Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Endlich kamen sie ins Dorf zum Doktor, fanden ihn auch zu Hause, sintemalen er nicht zu denen gehörte, welche meinen, sie seien abends nur im Wirtshause schön. Als man Änneli vom Wagen hob, machte es wieder Entschuldigungen, daß man seinetwegen so Mühe habe und wie leid es ihm sei, daß sie seinetwegen so versäumt würden. »Schweig doch«, schnauzte Felix, »mit dem dummen Gedampe, ich mags nicht hören, man weiß ja, wie es gegangen!« Änneli schnitt diese rauhe Rede tief ins Herz, ihre Bedeutung begriff es natürlich nicht, mußte sie als ein Zeugnis des Unmuts von Felix nehmen; es wußte nichts anderes zu sagen als: »Zürn doch recht nüt, es wäre mir grusam leid, wenn ich dich sollte böse gemacht haben.« »Das ist gstürmt«, sagte Felix, »aber wart der nur, dem Donner treib ich es ein!« »Wem?« fragte der Doktor. »He, wem als dem Hurenhund, dem Eglihannes«, sagte Felix und erzählte, während der Arzt untersuchte und verband, eine schreckliche Geschichte von Eglihannes und seiner sündhaften Schuld, daß einem die Haare zu Berg standen, Eglihannes schwärzer als der Teufel, die Andern schöner als die Engel wurden – von Änneli kam nichts darin vor.

Diese Erzählung von Felix wurde von allen Andern ihren Erzählungen zugrunde gelegt, wurde von allen Andern als mit der Wahrheit zusammenfallend, wie zwei Dreiecke mit zwei gleichen Seiten, bezeugt und bestätigt. Begreiflich ließ Eglihannes sich dieses nicht stillschweigend gefallen, er begehrte schrecklich auf und protestierte dagegen, und zwar noch selben Abend in dem Wirtshause, wo Änneli verbunden wurde und die Andern auch anhielten, um gleich zu hören, was der Arzt sage. Aber das war alles umsonst, kein Mensch glaubte ihm, sondern dem Felix und allen Andern. Die würden es wohl wissen, hieß es allgemein, und was so einem zu glauben sei wie dem Eglihannes, der als Volksfreund an die Regierung gekommen, und doch Keiner das Volk mehr geschunden und versauet habe als gerade er und noch jetzt alle Tage den Hals voll lüge und alle Leute anschmiere. Das mußte Eglihannes sich gefallen lassen, mochte er aus der Haut fahren, so oft er wollte, und alle Wände auf, so hoch er konnte, es half ihm alles nichts. Es war halt eine natürliche Folge seines Lebens, es gehörte dieser Unglaube an ihn so gut zu ihm wie zum Fuchs der Schwanz. So etwas begreifen jedoch die Kinder dieser Zeit und namentlich gewesene Schulmeister nicht. Was aber dabei das Merkwürdigste ist, Felix und seine Kameraden waren so von der Wahrhaftigkeit ihrer Darstellung überzeugt, daß sie mit einem Eide dazu gestanden wären. So kann es gehen in der Welt, besonders wenn die Menschen bei einem Erlebnis halb betrunken waren.

Zwischen Felix und dem Eglihannes wäre es beinahe zu einer neuen Paukerei gekommen, wenn nicht der Arzt vermittelnd eingeschritten wäre mit der Bemerkung: Wenn Felix nicht alsbald mit dem Mädchen heimfahre, so könnte es mit demselben ungsinnet übel gehen; wenn man schon jetzt nichts Lebensgefährliches sehe, so könnte es sich später erzeigen, besonders wenn es nicht bald an die Ruhe komme. Das wirkte, obgleich Felix für sein Leben gern Eglihannes noch vaterländischer geprügelt hätte als vorher und zwar, wie er glaubte, auf die alte Rechnung. Eglihannes hatte ihm nämlich gedroht, er habe ihn jetzt endlich einmal; was ihm schon längst gedroht worden, das müsse jetzt einmal sein, er müsse ihm zum Lande hinaus. Gleich morgen gehe er zum Richter, zeige seine Wunden (er hatte beim Zusammenfahren und Umschlagen einige Quetschungen und von Felix' Geißel einige Striemen) und mache ihm den Marsch, wie es sich gehöre. Er sei jetzt einmal an den Rechten gekommen, wo Felix mit dem Gelde nichts zwingen solle. Felix dachte, etwas könnte an der Sache sein, denn wenn Eglihannes ans Prozedieren komme, so sei er ein Utüfel und habe schon manchen Menschen unglücklich gemacht. Nun sei es doch nicht recht, wegen so Wenigem unglücklich werden zu müssen; am besten sei es, er schlage ihn gleich ab, daß es eine Art habe und derselbe morgen wenigstens das Maul aufzutun vergesse. Nun ließ man ihn nicht machen, und das reuet ihn bis auf den heutigen Tag, obgleich Eglihannes mit ihm nicht richterlich wurde, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil er sich betrank, daß er bewußtlos nach Hause getragen wurde und am folgenden Tag ihm erklärt ward, wenn er eine Klage ausspiele, führe man den Beweis, er sei katzvoll gewesen, daß er nicht einmal mehr hätte Babi sagen können, geschweige denn gewußt habe, was mit ihm vorgehe. So mußte der arme Mann unschuldig leiden!

Als Felix im Nägeliboden vorfuhr, war es schon sehr spät, die Leute im Bette. »Hörst?« sagte Bethi zu Sepp und stieß ihn mit dem Ellbogen. »Ammanns Felix wird den Braunen abspannen wollen; wenn er Verstand hätte, so hätte er ihn mit seinen Rossen nach Hause genommen und dort gefüttert, es wäre in einem zugegangen, vom Hofe hätte der Braune den Ammann in einer Nacht nicht gefressen. Jetzt kannst auf und füttern – das ist ein Verstand!« Da klopfte es hart am Fenster. »Komme, will erst Licht machen und Hosen anziehen!« rief Sepp hässig. »Die Bäuerin soll auch kommen!« rief es draußen ängstlich. »Ich! « rief Bethi erschrocken; »mein Gott, was ists?« sprang auf, machte Licht und schickte damit den Sepp voran, während sie das Gloschli anzog, ein Halstuch über die Nachtkappe band und nach den Schuhen tappte, denn auf alle Fragen: »Was ists? Was hats gegeben?« erhielt man keine Antwort, der Rufende hatte sich alsbald entfernt. »Mein Gott, mein Gott!« sagte Bethi und wußte nicht warum, trieb sich mit den Schuhen herum und konnte sie doch nicht an die Füße bringen. Als es endlich unter die Haustüre kam, trug ihm Sepp eine Person entgegen; er hatte sie auf den Armen, sie ließ alle Glieder hängen, akkurat als ob sie tot sei. »Herr Jeses, du mein Gott«, sagte Bethi, und um zu wissen, wer es sei, zündete es alsbald nach dem Angesicht. »Änneli, mein Gott, Änneli!« schrie Bethi auf, leichenblaß. »Ists tot?« »Nein«, hieß es; »es ist alles zweg, ume es bitzli gschmuecht (ohnmächtig) ists ihm worde, drnebe hets no e Plätz ab oder zwe«. Bethi hielt sich nicht mit Fragen auf, es ging rasch voran, denn vor ihm stand alsbald das Notwendige. Es werde schon zu sich selbsten kommen, sagte der begleitende Mann, wenn es einmal an der Ruhe sei. Verbunden sei es, und morgen werde der Doktor kommen und nachsehen. Der Eglihannes habe es überfahren und wolle es jetzt nicht einmal glauben, so schlecht sei der Lumpenhund. Als Sepp hinausging, um Felix den Braunen abzunehmen, war Felix samt dem Braunen schon davongefahren – so kann man dem Menschen unrecht tun!

Voll Angst und doch besonnen und mit allem Geschicke waltete Bethi um die Schwester, die ihm wie vom Himmel her ins Haus fiel. Es konnte nicht begreifen, warum sie kam, wenn nicht die Großmutter gestorben; aber wie das jetzt vernehmen zu rechter Zeit, wenn Änneli nicht bald erwachte? Und wenn es nicht wieder erwachen sollte, wenn es sich etwa innerlich verblutet? Bethi fühlte, daß ihm ein Stück seines Herzens mit Ännelis Tod abginge. Lange blieb ihm diese Angst; bald war all seine Kunst, all seine Hausmittel erschöpft, und Änneli gab noch kein Lebenszeichen. Endlich kehrte die Empfindung zurück, endlich schlug es die Augen auf, aber lange noch ging es, bis es zum Bewußtsein kam, bis es wußte, wo es war. Bethis Freude war unendlich, doch brach sie so wenig aus als früher die Angst, sie loderte bloß in den Augen, sie ward bloß laut in den süßen Tönen, in welchen es die gewöhnlichsten Sachen fragte oder sagte.

Änneli war ganz erstaunt, als es endlich seine Schwester erkannte, wollte aber lange nicht glauben, daß es in der Vehfreude sei, und noch viel länger gings, ehe es sich entsann, wie es hieher gekommen und warum. Endlich konnte es berichten, erzählen, wie es unter die Rosse gekommen, und zwar, weil es nicht schnell genug ausgewichen, sondern erstaunt vor Angst im Wege stehen geblieben, wo man es in der Dunkelheit nicht gesehen. Schuld habe dabei sicher niemand anders, noch weniger hätte es jemand mit Fleiß getan. Als man ihns erkannt, habe man ihm alle Liebe erwiesen, es könne es nicht genug rühmen. Nur sei ihm leid, daß Ammanns Felix seinetwegen den Eglihannes grausam ergeißelt; er möge wohl daneben ein Wüster sein, aber diesmal habe er keine Schuld. Das schien dem Kinde am meisten weh zu tun, daß jemand um seinetwillen unschuldig leiden solle. Vergeblich tröstete Sepp, es solle deshalb nicht kummern, es sei nur schade um das, was daneben gehe, und habe er es diesmal nicht verdient, so könne er es nehmen als Abschlag für andere Male, wo ihm zehnmal mehr gehört hätte. Sepp mußte am Ende noch versprechen, daß er es morgen den Andern sage. Es habe es auch getan, aber man habe ihm abgeputzt. Wer, sagte Änneli nicht.

Felix hatte eine wilde, unruhige Nacht. Trinker war er nicht, aber bei Anlässen hielt er es für seine Pflicht, mit den Andern zu saufen, und hätte es für eine Schande gehalten, wenn er nüchterner geblieben wäre als die Andern. So hatte er auch tapfer getrunken gehabt, und zum Wein kam nun der Zorn. Hätte er sich so recht vaterländisch ausprügeln können und wäre mit sieben Löchern im Kopf so groß wie Hühnereier zu Bette gegangen, er hätte süß geschlafen, als läge er auf Rosen und Schwanenfedern. Jetzt aber steckten ihm alle Prügel, welche er dem Eglihannes hatte geben wollen, noch im Leibe, stachen ihn wie Dornen, brannten ihn wie feurige Scheiter, ließen ihm keine Ruhe. Er mußte immer denken, ds Meitschi hätte sterben können, und einem solchen Schelmen sollte man nichts tun dürfen, und doch verdiente der einen Gottslohn, der ihm von der Welt hülfe! Mehr als einmal fuhr er auf und war drauf und dran, wenigstens noch ein Zeichen zu tun, daß der Hund nicht meine, dSach sei aus; dann dachte er wieder, morgen sei auch noch ein Tag. So brachte Felix die Nacht zu wie in Feuer und Flammen und war am Morgen schon früh im Stall, daß die Knechte sich wunderten, daß er schon füre sei.

Der Nägelibodenbauer werde sein Roß wohl brauchen heute, darum sollten sie pressieren mit Füttern und es recht putzen, er wolle es wieder hinbringen, er hätte ohnehin mit ihm zu reden, sagte Felix. Begreiflich hielt er vor den Knechten nicht hinter dem Berge, sondern erzählte ihnen die gestrige Tagesgeschichte und alle Laster und Sünden von Eglihannes, daß derselbe schwärzer wurde als der Teufel und die Knechte sagten: »Ume Geduld, der muß erfahren, wie lieb man ein solches Kalb hat«. Felix hatte schon gestern Freude gehabt an Nägelibodenbauers Braunem, heute schien er ihm noch schöner. »Den mußt du kaufen«, sagten die Knechte, »der und der Lahme geben das schönste Paar Rosse, die man sehen wird, jeder Roßhändler zahlt dir dafür sechzig Dublone und noch mehr. Wenn der in unsern Stall kommt, sieh dann, wie schön der wird, er mag zuletzt den unsern noch, er ist noch aufgesetzter und schöner in den Ohren.«

Als Felix mit dem Roß in den Nägeliboden kam, traf er den Bauer in dem Stall. »Dachte«, sagte er, »ich wolle ihn dir bringen, vielleicht daß du ihn brauchen willst und anspannen kannst, wann du willst, er ist gefüttert.« »Und zwar besser, als er es bei mir gehabt hätte«, sagte der Bauer, »er ist ja rund wie ein Aal«. »Es ist ein schönes Tier«, sagte Felix, »und paaret exakt zu unserem; wenn wir sie zusammen verkauften, wir lösten manche Dublone mehr, als sie einzeln gelten, das gäbte das stolzeste Paar im Kanton, kein Landvogt hätte ein solches.« »Mir wäre es anständig«, sagte Sepp, »denn das Geld kann niemand besser brauchen als ich, und ein minder Roß tut es mir auch.« »Ja, was ich sagen wollte, hast dem Eglihannes schon Manne geschickt?« fragte Felix. »Was? Warum soll ich dem Manne schicken?« sagte der Bauer. »He, warum! Weil er deine Schwester überfahren hat. Wie geht es ihr?« fragte Felix. »Nicht am besten, sie hat grausames Fieber und war die halbe Nacht verirret, wenn nur der Arzt bald käme! Aber als sie gestern zu sich selbsten kam, sagte sie selbst, der Eglihannes vermöge sich bei der ganzen Sache nichts, sie selbst sei schuld und nicht zu rechter Zeit geflohen«, bemerkte Sepp. »Warum nicht gar«, sagte Felix. »Was ist sich doch einem solchen Meitschi zu achten, was es sagt, und dazu war es ja noch von Sinnen. Ich war dabei und weiß, wies ging. Der Schelm muß für alles gut sein, und wenn der Doktor kommt, so soll er dir ein Zeugnis machen, und von uns sollst eins haben, wenn du willst. Der Lumpenhund muß einmal wissen, was recht und unrecht ist, mit was für Leuten er es zu tun hat. Der Halunke muß lernen, was für ein Unterschied ist zwischen ehrbarer Bursame und verfluchtem Schreiberpack.« »Lue«, sagte Sepp, »das Prozediere ist mir zwider, hab weder Geld noch Sinn dafür, und wie soll ich fahren, wenn ds Meitschi sagt, es sei selbst schuld und sonst niemand!« »Was ist sich doch einem solchen Meitschi z'achte und noch dazu einem, welches von Sinnen gewesen!« fragte Felix. »Ja«, sagte Sepp,»das wäre wohl gut, aber die Sache ist seine und nicht meine; wenn es zu einem Eid käme, müßte es ihn tun, nicht ich, und Eglihannes ist nicht der, der dSach nicht bis zum Letzten treibt.« »So wart, bis ds Meitschi wieder bei sich selbsten ist, dann wird es ganz anders reden, zähl darauf, drum fahr zu, oder ich habe mein Lebtag nichts mehr auf dir, sondern denke, es sei ein Lumpenhund wie der andere, darum beiße der eine den andern nicht.« So deutsch sprach Felix.


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