Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Die ersten Käse ließ der Händler sich zuwägen. Mit denen nehme man es nicht so genau, sagte er, das seien die sogenannten Probiererli, wie es sie in jeder Käserei gebe. Diese könne man so zwischenhinein brauchen; man habe immer Abnehmer, denen man noch geben müsse und doch lieber nicht geben wollte, für die seien diese Käse noch lange gut genug. Solche Rede gefiel den Bauern. Das sei ein rechter Herr, dachten sie, sie seien glücklich, daß sie an diesen da gekommen und nicht an so einen Bschyßhung, wie die Andern seien; und Eglihannes blies die Backen auf, daß jeder ward wie ein großer Luftballon. »He, nit sövli spitz«, sagte einer zum Senn, der Bruchgewicht auftun wollte; »wenn man da aufs Lot hinaus wollte, so würden wir nicht fertig mit Wägen bis am kalten Burgdorfmärit!« »Da fehlt noch mehr als es Pfung!« schrie eine kleine Stimme den Mannen zwischen den Beinen durch. »Das ist bschisse!« Als die Mannen sich umsahen, stand der kleine Großrat in spe hinter ihnen und schrie unerschrocken: »Ja, luegit ume, es fehlt meh als es Pfung!« »Was hast du da zu tun, du Lumpebueb«, schnauzte ihn einer der Männer an; »pack dih use, da hey dBuebe nüt z'tüe.« Der Bub blieb ganz einfach stehen, und bei einem der nächsten Käse schrie er wieder: »Das isch nit recht gwoge, un uf my Seel nit! Wohl, das soll schön gah mit Schyn!« »Werft doch den Buben hinaus«, sagte der Herr. »Oder ists hier der Brauch, daß Buben dr Käs vrkaufen und dryrede?« »Willst use oder nit«, sagte einer der Männer zum Jungen. »Ih ha ds Recht so guet als du«, antwortete der Junge unerschrocken.»My Ätti hät so viel Milch i dKäserei gä als du, daß dus ume weißt, u we bschisse wird, so geyhts ihm übler als dir, vo wege, er her nüt drvo.« »Fahret doch mit dem Bub raus, wohl, mit dem wollte ich auch so Federlesens machen«, sagte der Käufer. Die Manne scheuten sich, Hand an ein fremdes Kind zu legen, sagten bloß: »Geh, packe dich, willst oder willst nicht.« Da fuhr Eglihannes zweg, gab dem Buben eine Ohrfeige und faßte ihn zum Hinauswerfen. Der Junge biß, schlug mit den Füßen, schrie ihm alle Schimpfwörter, welche er sein Lebtag je gehört, ins Gesicht, zerrte sich mit ihm herum, daß wirklich noch einer Hand anlegen mußte, um dem Spektakel ein Ende zu machen. Draußen spektakelte der Junge aber fort und schrie durchs ganze Dorf, was man ihm angetan, dieweil er diesen und jenen in die Karte gesehn. Er wisse jetzt, wie es gehe, aber warten die nur, bis er groß sei, denen wolle er dann eine Suppe anrichten, welche sie zu Bern im Schellenwerk ausfressen müßten!

Als eine artige Reihe gewogen war, sagte der Käshändler mit dem Bleistifte in der Hand: »Jetzt die von dem bis zu diesem (es waren deren ungefähr zwei Dutzend an einer Reihe) will ich nicht, wüßte sie nicht zu brauchen.« Potz Türk, was machten da die Manne für Gesichter! »Öppe nit, wird nit sy« sagten sie. »Sövli mänge, so wars notti nit gmeint, und sövli schöne Käse!« »Wem sie gefallen, dem habe ich nichts dagegen, aber ich will sie nicht, wie ich ds Recht habe. Wüßte nicht, wie sie brauchen«, bemerkte der Händler. »So sagt doch, wo es ihnen fehlt, wir haben einen rechten Senn gehabt, von den vornehmsten einen; der Lohn, welchen wir ihm geben, ist auch darnach«, sagte der Ammann. »Habe wider den Senn nichts, der Senn ist recht. Aber wenn es schlechte Käse gibt, so sind die Bauern mehr daran schuld als der Senn. So eine Käswägete ist fast wie das jüngste Gericht, da kommen die Sünden an die Sonne, da sieht mans an den Käsen, wie die Bauern mit schlechter Milch betrogen und haben geglaubt, es merke es niemand. Von da bis dort habt ihr schlecht gekäset, seht das Datum nach und denkt, ob in der Zeit alles richtig zugegangen ist!« so sprach der Käsherr.

Die Bauern sahen einander an, und der Ammann sagte endlich: »Ho, etwas ist gegangen, wie es an allen Orten etwas gibt, aber nicht mehr als an einem andern Orte, und als man die Untersuchung machte, hat man nicht einmal was gefunden, das etwas schaden konnte. Da bei einem Witfraueli war etwas, aber es hat nur eine Kuh, viel geschadet hat das allweg nicht.« »Ja, ich kenne die Untersuchungen, da sieht man durch die Finger und blinzet noch dazu«, erwiderte der Händler. »Etwas kann gefehlt sein«, sagten die Männer, »aber doch nicht so viel, selb wäre doch wohl viel gschaubet.« »Seht selbst, ob die Käse recht sind«, sagte jener und demonstrierte diesen in aller Bündigkeit das Käsesündenregister innen und außen. Er erklärte, wenn er diese hätte nehmen müssen, so hätte er vom Ganzen nichts wollen. »Hier (er zeigte den Punkt) fangen sie an zu bessern, doch ist noch nicht alles gut, ich sehe noch mehrere, welche zu diesen gehören.« Als die Männer sich auf die Käshändler beriefen, keiner hätte ihnen ihre Käse ausgeführt, fragte er sie: »Was haben sie euch denn geboten?« »Apart nichts, man hieß uns nach Langnau kommen«, antworteten sie. »Da seht ihr, daß die Andern die Käse gesehen so gut als ich. Aber bietet man nicht und märtet man nicht, so läßt man die Käse sein, wie sie sind, man führt keine Ware aus, welche man nicht begehrt.« Und als sie sich auf die neuen Herren beriefen, welche alle genommen hätten, antwortete er kurz:»Hättet ihr sie gegeben! Ich habe anders gehandelt, und dabei bleibts.«

Die Männer muckelten diverse Redensarten und warteten dem Eglihannes mit gewürzten Blicken auf. Am Ende waren dreißig Käse ausgeschaubet. Eglihannes war verlegen, und der Käufer sagte doch, er sei noch gnädig gewesen, aber er begehre sie nicht zu plagen, es sei ihm um ein andermal. Und wirklich tat er sich bei den Männern um, wußte ihnen Honig in den Mund zu streichen löffelweise, guten Rat zu geben auf die Zukunft, daß die anfängliche Bitterkeit sich verlor und sie bei sich dachten: Sie könnten es ihm so viel nicht verargen, wer einmal das Heft in den Händen habe, mache, was er könne. Das sei gut für ein andermal, das Lehrgeld müsse man einmal zahlen, und doch lerne man nie aus. Aber jetzt waren sie genau im Wägen, der geprügelte Junge wäre nun auch nicht mehr geprügelt worden. So geht es in der Welt: man wird gar oft heute für eine Sache geprügelt, und morgen kriegt man großen Lohn; heute kommt man für etwas ins Zuchthaus, schon über acht Tage würde man deswegen Ratsherr.

Nachdem der Käs gewogen war, kam das Beste: der Käufer seckelte das Geld aus, den Dritteil der ganzen Kaufsumme, welche einen artigen Haufen ausmachte. »Zählt es wohl«, sagte er, »und kehret meinethalben jeden Batzen; hintendrein aber kommt mir dann nicht, es sei zu wenig gewesen oder dieses und jenes sonst nicht gut. Ists unter meinen Augen weg, bin ich für nichts mehr gut.« »Das ist ein schlechtes Zutrauen«, sagte einer. »Wenn man es nicht so machen würde, würde man nie fertig mit nachedopple, denn die Mäuse kommen manchmal dahinter, und wenn die Mäuse nichts machen, so kommt manchmal die Weiber der Gwunder an«, sagte der Käufer. Der Anblick des Geldes machte einen recht erquicklichen Eindruck auf die Männer, ganz so wie ein guter Regen auf eine vertrocknete Matte. Endlich fragte einer: »Aber wie soll das jetzt gehen mit dem Käs, welcher geschaubet worden? Die Leute wären froh, Geld zu nehmen, den ganzen Sommer sind sie im Trocknen ghocket, haben nichts lösen können, und solange diese Käse nicht verkauft sind, kann man keine Rechnung machen, weil man nicht weiß, was man hat und was jedem gehört, und das ist eine lätze Sache.«

»Ja«, sagte da der Käufer,»das kann man machen, wie man will, darüber ist kein Gesetz. An der Abteiltig könnt ihr beraten, was mit den Käsen machen, ob verteilen oder ins Gemein verkaufen. Da teilt ihr das Geld, was da ist, dieses und das Hüttengeld, wenn ihr welches habt; im Frühjahr ist die Ausrechnung, wenn alles fertig ist.« »Wegem Hüttengeld braucht man keinen Kummer zu haben«, antwortete der Ammann und Hüttenmeister; »selb ist da, was einging, es kam keinem Ratsherrn unter die Finger.« Potz, da kriegte der Käshändler einen roten Kopf, denn er betrachtete jedes männliche Glied seiner Familie als einen gebornen Ratsherrn. Ob er Ursache hatte, des Ammanns Rede als eine persönliche Anzüglichkeit zu betrachten, wissen wir nicht; jedenfalls wäre er ihretwegen nicht rot geworden, denn in diesem Punkte hatte er Sohlleder am Gewissen, mit Mäuseköpfen festgenagelt. Aber sein Ratsherrentum dagegen war noch ganz brütig, mit blutjunger Haut überzogen, daher um so empfindlicher.

Wegen dem Hüttengeld wisse er nicht, wie das sich verhalte, gehe ihn auch weiters nichts an, sagte der Käsehändler. Aber das könne er sagen, einem Ratsherrn bleibe nicht viel übrig für seinen Sack, wenn dSach erst durch Bauernfinger müsse; was die könnten, selb habe er erfahren. He ja, sagte einer, sie machten auch, was sie könnten, und selb werde wohl erlaubt sein. Daneben machten sie die Sache unter sich und nicht zu grob, daß ein jeder zufrieden sein könnte. In fremder Sache wärmten sie die Hände nicht, Staatsgelder liefen ihnen nicht durch die Finger, und mit andern Kassen hätten sie nichts zu tun; das überließen sie eben den Ratsherren und Andern, welche es nötig hätten. »He nun«, staggelte der Käshändler, »so habt ihr die Finger im Gemeindeseckel, wenn euch das Andere verhalten ist.« »He«, sagte der Ammann, »was das betrifft, so hat die Gemeinde keine Schulden, die Rechnungen sind gelegt, und Keinen von uns gschauete noch der obrigkeitliche Schneider, um zu wissen, wie weite Hosen und Kutte er mangle, wenn er ihn einmal kleiden müsse von Obrigkeits wegen.« »Soll das gehauen oder gestochen sein?« fuhr der große Herr zornig auf. Oh, sagte der Ammann, was dem Einen recht, sei dem Andern billig; er habe zuerst angefangen, und zu antworten werde erlaubt sein. Möge er nichts ertragen, solle er ein andermal auch schweigen. Daneben wegen dem Ratsherrn wüßten alle wohl, wen es anginge. Er möge nichts davon hören, sagte der Herr; das sei eine konservative Lüge, die Donnere hätten es im Brauch, alle Gutdenkenden zu verleumden. Das erfahre er genugsam, jammerte Eglihannes. Er sei auch nicht sicher, die Hagle dressierten noch die Kinder, daß sie einem auf der Gasse nachriefen und böse Nachreden anhingen, aber dem werde wohl ein Ende zu machen sein. »Hab nur Geduld«, sagte der Herr. »Es geht nicht lange, so kommt die große Abmachete; dann besserts, was gilts!« »Glaubs auch«, sagte der Ammann. »Dann wird es sich zeigen, was aus Herrenhänden wieder in Bauernhände kommt, was für Finger sauber sind.« -

»Apropos! Wißt ihr auch, daß man im Oberland eine Frau wieder ausgrub, weil sie einen Gurt mit zweihundert Dublonen um den Leib hatte, an den man erst dachte, als sie sechs Wochen unter der Erde war; das mag ein sauberes Dabeisein gewesen sein!« So sprang der Herr vom kitzeligen Thema auf neutralen Boden und mied das Zanken, worin er sonst ein Meister war, besonders wenn er die nötige Unterstützung im Rücken hatte. Die Vehfreudiger, denen die dreißig Käse, sicher mehr als vierzig Zentner schwer, fast tausend Gulden wert, schwer im Magen lagen, wurden immer wieder anzüglich, daher sich der Herr bald fortmachte, nachdem der Tag, an welchem die Käse gebracht werden sollten, festgestellt war.

Die Vehfreudiger hatten sämtlich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Da war Keiner, der nicht sein Budget ändern und auf eine ganz andere Bilanz sich gefaßt machen mußte. Indessen, sie zeigten große Anlagen zu philosophischer Bildung; da waren Wenige, welche die Sache nicht am besten Orte nahmen. Das taten sie um der Weiber willen, welche bedenklich die Nase rümpfen wollten. Es sei gut, hätten sie die Türken von dem Hals und Geld dafür, allweg einen schönen Schübel (Haufen), den sie gar nicht hätten, wenn keine Käserei gewesen. Andere hätten ihre Käse noch, denen gehe es übel. Da sei aber keine Käsgesellschaft, welche es nicht Lehrgeld gekostet, ihnen sei es noch heilig ergangen. Das andere Jahr werde es ganz anders gehen, da könne man was zwängen, da man so schöne Zeit habe, sich zu rangieren; diesmal habe es gar zu stotzig gehen müssen.

Die Weiber hatten es aber wie Rahel zu Rama, sie wollten sich nicht trösten lassen. Man konnte ihnen lange predigen: Bereits ein Haufen Geld wie ein Ofenhäuschen sei da, und ein noch größerer werde nachkommen; sie hatten es wie Thomas, solange sie es nicht mit den Augen sehen, ihre Hände darauf legen konnten, glaubten sie nicht an dessen Dasein. Die Besten unter ihnen sagten: Was es ihnen nütze, wenn es auch da sei, solange sie es nicht hätten? Es sei die höchste Frage, ob sie es noch bekämen; man wisse, wie bös die Welt sei und wie betrügerisch die Leute. Da sei doch keine Gefahr, sagten die Männer, das Geld liege hinter dem Ammann. Ammann hin, Ammann her, es sei heutzutage niemanden zu trauen, und je höher, desto schlimmer, denn es könne ja jeder machen, was er wolle, und je mehr einer vorstelle, desto weniger dürfe man ihm tun, so demonstrierten die Weiber.

Es war böses Wetter im Lande. Es war den Männern, wenn sie die Sonne nur einen Sprung von vierzehn Tagen könnten machen lassen. Sie wußten wohl, anderes Wetter gab es nicht, bis die Abteiltig vorbei war, sie Geld im Hause hatten; dafür mußten aber zuerst die Käse geführt werden.


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