Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ehe Sepp eine zornige Antwort etwas modifiziert hatte, trat der Arzt zwischen Beide und fragte nach dem Meitschi. Sepp führte den Arzt ins Haus; Felix ging hintendrein, er wußte nicht warum. Änneli war nicht in der Kammer oben, sondern im Stübli, wohin sie es gestern getragen; der Weg dazu führte durch die Wohnstube. Sepp schritt voran, ihm nach der Arzt, Felix folgte ihm auf den Fersen. In sauberm Bette lag Änneli, blaß, mit geschlossenen Augen. Felix meinte, es sei tot, ballte die Fäuste, und gnad Gott dem Arzte, wenn er sie gebrauchte. Der fühlte Änneli den Puls, hielt die Hand auf dessen Stirne, schüttelte den Kopf, fühlte wieder am Pulse, schüttelte wieder den Kopf. »Ists tot?« schnaubte Felix ihm über die Achsel. Da wars, als wenn der Ton ein Leben wäre und hinein in Änneli führe. Wie Morgenröte an den Bergen glüht, fuhr es über sein Gesicht; rasch hob es sich, schlug die großen, schönen Augen auf, der erste Strahl derselben fiel auf Felix. Da lächelte Änneli freundlich, die Augen schlossen sich wieder, es sank zurück, und blaß wie tot lag es da. »Ists gestorben?« hauchte Felix. »Einmal jetzt noch nicht«, sagte der Arzt; »aber was werden will, kann ich noch nicht sagen. Es wäre mir lieber, es hätte ein halbes Dutzend Brüche, als wie es jetzt ist. Im Kopfe ist es nicht richtig, und wie es sonst innerlich aussieht, weiß ich eben auch nicht. Man muß in Gottes Namen der Sach abwarten und Fieber und Entzündung wehren so gut möglich. Laßt das Meitschi ruhen und stört es nicht, gebt mir jemanden mit, will alsbald heim und Zeug rüsten.« »Könnts sterben?« fragte Felix. »Warum nicht?« sagte der Arzt und ging rasch ab.

Felix konnte fast nicht fort, doch ging er endlich. Weinen und Wüten lagen in ihm neben einander. Da begegnete ihm der im Dorfe stationierte Landjäger. Felix war ein Mensch, der sogenannte Blitzgedanken hatte; schoß ihm einer derselben durch den Kopf, ward er auch ohne Besinnung zur Tat. »Du mußt den Eglihannes fassen und ins Schloß führen«, sagte er zum Landjäger. »Der hat gestern ein Mädchen überfahren, das sterben wird, wenn es nicht schon gestorben ist; nimmt man den nicht gleich, macht er sich mit dem Schelmen draus.« »Das geht nicht so leicht«, sagte der Landjäger. »Erst muß eine Anzeige gemacht werden, dann ein Befehl gegeben zur Zitation; von Verhaftung wird da kaum die Rede sein einstweilen, besonders wenn Eglihannes für den Schaden gut ist. Das geht nicht mehr so wie unter den Landvögten, wo man den Ersten den Besten mir nichts, dir nichts einsteckt, wenn es dem Landvogt gefällt oder irgend einem Dorfmagnaten; jetzt ist eine andere Ordnung.« »Und was für eine!« fuhr Felix zornig auf, »eine, wo Schelmen und Spitzbuben obenauf sind und ein Schelm dem andern durch die Finger sieht, Mordbrenner Taggeld bekommen und blohnt werden, wenn sie ihre Baracken verbrennen, wo es ist, wie wenn dr Tüfel Junge gha hätt und us syne junge Landjäger gmacht, für dSchelme z'hüete und die rechte Lüt z'quäle.«

Das stieg nun dem Landjäger zu Haupt, der schön geschnäuzt war auf die neue Mode, eine souveräne Verachtung hatte gegen alle ehrbaren, hablichen Leute und in seiner Uniform einen Freibrief zu haben glaubte zu Betreibung jeglichen Lasters und in dieser Beziehung so verbrüdert war mit seinen Obern, daß er sich auf das Sprüchwort: Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus, fest verlassen konnte. So was nehme er nicht an, sagte der Landjäger und drehte den Schnauz, am allerwenigsten von einem Aristokraten und Jesuiten, und wenn er es ihm noch einmal sage, so führe er ihn an einen Ort, wo er vergesse, ob der Mond rund oder viereckig sei. »So, du verfluchtes Aas, bist also mehr als ein Landvogt; den Eglihannes willst nicht fassen, mich aber wohl, dazu meinst das Recht zu haben, du Jagdhund, was du bist! Du Halunk und Schelmenfreund, probiers, da nimm mich, wenn du darfst, möcht mal auch dabeisein!« sagte Felix. Nun, der Landjäger nahm ihn nicht, sondern sagte: »Es pressiert mir nicht, aber warte nur, du entrinnst mir nicht.« »Brauchst deswegen keinen Kummer zu haben, deinetwegen versetze ich keinen Schritt. Ich fürchte mich vor dir und jedem andern Lumpenhund nicht, und sei er, wer er wolle. Man kennt die Brüllhunde und weiß, wieviel mit ihnen ist; zähl darauf, ehe der Gugger noch einmal schreit, wird auf einem andern Loche gepfiffen, dann gibts wieder Löcher für dich und deinesgleichen, und ehrliche Leute werden nicht zu Tode gefahren, bestohlen und abgefaßt, wenn sie es nicht leiden wollen. Und jetzt nimm mich, wenn du darfst«, sagte Felix wieder. Der Landjäger hatte aber auch jetzt noch keine Lust dazu, sondern ging und brummelte: »Pressiert mir nicht, entrinnst mir doch nicht.« Er gehörte auch zu der großen Familie, deren Glieder alle äußerst gefährlich sind, solange man sie fürchtet, die aber nichts sind, sobald man ihrer Frechheit einen festen Mut entgegenstellt.

Sobald der Landjäger von Felix nicht mehr gesehen ward, schwenkte er um gegen Eglihannese Haus und stattete ihm Bericht ab über den Vorfall. Obschon Eglihannes nicht mehr zum Regiment gehörte, so herrschte doch noch eine innige Wahlverwandtschaft zwischen ihm und einigen Gliedern desselben, namentlich mit diesem Landjäger, mit dem er im Vertrauen lebte, fast als wie mit einem Bruder. Eglihannes war eben erst so recht strub, sturm und verquollen aus dem Bette gekrochen, als ihm sein Freund diesen Bericht brachte. Schwernot, was der aufbegehrte! Angreifen wollte er auf der Stelle, und zwar auf zwei Seiten: der Landjäger sollte anzeigen, er aber wollte Mannen schicken und zur Abrede auffordern. Der Landjäger war ganz anderer Meinung, der fand die Offensive gefährlich, stimmte durchaus zur Defensive. »Denn erstlich«, sagte er, »was soll ich mit dem Anzeigen? Erstlich haben die Herren abwechselnd Schiß oder Sympathie, aber immerdar eins von beiden. Entweder heißt es: Aber Landjäger, habt doch Verstand, habt ihr kein Herz im Leibe, seid Ihr sozusagen kein Mensch? Donnerwetter, der Mann hat aus Not gefehlt, der ist die beste Seele von der Welt. Donnerwetter, Landjäger, wenn Ihr sechs Kinder hättet und nichts zu essen, Donnerwetter, Landjäger, entweder betteln oder stehlen, oder was wollt Ihr anders? Himmelsackerment, hört, Mann, das macht nicht mehr, sonst muß ich Euch strafen, denn das Gesetz wär da, das Herz mag sagen, was es will, denn ich hab ein Herz, Himmeldonnerwetter! Ich bin auch arm gewesen, ich weiß, wie es einem ist! Ich hab einmal siebenundsiebenzig Tage und sieben Stunden nichts zu essen gehabt und nicht einen Tropfen zu trinken, das war das Verfluchtest, und doch habe ich nichts gestohlen, nicht daß es mir im Auge weh getan, wäre lieber krepiert! Aber das kann nicht jeder! Und wohlverstanden, ich hatte keine Familie, ja, das ist ganz was anderes. Hätte ich Familie gehabt, ja, weiß Gott, was ich gemacht; die armen Kindlein hätte ich nicht hungern lassen, ich hätte gebettelt, und wenn man mir nichts gegeben, nun so dann, so hätte ich gesagt: Gare à vous, Himmeldonnerwetter! Mann, Ihr könnt jetzt gehen, aber machet, daß Ihr mir nicht wieder unter die Finger kommt, dann muß ich, denn das Gesetz ist da. Und wenn der Mann abgetreten und mir einen Schnips unter die Nase gemacht, fährt man mich an: Landjäger, heißt es, wenn Ihr mir noch einmal einen solchen Mann bringt, so marschiert Ihr dreimal vierundzwanzig Stunden hintern, verstanden! Wohl, Ihr sollt mir noch lernen, was Gefühl ist! So heißt es bei den einen Anzeigen. Bei andern tönt es ganz anders. Hört, Landjäger, heißt es, das kann nicht sein, den Mann kenne ich, ich will mit dem Manne reden; das ist einer, mit dem Manne muß man anders umgehen als mit Andern. Der hat eine Gesinnung, wollte Gott, es hätten sie alle so. Aber da fehlts leider, und bei Euch auch, wie es scheint, sonst wüßtet Ihr den Unterschied besser zu machen! Oder es heißt: Braucht doch Verstand, der Mann hat Geld und großen Einfluß, den muß man schonen und nicht kujonieren. Wohl, der könnte eine Suppe anrichten, wolltet Ihr sie ausfressen, Landjäger? Dieser Mann hatte zu Geld und Einfluß noch zwei schöne Töchter, begreift! Oder man zieht ein sehr ernstes Gesicht und sagt: DSach ist wichtig, zählt darauf, das muß untersucht sein, und zwar gründlich. Es muß einmal denen Donnere gezeigt sein, wer Meister ist! Und gehe ich zur vordern Türe aus, läßt man die Andern zur hintern weg, vor mir sind sie daheim und lachen mich tapfer aus. Darum macht nichts aus der Sache, der Ammann ist ein Mann von Einfluß und von hartem Holz; an einen solchen beißt nicht, wer schwache Zähne hat. Viel besser seid Ihr zweitens zweg, wenn Ihr den Angriff erwartet, dann ist das Beweisen an ihnen.«

»Angriff, was Angriff, wenn man erst überfahren, dann geprügelt wurde und endlich noch gescholten! Jawolle, die werden das Angreifen wohl lassen und würden froh sein, wenn ich nichts sagte!« fuhr Eglihannes auf. »Das ist kurios«, sagte der Landjäger, »aber dSach wurde mir von verschiedenen Seiten anders berichtet, ehe ds Ammanns Löhl den Lärm mit mir anfing.« Da begehrte Eglihannes gar mörderisch auf. Er wolle dem Schelmenpack mal zeigen, wer er sei, und müßte das ganze Dorf dFinger ufha (Eid schwören); die wolle er eintun wie ein Säutreiber dFärli in einen Färech. »Hannes, bsinn dih, wasd machst«, sagte seine Frau, die dazukam. »Du bist gestern wieder katzvoll heimgekommen, konntest nicht Babi sagen; hätt ich dir nicht geholfen, so wärest wie ein Hund vor der Türe liegen geblieben. Du weißt nicht, was gegangen ist.« Das kam dem Landjäger ganz wahrscheinlich vor, und noch mehr wahrscheinlich, als Frau Eglihannes ihm noch ein zweites Glas Kirschenwasser einschenkte und mit den Augen dazu blinzelte. Eglihannes begehrte schrecklich auf, vermaß sich hoch und teuer, daß er so nüchtern gewesen als wie ihre Katze und Punktum wisse, was gegangen, da solle ihn niemand brichten! Es wisse niemand besser als er, was voll sei und nicht voll. Aber er mochte fluchen, wie er wollte, seine Frau stand nicht ab, und der Frau glaubte der Landjäger, und Beide dachten, es sei am besten, man rede so wenig als möglich von der Sache. Dreck sei allweg am Stecken und Eglihannes daneben wohl bekannt, und was sie dachten, blinzten sie einander zu.

Man kann denken, wie fuchswild Eglihannes wurde, besonders als er das dritte Glas Kirschenwasser im Leibe hatte. Er sagte Beiden wüst, sagte, wenn er schon keinen Posten habe, so habe er doch noch den Fuß im Hafen und Freunde bis obenaus. Er dürfs wohl probieren und Keiner besser, und wären es sieben Ammann und siebenzehn Statthalter. Es nehme ihn wunder, wie dSach lieg, und fort lief er. Der Landjäger ließ ihn gehen, und als er fort war, sagte er zur Frau: »Brecht ihm ab, er richtet nichts aus, die Leute geigen alle auf einer Note, und auf niemanden soll er sich verlassen. Für mit ihnen zu saufen und so weiter ist er ihnen wohl gut genug, aber da er ihnen nichts mehr helfen kann, werden sie auch keinen Finger mehr rühren für ihn. Dumm sind sie nicht, nur zu den Ästen tragen sie Sorge, von denen sie glauben, sie könnten sich an ihnen noch halten. An allen anderen ist ihnen teufelwenig gelegen.« Man sieht, ganz dumm war der Landjäger nicht und bei Vertrauten noch ziemlich offen.

Eglihannes lief ins Dorf als wie eine Rakete, die am Platzen ist. Wahrscheinlich merkten dies die Leute, denn es wich ihm jedermann aus von ferne, er konnte niemanden zum Stehen bringen. Eine Frau stand am Bach, klopfte auf einem Waschbrett ein altes Hemd wenigstens mürbe, wenn auch nicht rein, und hörte Eglihannes nicht kommen, bis er neben ihr abtrappete. Als sie plötzlich sich umwandte und Eglihannes neben sich sah, erschrak sie, denn er machte ein zornig Gesicht. »Nur sachte«, rief sie, »und überrenne mich nicht! Oder meinst, es müsse jetzt alle Tage eine überschossen und gemordet werden?« Das war neues Feuer ins Pulver, und viel fehlte nicht, Beide wären handgemein geworden, denn mit dem Maul mochte Eglihannes von ferne nicht nach. Die Frau war eine alte Wäscherin aus der Stadt, und die haben bekanntlich Mäuler, welche, wenn es ihnen ernst ist, den Rheinfall zum Schweigen bringen würden. Da er des Prügelns sich doch schämte, während die Frau ihn festen Fußes mit dem Hemd in der Hand erwartete, lief er mit einer Drohung, einer schrecklichen Anweisung auf die Zukunft, weiter. Hinter ihm her scholl der Hohn der Frau, die ihn und seinen Namen auf das Entsetzlichste zerfetzte, so daß ein räudiger Hund ein Amor und eine Ehrenperson neben ihm gewesen wäre.

So abgefahren, lief er in brennendem Zorne zum Nägelibodenbauer, fuhr den gar grimmig an, was er für eine Ausstreuung mache wegen dem Mensch, welches gestorben sein solle, und begehrte dasselbe mit eigenen Augen zu sehen und zwar auf der Stelle. Man hätte diesmal nicht mit einem dummen Bauernlümmel zu tun, sagte er. Selb sei noch die Frage, antwortete der Nägelibodenbauer ziemlich gelassen. Allweg könne er jetzt nicht zu seiner Frauen Schwester, der Arzt hätte es verboten. Selb wär kurios, sagte Eglihannes. Er sehe wohl, es sei ein Schelm wie der andere, aber diesmal seien sie am Unrechten, und hinein wolle er. »Setz ab«, sagte der Nägelibodenbauer, »hinein kommst du nicht, und einstweilen geht das dich gar nichts an, wie es mit dem Mädchen steht, ob es lebt oder tot ist. Du bist einstweilen für nichts angesucht worden. Wirst du angegriffen, dann kannst du sehen, wie du dich wehrst.« »Das wär kurios, wenn das nicht angegriffen wäre, wenn man einen durch den Landjäger will nehmen lassen, und jetzt will ich wissen, wie die Sache ist!« brüllte Eglihannes. Der Nägelibodenbauer konnte sich weder versprechen noch erläutern, konnte in den ganzen Handel keine Vernunft bringen, konnte nichts anderes als, um Änneli die nötige Ruhe zu bewahren, dem zornigen Mann mit Gewalt und dem Hausrecht drohen, worauf er es nicht ankommen lassen durfte, sondern sich endlich mit der Drohung entfernte, er wolle ihm jemanden senden, der ihn lehre fünfe zählen. Ein solch Schuldenbäuerlein müsse erfahren, mit wem er es zu tun habe, das wolle er bald vor den Hag hinausgestellt haben.

Er lief weiter, aber wie weit er lief, er fand niemanden, der ihm Gehör, geschweige denn recht gab. Er fing allenthalben die gestrige Geschichte an, erhielt allenthalben die Antwort, es könne sein und könne nicht sein, man könne allweg nicht wissen; am liebsten sei es ihnen, gar nichts davon zu hören, was sie nicht beiße, begehrten sie nicht zu kratzen. Eglihannes wollte dem Nägelibodenbauer sogenannte Anschicksmänner schicken, aber niemand wollte ihm gehen. »Was hat er gesagt oder gemacht, worüber soll er zur Rede gestellt werden?« fragten die Angesprochenen. Ja, da wußte der zornige Mann nichts, denn was ihm der Landjäger gesagt, ging ja den Nägelibodenbauer nichts an, und jemanden ins Haus oder nicht ins Haus zu lassen, steht dem Hausvater frei und gibt kein Recht zu gerichtlicher Ansprache. Ausgelacht und abgewiesen, fuhr er endlich in seine Pinte wie ein Stier in einen Krieshaufen und tobte da, daß es seiner Freundin ganz angst wurde, es fange an, ihm im Kopfe zu fehlen.


 << zurück weiter >>