nicht gut, so brauche er das Papier, wie es üblich und bräuchlich sei. »Nit, das mach nicht, der Amtschreiber ist ein verfluchter Aristokrat und Jesuiter, gar nicht volkstümlich, ds Conträri, er hasset das Volk, er putzte dich entweder aus oder beschummelte dich. Es kommt nicht gut, bis man diese verfluchten Jagdhunde und Volksschinder ganz zum Lande hinaus hat. Vielleicht, wenn es in die rechten Hände kommt, trägt es doch noch was ab, eine Laus im Kraut ist doch noch besser als gar kein Fleisch«, bemerkte Eglihannes. Er hätte nicht Zeit, der Sache nachzulaufen, und das Geld jetzt nötig, sagte Peterli. »Weißt was, du kannst mich dauern, mit dem Volke habe ich es immer gut gemeint, wenn man es mir schon nicht glauben will, aber schlechte Leute gibt es allenthalben. Deretwegen und weil du es bist, will ich dir den Wisch abkaufen. Gibt es was, so gibt es was, gibt es nichts, so gibt es nichts, es ist ein Spiel wie ein anderes; ich gebe dir hundert Gulden, morgen kannst sie haben. Fällt es gut aus, so tue ich dir vielleicht was nach, geht es bös, ist der Schade mein. Du siehst, wie gut ich gegen dich bin, aber es kann mich niemand mehr dauern als so arme Schuldenbäuerlein wie du. Und es kommt doch noch die Zeit, wo die Donners Schulden abgeschafft sind; was ich dran machen kann, mache ich«, so sprach Eglihannes.

Peterli, als er von morgen hundert Gulden bar hörte, stand da, als seien ihm die Tore des Himmels alle aufgegangen; hundert Gulden waren doch wirklich mehr als eine Laus im Kraut, und der versalbete Eglihannes stand vor ihm als ein himmlischer Engel, ungefähr als derselbe, welcher die Hagar und ihren wilden Buben, den Ismael, in der Wüste mit einem Wasserbrunnen erquickte. Er schlug mit Freuden ein und sagte: »Das müssen dann doch die Leute wissen, wie du ein Volksfreund bist und wie du mir aus der Not geholfen.« Eben das begehre er nicht, sagte Eglihannes, er verbiete es ihm. Sobald er höre, daß er einem Menschen von der Sache rede, so solle der ganze Handel nichts sein, und er könne dann hingehen und sehen, wer ihm Geld gebe auf solche Lumpenpapierli. Das war ein gutes Mittel, dem geldsüchtigen Peterli den Mund zu stopfen.

Eglihannes wußte aber gar wohl, warum er es brauchte; er kannte alle Geldverhältnisse einige Stunden in der Runde wie eine Wahrsagerin alle Liebschaften. Er wußte gar wohl, daß Peterlis Forderung fast wie bares Geld war und vielleicht seit Jahren noch die Zinsen dazu erhältlich, begehrte also gar nicht, daß bekannt werde, welch gutes Geschäft er gemacht und wie scharf er den armen Peterli beschnitten. Es hätte ihm an andern Geschäften schaden oder den Neid von Kollegen im gleichen Fache zuziehen können, welche ebenfalls den Leuten unter die Arme griffen in der Not, das heißt Wucher trieben, aus ihrer Not den höchstmöglichen Vorteil zogen. Das sind heillose Geschöpfe, diese Wucherer; wir denken, der Teufel werde einen eigenen Schmelzofen haben für die wucherischen Hatzer, wahrscheinlich einen aus Platina, und hat er einen solchen noch nicht, so würden wir ihm raten, sich bei dem Kaiser von Rußland einen zu bestellen, aber einen recht großen, denn die Wucherer mehren sich, und um so schneller, je häufiger die Regierungen wechseln. Diese Kohorte rekrutiert sich eben am häufigsten aus gefallenen Regenten – werden wahrscheinlich das Beschummeln nicht lassen können. Dieser Zug im Menschen ist aber sehr merkwürdig, der sie immer und immer zu denen treibt, von denen sie ausgezogen werden, statt zu treuen und ehrlichen Menschen. In Geldverlegenheiten werden die Wucherer gesucht und nicht die wahren Freunde. Diesem Zuge liegt gar Merkwürdiges zugrunde, welches wir ein andermal erörtern wollen. Nur das wollen wir bemerken, wie das wirklich eine eigene Zulassung Gottes ist, worin aber auch eine fürchterliche Züchtigung Gottes liegt, daß Menschen wie der Eglihannes, welche ungescheut alle Gebote Gottes übertreten, ungescheut des Heiligsten spotten, immer noch Leute finden, welche ihnen trauen, welche glauben, diese könnten es mit jemanden ehrlich meinen.

Eglihannes hatte die hundert Gulden wirklich nicht vorrätig, aber er wußte, wo er sie holen konnte. Ungefähr zwei Stunden von ihm wohnte ein ebenfalls erblichener Stern, aber von höherm Range und größerem Vermögen. Schon als sie noch im Glanze waren, hatten sie zusammengehalten; Eglihannes war der Spion gewesen und hatte den Jagdhund gemacht, der Andere den wohlmeinenden Freund mit Gebärden, welche sagten: Eglihannes, du Jagdhund, du sollst meine Gnade haben. Hätte es jedoch das Schicksal gewollt, daß der Eine sich hätte erhalten können auf Kosten des Andern, so hätte einer den Andern unbedenklich hingestoßen, wohin man gewollt, und wärs in des Teufels Platinapfanne gewesen. Sie gehörten nämlich Beide zu der nämlichen Rasse von Menschen, von welcher das Sprüchwort sagt: Fründ wie Hünd. Nebenbei hatte der Vornehmere vom Hunde wenig, man nannte ihn nur den Katzenmani, nach seinem Landsitze den Mani im Galgenmösli. Das Galgenmösli hatte er durch eine eigentümliche Finanzspekulation erlangt, welche mehrere Seiten hatte und welche wir einstweilen nicht erörtern wollen, denn wir müssen diesem Mani einmal unsere ausschließliche Aufmerksamkeit schenken, weil dieser Mani ein gar seltsames Stück Mensch ist. Mani war die gefühlvollste Seele auf dem Erdenrund. Manis Gesicht war eine Art von Himmel mit Sonnenblick und Regenbogen. Es war östlich, das heißt oben in beständigen Tränen über die Welt, die Elendigkeit derselben, die Elenden allzumal und überall. Ach Gott, wie ihn das Elend drückte, besonders das Sündenelend! Mein Gott, wie weinte er über die Sünden, besonders über die eigenen; er empfand sie sehr, er wußte am besten, wie sie waren wie Sand am Meere. Aber dieser Tränen schämte er sich, er wußte, sie waren nicht im Zeitgeist, und auf dem Zeitgeist hielt er alles. Da er sich derselben nicht erwehren konnte, barg er sie hinter einer dunklen Brille, die gerade aussah wie eine schwarze Wetterwolke, von welcher man nicht weiß, was Teufels alles darin steckt. Westlich, das heißt unten der Mund, der lächelte lieblich und süß, zog sich wie zu einem Kusse zusammen, und im Kusse lag ein ganz unbeschreiblicher Ausdruck, als ob er sagen wollte: Seid umschlungen, Millionen, diesen Kuß der ganzen Welt! Unter Millionen verstand er freilich Gulden, nicht Menschen, und unter Welt alles Land, welches ans Galgenmösli stieß. Mani hatte einen artigen Bauch sich angegessen und -getrunken, welcher ihm wie ein Bettelsack vornen herunterhing. Mani aß und trank gern was Gutes, besonders auf Staatskosten; sein weiches Herz konnte nichts so sehr rühren, als wenn irgendwo auf Staatskosten wohl gelebt wurde und er war nicht dabei; seine Kollegen kannten seine schwache Seite, er wurde daher auch selten übergangen. Er schritt sehr stattlich einher an goldenem Knopfe, jedoch auf lützelen (gebrechlichen) Füßen. Die Meinungen waren geteilt, ob er in seinen Stiefeln ein Nest voll Hühneraugen berge oder aber Stollfüßchen, ganz artige, niedliche.


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