Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Dieser Tubak war für die Vehfreudiger wohl scharf. Der Käsbub, wie sie ihm sagten, hatte so scharf geschossen, daß seine Kugel, an jedem Hause abspringend, durchs ganze Dorf tanzte. Man mißbilligte die, welche den Käs gezeigt, gar sehr, daß sie ihn nicht abgeschlagen, bis er wie ein Krauttätsch geworden. Wenn noch einer komme, so solle man diesem gleich für Zwei geben, es sei nur für das schade, was nebenbei falle. Aber es kam Keiner mehr, selbst am Bettag kam Keiner. Da ward es Einigen doch etwas schmal zumute. Sie dachten, es könnte doch vielleicht fehlen, und wenn sie den Käs selbst essen müßten, würden ihnen die Weiber so räß und scharf, daß der Teufel es bei ihnen nicht aushalten könne; seien sie doch jetzt schon, was es ertragen möge.

Am ärgerlichsten war die Geschichte dem Bauer im Nägeliboden. Er und seine Frau hattens die ganze Zeit über bös gehabt, nicht wegen der Milch, die hatten sie sich gegönnt, sondern wegem Gelde, das hatte ihnen gefehlt in allen Ecken. Sie hatten viel mehr Milch geben können, als sie daran gedacht. Während sie bei den Andern gegen das Ende immer mehr und mehr abtropfte, hatte sie bei ihm bedeutend gemehrt, er hatte die angenehme Aussicht auf Milch im Winter und versorgete Kühe im Stalle. Er hatte Gras genug gehabt, konnte seine Kühe füttern, daß sie bei der Milch blieben. Aber daß es versilbert werde, daran war ihm alles gelegen, denn verfallene Zinsen warteten und sonst allerlei, wozu Geld nötig war, welches er nicht hatte. Er allein wahrscheinlich hatte ein sicheres Urteil über den Stand der Dinge und wußte, daß sie auf den höchsten Preis nicht Anspruch hätten, ihr Mulch nicht das schlechteste sei, aber sehr gewöhnliches Mittelgut, welches sich billig absetzen ließ und so einen Ertrag gewährte, mit welchem Sepp sehr wohl zufrieden war. Löste er auch nicht zwölfeinhalb oder gar dreizehn Rappen aus der Maß Milch, so nahm er auch mit zehneinhalb oder elf vorlieb und erhielt immer noch eine schöne Handvoll Geld, denn er hatte bei vierzig Säumen oder sechzehnhundert Zentner Milch abgegeben. Er war eben nicht sein Lebtag in der Vehfreude gewesen, hatte sich ein unbefangenes Urteil erworben, übrigens ihm auch ein Freund mitgeteilt, wie die Käshändler über sie spotteten, wo sie hinkämen, und was sie über die Beschaffenheit ihres Mulchs urteilten. In die Leitung hatte er sich nicht gemischt, wie er überhaupt ziemlich für sich selbst lebte, ganz nach der Meinung der Reichen: daß so einer, der mit sich selbst genug zu tun hätte, sich nicht in Sachen mische, welche ihn wenig angingen. Nun ward es ihm doch etwas angst, als er die Wendung der Dinge sah. Er schlug beim Hüttenmeister und andern Großen auf den Busch, um ihre Stimmung zu erfahren. Er fand sie alle auf hohen Rossen, schrecklich kühn gesinnet, absonderlich auch Eglihannes. Je weniger Geld ist, desto mehr Aussichten gibt es auf kühne Händel für solch Gezüchte, Vaterlands- und Volksfreunde. Drehen lasse man sich nicht, man vermöge die Käse zu behalten, keinen Schritt versetze man deswegen, drückte man ritterlich sich aus. Jä, das war Sepp nicht recht, und Andern sei es ebenso, dachte er. Er klopfte auch bei den Kleineren an und fand es, wie er gedacht. Man muckelte hier, man muckelte dort, bis endlich am Bettag auf den Abend noch Käsgemeinde angestellt wurde.

Selben Abend wurde des Ammanns Stube voller als manche Kirche vor- und nachmittags; da fehlte Keiner. Wäre einer krank gewesen, sein Weib wäre für ihn eingestanden, obgleich das Reglement in keinem einzigen Paragraph was von Weibern hatte. »Jetzt, was machen?« fragte der Hüttenmeister. »Viele haben die Käse besehen, man hatte nichts anderes zu tun gehabt als mit den Schlüsseln zu laufen und dene Hagle vorzuspringen und nachzutrappen. Aber Keiner war käufig, Keiner tat ein Gebot, die Herren wußten nichts anderes zu sagen als: Kommt nach Langnau, und weiters brachte man aus den Maulaffen nichts heraus als böse Worte, wo man ihnen den Marsch machte und sagte, was sie für Maulaffen seien. Jetzt, was machen? Will man sich zwingen lassen, oder will man zeigen, daß hier auch noch jemand daheim sei?« Der Gegenstand war etwas seltsam in Frage gestellt, aber doch nicht auf eine bei Ammännern und andern Majestäten seltene Weise. Doch die Diskussion brachte die Versammlung alsbald auf den richtigen Standpunkt. Es wurden aber diesmal nicht lange Reden gewechselt, so wie sie die Fürsprecher halten, sondern es waren kurze Lanzenstöße und rasche Pistolenschüsse in Form von Stoßseufzern. Es zeigte sich bald, daß die Großen und Kühnen, welche Trotz bieten wollten, in der Minderheit waren. Freilich sprachen sich Viele scheinbar ganz in ihrem Sinne aus: man müsse es ihnen zeigen, hier seien keine Hungerleider usw. Indessen, sagten sie, könne man doch einen Ausschuß machen nach Langnau, zu sehen, wie es gehe; das werde keine Schande sein, es sei noch lange nicht anegchneuet (auf die Knie gefallen). Ja freilich, das hülfen sie auch nicht. Dazu könne er auch stimmen, meinte Eglihannes, und hülfe die schicken, welche zuletzt den Käs gezeigt; sie könnten erfahren, wie weit man komme mit Wüsttun. Aber wohlverstanden, ihm sei es recht, die Käse zu behalten, es sei nicht, daß er das Geld so übel nötig hätte. »Möglich«, sagte einer, »und wenn du nicht hast, hat der Mani im Galgenmösli. Aber ehe ich mit dem was haben möchte, hülfe ich die Käse geben ums halbe Geld.« »Warum, was ist denn das für einer?« fragte Eglihannes rasch, in der Hoffnung, an einem Schelthändelchen sich zu wärmen. »Brauche es dir nicht zu sagen, weißt selbst am besten, was er ist«, war die ungenügende Antwort.

Kurz es trat sichtlich eine gewisse Längizyti oder Sehnsucht nach Geld heraus, auch bei Solchen, welche es so nötig nicht hatten. Wir haben es gar kurios mit ausstehenden Geldern, sie beschäftigen unsere Gedanken mehr als zu erwerbende, sie erregen ein gewisses Bangen gleich abwesenden Kindern oder solchen, welche nachts nicht heimkommen wollen. Es dünkt uns immer, wenn wir sie nur schon hätten, ja sie nur sehen könnten, wenn auch von weitem, nur der Angst enthoben wären, sie könnten unglücklich werden oder gar verloren gehen; wenn wir daher schon etwas opfern müßten, um sie endlich zu haben, dem Bangen los zu sein, wir täten es von Herzen gern. Nun hatten die Vehfreudiger schon lange und besonders den Sommer über so oft sagen hören: Käs sei wie bares Geld, ja noch besser, Geld könne gestohlen werden, so ein ganzer Kässpycher samt dem Käs könne einem doch nicht in einer Nacht unbemerkt fortkommen. Jetzt wollte man aber doch den Glauben in der Erfahrung bewähren, wollte ihn als bares Geld sehen, wollte zu seiner Frau sagen: »Lue, was fürn e Donnstigs Büntel, lüpf, u hesch geng balget!« Das lag im Grunde, Keckheit schwamm obenauf, Klugheit lavierte in der Mitte, und schließlich ward demnach beschlossen, doch dem Rufe »Kommt nach Langnau!« zu folgen und Ausgeschossene zu machen. Wieviel? Sieben, ward endlich erkannt, von wegen dem Glauben zu einander. Je mehr seien, desto weniger lohne es sich der Mühe, zu betrügen, oder desto eher brächte es einer dem Andern aus, muckelte man. Diesmal kam begreiflich der Ammann voran, Eglihannes wurde ausgelassen, weil er es zu gut mit den Herren zu können schien und selbst gern einen Herrn vorgestellt hätte. Der, welcher aufbegehrt und allenthalben es geheißen hatte: »Gut gebrüllt, so recht«, wurde ebenfalls ausgelassen, denn man habe Exempel an andern Orten, daß gerade Solche jeden Handel verderben, zu gut könne man es auch machen. Und so einer, der zu aufbegehrisch sei oder zu vorteilhaft, schade einer Käsgesellschaft oft mehr als ein schlechter Senn und das schlechteste Mulch. So wankelmütig ist des Volkes Gunst und Meinung!

Dagegen ward der Nägelibodenbauer in den Ausschuß erwählt. Alle, denen es in den Fingern nach dem Gelde juckte, gaben ihm ihre Stimme. Er war ganz verstaunt darüber, und Eglihannes brummte: Wenn man Solchen die Stimme gebe, werde die Sache schon gut kommen! »Allweg so gut, als wenn man sie dir gegeben hätte. Soviel bekannt, hat der Nägelibodenbauer noch niemanden beschummelt oder betrogen«, tönte es wieder. »Was, habe ich jemanden beschummelt und betrogen?!« fuhr Eglihannes auf. »Von dem habe ich nichts gesagt«, antwortete der Mann kaltblütig. »Du hast gesagt, der Nägelibodenbauer habe noch niemanden beschummelt und betrogen!« schrie Eglihannes. »Hat er etwa?« antwortete der Bauer. »Habe ich jemanden betrogen?« fragte Eglihannes. »Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte der Mann, »aber wenn jemand es sagte, ich glaubte es, und dagegen wirst nicht viel machen können, denn es hat ja heutzutage jeder das Recht, zu glauben, was er will.« Der Präsident machte dem Scharmützel ein Ende, indem er sagte, man solle sich aussprechen, was man den Ausgeschossenen befehlen wolle. Das so bekannte Wort Instruktionen war in der Vehfreude noch nicht mundgerecht. Nach vielem Hin- und Herreden lauteten die Instruktionen endlich so: man solle den höchsten Preis nehmen. Solle sich nach Kauf und Lauf richten. Gut sei es, wenn man verkaufe. Wer nach dem Langnauer Markt seine Käse noch habe, der werde erst recht geklemmt. Könne man sie aber nicht verkaufen, so solle man sie behalten, bis die Kuh einen Batzen gelte.

Man sieht, die Instruktionen waren fast so fein, als wären sie diplomatisch, das heißt man konnte sie nehmen, wie man wollte, alles nach Verstand und Umständen. Voll Gedanken, aber nicht Buß-, sondern Käsgedanken, ging am selben Bettagabend jeder nach Hause. Es war überhaupt eine gedankenvolle Zeit, und im ganzen Käslande wurde sicherlich das ganze Jahr über nicht so viel gedacht und gesinnet als in den Tagen zwischen dem Bettag und dem Langnauer Markte.

In ihren Stübchen hielten die Käshändler großen, aber geheimen Rat. Sie stehen aber, beiläufig gesagt, noch nicht auf einer hohen Stufe der Entwicklung und politischer Mündigkeit, ihre Sitzung war nicht nur nicht öffentlich, sondern sie haben noch gar nicht daran gedacht, sie öffentlich zu machen. Auf seinem Stühlchen sitzt der Herr und Meister und zitiert seine Geister, die Talgeister und die Berggeister, die Geister, die in den Tiefen krochen, und die, welche über die Höhen strichen. Sie kamen sämtlich mit ihren Carneten, buchstabierten ihre Notizen und gaben sonst noch Bericht dem Herrn und Meister. In denselben stand aber gar nichts von Küherstöchtern, sondern bloß von Käsen und welche Konkurrenten hier oder dort im Wege sein möchten.

Da ward ernstlich getagt von den Käsfreunden, und zwar fast im Finstern; man zeichnete die Mulchen, welche man vor allen haben wollte, berechnete ungefähr ihr Gewicht, bestimmte die Zahl der Zentner, welche man ungefähr kaufen wollte. Begreiflich, auf einige hundert Zentner mehr oder weniger konnte man diese nicht feststellen; das hing davon ab, ob die Preise sich drücken ließen oder in die Höhe gingen. Und dieses hing wieder nicht ganz von den Käshändlern ab, auch wenn sie sich mehr oder weniger verständigt hatten, wie sie es zu großem Ärger der Käsbauern pflegen sollen. Indessen gibt es unter den Käshändlern Judasse so gut als unter den Weinhändlern. Bekannt ist der Witz eines der Letztern, der erst ein sehr großes Quantum Wein schon vor der Weinlese zusammenkaufte, dann plötzlich den Wein eines kleinen Rebgutes einen Kreuzer teurer, und zwar mit Vorsorge für die größtmögliche Öffentlichkeit und Verbreitung dieses kleinen Kaufes oder vielmehr dessen hohen Preises. Plötzlich hieß es allenthalben: Der und der hat so teuer gekauft, der ist ein Schlaukopf, weiß, was er macht. Augenblicklich kam Hitze in die Leute, die Preise gingen rasch in die Höhe, jeder wollte noch etwas haben, denn der Wein werde teuer. Warum, wußte niemand zu sagen. Als er genug gestiegen war, verkaufte der Schlaukopf alles, was er eingekauft, steckte einen sehr schönen Profit, wahrscheinlich die Aussteuer einer Tochter, in die Tasche; satt und sanft gingen die Preise wieder herunter, und ein freundliches Lächeln schwebte über ein Vierteljahr lang auf des Schlaukopfs Gesicht, als ob er wirklich nicht bloß alle Morgen und alle Abend im »Himmlischen Vergnügen« lesen täte, sondern es wirklich schon im Herzen empfinde.

Nun, so arg treiben es die Käshändler nicht, schlagen jedenfalls nicht auf diese Weise los, das heißt soviel man weiß. Sie verkaufen das Meiste außer Landes, und was sie dort treiben, wer Gugger weiß das? Ganz sicher des Preises sind sie also nicht, müssen daher auch auf Zufälligkeiten gefaßt sein. Nachdem sie die erste Sorte erwogen, gehen sie hinter die zweite, die dritte überlassen sie mehr oder weniger dem Zufall, das heißt sie sagen, deren sind genug, man nimmt daraus, was man am billigsten haben, die Gedinge nach Gutfinden bestimmen kann. Seitdem der Käshandel die große Ausdehnung gewonnen hat, gibt es Käufer, welche wegen geringerem Absatz nicht so große Käse begehren oder deren gröbere Gäste auch mit gröberem Käse vorlieb nehmen und ihn doch vortrefflich finden, daher für Solche auch gesorgt werden muß, und zwar nicht so aus bloßer Gutmeinenheit und weil auch der liebe Gott seine milde Hand auftut über alles Vieh, was da lebt, und jedem Speise gibt nach seiner Sorte, sondern vielleicht ist gerade hier der meiste Profit.


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