Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Fünfzehntes Kapitel

Endlich! Die Käse werden verkauft und abgewogen

Somit war der große Langnauer Tag beendigt. Er hatte viele Erfahrungen gebracht, aber keine Befriedigung; die Spannung dauerte fort, sie war besonders auf den Gesichtern der Weiber sichtbar. Eglihannes allein war äußerst befriedigt, stolzierte hochbeinig herum, fragte allenthalben: Ob man wisse, was sie ausgerichtet? Ob man begreife, wie es gehe, wenn man solche Möffe ausschieße und die Rechten daheim lasse? Hätte man ihm gehorcht, es wäre anders gegangen. So hätte man es haben wollen, habe man es jetzt, er könne warten so gut wie ein Anderer usw. Es dünkte Viele, so sind die Leute, Eglihannes hätte recht, ein andermal sollte man besser auf ihn hören. Die Ausgeschossenen selbst waren wirklich etwas kleinlaut, sagten bloß, ein andermal sollten Andere gehen und sehen, was sie zwingen könnten. Übrigens sei die Sache nicht verspielt, man sollte nur warten, bis die kämen, welche es ihnen verheißen. Das seien rechte Herren, könne man mit diesen handeln, sei man glücklich.

Diese Tröstungen spiegelten sich auf ungläubigen Gesichtern, doch mit Unrecht. Die Herren kamen wirklich und am abgeredeten Tage, taten gar freundlich, betrachteten die Käse mit großer Genauigkeit, suchten mit aller Sorgfalt ihre große Sachgelehrsamkeit, das heißt Käskenntnis an den Tag zu legen und verrieten eben dadurch, daß sie Neulinge waren. Je besser einer was kennt, desto mehr faßt er in einen Blick zusammen und desto weniger spricht er von dem, was er gesehen, wenn es nicht gerade sein muß. Als die Herren die Käse wohl besehen hinten und vornen, ihre Ausstellungen mit vieler Weitläufigkeit gemacht hatten, taten sie ihr Gebot, dreizehnundeinehalbe Krone, also doch immer anderthalb Krone mehr, als man in Langnau ihnen angeboten, das alte Pfund und zwei Pfund per Zentner fürs Eintrocknen vorbehalten, wie üblich. Das Ding ließ sich hören, Geld guckte wieder unterm Loche, das zieht; man konnte zu Eglihannes sagen: »Jetzt machs besser, wenn du kannst!« Indessen märtete man doch nach der von den Vätern angeerbten Weise und ermärtete noch zehn Kreuzer per Zentner und schloß den Kauf, jedoch unter Vorbehalt der Ratifikation. Die Instruktion nach Langnau lautete etwas wunderlich, so daß man es für geraten hielt, bei gegenwärtigen Umständen und herrschender Stimmung den Handel vor die Käsgemeinde zu bringen zur Genehmigung. Man trennte sich wie Freunde, versprach in den nächsten Tagen den Bescheid zu geben, und die Herren fuhren nach Hause in voller Befriedigung und mit klarem Bewußtsein, wie klug sie sich benommen, wie sie den Bauern imponiert und sie zugleich gewonnen, kurz wie sie die allerältesten Käsherren an Takt und Manier weit hinter sich gelassen, dem Handel einen ganz andern und ganz neuen Schwung gegeben. Nicht weniger befriedigt waren die Ausgeschossenen. Nun kam es doch an den Tag, daß sie in Langnau gewesen und nicht umsonst. Jetzt hatte man den Fisch beim Kopf, und wenn man ihn mal da hat, muß man dumm tun, wenn er wieder entrinnen soll.

Die beiden nächstfolgenden Tage konnte die Käsgemeinde nicht abgehalten werden, da man bei Tag wegen der Saatzeit nicht Muße hatte und an dem einen Abend eine große Steigerung, am andern Gericht war. Bekanntlich machten an solchen Gerichtstagen die Gerichtssäßen ihrem Namen Ehre und saßen sehr oft so lange, daß es wirklich zweifelhaft wurde, ob sie auch stehen könnten und nicht eigentlich zum Sitzen geschaffen seien. Es wurde also zu der wichtigen Gemeinde, wie üblich, auf den Sonntag geboten. »Gät ane«, hieß es allgemein im Publikum, »so ist man dem Geläuf und dem Gerede ab und weiß, was man hat.« Die Sache war ausgemacht, die Weiber mit den Männern einig.

Am Sonntag berichtete die Kommission, und jeder der Sieben sprach, eine besondere Gabe schien in jeden gefahren. Es könne ein Anderer auch erfahren, wie es da oben gehe, obgleich sie es keinem Hunde gönnten, was sie ausgestanden, das war der Refrain von jeder Rede. Wenn ein Grönlandsfahrer wiederkehrt, der auf Spitzbergen überwintert hat, oder eine Nordpolexpedition, welche einige Jahre bis an die Nase im Eise eingefroren stak, so wissen die Leute etwas zu erzählen, aber kaum mehr als unsere Siebenbürger von ihrer Langnauer Fahrt. Der Lichtpunkt fehlte jedoch in keinem Bericht, es war das Turnier um den Wert der beiden Großräte, an welchem sie teilgenommen, ohne zu wissen warum, akkurat wie jener unabtreibliche, notwendig gewordene Laffe in einer seiner Reden einmal vom Volke sagte: »Volk, du wirst aufstehen, wirst aber nicht wissen für was!« Es lächerte jeden, wenn einer erzählte, wie seine Kläpfe getätscht. Dann ward Bericht erstattet, wie man gehandelt auf Genehmigung hin. Allgemein war man einverstanden, sie hätten ihre Sache recht gemacht, jetzt hülfe man anegä. »He nun«, sagte der Ammann, »wenn es allen so recht ist, will ich das Mehr machen, u wies de het, su hets.«

Da stand Eglihannes auf und sagte: Er möchte auch ein Wort dazu sagen, wenn es erlaubt wäre, wo nicht, so könne er auch schweigen, ja freilich! Er wüßte nicht, sagte der Ammann gereizt, daß er einem das Wort verhalten, mit solchem solle man ihm nicht kommen. Es sei Gemeinde dafür, daß jeder seine Meinung sage, dumm oder gescheit, je nach seinem Verstand. Die Andern seien eben nicht daran gebunden, sondern hätten die Wahl, sie anzunehmen oder nicht. Das meine er auch, sagte Eglihannes. Es sei hier nicht wie in einer Kirche, wo einer das Recht habe, vorzusingen, und jeder dem nachgaggen müsse. Jeder könne dem nach, wer das Beste vorbringe, sei er, wer er wolle, Ammann oder nicht Ammann. Er hätte da einen Brief bekommen von seinem Freund, den sie wohl kennten; es sei der schöne Herr, wo sei wie ein Bär, welcher die Käse zuerst besehen. Der trage ihm darin auf, ihnen auf ihr Mulch vierzehn Kronen per Zentner zu bieten, also eine ganze Franke mehr, als da vorgebracht worden. Das sei ein Preis, wenn nicht der höchste, doch der, wo mehr darunter als darüber verkauft worden. Er behalte sich bloß vor, die schlechtesten, welche er nicht fortschicken könne, auszuschießen. Hier könne man sie immer wohl anbringen für den Kleinverkauf, mit welchem er sich nicht abgebe.

Jä, das lautete wie Harfenklang und Vogelsang! Die ältesten Leute wußten sich nicht zu erinnern, daß Eglihannes je so angenehm gesprochen. Es fand auch Anklang. Da könne man sehen, mit wem man es zu tun habe, hieß es. Da meinte man, sie verstünden nichts, und jeder begehre sich an ihnen zu mästen. Da sei Wehren gut, die Türks Türken ließen sich am Ende doch nach. Aber jetzt werds Zeit sein, jetzt hülf man abfahren; zehn Batzen mehr sei ein schönes Gebot und möge schon was bringen, und das hätte man dem Eglihannes zu verdanken. Wenn der Herr nicht mit Eglihannes bekannt wäre, so hätte derselbe nicht an sie gesinnet. Er hätte lange nicht gewußt, sagte Eglihannes halb bescheiden, halb gekränkt, ob er eigentlich etwas davon sagen wolle oder nicht. Er hätte gedacht, sie schätzten es doch nicht. Endlich habe er gedacht, es liege in seiner Pflicht, ihnen diese Mitteilung zu machen, sie könnten immer daraus machen, was sie wollten. »Ei, warum sollte eine Franke nicht dr wert sein, potz Schieß! Auf so viel Käs macht dies fry viel, einen ganzen Haufen. Es wäre nicht sehr recht von dir gewesen, wenn du geschwiegen, es ist ja dein Nutzen auch!« So sprach der große Haufe, so sind die Leute!

Die Ausgeschossenen waren verblüfft und hatten es ungern, daß am Ende doch noch der Eglihannes der rechte Käsvater sein sollte, aber sie wußten nicht, was sagen. Endlich sagte der Alte, der früher wegen der Untersuchung der Sache den Tätsch gegeben: Er müsse doch fragen, wie das sei wegem Ausschauben; ob die, welche das geringere Bott hätten, auch etwas vom Ausschauben gesagt? Davon sei keine Rede gewesen, hieß es, das alte Pfund sei vorbehalten und zwei Pfund Zugewicht, wie der auch wolle, sonst aber nichts. In diesem Falle, sagte der Alte, hülfe er auf das geringere Bott abstellen. In jedem Käs liege ein kleines Kapital, zehn Käse, wie sie sie hätten, machten ja fast zweihundert Kronen; allerwenigstens so viel werde ausgeschossen werden, auf die Käse verstehe er sich auch etwas. Nun freilich hätten die ausgeschossenen Käse auch einen Wert, aber einen geringern, und mit dem Absetzen habe man Mühe und Verdruß. Verkauft müßten sie ja jedenfalls werden; an den Frühlings- und Herbstkäsen hätten sie für den Hausbrauch mehr als genug. Da müßten sie mit hausieren gehen, den Leuten dr Gottswillen anhalten, daß sie einen kauften, darin hintendrein das Geld dr Gottswillen zusammenbetteln und endlich froh sein, wenn sie mit Wüstsagen nach zehn Jahren die Hälfte zusammenbringen. Betrachte man es recht, so sei der scheinbar niederere Preis der vorteilhaftere, darum stimme er zu diesem. Dabei wisse man, woran man sei, und sei mit einem Male fertig.

Dagegen erhob sich Eglihannes und sagte: Er hätte noch nie gehört, daß man dreizehn Kronen und fünfzehn Batzen nehme, wenn man vierzehn ganze Kronen haben könne. Das mache achtzig bis hundert Kronen Unterschied am ganzen Mulch. Werde dabei etwas ausgeschossen, so sei das ganz recht; zum Essen seien das gerade die allerbesten Käse, nur nicht zum Fortschicken, weil sie leicht entzwei gingen oder sonst nicht in die Augen fielen. Nun sollten sie rechnen, vierzehn Kronen machten dreiundeinenhalben Batzen das Pfund, und in Bern wäge man solchen Käs nicht unter sechs Batzen das Pfund aus. Wenn sie den Ausschuß um dreiundeinenhalben Batzen, ja um vier per Pfund geben wollten, in acht Tagen hätten sie keinen mehr. Und dafür brauchten sie nicht an die schlechten Hudelwirte zu kommen, welche bereits Haut und Haar doppelt schuldig seien, sondern an die rechten, an die Könige, welche das Bureau voll Geld hätten und bar zahlten. Er wolle den Verkauf schon übernehmen, wenn Andere die Mühe scheuten, und garantiere eine schöne Losung. Dann sollte man doch denken, es sei am Namen auch etwas gelegen; wenn es heiße, sie hätten schon im ersten Jahre von den höchsten Preisen gelöst, so gebe das Kredit für die Zukunft. Es töne doch ganz anders, wenn man sagen könne vierzehn Kronen als nur dreizehn und fünfzehn Kreuzer.

Da hatte er den richtigsten Punkt getroffen. Viel lösen ist das Allernächste, und viele Augen sehen immer nur das Allernächste. Zahlen ist dann schon das Zweite, woran man erst denkt, wenn das Erste vorbei ist. Es verkaufte einmal eine Frau auf einem Markte eine Kuh an zwei Spitzbuben teuer und rühmte sich, wie viel sie aus der Kuh gelöst. Die Spitzbuben gaben ihr drei Taler, verkauften die Kuh weiter und machten sich mit dem Gelde davon – die Frau hatte das Nachsehen. Begreiflich jammerte die Frau sehr. Da trat ein Kuhhändler zu ihr, welcher die Kuh auch gern gehabt hätte, aber wohlfeiler, und sagte: »Aber Frau, tue nicht so, tröste dich, du hast ja viel gelöst!« Es ist sehr merkwürdig, wie das Viellösen ein Köder ist, an welchem nicht bloß Weiber sich fangen, sondern sonst ganz gescheite Leute. Viel lösen ist ein gar prächtiges Ding, und bezahlt wird es schon werden, wenn er Geld hat, denkt man. So kann man jahrelang jemanden zu teuer verkaufen und teurer als Kauf und Lauf überall gehen, und ganz getrost auf Borg. Man denkt nicht an den unausbleiblichen Ausgang, und wenn jemand darauf aufmerksam macht, so heißt es: »Er würde nicht so kaufen, wenn er nicht seinen Gewinn dabei hätte, so dumm ist der nicht, öppe einen Schlaueren, Fermeren im Handel als ihn gibt es nicht. Aber er kann auch teurer verkaufen als ein Anderer, er hat Leute darnach an der Hand.« Man denkt nicht daran, daß die Leute, welche teurer kaufen als alle Andern, als sie es anderwärts haben könnten, ebenfalls ihre Gründe dazu haben mögen, die nicht sauber sind, sondern auf einen schlimmen Ausgang deuten. Man freut sich kindlich, daß man viel gelöst, daß kein Mensch einem so viel dafür gegeben, freut sich jahrelang und sagt: »Er wird mich schon bezahlen, wenn ers hat, das macht mir keinen Kummer.« Und wenn endlich kommt, was kommen mußte, wenn die Schuldenmasse losbricht wie eine Schneelawine übers Dach, die das Haus verschüttet, he nun, was machts, hat man doch den Trost wie jenes Weib, daß man viel gelöst. Darin liegt nicht bloß Gewinnsucht, sondern Eitelkeit oder Ruhmsucht. Kann man rühmen, daß man mehr gelöst, so rühmt man damit sowohl seine Sache, seine Ware als seine Klugheit, seinen Handelsgeist; es liegt im Hintergrunde der Gedanke, wer am meisten löse, sei selbst auch am meisten wert. Es ist wirklich recht lustig, durch welche Künste man zu diesen hohen Preisen zu kommen sucht, ja wie viel man sich dieselben kosten läßt. Als der Verkauf von Heu an Küher noch eine der Haupteinnahmen der Bauern war, da wollte auch einer mehr aus demselben lösen als der Andere, sagen können: »Meines giltet eine Krone mehr als deines per Klafter«, und wie machte man dies? Man erzielte dies durch Zugaben. Der Küher versprach einen hohen Preis für das Klafter Heu, der Bauer dagegen versprach zu jedem Klafter eine bestimmte Zugabe an Korn und Kartoffeln, an Holz und manchmal sogar an Spinnstoff, Hanf oder Flachs, Herbstweide usw. Diese Zugaben rechnete der Bauer nicht, nannte er nicht, und so ist es denn wirklich nicht so schwer, zu dem Erlös eines hohen Preises zu kommen. Diese Sucht verging mit den Käsereien nicht, sie ging bloß vom Heu auf die Käse über. Da ließ man sich auch manches gefallen, von dem man dann gar nichts sagte, nur um eines hohen Preises willen, und sehr listig sind die Käsherren bei diesem Einmärten, sie kommen nie zu kurz dabei. So sah einer zufällig einmal große, schwere Ankenballen im Käskeller, und weil es nach dem Langnauer Markte war und das Mulch sehr feil, wie er merkte, märtete er diese rasch ein und erhielt sie. Es ward bekannt, daß dieser Herr Liebhaber von Anken sei, man brachte ihm vor dem Kaufe halbzentnerige Ankenballen, um ihn gängig zu machen, nach dem Sprüchwort: Wer gut schmiert, fährt gut auf dieser Lebensreise. Das war aber dumm, der Herr nahm den Anken, den Käs aber ließ er sein; selb war nicht dumm.


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