Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Fünftes Kapitel

Wie die Vehfreudiger am Vorabend wichtiger Ereignisse nicht bloß stehen, sondern auch laufen

Endlich waren alle Vorbereitungen vollendet, der große Tag nahte, an welchem es Käs geben sollte in der Vehfreude. Schmuck und schön stand die sogenannte Käshütte da, hatte fast so viel gekostet als ein Bauernhaus, denn da war nichts gespart worden, das Käskessi allein hatte bei vierhundert Gulden gekostet. Küche, Käsgaden, Keller, Milchkammer waren geräumig, auch eine Wohnung für den Senn war auf dem obern Boden, ebenso war für einen verschließbaren Holzraum gesorgt. Die Vehfreudiger wußten nämlich aus Erfahrung, daß Wenige unter ihnen ein Holzgewissen hatten: die Mindesten stahlen Holz aus Privatwaldung, die Mittlern aus dem Gemeindewald, die Bessern aus dem obrigkeitlichen, bloß die Allerbesten stahlen gar keins. Hie und da, oder wo kein obrigkeitlicher Wald in der Nähe ist, fallen die beiden letztern Klassen zusammen.

Die Männer hatten noch eine große Stube über dem Holzraume einrichten wollen, um die Käsgemeinde darin abhalten zu können, aber die Weiber, besonders die Frau Ammännin, hatten es fürs Teufelsgewalt nicht tun wollen. An die Käsgemeinde gehörten Weiber eigentlich nicht, aber wenn dieselbe in irgend einem Privathause abgehalten wurde, so konnte das betreffende Weib wenigstens in der Nebenstube sein, oder war keine da, an der Türe horchen und alsbald einigen Freundinnen Auskunft geben über die Verhandlungen; diese konnten es weitersagen, so daß gewöhnlich die Taten der Männer daheim waren ehe die Männer und diese die Gutfinden der Weiber bereits abgefaßt fanden. Hie und da erschien auch ein Weib, besonders die Frau Ammännin, in den Versammlungen, gleichsam wie zufällig. Sie meinten, das Ding wäre geschmacklos, wenn sie nicht von ihrem Senf dazu täten. Die Frau Ammännin war überhaupt eine sehr merkwürdige Frau. Sie war nur ganz klein und so gar dünn, aber die ganze Dorfschaft fürchtete sie wie ein Schwert, und ihr Mann, richtig drei Zentner schwer, tanzte nach ihrer Geige angehends wie ein aufrechter Bär. War nun die Gemeinde in der Käshütte, so waren die Weiber radikal ausgeschlossen, es konnte Keine mehr horchen, und so mir nichts, dir nichts hinzulaufen, das hielten sie doch wirklich selbst nicht für anständig. Wir wollen die Gründe nicht aufzählen, welche sie anbrachten, sondern bloß so viel sagen, daß sie triftig gewesen sein mußten, denn es gab wirklich kein Käsgemeindezimmer oder -saal.

Die ganze Ausrüstung, Butterfaß, Gepsen, Kästücher, Käsrahmen, Kalbermagen usw., war auf das Beste besorgt. Dürres Holz war in bedeutendem Vorrat vorhanden; bei demselben lief nicht das Wasser hinten heraus, wenn man es vornen anbrannte, wie es bei Holz, welches für Schulen geliefert wird, so oft der Fall sein soll. Mitten in der Käshütte stand bereits ein Senn, nicht groß, aber appetitlich anzusehen, seine Wahl hatte bei den Weibern Beifall gefunden. Sie hülfen den nehmen, hatten sie gesagt, denn in erster Linie (es las hie und da eins die Großratsverhandlungen) werde er nicht so viel fressen wie eine Freiburger Stute, da gebe es desto bessern Käs und desto bessere Butter, in zweiter Linie nehme es sie wunder, wie so ein lüftiges Bürschchen mit den schweren Käsen fahren möge, besonders gegen den Herbst zu, wo er des Tags hundertsechzig bis hundertachtzig zu salzen habe; das möchten sie dann doch auch sehen.

Es wurde nun eine Käsgemeinde angestellt, um den Tag des Anfangs zu bestimmen. Es ging sehr hart zu an demselben Tag, wer hätte es denken sollen! Wo man des Tages bloß einen Käs macht, da richtet man die Milch, welche am Abend kommt, in Gepsen aus, läßt sie über Nacht stehen, schüttet sie dann so, wie sie ist, bis auf die Nidle, welche man zu Butter braucht und der Senn zum Kaffee oder sonst, ins Käskessi, die, welche am Morgen kommt, gleich dazu, und wenn alles beisammen ist, dann erst fängt der Senn zu käsen an, welches immer auf das Allerwenigste drei Stunden dauert. Nun rechnete man in der Vehfreude für den Anfang nur auf ungefähr vier Säume Milch, es verstand sich daher von selbst, daß man nur einen Käs machen konnte, die erste Milch am Abend vorher bringen mußte.

Die radikale Partei, welche damals auf der Vehfreude immer noch ihre Anhänger hatte, namentlich den Eglihannes, der jedoch jeden Augenblick bereit war, schwarz wie der Teufel zu werden, wenn sich ihm damit ein Loch zu einem Amte geöffnet hätte, schlug vor, am Samstagabend die erste Milch zu bringen, am Sonntagmorgen, wo alle Zeit hätten, der Sache zuzusehen, den ersten Käs zu machen. Die wichtigsten Angelegenheiten des Vaterlandes seien auf den Sonntag verlegt: alle Wahlen, alle Abstimmungen durch das Volk, alle Schützen, und Sängerfeste, Kilbenen und Kegelten und sonst volkstümliche Freudenfeste, die Sackhüpfeten, Gänseköpfeten, Gränneten, Volks- und Gesangvereine, kurz alle Freuden eines in der Bildung und entschiedenem Fortschritte begriffenen Volkes. Dieser Tag habe eine neue, dem Zeitgeist würdige Weihe erhalten, er sei nun ein echt volkstümlicher, vaterländischer geworden. Nun fragten sie, was volkstümlicher und vaterländischer sei als Käsereien, welche Millionen ins Land brächten, Zeugnisse seien des Fortschrittes und der wahren Aufklärung! Was könne man also an diesem Tage Vaterländischeres und Würdigeres und gegen die Langeweile Kräftigeres tun, als durch den ersten Käs dieses Haus, ein Zeugnis ihrer Aufklärung, einweihen! Von ihnen ginge doch niemand in die Kirche, um zu hören, wie der Pfaffe stürme, der Schulmeister bäägge, der Orgeltreiber surre. Die Zeit der Dummheit habe man hinter sich, darum müsse man vorwärts, sonst käme man rückwärts; so sprachen die Erleuchteten in der Vehfreude.

Potz Türk, so verstanden es Andere nicht! Mit solchem, sagten sie, solle man ihnen nicht kommen! Wohin die Sonntaghudelten führten, könne man sehen an vielen Exempeln, und seit es so gehe, sei ja nirgends mehr Geld und in keiner Sache der Segen. In der Sonntagarbeit sei keine Haltbarkeit; man sollte Exempel nehmen an der Tiefenaubrücke, an welcher am Sonntag gebaut worden. Da hätten die ungläubigen Herren erfahren, wie es heiße: Wo der Herr nicht das Haus bauet, da arbeiten seine Bauleute umsonst daran, wo der Herr nicht die Stadt behütet, so wachet der Wächter umsonst. Als der Wind einmal ein wenig blies, da brach die Brücke zusammen und tat einen großen Fall. Der Baumeister habe darauf freilich gesagt, seine Frau habe ihm gesagt, eine andere Frau habe ihr gesagt, ihre Magd hätte ihr gesagt, es hätte ein wenig geerdbebnet. Und wenn es auch wahr sei, was eine Frau der andern gesagt, so mache das ja nichts an der Sache; wer noch einen Glauben habe, der wisse, woher auch die Erdbeben kämen und wer sie mache. Dann solle man doch nur die Regierungen ansehen, welche am Sonntag gewählt seien, wie lange die es hielten und wie währschaft sie seien. Ja, wenn man Käse wolle hohl wie Hutdrucken oder blästig, daß man sie den Schmieden für Blasebälge verkaufen könne, so solle man nur am Sonntag den ersten Käs machen, aber dann wollten sie mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. Da könnte man sehen, wie das Hexenwerk Macht hätte in der Hütte, und man wisse doch, wie dasselbe dem Käsen aufsässig sei, und an wie manchem Orte man ihm kaum Meister werde. Ihnen wäre der Freitag am anständigsten. Wer noch einen Glauben habe und begehre glücklich zu sein in der Ehe, der lasse sich am Freitag kopulieren. Das halte fest, was an diesem Tage gemacht sei. Beim Käsen sei ja das Kopulieren, und daß die Käse fest würden und sich hielten, die Hauptsache und daß die Käsbauern zusammenhielten und gute Milch zusammenbrächten. Schicklicher zum Anfang als der Freitag sei daher durchaus kein Tag.

Das sei nichts, schrien die Dritten. Daß man hier die Politik und das Vaterland und die Aufklärung außer acht lasse, sei ihnen ganz anständig. Seitdem man derlei Zeug in alles hineinmischen wolle, habe man allenthalben ein verfluchtes Gkafel und wisse gar nicht mehr, wo drüber und dran. Aber an einem Freitag hülfen sie auch nicht anfangen. Was man am Ende der Woche beginne, damit werde man ja, wie allbekannt, nie fertig, und die Hauptsache sei doch, daß man mit dem Käsen einmal fertig werde. So wenig als Politik solle man den Aberglauben da hineinbringen, sondern wie üblich und bräuchlich bei jedem großen Werk am Montag anfangen; wer auf Rücken halte, tue es nicht anders, und man wisse ja wohl warum.

Diese Meinung, die einfachste und natürlichste, hatte auch das Mehr, den Weibern war sie aber nicht recht, die meisten hätten aller Gottseligkeit zum Trotz den Sonntag vorgezogen. Die Weiber haben im Allgemeinen viel Religion, daher aber sehr oft den Glauben, weil sie so viel Religion hätten, hätten sie auch das Recht, sich hie und da über dieses oder jenes keck hinwegzusetzen, wenn es ihnen dienlich und bequem sei. Die Weiber sind überhaupt große Freundinnen von Ausnahmen, starre Konsequenz ist eben nicht ihre Haupteigenschaft. Unglücklicherweise war die Frau Ammännin nicht zu Hause, als diese Erkenntnis in ihrem Hause gefaßt wurde, sonst wäre es wohl anders gegangen. Die Weiber hielten den Männern Predigten, daß dieselben zu Gott schrien, er möchte sie, nämlich die Predigten, in Bratwürste verwandeln, sie hätten dann Stoff, einen ganzen Sommer durch wohlzuleben. Wären die Männer Großräte gewesen, sie hätten den Beschluß in eine neue Beratung gezogen und ihn irgend eines Formfehlers wegen aufgehoben, so aber kam ihnen dieses nicht in Sinn. Die Weiber hatten nämlich am Sonntag am besten Zeit, ihre Näschen da zu haben, wo es was Neues gab; an einem Werktag und besonders an einem Morgen hätte sich jede geschämt, müßig herumzustehen oder gar einen halben Tag so zUnnutz zu verbrauchen. Die Vehfreude war noch so ein rechter Bauernort, freilich ein etwas grober, wo die Weiber schafften und die Töchter ebenfalls dazu hielten. Damen oder Dämchen sah man nicht auf derselben als eine Umgängerin, eine Dirne, welche mit drei unehelichen Kindern von Bern kam, für jede Arbeit sich zu vornehm dünkte und nichts tat als wie ein Faultier von einem Hause zum andern rutschen dem Essen nach.

Am zweiten Montag im April war der große Tag, an welchem der Tanz angehen sollte mit Käsen in der Vehfreude. Noch saßen die Kühe nicht im Grünen, aber man hält es für gut, einige Wochen, ehe es recht angeht, halbfett zu käsen, so gleichsam zu präludieren wie die Organisten, ehe sie das eigentliche Spiel beginnen. Die Milch vom Morgen wird dann ganz genommen, von der Abendmilch nimmt man die Nidle ab und macht Anken daraus. So gibt es halbfetten Käs, welcher aber nicht in den Handel kommt, sondern unter den Anteilhabern verteilt wird, welche ihn entweder selbst essen oder so von der Hand weg verkaufen, wie sie können und mögen.

Die Ställe waren besetzt und noch für zwei andere Dinge wohl gesorgt. Was das für Dinge seien, könnten wir ganz füglich alten und neuen Diplomaten, Republikanern und Absolutisten, dem Guizot und dem armen Dahlmann, dem Vogt und dem Windischgrätz zu erraten geben, sie wären in diesem Punkte alleweil gleich gescheit. Es war gesorgt für die nötigen Transportmittel der Milch bis zur Käserei, das heißt für ein Gefäß und für einen Träger desselben. Wo es hoch hergeht und die Milch in die Schwere kommt, da muß ein Drittes noch sein, und wo es gar hoch hergeht, zum Beispiel bei den Rumedingern, den Rutzwylern und andern großartigen Käsbauern, da kommt noch ein Viertes dazu.

Das Erste ist also das Gefäß, Bränte genannt. Da scheint die Sache einfach zu sein, aber sie ist es nicht. Es ist bis dato eine Lebensfrage, welche mit der Politik auf das Innigste zusammenhängt, überhaupt eine Existenzfrage für die moderne Weltanschauung: ob nämlich die Bränte von Holz sein solle oder von hellem Blech mit messingenen Reifen. Holz ist bekanntlich ein Naturprodukt, eine Bränte von Holz ein Naturkunstprodukt. Messing und Blech kommen wohl auch von der Natur her, doch nicht so direkt wie das Holz, und vollends eine derlei Bränte ist ein vollständiges Kunstprodukt (vide Anschauungslehre von Blattner und andern Gelehrten mehr). Ein altes Instrument war die hölzerne Bränte, und die alten Küher dachten an nichts anderes. Das wußten sie, daß sie reinlich gehalten werden mußte mit allem Fleiße, und ihre Weiber und Töchter wußten es ebenfalls und taten also, sie glaubten, sie seien zum Reinhalten derselben da. Aber mit der neuen Ordnung, das heißt mit den neuen Käsereien, kamen die blechernen, mit Messing beschlagenen Bränten auf. Die seien viel schöner, viel dauerhafter, ach Gott, wie glänzend und schön, und kosteten viel weniger Mühe und seien viel reinlicher von Natur, und die Milch bliebe viel süßer und der liebe Gott sehe sie viel lieber. Ach, und eine Menge anderer Gründe wurden noch zu ihren Gunsten angeführt, und sie gewannen allerdings die öffentliche Meinung für sich, man fand sie der Zeit viel angemessener, und wer nicht ein solch glänzendes Kunstprodukt auf dem Buckel hatte, sondern bloß ein altes, hölzernes, schämte sich und schrie Zeter über Beeinträchtigung und Blamierung. Der Streit wogte heftig in der Vehfreude. Alt-Vehfreude und Jung-Vehfreude schieden sich hässig. Doch müssen wir, wenn wir aufrichtig sein wollen, bekennen, daß auch in der Vehfreude mancher alte Narr sich fand, der sich zu den Jungen schlug, glaubte, den alten Narren unter den Jungen am besten bergen zu können. Ach Gott, und dachte eben nicht, daß man, um so was zu meinen, eben ein alter Narr sein müsse! Die glänzenden, weiß und gelben Bränten trugen offenbar den Sieg davon; prächtig glitzerten in der Morgen- und Abendsonne die schönen weiß und gelben Dinger, und düster drückte sich den Zäunen nach, wer noch ein altmodisches Gefäß schleppen mußte. Aber es ist kurios, seit einiger Zeit scheinen die blechernen Bränten seltener zu werden, man sieht viel seltener ihren hellen Glanz auf den Straßen, keck und kühn werden die hölzernen Geschirre wieder getragen; es ist da offenbar unter der Hand eine Reaktion eingetreten, das Alte erhebt sich wieder über das Neue, und um so gefährlicher ist dieses, da es so ziemlich stillschweigend, so gleichsam nur unter der Hand geschieht, fast wie bei einem geheimen Einverständnis. Personen, welche wohl unterrichtet sein können, geben in der Stille zu verstehen, es sei mit dem neuen Zeug nichts gewesen, außen fix und innen nix. Meist seien sie schlecht gelötet gewesen, oder die Löte hätte sonst nicht gehalten, die Milch sei darin säuerlich und ungesund geworden und daher an vielen schlechten Käsen schuld. Man rede aber nicht gern davon, da Sachkundige das Ende vorausgesagt, aber von der Hoffart und dem jungen Gerede überwältigt worden, sondern beseitige die schlechten Bränten so unvermerkt als möglich. Das Fatalste sei, daß die Spengler, welche im Anfang sie so hoch angepriesen und so teuer verkauft, jetzt keine zurückkaufen wollten, unter dem Vorwande, sie könnten das Blech nicht mehr brauchen, die Milch hätte es ganz verdorben. Schlechteres muß aber doch wirklich nichts gewesen sein als solche Bränten, wo das Blech die Milch verdorben und die Milch das Blech. Man kann aber nicht sagen, ob es wirklich so ist, es scheint jedoch viel Wahres an der Sache zu sein.


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