Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel

Von Rossen und von Herzen,
von Zorn und von Liebe

Da kam ungsinnet ein Roßhändler, suchte ein paar Kutschenpferde und zeigte Gefallen an Felix' Braunem, fragte, ob man anfällig einen Gespanen wüßte; wenn man ein Paar machen könnte, es lohnte sich der Mühe, das wäre was für nach Mailand. Felix hatte niemanden bei der Hand, den er in den Nägeliboden hätte senden können; der Vater war nicht zu Hause, er mußte selbst mit dem Roßhändler gehen, und es ward ihm wirklich nicht schwer; so einem Bauernsohn von rechtem Schlage verschlingt die Aussicht auf einen guten Handel alle anderen Rücksichten.

Der Braune im Nägeliboden machte einen so guten Eindruck auf den Roßhändler, daß er ihn im ersten Augenblick gar nicht verbergen konnte. Felix mußte den seinen holen zu näherer Vergleichung. Da fand sich eine wunderbare Ähnlichkeit, fast zum Verwechseln, nur stellte der eine seine Ohren etwas anders, und der andere hatte ein nur ein wenig größeres weißes Zeichen auf der Stirne. Jetzt hatte der Roßhändler sich wieder gefaßt, machte seine Ausstellungen, gab Bedenken von sich, ließ trablen, trotten, Füße aufheben und wie die verschiedenen Proben alle heißen, welche von Kundigen angewendet werden. Endlich kam er zum Schluß: Wenn schon nicht alles sei, wie es sein sollte, so könnte man doch die beiden Pferde zu einem Paare machen, wenn man des Preises einig werde. Felix hatte während dem ganzen Handel, so sehr derselbe ihn in Anspruch nahm, sich immer verstohlen nach Änneli umgesehen, doch umsonst, von demselben war keine Spur. Die Bäuerin war einige Male unter die Türe getreten, der Handel interessierte sie, einige Dublonen mehr oder weniger waren ihr nicht gleichgültig.

»Und jetzt, was sollen sie kosten? Macht mir den Preis!« sagte der Roßhändler. Da kam Änneli daher, und gar bleich und mager, wie es Felix vorkam. Änneli hatte Salz geholt und dabei einen kleinen Umweg gemacht. Es war, es wußte selbst nicht warum, gleichsam aus innerer Nötigung, bei des Ammanns Haus vorbeigegangen. Gar wunderlich war es ihm dabei im Gemüt; das Haus gefiel ihm so ausnehmend, alles schien ihm schöner als an andern Orten, es durfte fast nicht hinsehen, und doch schielte es nach allen Ecken, als ob es irgend eine Entdeckung machen möchte. Die Frau Ammännin sah es; sie trat unter die Küchentüre und sprach mit ihm gar freundlich, wollte es heißen etwas absitzen bei ihr, was aber Änneli abwies. Es hätte gern entsprochen, aber es wußte wohl, was man in der Vehfreude auf einem Mädchen hielt, welches auf einem Gange, und namentlich vor dem Feierabend, bei jemanden absitzt, um zu klappern. Stehend klappern und sich säumen geht noch an, kann verziehen werden, aber fürs Absitzen am lieben Tage, dafür gibt es keine Gnade. »So komm ein andermal«, sagte die Frau Ammännin freundlich, »wenn du besser Zeit hast, hörst!« Änneli taten die Worte gar wohl, und wenn es schon keine Entdeckung machte in irgend einer Ecke, so ging es doch ganz vergnüglich heim. Da stand nun Felix dick und breit ungsinnet vor ihm; es erschrak sehr, und das machte ihns bleicher, als es sonst noch war. Es grüßte und ging rasch vorüber; ob Felix ihm dankte, hörte es nicht einmal recht, es pochte gar zu stark in ihm. Auch Felix war verblüfft, und wenn er ihm auch nicht gedankt, so sinnete er ihm doch nach; er ward ganz zerstreut im Handel.

Felix mußte seinen Braunen in den Stall stellen; dann führte der Bauer ihn und den Roßhändler in die Stube, die Bäuerin stellte Brot und Kirschenwasser auf, und der Handel begann. Sie hatten hoch angeschlagen: zweiundsechzig Dublonen heusche, für sechzig la, lautete die Abrede. Felix war aber nur mit halbem Ohr beim Märten, das andere lauschte nach der Küche oder dem Stübli hin, je nachdem er hier oder dort weibliche Stimmen zu vernehmen glaubte. Endlich stand er auf. »Wo willst?« fragte der Bauer. »Pfeife anzünden«, war die Antwort. »Dort auf dem Buffert sind Zündhölzli«, sagte Sepp. Aber Felix hörte es nicht, sondern ging in die Küche, dort war für ihn das rechte Feuer. Das Pfeifeanzünden ist gar kein so unbedeutendes Ding, als man meinen sollte, es hat schon zu gar großen und wichtigen Sachen geführt.

Felix hatte sich nicht getäuscht. Bethi und Änneli standen beisammen und rüsteten das Abendessen. »Ist es erlaubt?« sagte er, griff nach einem Span, grübelte eine Kohle aus dem Feuer und praktizierte sie auf die Pfeife. »Was hülfs jetzt, wenn ich es nicht erlauben wollte? Du hasts im Brauch, zuzufahren, und fragst nicht viel darnach, ist es einem anständig oder nicht«, antwortete Bethi. »Das wird sollen gehauen oder gestochen sein«, sagte Felix. »Meinetwegen, ich werde es so annehmen müssen. Daneben ist mir leid, wenn ihr mir die Worte aufgelesen und übel genommen. Ich meinte es nicht bös und wollte das Meitschi nicht beleidigen oder gar verdächtigen, wie es mir geschienen, daß man die Sache nehmen wolle. Habe dazu ja gar keine Ursache. Es machte mich bloß böse, daß Eglihannes so ungeschlagen davonkommen sollte«, polterte Felix. »Aber dem wird es doch noch eingetrieben, denkt nur, ich habe es gesagt.« »Nit, nit so«, sagte Bethi, »fang nicht Unheil an; es dünkt mich, dÜbersünigi (Übermut) sollte dir afe vergangen sein, es wäre Zeit. Und nimm nit für ungut, aber du bist da dem Eglihannes aufsätzig ungerecht; da soll er allein schuld sein an einer Sache, woran ihr alle schuld seid, einer wie der Andere, ich mag nichts hören.« »So, bist du dabei gewesen, daß du es besser wissen willst als wir?« fragte Felix. »Ume nit so prüßisch«, sagte Bethi. »Ich war nicht dabei, aber ich weiß doch besser als ihr alle, wie es zugegangen. Ihr waret alle besoffen! Eglihannes wollte nicht ausweichen, du aber vorfahren im hellen Sprung; da kam das Meitschi ungsinnet dazwischen, konnte wegem Hag nicht fliehen, wurde von den Rossen überschossen, und jetzt sag, wer hat die eigentliche Schuld?« »Ich sehe wohl, ihr habt gute Lust, mir den ganzen Handel aufzubürden, und zuletzt werde ich noch gutmachen sollen«, brummte Felix. »Schäm dich und geh, wenn du so kommen willst«, sagte Bethi; »es hat dir ja noch niemand etwas abgefordert; wenn wir so was im Sinn hätten, wir würden es wohl schon gesagt haben! Es war halt ein Unglück, so nehmen wir es, sind froh, daß die Schwester gut davonkam, begehren deswegen niemanden zu brandschatzen, nur daß man sie jetzt ruhig läßt und nicht noch obendrein zum Dank plagt und quält.« »Schwester«, sagte Änneli, »Felix hat ja gesagt, er habe es nicht böse gemeint, wir sollten ihm die Worte nicht auflesen, und wirklich hat er keine Schuld; es war ja Nacht, er konnte mich nicht sehen, und es ist ja möglich, daß ich umgefallen, als ich fliehen wollte, ohne daß die Rosse mich angerührt. Man sollte jetzt die ganze Sache vergessen, und ich habe Ursache, dem lieben Gott zu danken, daß ich so gut davongekommen, und der Schwester und dem Schwager, daß sie so gut zu mir gesehen. Und du auch, Felix«, setzte Änneli hinzu; »zürn mir nicht! Ich habe ja alle Ursache, dir zu danken, und es dir noch nicht vergessen, wie gut du gegen mich warst. Ich glaube, die Buben hätten mich zu Tode geplagt, wenn du nicht gewesen wärest.«

Das waren für Änneli sehr gewagte Worte, und es hätte dieselben sicher nicht hervorgebracht, wenn nicht die Angst, Bethi mache Felix böse, ihm Kraft gegeben. Da ging die Türe auf, und der Nägelibodenbauer rief: »Du zündest mir wohl lange die Pfeife an! So, bist aber hinter dem Weibervolk; komm, ehe ihr einander wieder in den Haaren seid! Er will für alle Gewalt nicht mehr geben als sechzig Dublonen und für jedes Roß ein Trinkgeld, wenn wir sie ihm nach Solothurn bringen. Was meinst? Oder willst noch gehen den Vater fragen?« »Nit nötig«, sagte Felix. »Aber wenn wir die Rosse nach Solothurn bringen müssen, so müßt Ihr uns das Mittagessen zahlen und zu trinken genug«, sagte Felix jetzt zu dem Händler, denn er hatte den Märttüfel ebenfalls im Leibe und es hätte ihn nicht leben lassen, wenn er nicht auch noch etwas erzwungen und erpreßt hätte. »Meinethalb«, sagte der Roßhändler, »das soll den Handel nicht brechen; obgleich es mich dünkt, wenn man dreißig Dublonen für ein Roß löset, vermöchte man selbst das Mittagessen zu zahlen.« »Und wenn wir nur dreißig Batzen lösten oder gar keinen, so vermöchten wir es, wenn wir wollten, aber das wollen wir eben nicht«, sagte Felix, der in solchen Punkten eine kitzelige Haut hatte.

Es war ein prächtiger Handel; Felix mochte nicht warten, bis er ihn dem Vater unter die Nase gehalten. Derselbe hatte gesagt: »Tut nicht dumm und vermärtet; wenn ihr achtundzwanzig Dublonen habt, so ists allen Handel, zählt darauf.« Und jetzt zwei Dublonen mehr! Das war ein Ereignis, welches Felix sein Lebtag nicht vergessen, sondern es zum Besten geben wird, solange er lebt und beim dritten Schoppen sitzt. Indessen, noch viel mehr als dieser prächtige Handel erquickte es Felix innerlich, daß er mit dem Weibervolk im Nägeliboden Frieden gemacht, daß Änneli ihm z'best geredet, daß es nicht vergessen, wie er ihns in Schutz genommen. Unter Tausenden, dachte er, dächte Keines so lange an so etwas, und daß eines die Andern liberiere und die Schuld auf sich nehme, selb habe er noch gar nicht erlebt.

Zum Überfluß rühmte noch selben Abend die Frau Ammännin das Meitschi über Tisch. Es wäre gut, es nähmten alle ein Exempel an ihm, sagte sie; immer so reinlich und sauber wie aus einem Druckli, und doch nichts Narrochtiges und Nütwertiges, und immer pressiert und doch freundlich und manierlich. Das habe es nicht wie viele Andere, die, wenn sie mal vors Dachtrauf kämen, es hätten wie eingesperrte Schwalben, die, wenn man sie im Herbst losließe, nicht wiederkämen bis im andern Frühling, wenn sie über Meer gewesen, und die, wenn man ein Wörtlein zu ihnen sage, die Füße verstellten, als wollten sie da anwurzeln und stehen bleiben bis drei Tage nach dem Jüngsten, daß man nicht von ihnen kommen könne, als sei man in einen Korb voll Harz gesessen. Das war mit dem groben Spieß gestichelt; die Betreffenden fühlten den Stich und gaben Laut. »Ich kann mich auf das Meitschi nicht verstehen«, sagte die Meisterjungfere, »es darf niemanden recht ansehen; ich habe nie gehört, daß das ein gar gutes Zeichen sei. Selb ist wahr, aufgepützerlet kommt es immer daher; es wird daheim öppe nit viel anrühren und niemanden haben, der ihns ins Wüsteste hineinstößt. Daneben laufen in Bern Sonn- und Werktags viele aufgeputzte Mädchen herum, aber ich habe noch nie gehört, daß dies die brävsten seien. Pressieren tuts, das ist wahr, es wird wahrscheinlich immer meinen, es warte ihm jemand daheim. Es wissen öppe alle Leute, wie es im Nägeliboden zugeht und warum e Teil Lüt dorthin gehen.« Dazu warf die Meisterjungfere anzügliche Blicke über den Tisch, und die Untermagd lachte laut und sagte: »Lisi hat recht, mir ists auch so; es hassen es nicht umsonst alle Leute, und die Buben steinigten es, wenn es Milch in die Käserei brachte, und wie es im Lied heißt, wird das auch seinen guten Grund haben.«

Dem Felix schwoll der Kopf, als sei er ein Stück von einem welschen Hahn, aber zum Kollern kam er nicht; die Frau Ammännin sagte: Sie habe immer gehört, daß je schlechter der Mensch sei, er desto mehr Böses den Andern nachrede. Sie sei auch schon im Nägeliboden gewesen und habe nichts Böses dort gesehen, wohl aber eine bessere Ordnung als an den meisten Orten, und sie wollte auch, daß wenn sie jemanden fortschicke, derselbe nicht vergessen täte, daß ihm jemand daheim warte. Aber sie kenne Leute, man könne ihnen lange sagen: »Komm auf der Stelle wieder, ich habe dich nötig, ich warte auf dich«, sie kämen nicht wieder, bis sie der Hunger wieder herbeitreibe. Die Prise war stark, die Jungfere schwiegen, denn mit der Frau Ammännin händelte nicht bald eine, sobald sie sah, daß es der Frau ernst sei. Die Knechte mischten sich nicht in die Sache, aber zäpfelten sehr; sie mochten die Prise den Mägden wohl gönnen und nahmen dabei nichts für sich. Sie mochten vielleicht auch merken, auf welcher Seite Felix war, und mit diesem verdarb es kein Knecht.

Es ist wohl nichts gefährlicher als das Zanken, welches aus der Liebe stammt. Bei älterer Liebe erzeugt es gern Brüche, welche sich am Ende gar nicht mehr leimen lassen; bei junger Liebe, welche noch im Wachsen und Entfalten begriffen ist, führt es zu Friedensschlüssen. Diese Friedensschlüsse sind der Liebe ungeheuer förderlich, sie verleiten dieselbe zu großen Sprüngen, sie sind ihr, was heiße Gewitternächte den Pflanzen. Bei Friedensschlüssen werden Zugeständnisse gemacht, und wenn nicht, so meint doch jedes es erzeigen zu müssen, wie leid ihm der frühere Streit gewesen und wie glücklich ihns jetzt der Friede mache, und wenn auch die Füße sich noch nicht so recht öffentlich entgegenhüpfen, so tun es doch die Herzen, sie kommen sich so nahe, man weiß nicht wie, so nahe, daß sie ganz unvermutet und unerwartet aufeinanderplatzen, wie man gegenwärtig nach einem neu erfundenen, schönklingenden Kunstausdrucke sich auszudrücken pflegt.

Felix hatte jetzt noch mehr als sonst im Nägeliboden zu tun, natürlich ward er mit dem Abreden wegen dem Roßliefern nie fertig, zudem schien ihm der nächste Weg zu jedem ihrer Äcker über den Nägeliboden zu führen. Mit dem Roßliefern tat Felix recht kindlich; er wurde auch von den Seinigen tapfer ausgelacht, wenn sie auch ihre große Freude daran hatten. Es war seine erste Heldentat in diesem Fache, er glaubte Ansprüche zu haben auf einen rechten Triumphzug. Aber er war wankelmütig; heute meinte er, es sei schöner, wenn sie nach Solothurn ritten, morgen hielt er es für viel passender, wenn sie hinfuhren, zweispännig, mit schönem Geschirr und Fuhrwerk, man könnte andere Pferde voraussenden, welche zurückführen würden, was die andern hergebracht. Was ihm durch den Kopf fuhr, das mußte er dem Nägelibodenbauer mitteilen; der lachte dann dazu und dachte: Kommt Zeit, kommt Rat.


 << zurück weiter >>