Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Als die Andern endlich nachkamen, hieß es, der Herr sei schon lange fort. Dem wollten sie schon noch nachkommen, sagten sie, der könne wieder hintendrein wie diesen Morgen. Sie waren brav angetrunken, in dem Grade, wo man wild wird, zu allen Streichen recht, und mit dem Teufel tanzen möchte, wenn man ihn nur kriegen könnte. Die Rosse waren auch wild und unter denselben einige Mähren, welche ihr Lebtag nie so weit von Hause gewesen, die zog mit Macht das Heimweh heim. Das war ein schöner, wilder Zug: sechs vierspännige Wagen hinter einander, die Fuhrleute in denselben, die wilden Rosse meist nur an einem einfachen Leitseil lenkend und alles in scharfem Trabe fahrend. Wer mit einem Fuhrwerk ihnen entgegenkam, der hatte Ursache, zu beten, denn es war gute Aussicht vorhanden, man werde das nächstemal in der Ewigkeit erwachen. Und war das wilde Heer vorüber und man lebte noch mit ganzen Gliedern und aufrecht stehendem Fuhrwerk, so konnte man billig Gott danken für seine Gnade und Güte, die einem Leben und Glieder bewahrt, beschützt mit der gleichen Hand, mit welcher er die Männer im feurigen Ofen gerettet. Ammanns Felix fuhr voran, und zwar munter, aber den Eglihannes holte er nicht ein, ehe sie durstig wurden.

Wenn der Wein bei den Vätern sich setzt, warum sollte er sich nicht auch bei den Jungen setzen und des Zufüllens bedürfen! Sie hielten also sämtlich bei einem Wirtshause an, banden ihre Rosse zweg, daß sie nicht davonlaufen konnten, machten sich geschwind hinter einige Maß, säumten aber wirklich nicht lange, denn sie vernahmen, daß Pigger und Gstabi diesen Augenblick erst abgefahren. Eglihannes hatte hier ebenfalls zugefüllt und nachgebessert. Als sie wieder zwegmachten zur Abreise, waren nur fünf Wagen da, der sechste und hinterste fehlte. Sie fluchten erst mörderlich, derselbe sei gestohlen worden, man solle ihn zur Stelle schaffen, oder das ganze Dorf müsse erlesen sein. Da gab jemand Auskunft, daß ein Wagen mit vier Rossen später als die fünf andern durch das Dorf gefahren sei, ohne anzuhalten. Nun fluchten sie über den Fuhrmann, der begreiflich auch fehlte; der werde zu geizig gewesen sein, um anzuhalten, der solle es aber erfahren, was das heiße, die Andern im Stiche lassen.

Felix war noch nicht lange gefahren, so prallten seine Vorrosse seitwärts, der Wagen stand, trotz Brüllen und Schlagen brachte er die Rosse nicht vorwärts, riskierte ein Unglück. Fluchend über den Gaul vom Nägelibodenbauer, der an dieser Stättigkeit schuld sein sollte, sprang Felix ab, auf die Rosse ein; da fand er quer über den Weg vier Rosse stehen und einen umgestürzten Wagen, den er in der eingebrochenen Dunkelheit nicht geachtet, obgleich er ihn wohl noch hätte sehen können. Natürlich gab es einen allgemeinen Halt, und sämtliche Mannschaft eilte zur Stelle. Es war der sechste Wagen, und unter demselben im Stroh schlief selig der Fuhrmann. Derselbe hatte nämlich schon vor dem Einkehren geschlafen, eine mit dem Heimweh behaftete Mähre hatte nicht halten wollen, sondern war stillschweigend und unbeachtet vorbeigefahren. Einige hundert Schritte weiter war den andern Rossen die Stille doch unheimlich vorgekommen, es kam ihnen ins Gewissen, die übrigen Züge so schnöde zu verlassen. Vielleicht fühlten sie auch den Mangel an Leitung und die Gefährlichkeit einer solchen Fuhre, hatten in diesem Falle mehr Verstand gehabt als eine Menge von Menschen, als Massen und Völker. Kurz sie wollten umkehren, verstanden es aber nicht wohl und leerten den Wagen um, denn fürs Umkehren mangelt es apart viel Verstand. Der Fuhrmann aber schlief so selig, daß er nicht erwachte, vom Umkehren des Wagens nichts merkte, sondern ruhig fortschlief.

Das Aufstellen des Wagens wurde den lustigen Gesellen dreimal so schwer, als es ihnen am Morgen gewesen wäre, denn die Kräfte wollten sich nicht einigen: schob einer rechts, schob der Andere links, hob einer, drückte der Andere nieder. Indessen, unter Fluchen und Lachen gelang es endlich doch, den Wagen auf seine vier Beine zu stellen und den glücklichen Fuhrmann zu wecken, der den ganzen Vorgang erst später zu begreifen imstande war, jetzt immer behaupten wollte, die Andern hätten ihn überfahren. Das hatte aufgehalten; den Verzug einzubringen, fuhr Felix um so schärfer, merkte endlich, daß etwas vor ihm fahre, erkannte bei scharfem Hinsehen den Eglihannes, der sein Gespann in die möglichste Schnelligkeit versetzt hatte, die Mitte des Weges hielt, keine Miene zum Ausweichen machte. Dem wolle er es zeigen, dachte Felix; mache er nicht Platz, so könne er es erfahren, wie ein schwerer Wagen mit seinem alten Karren fahre.

Der Weg lief zwischen Zäunen durch, welche die Dunkelheit auf der Straße vermehrten. Felix stand im Wagen, regierte sein wildes Gespann mit dem einfachen Leitseil, jagte mit zornigen Peitschenschlägen die Rosse in den engen Raum zwischen Zaun und Eglihannese Wagen. Derselbe jagte ebenfalls aus Leibeskräften seine Tiere, hielt starrköpfig die Mitte der Straße, wollte nicht der sein, der sich vorfahren ließ. Man mußte ein Schreiber sein, um mit Pigger und Gstabi Ammanns Felix trotzen und mit seinen wilden Rossen in Kampf und Wettrennen sich einlassen zu wollen. Wie ein Keil ins Holz sprengten die Rosse in die enge Gasse, rissen den schweren Wagen nach. Dessen vordere Räder faßten die hintern Räder von Eglihannese Fuhrwerk. Felix peitschte, Eglihannes fluchte, die Wagen krachten, gar wehlich schrie es von den Rossen her. Die hintern Fuhrleute erschraken, schrien: »Nit, Donner, nit! «, sprangen ab; aber was wollten sie machen, ehe sie dabei waren, lag die ganze Eglihannesische Pastete auf einem Haufen in der Straße. Felix hatte sich in den Zaun verfahren, seine Rosse wüteten und er nicht weniger.

Den Andern war es Angst geworden, die Angst hatte sie nüchtern gemacht, sie übersahen rasch den Schaden, legten Hand an, wo sie ihn am besten zu heben glaubten. Die Einen tappten nach Eglihannes, einer suchte den Gstabi zu lösen, der vom Anprall überschossen worden war und erbärmlich zappelte im Geschirr, Zwei sprangen zu Felix' Vorderrossen, suchten sich ihrer zu bemächtigen und sie abseits zur Ruhe zu bringen. Das war ein schwer Stück Arbeit, denn schlagende Rosse zu lösen, braucht Mut und Vorsicht, wenn man nicht eins ausgewischt kriegen will. Endlich gings, sie wurden abgespannt, einzeln angebunden; nun sollte mit den Deichselrossen das Gleiche geschehen, da stolperte einer, er wußte nicht über was. Er bückte sich, kriegte ein Menschengesicht in die Hand, kalt und naß, daß er sehr erschrak und schrie: »Da liegt einer und ist tot, aber nicht Eglihannes!« »Nein, der liegt da wie ein Kalb und gerbt«, rief ein Anderer; »dem hat es nichts getan, wenn er fertig ist, ists ihm wohler als vorher.« »Zünde doch einer!« rief es wieder. »Werft den Menschen beiseite über den Hag, könnten sonst mit ihm in Ungelegenheit kommen. Lebt er, so sind wir weit, wenn er wieder zu sich selbsten kommt; ist er tot, so braucht niemand zu wissen, wie es gegangen ist.« »Narr, meinst, das käme niemanden in Sinn, woher das wäre? Dann könnten wir sehen, wie es uns ginge und was die Leute dazu sagten, und auf dem Gewissen möchte ich es auch nicht haben«, ward geantwortet. Ein zorniger Fluch nach Licht schnitt fernerem Gerede den Faden ab, und als das Licht kam, schrie einer: »Ist das nit Nägelibodenbures Änneli?« Und es war Nägelibodenbauers Änneli, welches da blutend auf der Straße lag.

Felix stand auch dabei, fragte bloß wiederholt: »Ists tot oder lebts noch?« Tot sei es noch nicht, hieß es, aber nicht bei sich selbsten; wenn man Wasser hätte, könnte man es vielleicht zu sich selbsten bringen. Während man nach diesem lief, fragte Felix, wo dä Donners Schelm sei, ob lebendig oder tot; sei der nicht tot, schlage er ihn tot, der Hund sei an allem schuld. Hätte er getan wie üblich und bräuchlich, so wäre alles nicht begegnet. Den Unglückmacher wolle er nicht länger vor Augen haben, der müsse ihm einmal abweg, der Zorn täte ihn sonst noch. Ehe man ihm einläßlich antwortete, kam Wasser; es wurde damit gefochten, wie man sagt, so gut man es verstand, und starr und steif vor Angst und Bangen sah Felix zu, keinen Finger hätte er rühren können, darum merkten die Andern auch nicht, wie ihm zumute war. Es ging lange, bis Änneli einen tiefen Atemzug tat, bis es endlich die Augen aufschlug. Aber in die Augen war das Bewußtsein noch nicht eingekehrt, verweint sah es um sich, wußte nicht, was das bedeuten solle. Da fiel sein Auge auf ein Gesicht, welches durch den Schein der Laterne vollständig erleuchtet war. Auf diesem Gesichte blieb sein Auge. Plötzlich trat Leben ins Auge, Sprache auf die Zunge. »Was ist, wo bin ich?« fragte Änneli. Es sei etwas passiert, es wäre besser, es wäre nicht, hieß es, und die Fragen drängten sich, wie es ihm sei und ob es etwas gebrochen? Denn allen war das Herz voll Angst, und jeder hätte ein Schönes gegeben wenn das nicht passiert wäre. Man hob es auf, stellte es auf die Beine, da fand sich, daß kein Bein gebrochen sei, kein Arm, aber übel gequetscht war es von den Hufen der Rosse; ob Rippen gebrochen seien, sah man nicht, daneben war die eine Wange zerrissen, und einige Löcher im Kopfe bluteten stark. Es war übel genug gegangen, doch hätte es noch übler gehen können; die Schäden wären heilbar, daran hielt man sich als Trost. Es sei keine Sache so bös, es sei noch etwas Gutes dabei, sagte eine Weisheitsbüchse. Hätten die Räder sich nicht ineinandergehängt und sich gestellt, wäre Änneli noch unter die Wagen gekommen, hätte das Leben verlieren können, und was dann?

Man wusch das Mädchen, verband es, so gut man konnte, machte ihm aus Stroh und dem übrig gebliebenen Heu ein leidliches Lager zweg und ward tätig, beim nächsten Arzt es gehörig verbinden zu lassen. Da Felix' Wagen der nächste war, so ward dort ohne weiteres Raten das Lager gemacht, ohne daß es Felix wußte. Als das Mädchen zu sich selbsten kam, freute er sich innerlich, er atmete auf, es war ihm wie einer Champagnerflasche, aus welcher der Zapfen springt, die inwohnenden Geister entbunden werden. Aber das Blut, die Wunden, das Seufzen Ännelis schürten aufs neue Felix' Zorn, er suchte seine Geißel, verschwand in der Dunkelheit. Da erscholl plötzlich auf der andern Seite der Straße ein wehliches Gebrülle, tönte immer wehlicher und schauderhafter. Natürlich glaubte man, Eglihannes werde vom Pigger oder Gstabi unsanft behandelt und mit etwelchen Tritten traktiert. Man sprang ihm zu Hülfe, fand aber Pigger und Gstabi ganz ruhig, dagegen den Felix da, der den Eglihannes mit der Geißel gar erbärmlich gerbte und eben mit dem Geißelstecken nachzubessern begann, was ihm die Geißel zu wenig verrichtet. Sie hatten Mühe, dem Traktement ein Ende zu machen. Felix sagte, er hätte es längst verdient, und lasse man ihn jetzt nicht machen, so fahre er ein andermal fort, darauf sollten sie zählen. Der Hund müsse einmal vollständig ausfressen, was er seit Langem angerichtet. Je eher man einen solchen Hund dem Schinder in die Hand liefere, desto besser gehe es allen Leuten. Während diesen Verhandlungen setzte er das Hauen fort, bis man ihm endlich die Geißel hielt. »He, meinethalben«, sagte er und ließ die Geißel fahren, »wirst jetzt wohl durstig sein«, ergriff ihn und schmiß ihn in den Bach, der auf dieser Seite dem Zaune nach floß. Nun ging Felix befriedigt zu seinem Wagen, und die Andern konnten zusehen, wie sie den seltsamen Hecht aus dem Wasser brachten, den Zorn und Wasser in neue Wehen brachten, es ihm unmöglich machten, seine Wut anders als mit einzelnen Flüchen zu bezeigen.

Ob Felix mit der getroffenen Einrichtung zufrieden war, wissen wir nicht. Er sagte nichts, als es solle einer zum Meitschi auf den Wagen, er traue den Rossen nicht, wolle nebenbei gehen; es sei ihm lieber, es gebe nicht noch einmal etwas. Auch sollten sie dafür sorgen, daß Eglihannes nicht etwa vorfahren wolle, der habe Unglück genug angerichtet. Komme er ihm aber nach, so könnten sie sehen, was es gebe, und daran wolle er wiederum nicht schuld sein. So fuhr Felix voraus dem Arzte zu und wartete nicht, bis dem Eglihannes sein zerrissener, umgestürzter Wagen wieder zusammengeplätzet und aufgestellt war. Wie es Änneli war auf Felix' Wagen, wissen wir nicht, so viel können wir bloß sagen, es wimmerte und weberte nicht; auf alle Fragen antwortete es, es wolle nicht klagen, sondern Gott danken, daß es nicht schlimmer gegangen, sie sollten nicht kummern seinetwegen, es werde schon wieder bessern. Es sagte, die Großmutter sei gestorben, man habe ihns geschickt, anzusagen und zur Leiche zu bitten. Müde vom Wachen und langen Laufen, sei es fast während dem Gehen eingeschlafen. So habe es die Wagen hinter sich kaum gehört, und als der Lärm ihm am Rücken gewesen, habe es sehen wollen, was es sei, und sich umgekehrt statt zu fliehen; wenn es das getan hätte, wäre es nicht unter die Rosse gekommen. So könne es niemanden seinen Unfall zur Last legen, sondern sei selbst schuld daran. Wenn man erschrocken sei und halb im Schlafe, so komme einem das Rechte nicht in Sinn. So sprach das verwundete und sicher sehr leidende Änneli und machte damit Felix, der horchend nebenbei ging, erst recht zornig. Um so zu reden, müsse man ein dummes Weibervolk sein, dachte er; nicht zu wissen, wer schuld sei, und dSach selber uf e Buckel welle z'näh! Aber das solle dem Hund nichts nützen, es seien noch Andere dabeigewesen, die wüßten, wie es gegangen und an wen man sich zu halten. Und wie diese Gedanken in die Seelee schoß ihm der Zorn in die Arme, daß wie ein Donnerschlag aus heiterm Himmel ein gewaltiger Peitschenschlag auf die Rosse niederfuhr. Diese sprangen hoch auf, der Wagen erhielt einen gewaltigen Ruck, laut schrie Änneli. Wegen ihrem verfluchten Wüsttun erhielten die Rosse gewaltige Schläge. Änneli schrie wieder, und Felix polterte laut, ob dem Hund seien seine Rosse erwildet, er könne nichts mit ihnen machen; aber wenn er es dem Hund nicht eintreibe, daß er sieben Jahre hinter einander Tag und Nacht nach Gott schreie, so wolle er seinen ehrlichen Namen an eine räudige Sau tauschen.


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