Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Wirklich ging er bald hinein, unter dem Vorwand, zu fragen, wie Eglihannes es lieber hätte, weil die Pferde schwitzten, ob er mit dem Tränken warten solle, bis die Pferde den Hafer ganz gefressen, oder ob er ihnen schon vorher Wasser geben solle. Eglihannes brachte es dem Stallknecht, brachte die Rede wieder auf die fortgefahrenen Vehfreudiger, freute sich der erneuerten Ausbrüche des stallknechtlichen Zornes, half mit, erzählte, wie sie es ihm gemacht, und wie er es ihnen jetzt machen wolle. Die könnten ihm jetzt auch warten und das Abladen lassen, bis er nachkomme, denn er sei der Sekretär und habe das Verzeichnis. Der Stallknecht fand dies der Sache vollkommen angemessen und fügte bei: »Was Ihr aber müesset z'lyde ha unter solchen Lüten, alle Tag müesse drbyzsi, ih wett lieber Kämifeger werde oder Muser.« Dem Eglihannes kamen ob solcher Teilnahme fast die Tränen in die Augen von wegen der Rührung, und wie Pilatus und Herodes wurden die Beiden Freunde. Eglihannes zeigte ihm seinen Wagen und erklärte die großen Vorteile des Anstreichens; das komme aus England, und dEngiländer wüßten, was vorteilhaft sei und zu gleicher Zeit der Sache wohl anstehe. Der Stallknecht sagte, es sei e bsunderbarer und er müsse sagen, es hätte ihm nicht bald eine Sache so gefallen wie die. Es nehme ihn nur wunder, daß nicht mehr Leute es auch so machten. Aber das koste, dafür müsse man wohl bei Gelde sein, und selb sei rar in dieser bösen Zeit. »Ihr werdet zwar nit viel davon merken, selb sieht man allem an, Ihr hättet sonst nicht solchen Wagen«, setzte der Stallknecht hinzu. Wie das unserm guten Hannes wohltat! Er trappete dem Stalle zu, trat zwischen Pigger und Gstabi mitten hinein, sah, ob sie den Hafer gefressen, tätschelte sie, fing mit ihnen zärtliche Gespräche an: »Piggerli, mys Vögeli, du Nöggeli, und Kohli, du Leu, du Staatskerl!« sagte er und knüpfte an diese Worte eine Auseinandersetzung von ihren herrlichen Eigenschaften. Man hätte glauben sollen, sie seien ihm aus dem Stalle der Herzogin von Orleans soeben aus Paris zugekommen. Der Stallknecht sagte, er glaubs, man sehe es ihnen aber auch an, daß es etwas Bsunderbares sei, nur sei schade, daß sie so ungleich in der Größe seien, es stände ihnen gar wohl an, wenn sie gleichlich wären. Das sei hier so der Brauch, sagte Eglihannes, aber nicht an allen Orten. In Rußland spanne man immer ungleich zusammen, je größer das eine Roß sei, desto kleiner müsse das andere sein. Wenn man einmal daran gewöhnt sei, so gefalle das einem bsunderbar wohl. »Glaubs«, sagte der Stallknecht, »glaubs, es chunt alles ufs Gwohne a«, und nun hielt er eine schöne Rede über die Macht der Gewohnheit. Denn gar zu sehr Pigger und Gstabi zu rühmen, war ihm doch in etwas wider die Hand. Er hatte sozusagen so gleichsam auch noch eine Art Gewissen, halbbatzige Rosse rühmte er nicht gern als dreißigdublönige, es wäre denn in einem Handel gewesen, wo ihm ein Freund gegen einen Fremden den gehörigen Schmaus versprochen.

Als endlich eingespannt war, ward Eglihannesens Natur auf die Folter gespannt. Er liebte die Großmut nicht, das Schmarotzen war ihm lieber; jetzt wars am Platz, eine großartige Freigebigkeit seinem neuen Freund zu beurkunden, ihm ein Trinkgeld zu geben, daß er sagte: »Danke z'hunderttausend Malen«, sogar an die Kappe griff und hinzusetzte: »Kommt recht bald wieder«. Das ist ihr Superlativ von dem Punkte weg, wo sie das erhaltene Stück in der Hand beschauen und schweigend dem Geber den Rücken kehren. Auf dem zweiten Punkte ziehen sie das Maul weit auseinander und sagen »oblischee« (zum »merci« oder gar »merci bien« haben sie es noch nicht gebracht); dann kommt »Dankeiget«, »Dankeiget zum Schönsten« und endlich »Dankeiget zum Allerhöchsten, chömit gly meh«. Eglihannes wußte das wohl und kramte lange in seinem Beutel. Er suchte einen falschen Solothurner Fünfbätzler, mit dem er gern großartig getan hätte. Er merkts nicht, dachte er, und wenn ers schon merkt, so kann ihn niemand besser wieder absetzen als ein Stallknecht. Zu seinem großen Leide fand er ihn nicht. »Hat mir die verfluchte Täsche wieder die Säcke erlesen«, sagte er für sich; »wart, der will ich«. Die verfluchte Täsche war seine Frau, welche kein Geld brauchen sollte, aber nicht dumm dem Mann die Hosensäcke zehndete, wenn er im Bette betrunken schnarchte. Das ist eine Art von Zehnten, welche keine Regierung, und wäre sie noch so freisinnig und volkstümlich, liquidieren wird. Und doch herrscht in diesem Zehnten die meiste Willkür. Der Zehntherr nimmt nach Belieben und so oft es sich ihm wohl schickt, er fragt nicht, ist sJahr um oder nicht und ists der dritte oder der zehnte Batzen, den er nimmt. Endlich verstieg sich Eglihannes zu drei Batzen, unter denen jedoch ein helvetischer war, anders brachte er es nicht übers Herz. Er ist um öppis besser als die Andern, dachte der Stallknecht, aber wo er her ist, schmöckt man ihm doch auch an. Es sind wüste, hundshärige Leute dort, das ist fertig. Das wird noch der Beste unter ihnen sein, darum werden sie ihn auch so verfolgen. Daneben ist er ein Mann, der grusam viel auf seine Sache hält, gäb wie sie ist.

Unterdessen waren die Andern am Orte ihrer Bestimmung längst angekommen und hatten mit dem Abladen nicht auf den Sekretär und seinen Katalog zu warten gebraucht. Man nahm es in diesem Handelshause nicht halb so genau; man nahm die Käse ab, ohne sie zu zählen und zu kontrollieren, es herrschte großes Zutrauen da, wenigstens an selbem Tage, aber, wie es schien, nicht die beste Ordnung. Sie waren schon halb fertig, als endlich Eglihannes nachgezottelt kam mit seinen fünf Stücken und Gstabi und Pigger davor. Sie hatten das Gespött mit ihm, doch tröstete ihn die Bevorzugung, welche ihm der Käsherr angedeihen ließ. Für ihr Frühfahren mußten sie aber auch Buße tun, und zwar eine lange; sie hatten den Tag viel zu lang gemacht, das ist eine große Dummheit, welche viele andere nach sich zieht, die daher mit großer Sorgfalt von klugen Leuten vermieden wird. In der Beziehung sind Leute selten klüger als die Insassen in obrigkeitlichen Bureaus, ihr öffentlicher Tag dauert Sommer und Winter in der besten Jahreszeit sechs Stunden, oft aber auch nur viere, und oft geht wie um Lappland herum die Sonne gar nicht auf. Die Frau Käsherrin hatte keine Ahnung, daß die Einquartierung so früh einrücken werde, hatte daher auf so früh sich gar nicht eingerichtet. Man kennt den Appetit aller derer, welche bei solchen Anlässen beim Fuhrwerk sind. Um billig zu sein, werden doch kaum je Käsfuhrleute die Versorgungskraft derjenigen erreichen, welche an den Holzfuhren teilnehmen. Diese übertreffen die Römer noch bei weitem. Bekanntlich schluckten die Römer, um den Appetit zu reizen, statt wie unsere Herren ein Exträ, ein Brechmittel, welches zugleich auch Platz im Magen machte. Es gibt Leute, welche an solchen Fuhrungen siebenmal gerben und immer wieder mit Appetit und neuem Platz im Magen sich an Essen und Trinken setzen.

Wenn man was weiß, kann man sich danach einrichten. Man beobachtet drei Dinge: in Beziehung auf den Stoff gibt man solchen, der Platz im Magen verschlägt, und gibt ihn so, daß man daran kauen muß, und nicht zu räß; gar zu durstig begehrt man die Leute nicht in Privathäusern, denn man weiß wohl, daß sie bei solchen Anlässen gegen den Durst kein Wasser brauchen. Ausgewaschenes Sauerkraut und Fleisch von einer ehrwürdigen Kuh, welche siebzehn Jahre zu Berg gegangen, drei Jahre im Rauch gehangen, jetzt drei Tage im Wasser gelegen, das sind währschafte Stoffe, ungeheuer dienlich, daran die Zeit zu verbrauchen, den Magen zu füllen und zwar wohlfeil. Von den Beigaben wollen wir nicht reden, sie werden bald so, bald anders, aber alleweil mit Vorsicht und zweckdienlich ausgewählt. Das Ding braucht aber gute Weile zum Kochen, und wärs auch gekocht, was soll, um der Liebe willen, man mit solchen Leuten bis gen Abend, denn früher gehen sie doch nicht fort, anfangen, wenn man sie schon um zehne zum Essen riefe oder gar schon um neune? Die Vehfreudiger mußten also warten, herumsitzen, tubaken, gähnen, schlafen, an die Uhr sehen, seufzen: »Das geht doch verflucht lang, das ist der langweiligste Ort, wo es gibt auf der Welt!«

Eglihannes entrann Leiden und Buße, er war der Bevorzugte. Er hätte hier etwas zu verrichten, hatte er gesagt und fragte nach einem Hause. Er wolle es ihm zeigen, hatte der Käsherr gesagt und war mit ihm gegangen. Eine Ewigkeit gings, ehe sie wieder kamen, ihren Gesichtern nach hatten sie jedoch diese Ewigkeit sicherlich kurzweilig zugebracht. Ach, was so ein Morgen sich hinziehen kann, wenn man nicht weiß, was damit anfangen, und etwas erwartet, welches nicht kommen will! Ach, was wird das für ein Warten geben einmal in der Ewigkeit auf die Gnade Gottes, die man hier hätte haben können und sie so gering geschätzt und von der Hand gestoßen. Endlich kam der willkommene Ruf: »Ihr söllit cho esse!« Wiederholt brauchte er diesmal nicht zu werden; auch das Händewaschen säumte nicht, die waren alle längst gewaschen, so gleichsam in Vorrat.

Wir wollen das Mittagessen nicht beschreiben, sondern bloß sagen, daß es die Erwartungen unserer Mannschaft durchaus nicht befriedigte. Die hatte sich der Kuckuck weiß was für Vorstellungen davon gemacht, daß ein Hochzeitmahl nur ein Bettlerfressen dagegen sei, Pasteten erwartet und Tatern, Schinken und Braten, weißen und roten Wein, süßen Tee und angemachten Wein mit geröstetem Brot, ganze Lagerfässer voll, und als Dessert, um zu verdauen, eine tapfere Kässuppe und schwarzen Kaffee. Nun aber war von Dessert keine Rede, ebenso wenig von Braten und Tatern, der Wein sauer und das Einschenken eben nicht fleißig; sie kamen auf den Punkt, wo es sie dünkte, sie nähmten noch mehr und bessern. Der kam aber nicht, und der Tag war noch lange nicht verbraucht; da machten sie sich hinaus, unter dem Vorwande, nach den Rossen zu sehen, einer nach dem Andern, und lieferten den Beweis, daß in vielen Köpfen doch zuweilen auch nur ein Sinn wohnen kann; sie fanden sich nach und nach alle im Wirtshause ein und ohne Abrede. Darob hatten sie große Freude. Wenn wieder ein neuer eintrat und verwundert die Kameraden mit Nachbessern beschäftigt sah, erscholl ein laut Gelächter, man brachte es ihm, rührte immer wieder auf Grund und Ursache ihres Hierseins. Es waren souveräne Leute, fragten hier niemanden viel nach, am allerwenigsten dem Käsherrn, kümmerten sich daher nicht darum, vernehme derselbe ihre Reden oder vernehme er sie nicht. Sie zerrten das Mittagessen zweg noch viel ärger als ein Bleicher sein Tuch, von der Suppe weg bis hintenaus pfefferten sie alles mit Vehfreudiger Witz, daß den Teufel selbst ein tödlich Niesen angekommen wäre, wenn er hätte an dieser gewürzten Mahlzeit sitzen sollen. Sie zählten her, was alles in der Suppe gekochet worden, kannten die Lebensgeschichte der Tiere, deren Fleisch sie gegessen, und alles, was nach deren Tode das Fleisch erlebt, wußten, von welchen Bäumen die Apfelschnitze gekommen, wie sie gedörrt und mit welchem Fett das Sauerkraut gekocht worden. Und waren sie mit dem Essen fertig, zogen sie den Wein zweg, daß es einem graulicht ward, man den Mund voll Essig und Galle zu haben glaubte. Und war man mit diesem fertig, kamen die Leute, welche man gesehen, an Tanz, der Herr und die Frau, Kinder und Diensten, und ein guter Fetzen blieb an Keinem. Sie trieben das Ausführen mit wahrer Burgerlust ins Aschgraue, machten Gsundheit bei jedem neuen Witze, gerieten in ausgelassene Fröhlichkeit, konnten mit Nachbessern gar nicht fertig werden.

Da erschien der Eglihannes unter der Türe, der beim Herrn geblieben und mit ihm Ideen getauscht, das heißt politisiert hatte, das heißt wenn einer gesagt hatte: »Das sind Donners Schelme, Aristokraten und Jesuiten«, so hatte der Andere gesagt: »Die Donners Schelmen muß man henken«. Sagte dann der Andere: »Das ist ein Rechter, ein Volksfreund und meints gut«, so antwortete der Erste: »Warum gheit man nicht die jetzige Donnere abe u tuet sellig a Platzg?« Dann erzählte jeder von ihnen, was er am Vaterland getan und für dasselbe ausgestanden habe und wie man es ihm mache. Das Wüsteste könne man austrappen, dafür sei man gut genug, den Dessert fräßen Leute, welche ums Vaterland willen keinen Schuh naß gemacht. Ach Gott, wenn sie so politisierten, in welche Begeisterung kamen und wie tief in tiefe Gedanken gerieten sie! So kams, daß Eglihannes seine Kameraden lange ganz vergaß und lange keinen finden konnte, denn daß sie auf die Mahlzeit hin ins Wirtshaus gegangen, fiel ihm lange nicht bei. Eglihannes hatte das sehr ungern um seines Freundes willen, und als er die anzüglichen Reden hörte, ward ihm katzangst, denn er kannte die nahe Verwandtschaft des Wirtes mit seinem Freunde und wußte, daß sicher kein Wort verloren ging. Er weigerte sich erst lange, in die Stube hineinzutreten, hieß sie kommen und anspannen, es sei schon spät, sie kämen längst nicht mehr tags heim. Indessen mußte er doch hinein. Man brachte es ihm, sagte, er werde nicht zu vornehm sein, Bescheid zu tun, er hätte doch auch schon mit Mindern getrunken, als sie seien, er solle hier nur nicht den Vornehmen spielen und sich ihrer schämen, sonst könnte man dSach umkehren, so daß er hinein mußte, wenn er im Frieden wegkommen, nicht das ganze Wetter auf sich ziehen wollte. Er wurde gefragt, ob dieser Wein nicht besser sei als der, welchen sie über Mittag gehabt, der habe geschmeckt, als hätte man Güllewasser über Bocksbart angerichtet und Kässchabete darein gerührt usw. Eglihannes wollte abbrechen, ablenken, aber sowie er es versuchte, kam alles gegen ihn zu, und so lieb hatte er seinen Freund doch nicht, daß er hier für ihn auf die Schandbank sich gesetzt hätte. Er wußte sich nicht anders zu helfen, als wieder mit der Uhr in der Hand vom Anspannen zu reden und vorzuschlagen, er wolle gehen, sehen, was die Rosse machten, sie schirren lassen, in einer Viertelstunde sollten sie nachkommen zum Anspannen. So kam er los und ging. Als geschirrt war, ließ er Gstabi und Pigger anspannen, und als die Viertelstunde um war, dachte er, das Beste sei, er mache es, wie die Andern es ihm auch gemacht, und warte ihnen nicht. Es möge noch gehen, was wolle, so sei er nicht dabei, käme ungeschlagen draus und könne fahren, wie er wolle.


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