Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Als nun Eglihannes diese schwache Seite berührte, war ihm der Erfolg gesichert. Vergebens ward erinnert, daß man nicht vergessen müsse, wie man, wenn man solchen Preis löse, dem Senn auch den Teil seines Lohnes werde geben müssen, welchen man auf den Erfolg seiner Kunst hin eingestellt, und das mache doch auch ein Namhaftes. Wenn man eine Krone per Zentner mehr lösen könne, so möge das es wohl ertragen, und dann möchte man sich doch nicht dafür halten, so einem armen Untergebenen den Lohn mutwillig zu verringern, lieber wollte man selbst Schaden leiden. Es sei nichts Schlechteres, als armen Leuten ihre Sache nicht zu gönnen. So sprach Eglihannes, welcher imstande gewesen wäre, der ärmsten Frau im Dorfe ihre einzige Geiß zu stehlen, wenn er gewußt hätte, es käme ihm nicht aus. Salomon sagt, es geschehe nichts Neues unter der Sonne. Uralte Fabeln erzählen uns vom Fuchs, welcher der Henne die Jungen gefressen, mit ihr weinte und klagte und unterdessen die Gelegenheit erspähte, ihr selbst ans Leben und zu ihrem Fleische zu kommen. Diese Füchse haben sich erstaunlich vermehrt, besonders seit eine gewisse Schule sie künstlich ausbrütete; sie laufen rudeldick in der Welt herum, und die Hennen sind hellnichts klüger geworden, sondern trotz Fortschritt und Aufklärung akkurat gleich dumm als wie vor ein-, zwei-, dreitausend Jahren. Wo so ein Füchslein hergeschlichen kommt, ein Pfötlein hinreicht, mit dem andern sich Augen und Nase wischt, von Mitleid zerspritzt, klagt, daß das Wasser von Steinen geht, Welt und Gott anklagt und alle Geister anruft, wie ihm das Herz breche und wie da geholfen werden müsse, sollte er Schwanz und Haut darob verlieren, ach Gott, wie da die Hühner andachtsvoll herumstehen, die Hände falten täten, wenn sie deren hätten, und denken: »Ach, der hat recht, der meints gut, uf my Seel!« Und wie sie dastehen und hören und flennen und nachbeten wie in einer ABC-Schule und nicht merken, wie der Fuchs einem Huhn nach dem andern den Hals abbeißt, und es nicht glauben, wenn schon das Huhn daliegt und sie es selbst gesehen, daß es der Fuchs getan, bis er sie selbst in den Hals beißt; da käme ihnen der Verstand, wenn ihnen der Kopf nicht abgebissen wäre. Unter diesen Hühnern, wenn so ein Füchslein kommt, sind die allerdümmsten die Bauern und die Handwerker (Excusez!).

Fast hätte Eglihannes die Vehfreudiger gerührt, jedenfalls fanden sie seine Gesinnung schön, begreiflich, weil sie in ihren Kram diente, umgekehrt hätten sie dieselbe auch umgekehrt gefunden, nahmen seinen Vorschlag mit großem Mehr an, Ammann hin, Ammann her, der das sehr ungern hatte, denn er hatte wie Pontius Pilatus Winke erhalten von seiner Gemahlin, nur etwas schärfere. Der Sekretär mußte also den ersteren Herren absagen, und Eglihannes erhielt den Auftrag, seinem Freunde zuzusagen. Das war ein Fall, welchen die Frau Ammännin noch nicht erlebt hatte, eine Ohrfeige, gegen welche die, die der Ammann in Langnau ausgeteilt, nur ein zärtliches Tätscheln war. Solch eine Erkanntnis aus dem Himmelblauen, das heißt unerwartet, gegen seinen Antrag, hatte er noch nicht erlebt. Was fragte er einer Franke nach, er hätte viere gegeben, wenn seine Meinung durchgegangen wäre. Das war eine moralische Niederlage, welche ein Ammann so gut fühlt als Palmerston, der englische Fuchs, der zuweilen ein halber Böff und ein halber Jude scheint, eine Sorte von Geschöpf, die in der Naturgeschichte ihren Platz noch nicht gefunden. Wenn nur um Gotteswillen ein Schlemperlig (böse Folge) an der saubern Erkanntnis hinge, die Vehfreudiger es erkennen möchten, wer es besser mit ihnen meine, er, der Ammann, oder der Lumpenhund im Saubrunnen!

Besonders böse darüber war Felix, des Ammanns Sohn, der überhaupt seit einiger Zeit sehr unwirsch war und eine Schlägerei nach der andern hatte, so daß sein Vater sich genötigt fand, ihm zuzusprechen: »Los, Bub, zuweilen eine Ausmacheten steht einem Bauernsohn wohl an, und um ein paar hundert Kronen mehr oder weniger ists nicht gefochten. Zu meiner Zeit war es auch so; die Kläpfe gab ich, und je bräver ich sie gab, desto lieber zahlte sie mein Vater, aber zu gut machte ich es doch nicht, ich weiß, es ging von einem Schnittersonntag zum andern, daß weder Manne noch Weibel zum Hause kamen. Du aber treibst es seit einigen Wochen gar zu arg. Alle Montage stehen Anschicksmänner vor dem Hause; alle drei Tage hast du eine Freundlichkeit, alle Wochen mußt du vor den Richter! Das ist nichts gemacht, das kostet ein Sündengeld und macht dich verachtet. Alle halben Jahre eine vaterländische Schlägerei, daß einem Dutzend Gringe dFetze über dAchsle hange; es kostet Geld, aber das macht nüt, es git z'rede u macht ästimiert. Aber so all Tag eine Strupfete, einen hier überschlagen, einen Andern dort übers Bord geworfen, einen Dritten in einem Brunnen herumgezogen, das kostet ebenfalls ein Sündengeld, doch das machte sich noch, aber es macht nicht ästimiert, es macht verachtet, so z'strupfe wie dWyber, so all Tag es Täubbele so um nüt und wieder nüt. Das lasse mir gelten oder kannst selbst zahlen, und zähle darauf, ich will es dir verleiden; ich will Einigen den Taglohn geben, daß sie dich zur Tränke führen, bis du genug hast von der tauben Kuh.« So hatte der Vater gesprochen und Felix zugehört, und am nächsten Montag standen wieder zwei Männer in einer Ecke und fragten dem Felix nach, und der Vater fluchte mit Zorn im Gesichte und doch mit Wohlgefallen im Herzen.

Als nun Felix vernahm, wie der Eglihannes es dem Vater gemacht, dieser die Mühe gehabt und Eglihannes die Freude, da schoß es ihm durchs Blut wie ein elektrischer Strom durch die Gelenke, und Eglihannes wäre kaum auf seinen zwei Beinen heimgegangen, wenn er ihn alsbald in den Bereich seiner Finger bekommen. Aber Eglihannes ging nicht, wie man hätte erwarten sollen nach seiner bekannten Übung, in seine bekannte Pinte. Bis spät saß Felix dort, doch umsonst. Ein Nachtbub ist aber ungefähr wie ein Gemsjäger: er setzt nicht ab; fehlt ihm die Lauer, so versucht er das Beschleichen, und gerät auch dieses nicht, so setzt er heimlich Schlingen und Fallen. Nicht weit von Eglihannese Haus floß ein tiefer Bach, ein hölzerner Steg führte darüber. Es war lange über Mitternacht, als von dorther ein schreckliches Gebrüll erscholl, welches alle Nachbarn weckte. Anfangs wußte man nicht, schrie das Käfitier oder das Schaltier, und traute sich nicht recht, bis man endlich eine bekannte menschliche Stimme vernahm. Mit und ohne Nachtmütze, aber insgesamt mit Laternen machte man sich auf zur Hülfe und fand Eglihannes bis ans Kinn im Bach und mit Not an einem Bruchstücke des Steges sich haltend, ohne daß er sich weiterhelfen konnte, dazu fehlten ihm der Stand und der Verstand. Als man ihn endlich auf festem Lande hatte und den Schaden untersuchte, fand es sich, daß der Steg durchgesägt war und zusammenbrechen mußte, sobald eine schwere Person ihn betrat. Gräßlich fluchte Eglihannes und schwur hoch und teuer, der Frevler müsse ihm in den nächsten vierzehn Tagen gehängt sein, es geschah aber nicht. Er schrieb keine Gratifikation für den Anzeiger aus, er liebte die Öffentlichkeit gar nicht. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß wenn einer in den Wald ruft, es gern Echo gibt, die unheimlich werden. Am Morgen hätte er gern etwas gegeben, hätte er sich stillschweigend aus dem Bache zu helfen gesucht; aber wenn man den üblichen Stand nicht hat, so fehlt die nötige Fassungskraft. Er stellte sich nun als Märtyrer dar für die gute Sache. Die Leute gaben ihm recht und bedauerten ihn sehr, hinter seinem Rücken aber lachten sie und sagten: Der Iltis hätte einmal die Falle abgetrappet, es hätte längst so sein sollen. Jedermann wußte, daß Felix die Falle gestellt, aber es geht zuweilen so, daß je bekannter eine Sache ist, um so weniger man sie richterlich macht. Der Ammann tat, als wüßte er nichts darum, die Ammännin dagegen sagte zu Felix am folgenden Abend im Vorbeigehen, es sei dann was für ihn im Stübli, und als er hinging, stand dort ein prächtiger Eiertätsch zweg und ein Glas von der Ammännin altem Magenwein.

Nun wird so ein Käslaie glauben, mit dem Verkauf sei alle Herrlichkeit zu Ende und das Käsjahr geschlossen; er täuscht sich gar sehr, denn erst jetzt kommt das Wichtigste, und namentlich folgen vier Haupttage nahe auf einander, ungefähr wie Pankraz, Servaz und Peregrin: das ist der Käswäget, das Käsführen, die Abteiltig und die Abrechnung. Bis Michelstag oder Altmichelstag dauert das eigentliche Käsen, welches das sogenannte Mulch ausmacht. Je eher man sie dann dem Käufer einwägen und zuführen kann, desto lieber ist es natürlich den Verkäufern; die Arbeit mit dem Salzen, somit auch der Salzverbrauch hören auf, und endlich kommt gewöhnlich Geld unters Loch, ein Dritteil oder die Hälfte der ganzen Summe. Um beim Wägen sich nicht zu verschießen, wird zumeist ein Vorwägen vorgenommen, es ist nicht unnötig. Es ist schon begegnet, daß man dreimal wog und bei vielen Zentnern nie das gleiche Gewicht finden konnte.

Die Gewohnheit stumpft alles ab, und wo lange schon eine Käserei besteht, da weiß man fast gar nicht, wann Käswäget ist, oder stellt sich wenigstens in vornehmer Gleichgültigkeit, als ob man es nicht wüßte. »Es nimmt mich nicht wunder«, sagt wohl einer, »werde es früh genug vernehmen, es lohnt sich ja nicht mehr der vielen Mühe und Not für so wenig Geld«, und während er das sagt, rechnet er im Kopf, wieviel es ihm ziehen möge, und zählt im Hosensack mit den Fingern nach. Wo aber zum ersten Male die Operation vor sich geht, da ist die Spannung groß und der Gwunder noch größer. »Mutter«, sagte am Morgen die kleine Gäxnase und schnellte seitwärts das Maul in die Höhe, »Mutter, gib mir brav zMorge und e tolle Bitz Brot! Sacker, hüt gits z'luege, un es nimmt mih wunger, ob ih nit ernäsele, wer dr größt Schelm isch u wo dr meist Bschiß!« Der Kleine bildete sich prächtig aus zu einer der radikalen Naturen, welche in jedem Mitchristen, welcher nicht ihrer Meinung ist oder mehr ist als sie, einen Schelm und Spitzbub sehen und a priori verleumden; er hat die besten Aussichten, sobald er seine Nase nur halb verständig zu behandeln weiß, Großrat, Kommandant, Amtsrichter und der Schinder weiß was zu werden.

Eglihannes hatte sich wieder getrocknet und stolzierte schon lange herum mit seinem glücklichsten Gesichte, ehe der Käsfürst daher gerasselt kam. Der Hauptwitz bei seiner Erscheinung war eine große Geldkatze, welche er aus der Chaise nahm und sehr sichtbarlich und mit auffallender Anstrengung ins Haus trug und dem Wirte übergab. Die liebe Jugend draußen sah das mit Erstaunen, einen solchen Bündel Geld hatte sie noch nie gesehen, sie werweisete den ganzen Morgen, wieviel hunderttausend Pfund darin sein möchten. Drinnen bei einer rasch getrunkenen Flasche Roten winkten Eglihannes und der Herr einander lachend zu. »Gell«, sagte der Letztere,»denen war ich schlau genug. Die dachten nicht daran, als sie mit den jungen Lümmeln sich verabredeten, daß ich meine Ohren zmitts am Kopfe habe; so muß man es denen Batzenklemmern machen. Die kenne ich, die haben es wie die Birnen: heute scheinen sie steinhart, morgen sind sie dreckteig.« »Ja, dSach ist gange, aber ds Bad habe ich ausfressen können, wie man zu sagen pflegt. Den Steg hat man mir gerichtet, daß ich bald ersoffen wäre wie Pharao im Roten Meere. Du vergissest mich doch dann nicht?« sagte Eglihannes. »Habe nicht Kummer, es ist mir für ein andermal«, antwortete der Herr. »Mit dem Ausschauben mach es nicht zu grob, ich habe es ihnen so süß als möglich gemacht«, meinte Eglihannes. »Allweg wird es deren geben, und was nicht ganz gut ist, nehme ich nicht, ich gebe nicht umsonst eine Franke mehr als die Andern. Da muß ich zu mir selbsten sehen«, antwortete der Händler, »auf ein Dutzend auf oder nieder kommt es denen Knubeln weniger an als mir.« »Wenn es zu grob geht, so wollte ich lieber mit der Sache nichts zu tun gehabt haben. Der Zorn geht über mich aus, ich muß es abtun«, meinte Eglihannes kleinlaut und mit einem Gefühl, als wäre er schon wieder im Bache. »Fressen werden sie dich nicht«, sagte sein Freund, »und weißt was? Sage mir recht wüst, so aus dem ff, so merkt niemand etwas und trägt dirs nach. Doch komm, ich muß pressieren, so viel Käse sind nicht rasch gewogen. Wirt, daß du mir mit dem Geld nicht nach Amerika läufst, den andern Schelmen nach!« »Habe nicht Kummer«, sagte der Wirt; »wäre nicht ruhig dorten vor dir, weiß wohl, du kämest bald auch dem Kameraden nach.«

Ein Käsgaden gleicht keinem Grümpelgemache, keiner Wohnstube in einer Pintenwirtschaft, keiner Gemeindeschreiberei und keiner Studierstube eines gelehrten Huhnes; in einem solchen Käsgaden ist eine Ordnung, wie man sie selten in königlichen Bibliotheken findet, und nicht bloß Ordnung, sondern auch Reinlichkeit. Von Staub ist da keine Rede, da ist alles blank, und selbst in den Ecken findet man keinen zusammengewischten oder vergessenen Kehricht. Ihrem Alter nach liegen die Käse da, groß und gewaltig, und doch in gefälliger Form und appetitlich anzusehen. Wer zum ersten Male in so einen Käsgaden oder Kässpycher tritt, wird überrascht durch eine Art von Eleganz, welche so einen Käsgaden vor manchem trübselig verschossenen Salon auszeichnet. Der Senn nimmt Käs für Käs mit starkem Arme herunter, der Händler wirft einen Blick darauf, einen längern oder kürzern, und je nach seinem Gefallen zeichnet er ihn mit seinem Zeichen oder schiebt ihn beiseite, wenn er das Ausschießen sich vorbehalten. Je nachdem er es beschränkt auf eine gewisse Zahl oder unbeschränkt getan, geschieht dieses Ausschießen mit größerer oder geringerer Bedächtigkeit. Die rechten Käshändler haben aber einen so geübten Blick, ungefähr wie ein Instruktionsmajor, der in einer langen Fronte mit einem Blicke jeden Soldaten sieht, der einen angelaufenen Knopf hat oder nicht das Gehörige im Hafersack.


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